Autor: Klaus Wenzel

Planeausters „Humboldt Park“

Planeausters_Cover_Believe[rating=3] Erstaunlich Reifes aus der Provinz

Was bedeutet Rockmusik heute? Ein gigantisches Geschäft, Konzertarenen, in denen man für viel zu viel Geld die Band des Abends auf grobkörnigen Videoleinwänden sehen kann. Oder wahlweise Mehrzweckhallen mit mieser Akustik und überhöhten Getränkepreisen. Irgendwo in weiter Ferne stehen alte Männer auf der Bühne und spielen die Songs unserer Jugend. Das ist alles recht traurig, erfüllt aber offenbar seinen Zweck.
Dann kommt wieder eine Platte wie „Humboldt Park“ ins Haus, von einer deutschen Band namens Planeausters. Aus Ravensburg! Hier ist das Ergebnis umgekehrt zum abgeschmackten Rockzirkus: Man erwartet wenig und wird aufs Angenehmste überrascht. Nicht, dass die Planeausters die Zukunft des Rock’n’Roll verkörperten oder mit ungehörten Ideen aufwarteten. Die drei Jungs machen es so wie viele andere junge Bands. Sie erzählen ihre eigenen Geschichten, sie spielen ihre Songs, und beide nehmen eine mit auf eine Reise. Sänger und Gitarrist Michael Moravek hat sich durch den goßen Fundus amerikanischer Singer-Songwriter gehört und kann bei Bedarf auch den jungen Dylan zu neuem Leben erwecken – wie etwa in „Stranger in a Stranger’s Clothes“, das beinahe klingt wie His Bobness 1969. Der Song „Never Forget“ erinnert dagegen an amerikanischen Desert-Rock; er funktioniert prächtig und wirkt weit weniger epigonal als man zunächst denkt.

Moravek und seinen beiden Mitmusikern gelingt mit „Humboldt Park“ das Kunststück, Altes und Bekanntes mit Neuem zu einem eigenständigen Klang zu vermischen. Das liegt unter anderem daran, dass der Mann überzeugend Geschichten erzählen kann. Hinzu kommt, wie in „Wouldn’t say it’s over“ oder „The Golden Days of Missing you are over“, ein gewisser lakonischer Humor. Dazu sind Gesang und Musik angenehme unaufgeregt. Sicher, Moraveks Gesang zeigt ab und an noch zu sehr seine Bewunderung für Mike Scott von den Waterboys. Und mitunter weisen nicht nur Gitarrensound, Bass und Drums, sonder auch Melodien und Songaufbau deutliche Anklänge an große Vorbilder auf. Trotzdem: Für die relativ junge Band aus Ravensburg ist das mehr als respektabel.

Eingespielt wurde „Humboldt Park“ in Chicago, in einem Studio, das sich in der Nähe des Humboldt Parks befindet – einem jener Orte, die man bei Einbruch der Dunkelheit dem Vernehmen nach meiden sollte. Die Themen der Planeausters sind trotzdem weniger urbane Gewalt oder die Hektik der Großstadt. Ihre Musik folgt eher dem Kompass der Sehnsucht nach Freiheit und Weite, also uramerikanischen Mythen. Und ihre Texte thematisieren die ewige junge Erfahrung von Liebe und Enttäuschung, drehen sich also um das große Ganze, das sie mit einer angenehmen Mischung aus Humor und Melancholie präsentieren.
Die Arrangements sind allerdings überwiegend sparsam: Hier spielen überwiegend drei Typen Gitarre, Bass, und Schlagzeug, und einer singt. Und auch wenn man gelegentlich eine Mundharmonika, eine Orgel und auch mal eine Trompete hört, wirkt nichts überfrachtet.

Small Time Giants „Stethoscope“

index[rating=3]

Erinnert an Gitarrenbands der leiseren Sorte, setzt aber auch eigene Akzente.

