Autor: Klaus Wenzel

Aaron Neville „Apache“

Aaron Neville[rating=3] Gutes Album, solide Unterhaltung, reifes Alterswerk

Die Zeiten sind hart, die Welt ist ein grausamer Ort, manchmal. Von persönlichem Leid und auch mancher Freud‘ weiß der Blues zu berichten, doch so richtig warm ums Herz wird es dem Hörer zumeist erst bei klassischem Funk und Soul. Aaron Neville, der auch schon 75 Jahre alt und seit 56 Jahren musikalisch aktiv ist, denkt nicht an die Rente. Stattdessen legt er mit „Apache“ ein solides, ja gutes Album vor. Natürlich erfindet der Mann das Genre nicht neu. Wer das erwartet, wird bereits mit den ersten Takten von „Be your Man“ eines Besseren belehrt: Die Funk-Gitarre setzt trocken ein, das Piano begleitet und die Bläser bilden Akzente, bevor die unverwechselbare, samtweiche Stimme Nevilles anfängt und kurze Zeit darauf von einem Chorus unterstützt wird. So hätte eine Funkplatte auch 1972 beginnen können. Macht aber nichts, denn die alten Platten knistern arg, und so hat man das auch lange nicht mehr gehört. Und es gefällt.
Aaron Neville war seit 1966 und der Veröffentlichung seines Hits „Tell it like it is“ eher auf Balladen abonniert. Mit seinen Brüdern, den, richtig, Neville Brothers, erweiterte er das Spektrum durch Einflüsse von Cajun, Funk, R’n’B und Pop. Geboren in New Orleans, wie er uns im zweiten Titel „Stompin‘ Ground“ wissen lässt, und mit indianischem und kreolischem Blut in den Adern, ist der Mann natürlich mit allen musikalischen Wassern gewaschen. Doo-Wop-Reminszenzen fehlen ebensowenig („Sarah Ann“) wie Anleihen beim Soul der Sechziger in „All of the Above“. Diese Hymne an die Kraft und die Freuden der Liebe könnte auch von Solomon Burke oder ähnlich schwergewichtigen Kalibern stammen.
Das ganze Album ist fast wie ein bunter Katalog der schwarzen amerikanischen Musik der letzten fünfzig Jahre angelegt. Aber Neville ist vital, fit und hörbar gut bei Stimme. Das spielt den Komponisten in die Hände, versierten Profis, die einen guten Sänger mit guten Titeln versorgen. Da darf ruhig mal der Schunkel-Rhythmus ausgepackt werden („Heaven“), bevor es nach Art der Neville Brothers gehörig groovt („Hard to believe“). Die Zeiten sind hart, aber man muss halt weitermachen, so der Tenor dieses ‚Social Topic-Songs‘. Aber selbst Sozialkritik verpackt Aaron Neville mit seiner samtweichen Stimme so, dass die Füsse wippen. Noch besser geht „Ain’t gonna judge you“ in die Beine. Hier geht es darum, erst einmal vor der eigenen Türe zu kehren, bevor man über seinen Nächsten urteilt. Die Texte entstammen Nevilles Tagebuchskizzen, die er seit langem führt. Christliche Botschaften und dazu ein knochentrockener Sound: so amerikanisch wie der Musiker selbst. Dann wieder ein Schnulze Marke „Schatz, ich will dich doch nur lieb haben“ („I wanna love you“). So ist das amerikanische Show-Biz eben. Am Ende richtet der alte Hase, der Einiges gesehen hat, eindringliche Worte an junge Möchtegern-Gangsta, die im Grab landen, bevor sie das Leben richtig verstanden haben („Make your Mama cry“). Abschließend gibt es noch eine Prise Neville-Brothers-Sound mit Sprechgesang vom Meister. Gutes Album, solide Unterhaltung, reifes Alterswerk.

(Cover: Rough Trade)

 

Mick Harvey Delirium Tremens

MickHarvey_DeliriumTremens_Packshot[rating=3]Dicht am Original: Serge Gainsbourgh-Cover-Album, dritter Akt.

