Autor: Klaus Wenzel

Jack Savoretti „Sleep No More“

jack-savoretti[rating=2]von Mainstream bis glanzvoll

Jack Savoretti hat eine markante Stimme, die sicherlich nicht nur seine Hörerinnen zum Träumen bringt, sondern auch Männer erfreuen kann. Seine zehnjährige Laufbahn hatte letztes Jahr mit seinem Album „Written in Scars“ deutlich an Fahrt gewonnen. Es war das erste Album, mit dem Jack Savoretti Chart-Platzierungen schaffte.
Was lag also näher, als diesen Lauf fortzuführen? Insbesondere der Auftakt des Albums, die Singleauskopplung „When We Were Lovers“, klingt, als ob Savoretti und seine Produzenten zu sehr auf den schnellen Chart-Erfolg schielten. Es ist eine nette, aber letzlich seichte und austauschbare Midtempo-Softrock-Nummer.
Mehr zu sich selbst kommt der Sänger immer dann, wenn die üppige Instrumentierung und „Oh, oh“-Girl-Chöre zurückgefahren werden, wenn etwa wie in „I’m Yours“ die Folk-Rock-Wurzeln Savorettis kurz an die Oberfläche dürfen. Im Großen und Ganzen gelingt es dem Musiker und den Produzenten jedoch, sein Faible für Folk, Soft-Rock und Pop in einer gewissen Balance zu halten. Deutlich wird dies in „We are Bound“, das nach einem reduzierten Intro aber schnell wieder mit Geigen und Chöre angereichert wird.

Jack Savoretti schlägt sich wacker in seinem Bemühen, die eigene musikalische Identität nicht dem Kommerz zu opfern. „Sleep No More“ soll ein „Liebesbrief an seine Frau“ sein, meint der Künstler, zwölf Songs über „Dinge, die dich nachts wach bleiben und nicht mehr schlafen lassen“. Das kann der mit seinen Refrains clever gemachte Song über „Troubled Souls“ sein. Das Stück beschwingt und hat das Zeug zum Ohrwurm.
Überhaupt haben Savoretti und seine Komponisten und Produzenten ein feines Händchen für eingängige Melodien und gut gesetzte musikalische Einfälle. So besticht „Sleep No More“, der Titelsong, mit toller Phrasierung Savorettis, sparsamen Effekten – etwa eine gepfiffene Melodie – und dem transparentem Sound. „Any Other Way“ ist dagegen nicht mehr als Mainstreamradio, und „Start Living in the Moment“ variiert das Rezept nur ein weiteres Mal. Den glanzvollen Schlußpunkt setzt „Lullaby Loving“, bei dem sich der Folk-Rocker Savoretti fast aus dem goldenen Hitparaden- und Produzentenkäfig befreit.
So gesehen bleibt die musikalische Zukunft des Mannes ein wenig offen. Vielleicht macht er weiter mit den chartkompatiblen Liedern. Oder er bringt doch irgendwann ein sparsam instrumentiertes Folk-Rock-Album heraus. Wir werden sehen und hören.