Die Small Time Giants kommen aus Grönland und sind eine der Lieblings-Rockbands dieser Insel. Was das im internationalen Pop-Zirkus bedeutet, kann sich jeder ausmalen. Wer „Big in Greenland“ ist, könnte genau so gut Popstar auf Pluto sein. Einerseits.
Andererseits eröffnet eine solche Nischenexistenz ungeahnte Möglichkeiten. Auch Zwerge haben einmal klein angefangen. Und: Größe allein besagt gar nichts. Immerhin hat es die vier Jungs unterdessen nach Kopenhagen verschlagen, was verglichen mit Grönland schon hautnah am Puls des Pop ist. Und so dauerte es auch ’nur‘ ein Jahr, bis ihre Debut-CD auch ausserhalb Grönlands und Dänemarks erhältlich ist.

Genug der Vorreden. Entscheidend ist immer noch, was hinten, also aus den Lautsprechern raus kommt. Grönland muss eine grundentspannte Insel sein, mit einem gehörigen Schuss Melancholie im Gemüt der Insulaner. Die Musik der Small Time Giants auf „Stehthoscope“ erinnert sicher nicht von ungefähr an
britische Indie-Gitarren-Bands der leiserern Sorte.
Die Vorbilder sind noch recht präsent. Aber die Jungs haben ein feines Gespür für Melodien und für dramatischen Song-Aufbau. Lead-Sänger Miki Jensen gelingt es gut, Emotionen und Stimmungen zu transportieren, wie in „Undiscovered Potential“, wo es hoffnungsvoll heisst: „We know every Flower will grow through Concrete“. Beinahe Hit-Potential – auch ausserhalb von Grönland – hat der Song „A Basement with a View“, der wie die meisten Titel auf beinahe naive Weise verhaltenen Optimismus verkörpert.

Musikalisch pendelt die Band irgendwo im Pop-Kosmos zwischen hallenden Gitarren, stellenweise opulenten orchestralen Keyboard-Melodien, Computer-gestützten Drums und einer angenehmen Stimme des Sängers. Jener mangelt es zwar an Tiefe und Variationsbreite, aber welcher Pop-Sänger kann das schon für sich in Anspruch nehmen? Wie bei vielen Platten-Debüts üblich, fehlt noch Routine. Die eingeschlagene Richtung ist noch nicht völlig ausdefiniert, und Änderungen im Sound sind vorstellbar. Wer jedoch eine nette Indie-Pop-Platte hören möchte, die zwischen einer Art post-adoleszenten Melancholie mit optimistischem Ausblick changiert, ist hier richtig. Die Small Time Giants treten mit ihrem Debüt sympathisch und bescheiden auf, ohne große Geste und ohne Anspruch, den Pop neu zu erfinden. Beim nächsten Mal darf es aber ruhig auch mal ein wenig dynamischer zur Sache gehen. Jetzt, im nebligen November, bieten sie die richtige Mischung.

New Order „Music Complete“

index[rating=2] Keine schlechte Platte, aber auch keine aufregende.

Zehn Jahre nach ihrem letzten Album versuchen New Order – wie so viele in die Jahre gekommene Stars – einen Spagat: Einerseits will die Band ihrem musikalischen Markenkern treu bleiben, andererseits will sie nicht völlig den Anschluss an aktuelle Trends verpassen. Logisch, dass der erste Song, „Restless“, sofort ein Aha-Gefühl auslöst. Hier erklingt eine gut gemachte Mischung aus typischer New-Wave-Melancholie der Achtziger und gegenwärtigen Klängen. Das geht ganz gut los, führt jedoch unweigerlich zu der Frage, ob man dieses Album eigentlich wirklich braucht.
Natürlich nicht, lautet die Antwort. Denn im Verlauf des beinahe einstündigen Werkes stellt sich erst zaghaft, dann stärker eine gewisse Langeweile ein. Wirkte die Fusion von Dancefloor und Wave auf „Blue Monday“, einem Klassiker der Band, damals originell, so zeigen die heutigen Bemühungen Zeichen von Epigonalität und Eklektizismus. Das Niveau ist dabei immer noch hoch, die Musiker gut in Form und die Gäste, hochkarätig. Auch hier das gleiche Kalkül wie bei den Sounds: Neben alten Recken gibt es aktuelle Mitstreiter. Leider dürfen letztere den Klang nicht wirklich beeinflussen, denn New Order-Mastermind Bernard Sumner behält natürlich die Kontrolle. Und einstige Helden wie Iggy Pop wirken einfach müde.