Mick Harvey, der australische Gitarrist und Weggefährte von Düstermann Nick Cave, legt sein seit 1985 drittes Album mit Kompositionen des französischen Sängers Serge Gainsbourgh vor. Was reizt einen wie Harvey an diesen Titeln? Zunächst vermutlich der Gegensatz zum Rockgenre. Harvey merkt an, dass in seiner australischen Heimat seinerzeit selbst amerikanische Musik schwer zu bekommen war; französische Neo-Chansons von Serge Gainsbourgh vermutlich noch viel mehr. Bekannt waren dort nur, ähnlich wie in Deutschland, der Song „Je t’aime“, das Duett mit seiner damaligen Lebensgefährtin Jane Birkin. Jenes Opus fehlte seinerzeit bei keiner Pubertierenden-Party, wenn sich nach Mitternacht die Paare fanden und verschmolzen. Bekanntlich hat Serge Gainsbourgh viel mehr Musik gemacht. Diese fand jedoch außerhalb der französischen Landesgrenzen nur wenig Interesse.

Bei „Delirium Tremens“ handelt es sich um ein Liebhaberwerk, was bei Harvey nicht kritiklose Hingabe, sondern kongeniale Neuinterpretation bedeutet. „SS C’est Bon“, von Gainsbourgh ursprünglich als Provakation gegen jene Landsleute gedacht, die dem Vichy-Regime von Hitlers Gnaden und der späteren deutschen Besatzung durchaus positive Züge abgewinnen konnten, kommt hier als Mischung aus Bad-Seeds-Krach und schwarzem, zynischen jüdischen Humor daher, garniert mit Elementen der deutschen Nationalhymne. Harvey hat sich die Mühe gemacht und die französischen Texte allesamt ins Englische übersetzt, wobei er an den Übersetzungen teils schon seit den Achtziger-Jahren feilte.
Wie bei seinen ersten Alben mit Gainsbourghs Songs, „Intoxicated Man“ und „Pink Elephants“ wurden bereits 2014 als Doppelpack wiederveröffentlicht, interpretiert Mick Harvey Titel aus den verschiedenen Schaffensperioden des Chansonniers. Das erwähnte „SS C’est Bon“ entstammt dem skandalträchtigen Album „Rock around the Bunker“ von 1975, „Coffee Colour“, dagegen, eine Hommage an Mädchen mit dunklem Teint, aus den frühen Sechzigern. Gainsbourgh zog als Musiker und Sänger alle Register, während Mr. Harvey die Songs in beinahe stoischem Ton herunterbrummt. Das macht er aber so, dass es schon wieder Spass macht. Musikalisch erlaubt der Mann sich ebenfalls kaum Extravaganzen, sondern bleibt dicht beim Original. Hin und wieder bearbeitet Mick Harvey die Songs und lässt auch mal teutonische Rhythmik á la Rammstein einfliessen. Die Duette jedoch – unter anderem mit Gattin Katy Beale („The Decadance“) – wirken fast, als ob die Ehrfurcht die Oberhand behält. Dies führt dazu, daß an den Neuinterpretationen nur der wirklich Spass hat, dem Gainsbourgh und seine Musik gefallen. Noch mehr Spass hat vermutlich der, welcher die Originale kennt und vergleichen kann.
Das Album ist dennoch keine elitäre Sache für Eingeweihte, sondern bietet die Gelegenheit, das Werk des kontroversen französischen Dandys und Musikers zu entdecken. Harvey und seine Band machen ihre Sache dabei überwiegend recht gut. Anders als der übermäßige Genuß von zuviel Alkohol hat „Delirium Tremens“ praktisch keine schädlichen Nebenwirkungen – ausser einigen Momenten gepflegter Langeweile.

(Cover: Mute Records)

 

Palace Winter „Waiting for the World to turn“

TAMB138DA_rgb_web[rating=3]Gelungener Einstand

Debüt des australisch-dänischen Duos, das bereits mit seiner EP „Medication“ aus dem Jahre 2015 eine gewisse Aufmerksamkeit für seinen verspielten Psychedelik-Sound erzeugte. Carl Coleman und Caspar Hesselager gehen dabei erneut clever vor. „Dune Wind“, der Eingangstitel zieht einen mit seinem Piano, den Synthies, der langsam einsetzenden Gitarre und dem wie verweht wirkenden Gesang geradezu in den Klangkosmos von Palace Winter. Das ist Absicht, wie Hesselager bekennt: Er wolle den Hörer in die weite, luftige Klanglandschaft locken und dann eine Weile darin festhalten. Dieser Dünenwind erinnert an Krautrock, Psychedelia und Pop und fesselt durch das Songwriting. Der Text handelt, soweit verständlich, von Erwartungen oder eben einfach davon, dass man auf etwas wartet. Hatte sich der Hörer gerade in der endlosen Weite des Raumes eingerichtet, überfällt ihn mit „Hearts to Kill“ ein irgendwie klaustrophobisches Klanggewirr aus übereinandergelegten Gitarren- und Synthesizerschichten. Eine Reise lebt halt von Kontrasten und verschiedenen Eindrücken. Deshalb bietet Titel Nummer Drei,“Positron“, diese in hohem Maße. Mit seinem Piano, der treibenden Gitarre mit starken Anklängen an die Sechziger fast überdreht, schlägt etwa in der Mitte die Stimmung um, der federnde Rhythmus wird plötzlich stark verlangsamt und der Sänger setzt aus. „Positron“, so die Musiker, beschreibe als Begriff ein hyperaktives Individuum an der Grenze zur Hysterie, eine Art bipolares Muster zwischen Depression und Überschwang.

