Autor: Klaus Wenzel

Lily and Madeleine „Fumes“

Lily and Madeleine Fumes Cover[rating=2]Netter Folk-Pop mit geringem Tiefgang.

Lily and Madeleine fahren Boot – beziehungsweise: Sie liegen verträumt in einem Ruderboot, das auf ruhigen Gewässern treibt. Schön anzusehen, die sich räkelnden jungen Damen.
Keine Spur von ‚giftigen Dämpfen‘ („Fumes“), nirgends, nicht ein Hauch von Gefahr. Stattdessen dominieren wie schon beim letztjährigen Debüt der beiden Schwestern zuckersüße Harmoniegesänge. Tolle Stimmen, keine Frage, wenn auch mit typisch amerikanischem Zungenschlag, was die Art und Weise des Gesangs anbelangt. Das können die beiden.
Im Ergebnis bekommt der Hörer eine Mischung aus radiokompatiblem Pop und Folk-Pop light, teils opulente Ararrangements, stimmlichen Wohlklang und eher harmlose Texte, die problemlos auch auf Radiostationen des mittleren Westens gut ankommen dürften. Auch eine verhallte Prise Lana del Rey fehlt nicht. Ist das nicht ein bißchen viel?

Schon der Karrierstart der siebzehn und neunzehn Jahre alten Damen aus Indianapolis mutet an wie am Reißbrett von einem cleveren Produzenten erdacht. Der Legende nach stellten Lily und Madeleine selbst produzierte Videos bei Youtube ein, die – Überraschung! – nicht nur sehr gut waren, sondern auch massenhaft angeklickt worden sein sollen. Danach kam es, wie es kommen musste: Ein lokaler Produzent – Paul Mahern, der unter anderem für John Mellencamp gearbeitet hat – wurde auf sie aufmerksam. Mit Hilfe des Songwriters Kenny Childers, ebenfalls in Bloomington, Indiana ansässig, entstanden etliche Songs und bald folgte das Debutalbum.
Auch wenn „Fumes“ ohne diese beiden und ohne die Mitwirkung ungenannter, versierter Studiomusiker nicht denkbar wäre, sind Lily and Madeleine wohl keine Marionetten in Händen abgezockter Manager und Produzenten. Dafür stehen sie in den zehn Songs des Albums doch zu sehr im Mittelpunkt. Jedoch offenbart das Cover vielleicht unfreiwillig, daß andere die Ruder in der Hand zu halten scheinen, während ‚Lil and Mad‘ versonnen übers tiefe Wasser gleiten. Hoffentlich zieht kein Sturm auf …

Auch wenn ihrer Musik (noch) die unverwechselbare Handschrift fehlt – Ecken und Kanten leider ebenso –, versöhnen der stimmliche Wohlklang und die entspannte, leicht wehmütige Stimmung des Albums. Das ist für Herbsttage, golden oder regnerisch und stürmisch, ganz nett.

Zoot Woman „Star Climbing“

zoot-woman-star-climbing[rating=1] Songs mit der Treibkraft eines atemlosen Schneckenrennens

Am Anfang der sogenannten Nullerjahre kamen Zoot Woman auf die clevere, vielleicht auch in der Luft liegende Idee, elektronische Musik und treibende Gitarren zu kombinieren. Ihr Debütalbum „Living in a Magazine“ gilt auch heute noch vielen als Bluechip des Electroclash. Die Generation Golf, die entweder längst im SUV mit zwei Kindersitzen herumkurvt oder jeden Tag in der U-Bahn zum Job rumpelt, mag sich vielleicht gerne an den Sound der eigenen Jugend erinnern. Allein: Die Unbeschwertheit ist vorbei. Mit dem Alter kamen die Verpflichtungen und der Bauchansatz, und zu den Enttäuschungen der Jugend gesellten sich die Frustrationen der gar nicht heroischen Gegenwart. Dagegen helfen auch die neuen Veröffentlichungen der alten Helden nicht, denn so schön wie früher wird es nimmermehr.
Andererseits scheint das kaum jemand zu stören. Denn selbst Bands, die ihre letzte kreative Idee bereits vor Jahrzehnten hatten, versilbern ihre fünf Minuten Ruhm mit überflüssigen CDs und spielen ihre alten Platten vor einem begeistertem Publikum in entbehrlichen Konzerten Note für Note nach. Zoot Woman machen es auf ihrem vierten Album ebenso und produzieren belangslosen Synthiepop. Nett, nichtssagend und weitgehende störungsfrei rauschen ihre Songs am Hörer vorbei. Krachen oder zusammenprallen, wie es das englische Wort „Clash“ impliziert, tut hier rein gar nichts mehr.
„Star Climbing“ ist nichts als Muzak, untermalt prima das Quengeln der Kinder auf dem Schulweg, wirkt wunderbar sedierend im täglichen Stau und stört selbst in der hellhörigen Neubauwohnung die Nachtruhe nicht.