„Music Complete“ vermittelt ein durchaus ambivalentes Gefühl. Einerseits erzeugt der Wiedererkennungswert der Musik eine gewisse Nostalgie, andererseits wirkt Vieles beliebig. Nach sieben, spätestens acht Titeln ist man eigentlich gesättigt – auch, weil heute an Gitarrenklängen, melancholischen Sängern, Dancefloor-Rhythmen oder Allerweltszeitkritik kein Mangel herrscht. „Music Complete“ ist keine wirklich schlechte Platte geworden, aber eben auch keine aufregende.

Doran, Stucky, Studer, Tacuma „Call me Helium“

0608917115529[rating=2] Das Produkt einer amerikanisch-irisch-schweizerischen (oder umgekehrt) Zusammenarbeit.

‚Call me Helium‘ soll der Meister selbst in einem seiner letzten Interviews gesagt haben: Helium, das leichteste Element und Gas als Metapher gegen das Schwere des irdischen Daseins – leicht, farb- und geruchslos, flüchtig. Ein interessanter Gedanke von Jimi Hendrix, der sich in gewisser Weise durch seinen frühen Tod selbst unbeabsichtigt der Erdenschwere entzog.
Einerseits ist über und von Hendrix alles gehört, gesagt, gefilmt, remastered und wiederaufgelegt worden. Es schwirren unzählige Veröffentlichungen, Statements und Dokumentation über die kurze Karriere des Ausnahmegitarristen durch sämtliche Medien. Seine vier Veröffentlichungen zu Lebzeiten liegen in allen Formaten vor, und die Zahl der nicht autorisierten ist Legion. Unzählige Saitenvirtuosen haben ihm seither – 45 Jahre! – nachgeeifert, zumeist mit zweifelhaftem Erfolg.
Andererseits hat der Meister sich mit seinem Austritt aus unserem Kosmos unsterblich gemacht. Und so, wie niemand nach dem Sinn der x-ten Bach-Interpretation fragt, kann man sich die Frage nach dem Sinn von „Call me Helium“ selbst beantworten. Allerdings war Jimi Hendrix kein großer Komponist, sondern ein herausragender Instrumentalist. Und das macht einen entscheidenden Unterschied. Denn nicht unbedingt was, sondern wie er spielte war entscheidend. Dennoch: Seine Musik ist da und zugänglich, warum sollte man sie nicht neu interpretieren? Dass es nicht einfach darum geht, sie nachzuspielen versteht sich bei Christy Doran, Erika Stucky, Fredy Studer und Jamaaladeen Tacuma von selbst.
Gitarrist Christy Doran und Drummer Fredy Studer sind fast Zeitgenossen von Jimi Hendrix, nur wenig später geboren und seit den Sechzigerjahren im Jazzrock aktiv. Bassist Tacuma bewegt sich in einem ähnlichem Umfeld und spielte mit Ornette Coleman oder James Blood Ulmer. Sängerin Erika Stucky wiederum, die sich auch schon mal als Schwarze Witwe inszenierte (ihr jüngstes Album heißt „Black Widow“, was die Spinnen davon halten, ist nicht bekannt), kommt aus einem vergleichbaren musikalischen Umfeld wie die anderen Beteiligten.

Es ist jedoch nicht so, daß die älteren Jazzrocker oder Rockjazzer dem Meister einfach ihre Referenz erweisen wollen. Christy Doran läßt die Sau raus. Seine Gitarre bahnt sich den Weg durch das Werk von Hendrix wie die Axt im Walde.
Natürlich verzichtet das Quartet nicht auf das unzerstörbare „Hey Joe“, nicht auf „Foxy Lady“ oder „Machine Gun“. Streckenweise zeigt Doran, wie gut er Hendrix‘ Spielweise, seine Sounds und „Signature Tones“ kennt. Mitunter klingt er fast wie das Original. Weil ein guter Jazzrocker aber immer auch mit dem Kopf arbeitet, gibt es häufig zusätzlich – und mitunter auch im selben Titel – noch die historisch-kritische Interpretation. „Machine Gun“ kommt als Noise daher, „Hey Joe“ zunächst sehr reduziert, dann jedoch überinterpretiert. Sängerin Stucky versucht, dem doch recht männlich geprägten Song und Text eine irgendwie weibliche Note und einen eigenen Stil zu verleihen. Bei ihr kommt der vielbesungene Frauenmörder Joe dann nicht ungeschoren nach Mexiko, sondern endet am Galgen. Kleinkunst trifft in diesem Moment auf Classic Rock. Auch die Idee, zeitgenössische Titel mit den Songs von Hendrix zu verweben, wirkt nicht wirklich stimmig. Passt „Sergeant Pepper“ zu „In from the Storm“, „Drifting“ zu Graham Nashs gern gehörter Schnulze „Teach your Children“?