Kennengelernt haben sich die Beiden übrigens 2013 auf einer Tour durch Dänemark, als die Band The Rumour said Fire, bei denen Hesselager als Keyboarder spielt(e) von Coleman begleitet wurden. Daraus erwuchs die Idee zum Projekt Palace Winter.
Beide haben eine Vorliebe für gute Melodien, leicht versponnene Texte, perlende Gitarren und flächige Synthesizer. Ein gutes Beispiel dafür ist „Soft Machine“, ein Song, der alles das aufs trefflichste bietet, obendrein luftig daher kommt und gedankliche und räumliche Weite entstehen lässt. Palace Winter können aber auch einfach Pop, wie sie mit dem radiotauglichen „HW Running“ beweisen. Doch dauerhaft können und wollen Palace Winter nicht dem Uptempo-Fröhlich-Sound frönen. Daher kommt mit „What Happend?“ gleich anschließend ein Midtempo-Song, der vom Selbstmord eines Nachbarn der Beiden handelt. Das ernste Thema offenbart sich nicht sofort, da das Ganze mit dem Klang von 80er-Jahre-Synthies bitter-süß daherkommt. „Proclamation Day“ stellt erneut das Songwriting und das E-Piano heraus, zieht sich jedoch etwas in die Länge. Definitiv lang ist der Doppeltitel, mit dem „Waiting for the World to turn“ schließt. „Dependance“ ist eine Ballade, eine Fahrt durch eine dunklen Tunnel („My Dependance of you frightens me/What if they took you away“), die „Independance“ dynamisch aufnimmt und aus dem dunklen Gefühlstunnel wieder hinausführt.

(Foto: Tambourhinoceros)

Graham Candy „Plan A“

candy[rating=2] Etwas unsicher wirkender Versuch eines Paradiesvogels, der es jedem und allen recht machen will.

Graham Candy ist ein junger Singer-Songwriter aus Neuseeland, der 2013 auszog, um sein Glück in Deutschland zu suchen. Einen Teil des Glücks hat er in der Zusammenarbeit mit dem Berliner DJ Alle Farben gefunden, an dessen Debütalbum „Synthesia“ (2014) er mitarbeitete. Das von ihm gesungene „She Moves“ landete als erste Single-Auskoppelung in den Top-Ten der deutschen Charts.
Nun legt er sein Debüt mit dem Titel „Plan A“ vor, denn, so der junge Mann: „Ich brauche keinen Plan B. Ich habe meinen Plan A und den setze ich um.“ Sein musikalisches Tun ist demnach alternativlos, ein Begriff, der zumindest in diesem, unseren Lande gerne von Königin Angela I. verwandt wird. Wie in der hohen Politik, so in den Niederungen der Pop-Kultur: Was heute als zwingend verkauft wird, mag morgen schon ganz anders aussehen. Im Falle Candys ist dies sicher so. Denn er ist bereits als Schauspieler in Erscheinung getreten und hat sozusagen ein zweites Standbein. Tapfer sagt Candy über seine beiden künstlerischen Tätigkeiten, daß die Schauspielerei „nicht echt“ sei, eben nur gespielt. In seiner Musik hingegen sei er ganz bei sich, also er selbst. Dies mag in Maßen für seine heiser-helle Stimme gelten, die dann und wann an Asif Avidan erinnert. Man könnte Avidans und Candys als Frauenstimmen einschätzen, wüßte man es nicht besser.