Yellow Teeth „Night Birds“

yellow_teeth_night_birds_cover_jpeg[rating=3] Einfach und gut oder einfach gut. Anhören und ins Träumen kommen.

»Folk Songs and Hard Working Blues« versprechen Yellow Teeth auf ihrem soeben erschienenen Erstling, und genau das trifft es. Man meint zunächst, einen von schier endlosen Highways, von zuviel Whiskey and Women gegerbten amerikanischen Singer-Songwriter mit ganz viel Lebenserfahrung zu hören. Aber, Überraschung: Es ist ein junger Typ, der aussieht wie John Fogerty um1970, und der uns dieses wunderbare Album voller skurriler Geschichten und staubtrockener Klänge  präsentiert. Eine erstaunlich reife Stimme, gerne auch im Duett mit einer Sängerin, eine gezupfte akustische Gitarre, eine Mundharmonika, die klingt, als ob wir uns im Jahre 1962 befänden und einem jungen Großmaul aus Dulluth, Minnesota im Greenwich Village lauschten. Dazu gute Songs und Stories. Mehr braucht es nicht und daher ist es auch für uns Hörer letztlich immer noch ’so was von egal‘, ob Tiziano Zandonella und seine Mitstreiter aus dem Kanton Wallis, aus Minnesota, Memphis oder Maschen, wie Truck Stop sangen, kommen. Klar, manche Textzeile wie die hinlänglich bekannte »All the Troubles I’ve seen« nehmen wir mal als nicht ganz so originelles Zitat, denn soviele ‚Troubles‘ werden es schon nicht gewesen sein, die sie im Wallis erlebt haben. Und sicher: Wer will, hört sogleich die übergroßen Vorbilder wie Neil Young, Bonnie ‚Prince‘ Billy, Townes van Zandt, His Bobness und so fort heraus (die allesamt auch Vorbilder hatten). Aber „Night Birds“ zieht einen praktisch vom ersten Takt an in seinen Bann. Denn die künstlerische Darbietung wirkt in sich stimmig und die Musik ist gut gespielt.
Das ganze Album ist durchdacht und verbreitet eine ganz eigene Atmosphäre, die sich nicht im Beschwören bekannter Bilder amerikanischer Weite erschöpft, sondern auch die eigene Innenwelt des Sängers gekonnt auslotet. Also: anhören und geniessen.

Yellow Teeth haben mit „Night Birds“ eine tolle Platte geschaffen, der man ganz viele Hörer wünscht.

Fink (UK) „Hard Believer“

[amazon_image id=“B00J5LHKHG“ link=“true“ target=“_blank“ size=“medium“ class=“alignleft“]Fink „Hard Believer“[/amazon_image][rating=2]Reizvoll, aber auch beliebig

Fink, das Trio aus England um Sänger, Songwriter und Hauptakteur Finian Greenall, setzen mit „Hard Believer“, ihrem fünften Studioalbum, den eingeschlagenen Weg fort. Dieser besteht im Wesentlichen aus einem stellenweise recht reizvollen, wenn auch mittlerweile den Fink-Hörern hinlänglich bekannten Mix aus Countryblues mit Akustikgitarre und Greenalls rauer, dunkler Stimme, sowie Elementen aus Dancehall, Electronica, den verschleppten Rythmen des Triphop und Folkelementen, die versiert mit Hilfe moderner Studiotechnik verschmolzen werden. Das funktioniert dann gut, wenn das Gerüst, also das Songwriting, Substanz hat. Und es wird dann schnell beliebig, wenn die Songidee eher dürftig bleibt. Der Titelsong „Hard Believer“ eröffnet das Album ganz verheißungsvoll, aber schon „White Flag“ mit den bekannten, verhallten Dub-Effekten aus Dancehall und den schleppenden Drums des guten, alten Trip-Hop der Neunziger, schwächelt ein wenig. Das hat man alles schon einmal gehört – selbst von „Fink“ stellenweise erheblich besser.
„Pilgrim“ dagegen baut wieder gehörig Dramatik und Spannung auf. „Two Days Later“ oder „Too Late“ könnten hingegen in beinahe jedem beliebigen Formatradio geschmeidig durchgehen. Hier wird es mit dem stark zuckeraustauschhaltigen Radiopop – sehr süß, macht aber nicht dick und satt – etwas übertrieben. Immerhin ist Greenalls Stimme auch in diesen Liedchen noch ein Anker. „Shakespeare“ wiederum liebäugelt mit seinem gefälligem Text über den englischen Dichterfürsten und den Streicherarrangements aus dem Synthesizer eher mit Adult Orientated Pop, gefällt aber dennoch. „Looking Too Closely“ und die abschließende Liveaufnahme „Keep Falling“ sind solide Kost – nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Fazit: „Hard Believer“ ist ein Album, das man nicht unbedingt braucht von einer Band, die nicht so recht zu wissen scheint, wohin die weitere Reise gehen soll.