Junge Hörer werden durch „Call me Helium“ den Zugang zum amerikanischen Gitarrengott wohl kaum finden, dafür sind die Fassungen des Quartetts zu skurril-verkopft. Auch, weil sich das Quartett nicht dafür entscheidet, seinen Vortrag eine Richtung zu geben und zwischen Ironie und Hommage schwankt. Vielleicht hätte man Jamaaladeen Tacuma öfter von der Leine lassen sollen, etwa wie in „Gypsy Eyes“, wo die drei Instrumentalisten mal richtig gut harmonieren.
So bleibt „Call me Helium“ eine interessante Randnotiz zum großen Buch, das Jimi Hendrix geschrieben hat.

Rosetta „Quintessential Ephemera“

rosetta[rating=3]Das volle Brett? Aber nicht doch.

Hier kommt eine kalifornische Band, die zwar einerseits Metal spielt, andererseits aber auch Ambient und Prog-Rock-Elemente in ihre Kompositionen einfliessen lässt. Wie die Weltraumsonde gleichen Namens sind auch die Amis bereits längere Zeit unterwegs. Während die eine jedoch alleine durch das dunkle, kalte All fliegt, reist das Quintett durch Klangwelten, die mit dem Etikett Post-Metal nur unzureichend beschrieben sind. Die Band selbst nannte in frühen Tagen ihren Sound ‚Metal für Astronauten‘, aber auch das ist letztlich nur eine vage, selbstironische Umschreibung.
Schauen wir einfach mal aufs Cover ihrer kürzlich erschienenen CD „Quintessential Ephemera“. Dort sehen wir abstrakte, beinahe graphische Muster, die in grau und grün gehalten sind. Sie stammen – wie die gleichartigen Muster im Inneren des Klappcovers – vom US-Künstler Mark Price. Bilder der Bandmitglieder gibt es nicht.
Nun zur Titelübersicht: Erster Titel „After the Funeral“. Ein interessant klingendes Instrumentalstück. Dezent rockende, klare Gitarren, perlendes Piano, eher ruhig-fliessend als aggressiv und hart. Doch dann knallt einem unvermittelt eine Dachlatte an den Kopf: Titel Nummer zwei, „Untitled I“, lässt gleich eine Lawine aus Gitarren, Bass, Schlagzeug und ‚Growls‘ auf den Hörer los. Durchaus geeignet, den unbefangenen Hörer zu erschrecken. Der tiefe, gutturale Gesang, eben die Growls, wird als Stilmittel durchgängig eingesetzt. Da alle fünf Mitglieder ihren Teil zum Gesang beitragen, reicht das vokale Spektrum vom reinem metaltypischen Gebrüll über rockige Intonation bis hin zu sphärischen Chören. So auch in den folgenden Kompositionen, die „Untitled II“ bis „Untitled VII“ benannt sind und fast wie eine einzige, durchgängige Klanglandschaft daherkommen. Die Bandbreite changiert zwischen den Polen laut/leise und schnell/verhalten oder ambientartig ruhig bis metal-heftig.
Von Songs im klassischen Sinne kann man nur bedingt sprechen. Das ist durchaus eine Herausforderung. Doch es lohnt sich, Rosetta über 50 Minuten zuzuhören. Denn sobald man meint, den Herren ein Etikett ankleben zu können, sind diese schon wieder einen Schritt weiter. Auch nach zwölf aktiven Jahren, zehn Alben und unzähligen Live-Shows ist die Band konzeptionell noch ambitioniert und nicht auf eine Richtung festgelegt. Erst der neunte Song, „Nothing in the Guise of Something“, hat wieder einen richtigen Titel, und und mit ihm endet das Album mit einem eher zurückhaltenden, fast schon romantischen Instrumentalstück.