Die zwölf Songs von Candys Debütalbum changieren irgendwo zwischen Euro-Pop, Singer-Songwriter (etwa in „Heart of Gold“, ein Monolog an den fernen Vater) und Dancefloor. Immer dann, wenn man für Augenblicke den Reiz der androgynen Stimme geniesst oder die Komposition eingehender hören möchte, fallen echte und elektronische Streicherarrangements und zahllose Background-Sänger über die Songs her. Das kann Adele, die Candy als Vorbild nennt, deutlich besser. Bei ihr ertrinken die Songs nicht in üppigen Arrangements, denn sie sind speziell dafür geschrieben, sozusagen als Breitwand-Pop konzipiert. Bei Graham Candy wirkt es aber eher so, als ob er seiner Musik und seiner Stimme noch nicht so ganz traut. Oder wurde er von seinen Produzenten überredet, den ganzen Sirup aus Streichern und Sängern über die im Durchschnitt ganz netten Titel zu gießen?
Manchmal funktioniert es ja, wie im Titel „Little Love“. Aber bei der Ode an den Vater wirkt es leider ebenso überfrachtet wie beim Opener des Albums, „Home“. Letzteres beginnt ohne Chor und dem ganzen anderen Bombast – und mit der nette Zeile „I want to go home, but not now“.

Graham Candy sollte also seinen Plan nochmals überdenken und sich fragen, was er wirklich will: Klavierballaden, Folkie-Kitsch wie in „Broken Heart“ – Mumford & Sons lassen grüßen –, Electrobeats, Indiepop oder das große Musiktheater Adeles. Alleine die markante Stimme reicht weder als stilistische Klammer, noch um aufzufallen oder ein ganzes Album zu tragen. Wenn er sich tatsächlich nicht festlegen will, sollte Candy beim nächsten Mal zumindest auf den unsäglichen Backgroundgesang verzichten. Denn mit diesem ruiniert er selbst seine Hommage an Jeff Buckley („Memphis“) – auch dieser ein bunter Vogel. Daher erscheint Graham Candys Debüt als etwas unsicher wirkender Versuch eines Paradiesvogels, der es jedem und allen recht machen will.

Offizielle Homepage von Graham Candy

(Foto: BMG)

Milow „Modern Heart“

milow[rating=3]Der Belgier Milow scheint ein Optimist zu sein, oder aber zumindest ein moderner, aufgeklärter Mann.

Milow denkt sich vermutlich nichts dabei, seine nunmehr fünfte Platte am Freitag, den 13. zu veröffentlichen. Das Dunkle, Mystische war ohnehin nie sein Thema, auch wenn es in „Howling at the Moon“ auf den ersten Blick so scheint. Dabei geht es in dem Song um „mehr Licht“, wie Milow erläutert: es sei „ein total einfacher Folksong mit sommerlichem Flair“. Stimmt, man kann den Titel gut an einem sommerlichen Tag hören, vielleicht in einem Café am Wasser. Trotzdem ziehen die Songs nicht einfach vorüber wie ein laues Lüftchen, und inhaltlich geht es auch weniger um Girls, Eiscreme oder den endlosen Sommer. Dafür ist Milow denn doch zu erwachsen und ernsthaft.
So finden sich in seinen neuen Liedern durchaus Themen wie soziale Vereinsamung trotz steter Online-Verfügbarkeit („Lonely One“), oder – wie in „The Fast Lane“ – auch um Reminiszenzen an die eigene Kindheit in einer belgischen Kleinstadt: „I’m from a town where nothing ever takes you by surprise (…) I know that’s why I pushed so hard to get out of there“. Einen „Soundtrack für Sorgen, Zweifel und Träume“, den Milow nach seinem Bekunden mit „Modern Heart“ schaffen wollte, hören da jedoch höchstens notorisch Depressive heraus. Denn das Rastlose, Zweifelnde mancher Textzeile wird in der Regel von einer eher fröhlichen Melodie wieder in die Schranken verwiesen.
Gleiches gilt stilistisch: Milow sagt, er habe etwas Neues ausprobieren, sich weiter entwickeln und aktuelle Klänge adaptieren wollen. Die Vielzahl der beteiligten bekannten Produzenten und Songschreiber bleibt aber glücklicherweise überwiegend unaufdringlich. Im Vordergrund stehen, wie gewohnt, Milows Stimme und seine akustische Gitarre. Daran ändern auch orchestrale Elemente, Elektronika oder Drumbeats nichts, und das ist auch ganz gut so. Allzu groß sind die Unterschiede zu den vier vorigen Alben also nicht. Aber man trifft auf von dem Sänger so bislang nicht gehörte Elemente. Sie erweitern und ergänzen das bekannte Klangspektrum Milows, ersetzen es jedoch nicht.
Milow operiert wie gewohnt im Singer-, Songwriter-Genre und macht das auf seine eigene Art auch ganz gut. Fröhliche Melodien und durchaus nachdenkliche Texte sind bei ihm kein Widerspruch, aber der Weltverbesserergestus vieler Folkies fehlt ihm. Gut acht Jahre nach seinem bislang größten Erfolg mit dem 50-Cent-Cover „Ayo Technology“ bietet „Modern Heart“ also den vorsichtigen Versuch einer Modernisierung seiner Musik. Insgesamt ein angenehmes Album für den Sommer, das man auch im Herbst noch hören kann.