Sarajane, 7.11.2016, Knust, Hamburg,

viewSarajane ist eine illustre Persönlichkeit. Geboren in den Achtzigern, als Kind einer deutschen Mutter und eines englischen Vaters in der niedersächsischen Provinz, lebt sie seit einigen Jahren in Hamburg. Dies und mehr aus ihrem bewegten Leben als Sängerin erfährt das Publikum bei einem Konzert in ihrem Wohnzimmer, dem Hamburger Club „Knust“. Der verströmt den Charme einer renovierungsbedürftigen Garage, was erst mal so gar nicht zum exaltierten Auftritt Sarajanes passen will.
In ein Superwoman-Superminikleid-Glitzerdress mit entsprechendem Mantel gewandet, tritt sie vor ihr Publikum, das sie wie eine alte Bekannte begrüßt. Auf der Bühne des nicht ganz gefüllten Clubs umringt sie die neunköpfige Band, bestehend aus vier Bläsern, zwei Backgroundsängerinnen, Schlagzeug, Gitarre, Bass. Es ist ein kalter, grauer Montagabend, aber Sarajane lässt sich nicht beirren und startet engagiert. Ihre Band ist eingespielt und spielfreudig, schon nach den ersten Takten schnurrt die Musikmaschine. Mit Anleihen bei klassischem Soul und R’n’B sowie mit einer guten Backing-Band kann man eigentlich kaum etwas falsch machen. Doch damit drängt sich der Vergleich mit all den anderen Soul-Sängerinnen der Szene auf. Natürlich würde sie dies, die sich auf ihrer Website selbst nur halbironisch als „unvergleichlich“ bezeichnet, weit von sich weisen. Die musikalischen Pfade, auf denen Sarajane und ihre Band wandeln, gleichen jedoch eher einem Highway, der von recht vielen musikalisch betreten wird. Daher muss sie, möchte sie tiefere Spuren hinterlassen, stärkere eigene kompositorische Akzente setzen. Fähig dazu ist sie, denn ein Titel wie beispielsweise „Carousel“, von ihrer bislang ersten und einzigen CD „First Step“ (2015), hat durchaus das Zeug, sich in den Gehörgängen festzusetzen. Ansonsten gab es viele Titel aus diesem Album, druckvoll gespielte und stimmgewaltig dargebotene Mid- und Uptempo-Songs, charmante Moderationen zwischen den Stücken und allenthalben gut gelaunte Gesichter.
Selbst wenn Sarajane der letzte Schliff als Sängerin und Komponisten noch fehlt: Sie ist eine gute Entertainerin. Sie will unterhalten – und kann das auch ganz gut, obwohl nicht jeder Titel vollständig zündet, manche Idee verpufft und Sarajanes Einlagen am Keyboard bisweilen nicht ganz zwingend wirken. Auf jeden Fall hat sie Persönlichkeit.
Sarajane hat durchaus Macherqualitäten, denn ihre Musik erscheint auf ihrem eigenen Label. Unabhängigkeit scheint ihr wichtig zu sein. Denn wie sie dem Publikum erzählt, wollte man sie eigentlich in Richtung deutschsprachigen Pop leiten. Sie möchte aber, ganz Herrscherin über ihre künstlerische Biographie, die Kontrolle behalten. Jetzt singt sie ihre eigenen Texte akzentfrei englisch, wechselt etwas maniriert zwischen deutscher und englischer Conference hin und her und präsentiert sich durchaus mit einer Prise Ironie und Charme. Das kommt an, man kennt und schätzt sich, selbst das eine oder andere Tanzbein wird geschwungen. Nach zwei Stunden inklusive Zugabe geht es wieder hinaus in den kalten Herbst. In der Zwischenzeit haben die Fußballfreunde in der zum Club gehörenden Kneipe erneut erleben müssen, wie der benachbarte FC St. Pauli wiederum in letzter Minute eine Partie abgeschenkt hat, wie es im Fußallreporter-Stil so schön heißt. Sarajanes Auftritt hingegen war ein gewonnenes Heimspiel. Drei Punkte!

Synje Norland „Who Says I Can’t?“

norland[rating=3] Sparsam instrumentierter Kammerpop

Die Nordfriesin, Wahlkanadierin und Teilzeithamburgerin Synje Norland macht es einem nicht leicht. Abwehrend bis skeptisch, wenngleich nicht ängstlich, hebt sie die linke Hand wie ein Stoppsignal und blickt dem Hörer ihrer neuen CD selbstbewußt entgegen: Wer sagt, dass sie nicht könnte, wenn sie wollte? Das Zeug zur populären Sangeskünstlerin wie Helene-„Atemnot in der Nacht“-Fischer hätte sie allemal, das entsprechende Äußere ebenso. Synje Norland ist aber bislang unter ihrem eigenen Namen andere, anspruchsvollere Wege gegangen. So auch mit ihrem neuen Album. in Eigenregie eingespielt, arrangiert, komponiert und produziert und auf dem eigenen Label Norland Music veröffentlicht.