War das Debüt „The Galilean Satellites“ (2005) noch mit zwei Platten – eine Ambient- und eine Metal-Platte, die parallel abgespielt werden konnten (oder eben auch nicht) – auf die Koexistenz zweier Stilrichtungen ausgelegt, so herrscht nun eine Synthese aus beiden. Diese wird abgeklärt, virtuos und mit einer gewissen Selbtironie dargeboten, wobei auch die Metal-Anhänger durchaus auf ihre Kosten kommen. Doch  Rosetta gehen deutlich über dieses Genre hinaus, was „Quintessential Ephemera“ auch für Hörer mit anderen Vorlieben reizvoll macht.

Jack Savoretti „Written in Scars“

Jack _Savoretti_Albumcover_800(1)[rating=2] Erwachsener, eigenständiger, erdverbundener

Drei Jahre sind vergangen, seit Jack Savoretti sein letztes Album veröffentlicht hat. Zwischenzeitlich hatte er nach eigenem Bekunden mit dem Gedanken gespielt, die Musik an den Nagel zu hängen. Die Gründe, die er dafür anführt, kommen einem bekannt vor: Ärger mit Managern und Plattenfirmen, Karrierepläne, die nicht aufgehen, die wirtschaftlich unsichere Existenz als Künstler. Den Sinneswandel, der ihn dazu bewogen habe, es nochmals zu versuchen, begründet er so: Seine Entscheidung, die professionelle Musikerlaufbahn aufzugeben, habe den Erfolgsdruck von ihm genommen. Die so gewonnene neue Freiheit habe zu einem Kreativitätsschub geführt. Mit anderen Worten: Savoretti komponierte fleißig und traf in der Zwischenzeit die für ihn richtigen Leute: Etliche Songs auf „Written in Scars“, etwa der erste Titel „Back to Me“, entstanden in Zusammenarbeit mit Samuel Dixon, der auch mit Adele arbeitet. Diese Songwriting-Partnerschaft wirkte sich fruchtvoll auf Savoretti aus, denn er änderte seine Arbeitsweise. Am Anfang habe dieses Mal der Rhythmus und der Sound gestanden, erst danach seien Strukturen entstanden.

Das ist sicherlich keine gewöhnliche Herangehensweise für einen Singer-Songwriter, und sie führte denn auch zu einem hörbar anderen Klangbild. Klang Savoretti am Anfang seiner Karriere noch ein wenig wie eine Art Quersumme des romantischen Troubadours, so wirken Stimme und Kompositionen nunmehr erwachsener, eigenständiger, erdverbundener. Die unverwechselbare warme, kratzige Stimme hat er behalten. Aber auch diese scheint nunmehr gereifter, wenngleich immer noch mädchenschwarm-tauglich.
Musikalisch geht Savoretti mit der neuen Platte trotzdem keine wirklichen Risiken ein. Eingängige Popmelodien paaren sich mit Country und Soul-Elementen in mitunter etwas forciertem Rhythmus. Das sei von Profis clever ür die junge weibliche Zielgruppe hergestellt, könnte man spotten. Natürlich singt Savoretti von unerfüllter Sehnsucht und vom Wunsch, die Geliebte möge nach Hause kommen, und er singt auch vom Freiheitswillen jedes Individuums oder von der großen Kraft der Liebe. Dazu lässt der Produzent an passender Stelle ein paar Geigen schmelzen oder er bringt einen gefühlvollen Chor im HIntergrund.

Ist das zuviel der Romanze? Vielleicht, aber der Mann tritt ja nicht an als der zornige Prophet aus dem brennenden Dornbusch. Und: ja, auch männliche Hörer werden dabei ganz gut unterhalten, solange sie keine komplexen Arrangements oder Soundtüfteleien erwarten. Das ist gut gemachter Pop – nicht mehr, nicht weniger. Jack Savoretti müsste also gar nicht so traurig in die Zukunft blicken, wie er das auf dem Cover von „Written in Scars“ macht.