Femme Schmidt „Raw“

index[rating=1] Pop-Noir? Überproduzierter Girlpop!

Es fällt zunächst nicht schwer, Femme Schmidt in die Rubrik ‚hübsches Mädchen in den Fängen abgezockter Produzenten‘ einzuordnen. So produzierte der umtriebige Guy Chambers, bekannt aus der Zusammenarbeit mit Robbie Williams, ihr Debüt 2011. Dieses Mal war der Londoner Glen Scott (James Morrison, Mary J. Blige, James Blunt, u.a.) an den Reglern, unterstützt von zwei Kollegen, die neben etlichen weiteren Kollegen tatkräftig beim Songwriting mitwirkten. Auch der Künstlername der gebürtigen Elisa Schmidt aus Koblenz weist in die Richtung ‚Girl-Pop mit internationalem Anspruch‘.  Der erste Titel, „The Edge“, beginnt bombastisch mit Anklängen an Adele und James-Bond-Soundtracks und rauscht vorbei. Nicht unangenehm, aber auch nichts, was sich in den Gehörgängen festsetzen würde. Die Dame hat eine angenehme Stimme, die jedoch gegen die üppigen Arrangements und die leichtgewichtigen Kompositionen einen schweren Stand hat.

‚Pop-Noir‘ soll das sein, aber es gibt weder Stilbruch noch Aufbegehren gegen Konventionen und Klischees. An diesem Album ist nichts rauh oder gar schmutzig, unkonventionell ist ihre Musik auch nicht. Dafür müsste Femme Schmidt zunächst einmal einen eigenen Stil entwickeln und nicht nach dem Erfolg von Adele und anderen schielen. Vielleicht sollte sie ihre Produzenten feuern. Möglicherweise sollte sie mit einer kleinen Band eigene Songs einspielen, die ihre Stimme zur Geltung kommen lassen. Dazu müsste sie eine musikalische Persönlichkeit entwickeln, die nicht wie ein Abziehbild aus den Sechzigern und dem ‚Besten von heute‘ daherkommt, und Texte schreiben mit Dingen, die sie selbst bewegen.

Denn das bestehende Konzept geht trotz durchaus guter Ansätze nicht auf. Das aus altbekannten Zutaten fabrizierte „Surround me with your Love“ – ist der Song passt gut als Begleitung des Jahrmarkts der Eitelkeiten in der frühabendlichen Cocktailbar – vermag immerhin durch die Melodie, den gehauchten Gesang und die Atmosphäre zu punkten. Auch der Torch-Song „Loving Forces“ über die verflossene Liebe bietet schöne Momente, wenngleich man Femme Schmidt den bitteren Liebes- oder Trennungsschmerz nicht völlig abnimmt. Aber auch zwei mehr als nur nett anzuhörende Titel würden die restlichen nicht ungeschehen machen. Daher bleibt zu hoffen, dass Femme Schmidt sich auf ihre Stärken besinnt und die Klischees abstreift.

Offizielle Homepage von Femme Schmidt

(Foto: Warner)