Unabhängigkeit scheint ein wichtiges Merkmal der Musik von Synje Norland zu sein. Das birgt Risiken, keine Frage. So vergingen vom letzten bis zum aktuellen Album gut fünf Jahre, in denen sie unter anderem mit Santiano tourte. Von deren Musik ist sie jedoch sehr weit entfernt.
Norland bietet eine recht interessante Mischung aus stimmlichen Varianten, die mitunter an Annie Lenox erinnern und durchaus popkompatibel sind und akustischem Kammerpop. Stimme, sparsame Instrumentierung, die vor allem von Michael Beckers Cello getragen und durch Norlands Spiel an Gitarre, Klavier, Schlagzeug oder Synthesizern ergänzt werden. Eher Moll als Dur, aber keine typische Liedermacher-Innerlichkeit, sondern von verträumt bis selbstbewußt gesungen. Auf jeden Fall weitab vom Mainstream und ein Erlebnis, das in den besten Momenten eine ganz eigene Stimmung schafft, die ein wenig an die dunkle Romantik der Lieder Franz Schuberts erinnert.

Norland hat ihre Ziele ehrgeizig hoch gesteckt, doch insgesamt fehlt noch die stilistische Einheitlichkeit, die aus „Who Says I Can’t“ einen Liederzyklus macht. Sie pendelt – vielleicht aus Unentschlossenheit, vielleicht aber, weil sie einmal das eigene Spektrum demonstrieren möchte – zwischen verschiedenen Welten. „Delirium Dive“ ist ein moderner, verträumter Folksong, und „Into the Blue“ mischt nicht ungeschickt Klassik und Folk. Michael Becker drückt „My Heavy Heart“ und etlichen anderen Titeln mit dem Cello seinen Stempel auf, und hin und wieder haben die zwölf Titel durchaus Popformat.
Ein bisschen viel auf einmal? Ach nein, insgesamt gesehen geht das mehr als in Ordnung. Am besten gelungen scheint, neben den beinahe jazzigen Passagen, der Titelsong „Who says i can’t“. Denn dort schaffen Norland und Becker ein ganz eigene, beinahe verwunsche Athmosphäre, die ihresgleichen sucht.

(Cover: Norland Music)