Bros. Landreth „Let it Lie“

Bros_Landreth_cd[rating=2] Von US-amerikanischen Vorbildern unüberhörbar geprägt

Das Verhältnis Kanadas zu den „Lower 48 States“, also den unteren nordamerikanischen Staaten, mit denen man sich den Kontinent teilt, ist seit jeher delikat. Der übermächtig erscheinende Nachbar ist eine Herausforderung für das kanadische Selbstverständnis, das daher von Zeit zu Zeit einer Selbstvergewisserung oder Abgrenzung von den USA bedarf. Was hat dies mit dem Debüt der vier Rocker, darunter die beiden Brüder David und Joey Landreth, aus Winnipeg, Manitoba, zu tun? Eine Menge.
Beim ersten Hören meint man nämlich, Zeuge einer Renaissance oder zumindest Reminiszenz des ‚klassischen‘ US-Rock zu werden. Bluesige Gitarrenwände, eine warme Hammond-B-3-Orgel, Stimme und Stimmung schaffen einen Sound, den wir ohne weiteres mit namhaften US-Bands und Solisten aus der Rock-History (vor allem der 70er- und 80er-Jahre) verbinden. Auf der eigenen Homepage nennt die Band zwar ausgiebig Namen und Vorbilder, betont jedoch, natürlich, gleichzeitig eine gewisse Eigenständigkeit. Verständlich, denn das reine Epigonentum wäre ein Armutszeugnis.
Hier kann von bloßem Nachspielem aber keine Rede sein, selbst wenn den Kompositionen der Landreth-Brüder noch eine eigene Handschrift fehlt. Ob sie diese jedoch entwickeln werden, bleibt ungewiss. Für meinen Geschmack zielen Bros. Landreth mit „Let it Lie“ noch zu sehr auf breite Zustimmung beim Publikum. Nach dem Motto »etwas für jeden Geschmack» wechseln sich radiokompatible Songs wie „Made up my Mind“ mit Mid-Tempo-Rockern wie „Let it Lie“ und country-seligen Schunkelliedern ab. Das wirkt etwas kalkuliert und marktstategisch orientiert.
Herausragend sind jedenfalls der dreistimmige Harmoniegesang und die solide Gitarrenarbeit. Das alles ist nicht neu, ebensowenig die Texte. Diese schwanken zwischen vertontem Liebeskummer und der Begegnung mit der nächsten Dame. Solange man nicht die Zukunft des Rock’n’Roll erwartet, stört das nicht. Immerhin bekommt man solide musikalische und stimmliche Kost geboten. Für meinen Geschmack hätten es jedoch durchaus mehr krachende Rocker und weniger langsame Songs wie „Tappin‘ on Glass“ sein dürfen. Diese klingen doch zu sehr danach, als ob Bros. Landreth direkt bei amerikanischen Radiostationen im Nachmittagsprogramm Stammgast werden wollten – also ziemlich routiniert für eine junge Band. Da die Landreth-Brüder aber einige Jahre Erfahrung als Sidemen und Sessionmusiker haben und mithin ausgebuffte Profis sein dürften, verwundert dies nicht wirklich.
Mit der eigenen, kanadischen, musikalischen Handschrift hat es also noch nicht geklappt, dafür sind die Anleihen beim ‚klassischen‘ US-amerikanischen Rock zu ausgiebig. Aber das muss uns Europäer nicht stören.

Feral Kizzy „Slick Little Girl“

Feral-Kizzy-Slick-Little-Girl-Cover-300x300[rating=2] Nostalgisch und trotzdem aktuell

Debbie trifft Patti am Strand von Kalifornien nach Einbruch der Dunkelheit. Jeder, der Platten von „Blondie“ oder Großmama Patti Smith kennt, fühlt sich im Sound von „Slick Little Girl“ sofort zu Hause. Die Gnade der späten Geburt entpuppt sich somit manchmal als Fluch, denn wer will schon klingen und singen wie die Mütter? Daher peppen Feral Kizzy ihren Sound hin und wieder mit aktuellen Einflüssen auf, aber die Basis bilden doch die Klänge der beiden oben erwähnten Damen. Das muss nicht schlecht sein, denn schließlich hat das Gute Bestand.