Jochen Distelmeyer „Songs from the Bottom Vol. 1“

distelmeyer[rating=3] Teils erstaunlich, teils langweilig

Jochen Distelmeyer, vormals Vordenker von Blumfeld und nummehr Teilzeit arbeitender Schriftsteller, gönnt sich eine kreative Pause. Er veröffentlicht ein Cover-Album mit gut abgelagerten Songs von Joni Mitchell, Al Green und sogar Pete Seegers „Turn, turn, turn“, das die meisten wohl von den Byrds kennen. Das klingt ganz gut, auch wenn die Welt sicher weder auf die folkpopige Version von Lana del Reys „Video Games“ gewartet hat noch auf die x-te Fassung des Seeger-Songs. Zwar gibt es viele Interpretationen fremder Songs, die das Original um Längen schlagen. Wer denkt bei „All along the Watchtower“ an Bob Dylan? Nicht der Songwriter, sondern Jimi Hendrix hat den Song berühmt gemacht. Ganz so kongenial ist Jochen Distelmeyer nicht. Ihm gelingt jedoch ein unaufgeregtes, von intellektuellem Ballast weitgehend befreitetes Album.
Wobei: So ganz ohne intellektuellen Überbau geht es bei einem Protagonisten der Hamburger Popschule natürlich nicht. Im bekannten anspielungsreichen und diskursverliebtem Jargon der Hamburger Schule lässt uns Jochen Distelmeyer einiges wissen: Den Titel des Albums verdankt er einem Kevin Ayers-Song. Die Songs spielte er während der Lesungen seines Romandebuts „Otis“. Die Titelauswahl hängt mit den Themen zusammen, die er darin verarbeitet hat – Hadesfahrten, Löcher, Leaks, Sexual Politics der Antike, Flüchtlinge und Kriegsheimkehrer – kurz: „Gesänge aus Basements, Backyards und tieferen Schichten“, so Jochen Distelmeyer.
Das klingt nach einem großen, wenn nicht gar großspurigen Versprechen. Er kommt ihm nicht immer nach. Distelmeyer hat eine angenehme Stimme, die Begleitung bleibt zurückhaltend. Bei der Songauswahl – darunter auch Britney Spears „Toxic“ und „Bittersweet Symphony“ von Verve – zeigt er eine schöne stilistische Spannweite, die durch den Gesang und die reduzierten Arrangements erstaunlich homogen klingt. Und Jochen Distelmeyer zeigt, dass er auch richtig gut sein kann – zum Beispiel beim Avici-Dancefloor-Knaller „I could be the One“. Perlende Klavierakkorde, Hall, akustische Gitarre, sparsame Synthiarrangements, gepflegte Melancholie – hier passt alles wunderbar. Womit wieder einmal bewiesen wäre, dass vermeintlich seelenlose Musik für den Massenmarkt und intellektuelle Musiker sich im Pop-Universum durchaus bestens vertragen können.
Fazit: nicht die Zukunft des Pop, aber zumindest ein gutes Album.

CTM „Suite For A Young Girl“

[rating=3]ctm[rating=?] Anklänge an Progressive-, Jazz- oder Postrock wirken wie Wegweiser im unbekannten Terrain.

CTM ist die Abkürzung von Caecilie Trier Music. Die Dänin ist Cellistin, Sängerin und Komponistin, „Suite for a young Girl“ ist ihr zweites Mini-Album. Acht kurze Titel, knappe zwanzig Minuten Musik. Zu hören gibt es Klänge, die zwischen Ambient, Avantgarde, Electronic, Jazz und Klassik changieren. Ein guten Eindruck vermittelt der erste Titel, „Return of the Hunters“. Cello-Klänge werden von orchestralen Synthesizer-Sounds abgelöst, Wasser plätschert, eine Gitarre wird beiläufig gezupft. Kein Anfang, kein wirkliches Ende, keine Melodie, keine offensichtliche Struktur. Es muss eine ziemlich seltsame, versponnene junge Dame sein, für die Ms. Trier aufspielt. Angeblich dachte die Künstlerin bei dem Titel an Breughels Gemälde „Heimkehr der Jäger“ aus dem Jahr 1565, auch bekannt unter dem Titel „Die Jäger im Schnee“. Dort sehen wir Männer und ihre Hunde, die kurz vor Einbruch der Dunkelheit von einer ziemlich erfolglosen Jagd zurückkehren, in einer karg winterlichen Landschaft. Mensch und Tier sind gleichermaßen erschöpft. In den kahlen Bäumen sitzen Raben, während unten im Dorf die anderen Bewohner auf dem vereisten Dorfteich dem Wintersport frönen.
„The Way a Mouth is a Mouth“ überrascht mit Gesang, wie auch „Cezanne“, der den Pop-Hörgewohnten schon eher schmeichelt. Das klingt jedoch weniger anstrengend, als man vermuten könnte. Um an „Suite For A Young Girl“ Gefallen zu finden, sollte man eine gewisse Neugierde auf Dinge mitbringen, die nicht gerade naheliegen. „La Mer“ wiederum könnte durchaus als eine Art reduzierter Kunst-Pop durchgehen, wie man ihn von den späten Talk Talk kennt. Diese hatten jedoch ihr eigenes Universum.