Nick Waterhouse „Never Twice“

waterhouse[rating=3] Handgemachte und liebevoll produzierte Zeitreise

Nick Waterhouse hat, wie auf dem Cover seiner neuen CD „Never Twice“ zu sehen, eine immense Sammlung Vinyl-Scheiben. Das gibt bereits deutlich die Richtung vor, in die sich seine dritte Platte bewegt: analoger Sound, tief im Rhythm and Blues und dem Doo Wop der Fünfzigerjahre verwurzelt, kombiniert mit Club-Jazz, Boogaloo und Soul der Sechziger. Passend dazu sein Erscheinungsbild auf dem Foto: eine Mischung aus Buddy Hollys jüngerem Bruder und einem Ostküstenintellektuellen der frühen Sechziger.
Retro also, sonst nix?
Der Mann ist sicher ein glühender Verehrer dieser Ära, aber gleichzeitig lebendiger Teil der aktuellen Musikszene von San Francisco. Geboren 1986, huldigte Waterhouse bereits mit Anfang 20 in einer lokalen Band den Animals und frühen Who. Nach einigen Achtungserfolgen, die wohl eine professionelle Existenz als Musiker nicht zuliessen, verlegte er sich darauf, Musik als DJ aufzulegen. Seine erste Solo-Single, „Some Place“ (2010), fiel in die Hände eines einflussreichen anderen DJs und begründete seinen Ruf als Entertainer mit Faible für die Musik der Fünfziger- und Sechzigerjahre. Seither bewegt er sich als eine Art Geheimtipp durch die Musikwelt und veröffentlicht alle zwei Jahre ein neues Album. Ob sich an diesem Status viel ändert, darf bezweifelt werden. Denn entweder fehlt Waterhouse das Quäntchen Persönlichkeit oder die Unterstützung einer großen Plattenfirma – ganz sicher jedoch ein ausgekochtes Management.
Entscheidender ist vermutlich, dass Waterhouse zwar die Klänge kongenial aufleben lässt, dabei jedoch eher Fan bleibt. Er will offenkundig die Sounds nicht kreativ neu interpretieren und ihnen auch kein Update verpassen. So hört man auf „Straight Love Affair“ die Orgel aus „Green Onions“, und bei „Tracy“ meint man, dass gleich Wolfman Jack um die Ecke kommt und „Hit the Road, Jack“ zum Besten gibt.
Wo ist die eigene Note, wo bleibt der persönliche Ausdruck? Was zeigt Mr. Nick Waterhouse in diesem durchaus vergnüglichen Album von sich als Musiker, was macht seine Musik unverwechselbar? Leider noch zuwenig. Aber vermutlich ist die Hauptintention von Waterhouse auch nicht der unverwechselbare, individuelle Stil, sondern die Referenz an die Musik der Altvorderen. So hören wir also zehn unterhaltsame, flotte Titel, erkennen das eine oder andere aus dem Fundus der Rockmusik und werden dabei gut auf altmodische Art und Weise unterhalten. Das ist schön und gut, aber zuwenig für die große Karriere. Wahrscheinlich strebt Waterhouse die auch gar nicht an, sondern macht einfach das, was ihm und seinen zahlreichen Mitstreitern auf „Never Twice“ Spass macht: eine liebevoll produzierte Zeitriese mit handgemachter Musik.

(Cover: Innovative Leisure Records)

 

Ultimate Painting „Dusk“

ultimate-painting[rating=3] Hommage an die Vorbilder aus den Sechzigerjahren

„Dusk“ ist die dritte Veröffentlichung der britischen Indie-Darlings Jack Cooper und James Hoare, die nebenbei oder währenddessen Zeit für weitere Bands wie Veronica Falls oder Mazes finden. Fleissige, junge Männer! Ihr gemeinsames Engagement bei Ultimate Painting bietet Psychedelia vom Feinsten. Die Midtempo-Songs haben Ohrwurmcharakter, auch oder gerade weil sie beinahe formelhaft erscheinen – jedoch ohne formelhaft zu wirken. Perlende Gitarren treffen auf eine stoisch durchgehaltene Basslinie und ein unauffälliges Schlagzeug. Darüber singen Cooper und Hoarse von der Mühsal heutigen Daseins oder auch vom früh verstorbenen Brian Jones. Das alles kommt wunderbar leicht und eingängig herüber, und bevor man an die überlebensgroßen Vorbilder dieses Sounds denkt, freut man sich einfach darüber, das so etwas heutzutage aus den Lautsprechern kommt.