Da sich die aktuelle Popmusik ohnehin seit längerem in einem ‚Post-Irgendwas‘-Zustand befindet, ist der Rückgriff auf den charmanten Pop Debbie Harrys oder die poetisch-trunkene Geste von Patti Smith sicher nicht die schlechteste Wahl. Folgerichtig sind die zehn Songs des Debüt-Albums der Kalifornier dynamisch, eingängig und überwiegend unterhaltsam. Man macht nichts verkehrt, wenn man mit dem dritten Song beginnt, bei dem sich die Qualitäten, aber auch die kreativen Grenzen der jungen Band deutlich zeigen. „The Way We Are“ gefällt trotzdem, weil es ein munterer Popsong mit eingängiger Melodie ist. Schwieriger wird es bei Songs wie „Lament“ oder „Not my Mind“. Denn auch wenn diese das erprobte Rock-Schema nicht wirklich verlassen, hört man, daß die stimmliche Qualität von Sängerin Kizzy Kirk schnell am Limit ist. Sie wird dann leicht heiser und schrill; aber die Vorbilder waren ja auch keine Stimmwunder. In „The Dinosaur“ fühlt man sich – noch ein Einfluss – an den Gesang und den bisweilen unerbittlichen Frohsinn der „B 52’s“ erinnert, jedoch fehlt der männliche Counterpart. Bei Feral Kizzy schweigen die Männer und die Frauen haben das Mikro erobert.

Alles in allem ist Feral Kizzy mit „Slick Little Girl“ ein über weite Strecken unterhaltsames Album gelungen. Den Preis für das hässlichste Cover des Monats gewinnen sie obendrein, aber bei all der musikalischen Nostalgie darf ein wenig Schockästhetik durchaus sein. Wenn sich dann noch einer der drei Männer getrauen würde zu singen, wäre das möglicherweise ein Gewinn – für die Ohren der Hörer und für Ms. Kizzys Stimmbänder.

Offizielle Homepage von Feral Kizzy

Irie Révoltés „Irie Révoltés“

IRIE_REVOLTES_ALBUM_COVER_500[rating=1] Texte bieder und bemüht, Musik auf ausgetretenen Pfaden

Neuestes Werk der ‚freien Revoltierenden‘, wie sich die neunköpfige Band aus Heidelberg nennt. Die Truppe mag live eine sichere Bank sein, auf Festivals für gehörige Stimmung sorgen und voller Engagement gegen die Mißstände dieser Welt musizieren. Was aber tut sich auf der neuen Platte? Nichts, was man nicht erwarten würde.
»Ha – Unsere Wut bricht aus! Zuviel Wut im Bauch«, heißt es im ersten Titel „Ruhe vor dem Sturm“. Aber mehr als eine leise Brise erzeugt dieser Sound nicht. Und Aufbruchstimmung lassen die ‚kämpferischen‘ Texte auch nicht aufkommen. Zu allgemein, zu vage, zu klischeebeladen oder zu Agitprop-bieder kommen diese Moritaten über den »sozialen Aufschrei, der von Knüppeln begraben wird« daher, wie sie in „Stopper“ singen. Auch die Klage über das vom Terminstress bestimmte Leben („Zu schnell“) mutet nicht sonderlich originell an. „Jetzt ist Schluss“ wiederum, eine Anklage gegen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit, bietet keine kritische Bestandsaufnahme der Gegenwart, sondern setzt Beobachtungen in Szene, die eher den Neunzigerjahren zuzuordnen sind, als Asylbewerberheime unter dem Beifall von bierseligen Nachbarn brannten. Gelegentlich sollte man auch die eigenen Überzeugungen einer kritischen Prüfung unterziehen, sonst wird das ‚gut gemeint‘ nicht zu ‚gut gemacht‘.