Caecilie Trier verfügt über eine angenehm dunkle Stimme, aber bisweilen beschlich mich der banausische Gedanke, sie möge doch einfach einmal still sein und nur die Musik sprechen lassen. Wollte und muss sie natürlich nicht. Beeindruckend sind der Stilwille und der Hang zum Gesamtkunstwerk allemal. Spontanität sollte man daher nicht erwarten, Humor ist auch nicht gerade die Stärke der jungen Dame. Ihre Musik wirkt getragen und ernst. „Rhythm of Rally“ geht in der ersten Minute beinahe als ambitionierter Pop durch, verklingt dann jedoch in Lautmalerreien. Ähnliches, wenngleich ausufernder, kennen wir noch aus der hohen Zeit progressiver Musik.
Auf „Suite For A Young Girl“ fehlt alles, was Popmusik in der Regel ausmacht – Melodie, Rhythmus, ein eingängiges Thema sowie Texte, die sich zwischen Liebe und Schmerz bewegen. In diesem Sinne liefert CTM ein karges,radikales Werk, das immer wieder konventionelle Anklänge aufnimmt, wie im abschliessenden Song „Escorted/The Road“, der – wenngleich in einer anderen Stimmlage – zart an Joni Mitchells große Jazzrock-Zeit erinnert.

Swaying Wires „I Left a House Burning“

BATTLE046_72DPI[rating=3] Bekannte Mischung, aber gekonnt angerichtet. Macht Appetit auf mehr und vermag bis zum Frühjahr mit wohligen Klängen zu wärmen.

Es ist kalt. Was hilft da besser als verträumter Folkpop aus Finnland? Das mögen auch die Swaying Wires gedacht haben, als sie die Veröffentlichung ihres zweiten Albums in den Wintermonat Januar legten.
Zwei Jahre sind seit ihrem Debut vergangen, es gab einige Tourneen und Streitigkeiten, aber die Stimme von Sängerin Tina Karkinen klingt immer noch glasklar, hell, verträumt. Stellenweise ergänzt ein Hauch von Melancholie die zunächst sehr sanfte Atmosphäre des Albums. „Dead Bird“ beginnt verhalten, die akustischen Gitarren und die dezente Rhythmusgruppe bilden einen perfekten Klangteppich für Karkinen und ihre Texte. Mag man hier noch von der vermeintlichen Lagerfeuerromantik eingenommen sein, so zeigen sich doch subtil kleine Störungen: »I see the wing of a dead bird … a view for sore eyes«. Unversehends gesellen sich dunkle Schatten zum schönen Abend in der freien Natur. Bereits im nächsten Song, „Nowhere“, zieht das Tempo an und die elektrische Gitarren werden schon mal etwas lauter.
Man mag sich in „Tuesdays Bells“ an die zu Unrecht unbekannt gebliebene englische Band Whistler erinnert fühlen, die ähnliche Songs mit entsprechender Stimmung produzierte, aber das sind vage Reminiszenzen. Gehen wir mal davon aus, dass die Band sich fleissig durch den Katalog des Folkpop, der aktuelleren Psychedelia und anderes gehört hat. Entscheidend ist jedoch immer noch, was man aus all den Einflüssen macht.
Tina Karkinen singt ihre Songs als hätte sie nie etwas anderes gemacht. Sie beherrscht, bei aller Begrenzung ihrer Stimme, souverän die Register der Genres, in denen sich der musikalische Rahmen bewegt. Mehr noch: Die Welt ist – zumindest in musikalischer Hinsicht – klein geworden. „Surrender“ könnte ebenso gut in einem Studio irgendwo in Amerika aufgenommen worden sein, was als Kompliment gemeint ist. Auch die Produktion ist erstaunlich reif für eine noch junge Band. Alles wirkt wie aus einem Guss, alles passt.