Was einfach und simpel wirkt, ist dennoch das Ergebnis fleissigen Studierens – oder besser: des Hörens der Musik der alten Recken. Gemeint sind dabei beispielsweise Velvet Underground, aber nicht die krachigen mit John Cale und Nico, sondern die Besetzung von 1969 mit Doug Yule. Andererseits: Wer hat sich nicht schon alles auf diese und ähnliche Bands seither bezogen? Cooper und Hoare gelingt jedoch das Kunststück, mit bekannten Mitteln Neues und Hörenswertes zu erzeugen. Die beiden haben ein Händchen für Melodien, für den  sparsamen Effekt zur richtigen Zeit und für die passenden Gesten und Texte. Selbst das Cover von „Dusk“ wirkt gleichzeitig wie ein Zitat und eine Hommage an das Artwork der Sechzigerjahre. Der erste Song, „Bills“, bietet bereits einen guten Überblick über das musikalische Universum von Ultimate Painting: Zwei Gitarren, die sich mit ihren hellen, perlenden Läufen umkreisen wie in den glorreichen Tagen des Jangle-Pop (Beispiele hiefür sind „Mr. Tambourine Man“, „A Hard Days Night“ oder „Losing my Religion“), dazu eine präzise Schlagzeugerin und ein Bassist, der alles erdet. Nimmt man den letzten Titel, „I can’t Run Anymore“, mit seiner Fuzz-Gitarre und dem lakonischen Gesang hinzu, ist das Terrain von „Dusk“ schon ziemlich weit abgesteckt. Die anderen acht Titel dazwischen, stellenweise wirken sie fast hypnotisch, entfalten aber jeweils ihren eigenen Reiz. Hier und da kommen eine Orgel oder ein Wurlitzer-Piano zum Einsatz und das 4/4-Schema wird auch mal verlassen.
Ein äußerst unterhaltsames, kurzweiliges Erlebnis, aufgenommen übrigens im Heim-Studio der Herren.

(Cover: Out of Mind)

 

Hamilton Leithauser + Rostam „I had a dream that you were mine“

leithauser[rating=4] Reminiszenz an die goldene Zeit des amerikanischen Pop

Der US-amerikanische Sänger Hamilton Leithauser dürfte dem einen oder anderen als Sänger der New Yorker Band The Walkmen bekannt sein, die in den Jahren nach 2000 mit kommerziellem Indie-Pop aktiv war. Die Band hat sich seit 2014 eine unbestimmte Auszeit verordnet. Nachdem er im gleichen Jahr sein erstes Solo-Album vorlegte, hat Leithauser nun ein neues Projekt. Dieses formte er mit dem Multiinstrumentalisten Rostam Bantaglij, ex-Vampire Weekend. Mit „I had a dream that you were mine“ legen die beiden ihr Debut vor. Der Sound der zehn Songs wirkt beim ersten Hörer durchaus nostalgisch oder, wie es heute so plakativ heisst: Retro oder Vintage-Sound. Einerseits ist dies dem analogen Equipment zu verdanken, wie es früher auch The Walkmen in ihrem eigenen  Studio eingesetzt haben, andererseits dem Songwriting von Leithauser + Rostam. Den beiden scheint es vor allem um den Spaß zu gehen, Musik aus der Vergangenheit intelligent in die Gegenwart zu transportieren. Sie denken dabei aber auch über Vergänglichkeit oder das voranschreitende Alter nach.

„You ain’t that young Kid“ beginnt mit einer typischen Dylan-Harmonika, die von Beatles-Gitarren begleitet wird. Schließlich singt süßlich ein Mädchen-Chor, eine Hammond-Orgel nimmt die Harmonien auf, ein Clavinet und noch Manches andere kommt hinzu. Aber über allem thront der heisere Tenor von Leithauser, der über eine verflossene Liebe singt. Leithauser zieht als Sänger etliche Register und gibt den Entertainer. Sei es, dass er ganz im Stil der züchtigen fünfziger Jahre davon träumt, daß die Angebetete ihm ganz allein gehören möge („I had a dream that you were mine“), sei es, indem er Szenen aus schäbigen Bars und dunklen Parkplätze entwirft („You ain’t that young  Kid“).

