Socalled „Sleepover“

Socalled Pralinenschachtel der Sorte ‚Wild-feiner Stilmix‘

»Das Leben ist wie eine Pralinenschachtel: Man weiß nie, was als Nächstes kommt«, so eine Lebensweisheit von Forrest Gumps Mutter. Hört man „Sleepover“, den neuesten Streich des Kanadiers Josh Dolgin aka Socalled, kommt einem die Maxime von Mama Gump automatisch in den Sinn. ‚Kindergeburtstag‘ wäre eine andere passende Assoziation. Bunt und kurzweilig wirken die Songs auf „Sleepover“, die Mr. Socalled teilweise schon länger im Repertoire führt.

Das Album ist bereits zwei Jahre alt, wurde aber erst jetzt hierzulande veröffentlicht. Da rappelt die Beatbox, Funk-Bläser fallen ein und Socalled und seine Freunde erzählen seltsame Geschichten. Der Titelsong handelt davon, dass ein Durchschnittstyp mit Hornbrille und Flanellpyjama nachts unsanft von einer Horde feierwütiger Puppen aus dem Schlaf gerissen wird. Die Folge: eine Hausparty der anderen Art.

„Unlvd“ klingt dagegen wie eine Art Hybrid-Version des 1970er- und 1980er Jahre Funk – Prince lässt grüßen. Kein Wunder, denn Fred Wesley, Boban Markovic, The Mighty Sparrow oder Roxanne Shanté spielen auch alle mit und bieten mit dieser Mischung den einen oder anderen Aha- und gleichzeitigen Verfremdungseffekt. Eine  Vorgehensweise, mit der auch Bands wie Animal Collective, das LCD Soundsystem oder Popstars wie Kanye West und Madonna stilistische Anleihen aus jeder Richtung beziehen.

Damit soll nicht Beliebigkeit oder Schielen nach dem Angesagten unterstellt werden, wohl aber programmatische Absicht. Eklektizistisch ist die passende Bezeichnung für diesen Mix aus schwarzer Tanzmusik, Balkan-Bläsern, französischen Rap-Einlagen, Soul, Elektro-Funk und als ‚Topping‘ schräger Humor: eine interessante Mischung bekannter Zutaten.

Josh Dolgin hat ein Händchen für Melodien, allerdings taugen seine Songs wegen des wilden Stilgemischs eher nicht zum Ohrwurm. Trotzdem setzen sich Melodiefragmente, Textzeilen, hier ein Klarinettensolo, dort eine Fiddle oder ein Funk-Bass beim wiederholten Hören immer fester in den Gehörgängen fest, bis man sich irgendwann erstaunt dabei ertappt, dass man eine seiner Melodien vergnügt vor sich hinbrummt, über „Gummi Bears“ sinniert oder den fröhlichen Rhythmus von „Sleepover“, der ein wenig an Bläser-Bands vom Balkan erinnert, in den zwei linken Beinen spürt. Hat man gerade verstanden, dass „Work with what you got“ eine Einladung zum fröhlichen Anders- oder Man-Selbst-Sein ist, folgt mit „Springhill Mine Desaster“ ein Coversong der Dubliners und damit der Sprung zu folkloristisch angehauchten Canadiana-Klängen, die allerdings mit zurückhaltender Elektronik und Piano-Sounds angereichert sind.

„Sleepover“ ist nichts für die Liebhaber von musikalischem ‚Schniposa‘ (Schnitzel, Pommes, Salat), sondern für entdeckungslustige Hörer, die beim wiederholten Hören immer neue Details entdecken wollen. So entsteht eine Art musikalisches Gesamtkunstwerk aus einer Vielzahl von Zutaten unter reger Beteiligung guter Musiker. Josh Dolgin als Mastermind drängt sich dabei nicht in den Vordergrund, sondern fügt sich in sein Ensemble ein. Das Ergebnis ist moderne Weltmusik. Kurioserweise liefert das Album mit den Titeln 11 bis 17 selbst Remixe der ersten 10 Songs, davon gleich drei teils recht bizarre Versionen des Titelstücks und eine rasant beschleunigte Version von „Unlvd“, die einen atemlos zurücklässt.

Auf den ersten 10 Titeln von „Sleepover“ lädt er zur Pyjama-Party mit Chips, Gummibärchen und Soda, dann schmeißt er kurz die gut geölte Tanzmaschine an. „Sleepover“ ist also tatsächlich eine Art Pralinenschachtel, wobei die Mischung  nicht die ‚Feine Auslese‘ ist, sondern eine  Entdeckungsreise in Neuland. Wer sich darauf einlässt, wird mit Überraschungen musikalischer Art gut bedient.

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