Respekt. Die Swaying Wires lassen auf ihrer zweiten CD „I left a House Burning“ einen eigenen Klangkosmosentstehen, der den Hörer für eine Dreiviertelstunde auf eine Reise mitzunehmen vermag – obwohl es auch einige schwache Momente gibt. „Suddenly“ etwa klingt mit seinen Chören und dem Mellotron zu sehr nach Westcoast-US-Pop der schlimmeren Sorte. Zweifellos wäre es auch nicht schlecht gewesen, Karkinens zarter Mädchenstimme hin und wieder irgend etwas Biestiges entgegenzusetzen, eine sägende Gitarre etwa oder eine männliche Reibeisenstimme. Das dachte die Band wohl auch. So kommen in „Fear“ immerhin die E-Gitarren etwas stärker aus der Deckung und Karkinens Stimme wird eher wie ein Instrument eingesetzt. Obwohl der Song mit Glockenspiel-Klängen lieblich endet, läßt er durchaus Anklänge an Psychedelia erkennen. Doch wo Furcht ist, wächst auch die Hoffnung. Daher folgt auf „Fear“ das Stück „Hope“ – vielleicht eine Kostprobe finnischen Humors. Kurz vor Schluss wird es in „Ways to Remember“ mit Piano und dezenter Streicherbegleitung noch einmal balladesk. Und süß, fast zu süß.

Stephanie Nilles „Murder Ballads“

stephanie nilles[rating=3] Schauerliche Moritaten, mit schwarzem Humor gewürzt

Schreckliche Geschichten erzählt die Pianistin und Sängerin Stephanie Nilles – von Mord und Totschlag, von grassierender Waffengewalt in den USA („Open Season“), dem manchmal grausamen Schicksal namenloser Flüchtlinge („The Deportee“) oder auch schlicht vom „Slaughter Haus“.
Das alles kommt im LowFi-Sound daher, denn Ms. Nilles produziert und verlegt ihre Werke selbst. Hierbei greift sie nicht nur auf die obskure, wenn auch beliebte und langjährige Tradition der Moritaten zurück, die von Mord und Totschlag zumeist aus der Perspektive des Täters berichten, sondern zitiert gerne und häufig Barrelhouse und Traditional Jazz.
Aufgrund der ungeschliffenen Vortrags- und Produktionsweise wird Ms. Nilles gelegentlich in die Nähe des Punk gerückt. Hier zählen aber mehr  Geste und Produktionsweise als musikalische Einflüsse. Stephanie Nilles ist ausgebildete Konzertpianistin und gewann bereits als Teenager etliche Talentwettbewerbe. Sie verliess die klassische Konzertlaufbahn jedoch frühzeitig, um sich zunächst als Singer-Songwriter in New Yorker East Village zu versuchen. Schliesslich landete sie in New Orleans. Ausgedehnte Tourneen in den USA absolvierte sie – in ihrem Wagen nächtigend – auf eigene Faust. Mittlerweile hat sie es, wie sie verrät, zu einem Zelt gebracht. Solcherart gestählt, haut die Künstlerin munter in die Tasten und singt inbrünstig vom blutigen Handwerk. Genüßlich zelebriert sie dabei Cover von Jelly Roll Mortons „The Murder Ballad“ oder vom Blueser Blind Willy McTell, in dessen „A to Z Blues“ der eifersüchtige Liebhaber berichtet, wie er seiner Angebeten das Alphabet mit einem scharfen Messer in die geliebte Hautritzt – nur um ihr klar zu machen, was sie erwartet, wenn sie fremd gehen sollte.
Nilles interpretiert diese Rollenprosa fulminant, wenngleich ihr gesangliches Talent limitiert ist. Die Auswahl der Songs, eben Balladen und Moritaten über Mörder und ihre Opfer, erklärt sie so: “ Ich denke, dass alle Schauerballaden Geschichten über den Kampf zwischen Gut und Böse sind. (…) Und meistens gewinnt das Böse (…) Ich dachte, dieses Genre ist wunderbar geeignet, um über schillernde, verrückte Typen zu erzählen. (…) Als Songwriter muss man sich da gar nicht groß anstrengen. Die Geschichten sind an sich schon interessant.“ Das hat darüberhinaus den Vorteil, dass sie nicht viel von sich selbst preisgeben muss, denn „Bänkelsänger berichten ja nie von sich selbst, sondern aus dem Leben anderer“.
Und klar: Wer solche Songs hört und spielt, darf den schwarzen Humor nicht verachten. Darüber verfügt die 32-jährige Nilles sicherlich, wie ihre Website zeigt. Dort schaut sie uns Betrachter durch einen Strick an, zeigt Charlie Chaplin und bezeichnet sich selbst als böse Fee der amerikanischen Pseudo-Intellektuellen. Optisch sieht sie aus wie eine Kreuzung zwischen Sandy Denny, der allzu früh verstorbenen britischen Folksängerin, und Janis Joplin, der Heroine der 60er-Jahre.