Die Arbeitsteilung scheint damit klar: hier der Sänger, dort der Arrangeur und Multiinstrumentalist Rostam, der als eine Art lebender Musikbox virtuos die Stile vergangener Epochen mixt. Doch so einfach ist es nicht, denn auch Leithauser ist als Bassist und Gitarrist sowie als Komponist und Arrangeur am Klangbild maßgeblich beteiligt. Dieses bietet Doo-Woop-Adaptionen, spanische Gitarren, Anklänge an George Martins Zaubereien bei den Beatles, Reminiszenzen an Leonhard Cohen, antike Synthies aus den Achtzigern, Vaudeville-Pianos, Saxofon-Soli, Celli … Wer möchte, kann das ganze Klangpuzzle wieder auseinandernehmen und in seine Bestandteile zerlegen. Aber bekanntlich ist das Ganze mehr als die Summe seiner Teile. Weil Leithauser und Rostam begabte und versierte Klangtüftler mit hörbarem Spass an der Sache sind, vermischen sie die unterschiedlichen Zutaten auf ihre Album zu einem angenehmen, durchgehenden Hörvergnügen voller Up-Beat-Nummern mit melancholischen Obertönen, die aber nie ins Lamoryante verfallen.

(Cover: Glassnote Rec.)

Kristoffer and the Harbour Heads „EX/EX“

kristoffer_and_the_harbour_heads_ex_ex_album_cover_150dpi[rating=3] Nicht die Zukunft des Rock’n’Roll, aber ein gut hörbares Album

Das schwedische Trio um den Sänger, Songwriter und Multiinstrumentalisten Kristoffer Ragnstam aus Göteborg ist seit 2010 aktiv. „EX/EX“ ist ihre dritte und bislang ausgereifteste Veröffentlichung. Eingespielt wurde das Album laut eigener Mitteilung in nur vier Tagen in einem Studio in Los Angeles und anschließend  in den berühmten Muscle Shoals Studios in Alabama gemixt. Man könnte bei dieser direkten Herangehensweise natürlich an einfachen, eingängigen Rock denken, aber das Trio bietet verspielten Indie-Pop mit elektronischen Helferlein wie Drum-Computer und Synthesizer. Allerdings ging der rasanten Produktion nach Angaben der Band ein intensives Jahr der gemeinsamen Vorbereitung und Songwritings voraus. Und bei der Produktion im Studio half Bruce Salter, ein Mann, der auch schon mit ‚Boss‘ Bruce Springsteen zusammengearbeitet hat.

Die Songs haben bisweilen etwas Kollagenhaftes und nehmen gerne Anleihen beim Psychedelic-Pop der Sechzigerjahre. Kristoffer und die Harbour Heads (Bassist und Gitarrist Joel Lundberg und Emil Rindstad an Keyboards und Schlagzeug) haben sich fleißig durch den Katalog der englischen und amerikanischen Pop-Psychedelia gehört, setzen ihre Hörerlebnisse jedoch charmant, clever und zeitgemäß um, und keineswegs als reines Retro-Projekt. Die vorab veröffentlichte Single „When you say stay“ widmet sich dem Thema der Migaration nach Europa, im dazu gehörenden Video tauchen ein nun in Deutschland lebendes Mädchen aus dem Libanon sowie ein Zebra auf. Ragnstam war vor seiner Zeit bei den Harbour Heads als Singer/Songwriter tätig. Das brachte ihm den zweifelhaften Spitznamen ‚der schwedische Beck‘ ein. Gemeint ist damit nicht der schwedische Kommissar des Autorenduos Maj Sjöwall und Per Walhöö, sondern der amerikanische Musiker Beck Hansen. Aus dieser Singer/Songwriter-Phase erklärt sich dann wohl auch, dass Kristoffer Ragnstam nicht vor ernsteren Themen zurückschreckt. Übergeordnetes Thema seiner Songs seien Beziehungen, die in die Brüche gegangen sind. Auch bei „When you say stay“ geht es in einem weiteren Sinn um menschliche Beziehungen. Wie man weiss, sind die Begegnungen zwischen Einheimischen und  den Fremden nicht immer einfach oder konfliktfrei.