Zündet stattdessen die Musik? Unüberhörbar mischen die Heidelberger französischen Rap, Hip-Hop, Dancehall, Reggae, dezenten Elektro-Beat und einiges mehr zusammen. Mit netten Songs wie „Jetzt“ mit seinem Neue-Deutsche-Welle-Retrosound bringen Irie Révoltés gelegentlich die Füsse zum Wippen. Wirklich revolutionär ist an ihrem neuen Album jedoch wenig bis nichts: Irie Révoltés klingen wie in den Neunziger- und frühen Nullerjahren. Wer ohnehin meint, dass sich alles wiederholt, wird das nicht weiter schlimm finden. Dass aber auch heute noch »Alle Fäuste von Kairo bis Berlin hochgehen«, wenn wir „Fäuste Hoch“ hören, darf zumindest bezweifelt werden – und ganz allgemein auch, dass man dieses Album wirklich braucht.

Keine Revolte, natürlich nicht, aber immer noch gilt, was Mister Jagger schon Ende der Sechzigerjahre wusste: »What can a poor boy do but play in a Rock’n’Roll-Band?« Den Sound der Rebellion liefern Irie Révoltés  nicht, bestenfalls einen kleinen Beitrag zum Soundtrack der sich alternativ wähnenden Jugend. Auf die Barrikaden treibt diese Platte aber niemanden, weder im Guten noch im Schlechten.

 

Klone „Here Comes The Sun“

klone cover[rating=3] Für Freunde härterer Gitarrenklänge mit einem Sinn für Melodien.

Ist dies der Ort für Geständnisse? Dann bekenne ich, daß mir die zahlreichen Verzweigungen und Verästelungen des Metal-Genres beinahe wie ein Dschungel erscheinen. Das stört beim Hören des neuesten, mittlerweile sechsten Albums der Franzosen nicht wirklich. Schließlich feiern Klone – metaphorisch betrachtet – nicht den dunklen Schatten des Regenwaldes oder einer Fantasy-Zwischenwelt. Sie begrüßen den offenbar nahen Sonnenaufgang: „Here Comes The Sun“. Allerdings verharrren die Musiker auf dem Cover noch in der Dunkelheit, und auch die Texte der neun Eigenkompositionen formulieren eher Erwartungen als Gewißheiten.
In den nunmehr zwölf Jahren ihres Bestehens hat sich die Band von einer epigonalen Metal-Combo zu einer originellen, vielseitigen Band entwickelt. Selbst Jazzrock-Zitate finden ihren Platz im musikalischem Universum von Klone, etwa im kurzen Instrumental „Gleaming“, und sogar eine Version des Evergreens „Summertime“ von George Gershwin. Diese reduzierte Fassung zeigt aber, getreu der vorherrschenden Stimmung des Albums, daß neben dem fröhlichen Licht des Sommers auch mancher Schatten vorhanden ist.
Der erste Titel, „Immersion“, also das spirituelle Eintauchen oder Versenken, erinnert mit seinem klaren, leicht verhallten Gesang von Yann Lingner und der echoverwehten Gitarre von Guillaume Bernard beinahe an die ätherisch-melancholischen New-Wave-Sounds der frühen Achtziger. Dann setzt aber ein ernergisches Schlagzeug ein, das den Rhythmus erdet. Schließlich wird es mit Saxophon und Synthiesizern beinahe symphonisch. Wuchtige Riffs treffen auf Melodien, dazu Songtexte, die alles und nichts bedeuten können und vage Melancholie artikulieren.
Kline entwickeln einen sehr eigenen Sound und Stil, der obendrein clever gemacht ist. Denn immer wenn man denkt, alles schon einmal gehört zu haben, kommt wieder eine neue Idee, ein weiterer vertrackter Rhythmus und der nächste ausgetüftelte Song. Anspieltipp ist „The Drifter“, in dem die Qualitäten des Sextetts deutlich und fokussiert erscheinen. Die Metal-Fans, schließlich will man die Wurzeln nicht vollständig kappen, kommen dafür in „Grim Dance“ auf ihre Kosten. Wermutstropfen: Nicht jede musikalische Idee von Klone zündet , mancher Effekt wird ein wenig zu oft eingesetzt, etwa wenn sich  Frontmann Yann Lingner zu vordergründig im Mix zwischen scheinbar ziellosem Hymnus und anlaßloser Trauer bewegt.