Hélène Grimaud „Brahms: The Piano Concertos“

[amazon_image id=“B00DEFW8YY“ link=“true“ target=“_blank“ size=“medium“ class=“alignleft“]Hélène Grimaud „Johannes Brahms: The Piano Concertos“[/amazon_image]

Grimauds Liebesgeschichte mit Johannes Brahms geht in die nächste Runde.

Hélène Grimaud ist eine schöne und eigenwillige Künstlerin. Beides lieben ihre Fans und gleichzeitig erleichtern diese Umstände (so scheint mir) nicht gerade ihren Stand bei den Kritikern. Zum einen, weil Kritiker (berechtigterweise) bei jedem Hochglanzcover einer Klassik-Sirene skeptisch werden, zum anderen weil sie die Grimaud interpretatorische Freiheiten nimmt, die in der heutigen ‚historisch-informierten‘ Klassikwelt nicht mehr erlaubt scheinen. Ihre Deutungen sind persönlich, ‚aus dem Bauch‘ heraus, mit einem eigenen Blick auf das Werk verbunden; Referenzaufnahmen (im Sinne von »so hat’s der Komponist intendiert«) wird man in ihrer Diskografie vergeblich suchen. In sich schlüssig sind Grimauds Deutungen aber allemal, wie sie mit ihrer aktuellen CD beweist, auf der sie sich den beiden Klavierkonzerten Johannes Brahms‘ gewidmet hat – übrigens nicht zum ersten Mal. Das erste Klavierkonzert nahm sie 1998 schon einmal auf, mit dem zweiten kämpfte die Brahms-Liebhaberin viele Jahre.

Nun also endlich beide Klavierkonzerte Brahms‘ auf einer CD, dabei sind beide höchst unterschiedlich: Das erste Konzert in d-Moll ist ein jugendlich ungestümes Werk aus dem Jahre 1859 (Brahms war noch nicht einmal 26 Jahre alt, als es uraufgeführt wurde). Ohne zu viel hinein interpretieren zu wollen, verarbeitete der junge Brahms darin den geistigen Verfall und den Tod seines Mentors Robert Schumann – und wohl auch seine unglückliche Liebe zu dessen Frau Clara.  Das zweite Konzert entstand über 20 Jahre später und wurde 1882 uraufgeführt. Brahms, längst zum reifen Komponisten herangereift, schrieb mit dem B-Dur-Konzert eine Art „Sinfonie mit Klavier‘. Hélène Grimaud unterstreicht den unterschiedlichen Grundcharakter der beiden Werke damit, dass sie die beiden Konzerte mit zwei unterschiedlichen Orchestern aufgenommen hat: Konzert No. 1 wurde mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks eingespielt, No. 2 mit den Wiener Philharmonikern. Für die Kontinuität in den Deutungen sorgt nicht nur die Solistin, sondern auch der Drigient Andris Nelsons.

Wie nicht anders bei Hélène Grimaud zu erwarten war, sind es zwei sehr persönliche Interpretationen geworden. Referenzaufnahmen sind dies mit Sicherheit nicht (hier würde man sicher mit Sviatoslav Richter und dem Chicago Symphony Orchestra unter Erich Leinsdorf nichts falsch machen können), wohl aber sehr aufwühlende, romantische Deutungen mit berückenden Momenten. Aufnahmetechnisch steht mir das Klavier zu weit im Vordergrund, aber das mag auch eine Geschmackssache sein, Die französische Pianistin belebt mit ihren dezidiert romantischen Deutungen eine pianistische Tradition, die in den letzten Jahren fast völlig aus der Mode gekommen ist, die uns aber im vergangenen Jahrhundert die großartigsten Solisten beschwerte: Mut zur Individualität, Mut zur Emotionalität, Mut zur Romantik. Hélène Grimaud ist keine Pianistin für die (selbsternannten) Gralshüter des einzig wahren Interpretationsansatzes (wie auch immer die herrschende Meinung gerade aussieht), sie steht für einen geradezu schwelgerischen Individualismus. Und gerade bei Brahms ist sie dabei in ihrem ureigenen Element.

Bisherige Rezensionen zu Hélène Grimaud auf schallplattenmann.de
→ Johannes Brahms in der Wikipedia
Künstlerhomepage von Hélène Grimaud mit Bildern, Videos und Klangbeispielen

(Bild: Networking Media)