Ragnstam ist als Sänger zwar weder besonders markant, noch unverwechselbar, und die Songs wirken durch die Anleihen beim Sechziger-Pop als ob man sie bereits gehört hätte. Trotzdem verbreitet „EX/EX“  mit seinen neun Songs eine entspannte Athmosphäre. Es ragen weniger einzelne Titel heraus, vielmehr entsteht eine Art Klangteppich, der mit durchaus neuen Mustern – hier abschnittsweise Harmonien und Sounds aus der klassischen Rockära, dort moderne elektronische Umsetzung und aktuelle Songthemen – durchaus gefällt. Kristoffer and the Harbour Heads bringen uns nicht die Zukunft des Rock’n’Roll, haben aber ein gut hörbares Album abgeliefert.

(Cover: Pop-Up Records)

Swans „The Glowing Man“

Swans_TheGlowingMan_Packshot[rating=3] Faszinierend und herausfordernd

Ein neues Werk der arrivierten New Yorker Avantgarde-Band. Arriviert und Avantgarde sind nur scheinbar ein Widerspruch, denn über mangelnden Zuspruch zumindest der Kritiker können sich Michael Gira und seine Mitstreiter mittlerweile nicht mehr beklagen. Anfang der Achtziger-Jahre im kaputten und wilden Manhatten gegründet, präsentierten sich die Swans zunächst vor allem als musikalisches Abbruchunternehmen. Dem New Yorker No Wave-Sound und Industrial gleichermaßen verbunden, waren Konzerte in den frühen Jahren ein Unternehmen für Wagemutige: kaum Songs, viel und vor allem sehr lauter Gitarrenlärm, Polizeieinsätze während der Auftritte und so fort. Dagegen waren James Chance oder Lydia Lunch pure Unterhaltung. So ging es einige Jahre weiter, bis Gira beschloss, dem Ganzen ein vorläufiges Ende zu setzen. Zuvor war die Band jedoch noch mit dem Joy-Division-Cover „Love will tear us apart“ über die Keller-Clubs und Avantgardezirkel hinaus bekannt geworden. Gira verfolgte in der Zwischenzeit eigene Projekte und gründete das Label Young God Records.

2010 rief er dann die neue Besetzung der Swans ins Leben, die mit dieser Doppel-CD ihr neuerliches Ende haben soll. Auf den zwei Silberlingen von „The Glowing Man“ finden sich nur acht Titel, darunter zwei mit einer Spieldauer von deutlich über 20 Minuten. Der erste Titel, Song kann man eigentlich nicht sagen, „Cloud of Forgetting“, zeigt in einer guten Viertelstunde, worauf man sich einlassen muss: sonorer Sprechgesang Giras, Drone-Sounds, repetetive Gitarrenriffs, die Stimmung mollgedämpft, Feedbacks und bisweilen symphonische Elemente. „Cloud of Unknowing“, das zweite Stück, bleibt düster, klaustrophobisch, lärmend und monoton, dabei streckenweise fast beschwörend, dann wieder bedrohlich.
Aber auch alte Avantgardisten, Gira ist mittlerweile auch schon über sechzig, brauchen ab und an etwas Ruhe und müssen sich vom Erschrecke-den-Hörer-Spiel ausruhen. Ms. Jennifer Gira singt den Song „When will I return“ fast mädchenhaft und hält die Dämonen in Schach. Die Band bleibt dabei brav und beinahe pastoral, wenn Giras Ehefrau monoton wiederholt, dass sie „alive“ sei. Wie schön.
„The Glowing Man“, der Titelsong, läßt sich viel Zeit. Eine Orgel, eine Gitarre wie bei den lärmigen Songs der Velvet Underground, überhaupt Noise, und Backgroundgesang wie aus dem Death-Metal-Lehrbuch zu leiernden Leadvocals – Live ist das sicherlich anstrengend und erschöpfend. Zum Abschluss finden die Swans aber Frieden. „Finally Peace“ zeigt, dass auch die größten Krachmacher lyrische Momente haben. Klar, dass hier auch Ehefrau Jennifer wieder am Start ist.

Wer nicht „Fuck Art, let’s dance“ skandiert und auch nicht einfach unterhalten werden will, ist bei „The Glowing Man“ der Swans gut aufgehoben. Keine Platte für den Alltag, dafür faszinierend und  herausfordernd. Aber wie eigentlich immer bei Avantgardisten (Georg Antheil und Luis Bunuel einmal ausgenommen) fehlt der Humor, weshalb einem die Band auf Bildern grimmig entgegenblickt.

(Cover: Mute Rec.)

Dinosaur Jr. „Give a Glimpse of What Yer Not“

dinosaur[rating=3] Solider Indie-Rock aus der Prä-Grunge-Ära

J. Mascis ist ein Kauz, um das Mindeste zu sagen. Maulfaul, verschroben, lebt in seiner eigenen Welt. Irgendwie logisch, dass der Sänger, Gitarrist und Kopf der amerikanischen Indie-Band Dinosaur Jr. von aktuellen Trends völlig unbeeinflusst scheint. Einerseits ist das sympathisch, denn der gegenwärtige Zustand der Rockmusik mag manchem nicht so beneidenswert erscheinen. Andererseits vermitteln bereits die ersten Takte der neuen CD ein äusserst seltsames Gefühl eines Dé­jà-vu.
Hat man nicht genau diese Schrammelgitarre und diesen leicht nöligen Gesang schon in den Achtzigern gehört? Stammen die Aufnahmen wirklich aus dem Jahre 2016 und nicht von 1987? Damals erschien mit „You’re Living All Over Me“ die zweite CD von Dinosaur Jr. Sie entzückte die Kritiker und eine Handvoll Fans. Das Album nahm das vorweg, was unter dem Etikett Grunge etwas später Nirvana zum Erfolg verhalf. J. Mascis, Lou Barlow, der Bassist und Drummer Murph hatten ausser Anerkennung wenig davon abbekommen. Ob dies Mascis störte, ob er es überhaupt zur Kenntnis nahm, bleibt ungewiss. Knapp dreissig Jahre später klingt der Mann, mittlerweile auch schon fünfzig, wie ehedem. Fortschritt in der Musik? Ach, lass mal. Erwachsen werden? Wozu?
Nun hört und sieht man bei Live-Auftritten also drei ältere Herren, die auf ihre Instrumente eindreschen wie Jungspunde, ihre ergrauten Mähnen im Takt schütteln und versuchen, eine gute Zeit zu haben. Ist das heute Relevant? Nein. Ist das unterhaltsam? Durchaus. Braucht die Welt den amerikanischen Indie-Gitarren-Sound der Achtziger heute? Muss jeder individuell entscheiden.
„Give a Glimpse of What Yer Not“ wird daher vermutlich das Small-Time-Business von Mr. Mascis und seinen Kumpels nicht auf das nächste Level heben. Die Band wird damit auch keine Trends setzen und wortgewaltige Kritiker zu Begeisterungsstürmen über die Zukunft des Pop hinreißen. Ebenso werden die permanent aufgeregten Teilnehmer des medialen Rockzirkus die Platte vermutlich ebenso ignorieren wie bereits 1987 den Vorgänger. Gut so, denn wer nichts Neues erwartet, wird hier solide bedient. Mascis singt über irgendetwas, seine Gitarre jault und knarzt verzerrt, bisweilen zeigen sich ansatzweise Melodien, der Bass bleibt solide auf dem Teppich und der Drummer trommelt eben. Ein schnellerer Song, dann ein ruhigerer, mal ein bisschen Dylan oder Neil Young und ganz viel Dinosaur Jr. – von zarten Momenten bis hin zu Feedback-Gewittern. Wie gesagt: nichts Neues – Welcome to J’s World, if you please.

(Cover: Dinosaur Jr. Bandcamp)