 

Eno/Hyde „High Life“

Eno_•_Hyde_-_High_Life_Cover_Image[rating=2] Nervöse Rhythmen, endlose Wiederholung von Akkorden und Samples – nichts für gemütliche Stunden, sondern eher anstrengend. Kein Meisterwerk.

Vor kurzem haben die beiden Herren vorgerückten Alters das erste Ergebnis ihrer Zusammenarbeit veröffentlicht, und schon folgt mit dem neuen Album „High Life“ der zweite Streich. Keine Outtakes aus „Someday World“ erwarten den Hörer, sondern sechs Titel, die allesamt in nur fünf Tagen entstanden.
Während der Vorgänger mit Pop-Songs und beinahe eingängigen Melodien aufwartet, zeigt „High Life“ die eher an Klangwelten orientierte Seite Enos, der erneut dominiert. Mag man sich bei dem neunminütigen Eröffnungssong „Return“ mit seinen von Gittarist Karl Hyde stoisch wiederholten zwei Akkorden, dem Synthesizer und dem luftigen Walla-Walla-Hintergrundgesang von Eno und Marianna Champion noch an Enos Werke aus den Achtziger- und Neunziger-Jahren erinnert fühlen, so vereinen die folgenden Titel „DBF“ und „Time to Waste it“ (ungewollte Ironie?), bei dem Hydes Gitarre den Vortritt hat, nervöse Energie. Diese ist jedoch mit einer Monotonie gepaart, die man nur gelegentlich ertragen kann. Das hat man von Meister Eno auf seinen Großwerken „My Life in the Bush of Ghosts“ oder „Wrong Way Up“ schon abwechslungs- und einfallsreicher gehört. Auch das letztlich belanglose „Lilac“ versucht ein weiteres Mal, sonnigen Wave-Pop mit afrikanischen Rythmen zu vereinen. Das ist alles andere als eine neue Idee. Doch immerhin hat Brian Eno diese Fusion als Interpret und Produzent seit den Achtzigern maßgeblich vorangetrieben.
Es wäre ungerecht, Bria Eno und Karl Hyde nur Selbstzitate zu unterstellen. Im Vergleich zu anderen aktuellen Werken der Pop-Musik, die sich gerne und oft der wenigen bahnbrechenden Ideen früherer Generationen ungeniert bedienen, jammern wir hier auf beachtlichem Niveau. Denn immerhin zitieren Eno und Hyde eigene Geistesblitze, die sie zudem zumindest im Ansatz zeitgemäß überarbeitet haben.
„Moulded Life“, das vorletzte Stück, sollten alle überspringen, die von Reizüberflutung geplagt sind. Denn dort treffen die eher nervenden Elemente des ‚Underworld‘-Sounds auf die etwas anstrengenden Einfälle von Brian Eno. Dann ist – schwupp – der letzte Titel erreicht: „Cells and Bells“, der mir am besten gefällt. Denn dort entert Karl Hyde das Mikro. Dadurch verleiht er dem Titel eine spezielle Athmosphäre. Zudem schwebt der Song irgendwie träge durch den akustischen Raum und läßt einem jene Luft zum Atmen, die einem der überwiegende Teil des Albums zuvor fast genommen hat. Worüber er singt? Keine Ahnung, aber es hört sich gut an + und das ist alles, was zählt. Mir persönlich hätte eine halbe Stunde „High Life“ gereicht, nun sind es beinahe 45 Minuten geworden. Aber es gibt ja die Stopp- und die Skip-Taste …

R.E.M. „Unplugged 1991/2001 – The Complete Sessions“

[amazon_image id=“B00JFBCDD2″ link=“true“ target=“_blank“ size=“medium“ class=“alignleft“]R.E.M. „Unplugged 1991/2001 – The Complete Sessions“[/amazon_image][rating=4] Gut gelaunt und inspiriert: Zwei vollständige semi-akustische Konzerte der Vorzeige-Band des Alternative Rock.

1991 war für R.E.M .das Jahr des kommerziellen Durchbruchs. Hatten sie bis dahin eine gewisse Reputation als ‚Alternative Rockband‘ erworben, so gingen sie nach Veröffentlichung des Albums „Out of Time“ im März des Jahres beim Major-Label Warner in Richtung Superstars durch die Decke. Der Song „Losing my Religion“ war ein großer Erfolg für das Quartett und das Album markierte den Weg vom Alternative-Rock zu einem breiteren musikalischen Spektrum, das Country-Einflüsse ebenso umfasste wie Rap und vor allem Pop-kompatibel war.

Der Sender MTV hatte seit 1989 die „Unplugged“-Reihe im Programm, in der prominente Künstler ihre bekannten Songs live (fast) ohne elektrische Verstärkung zum Besten gaben. Die Idee war keineswegs neu, schlug aber beim Publikum sofort ein. MTV erzielte mit der (scheinbar) intimen Atmosphäre eines Akustik-Konzertes regelmäßig riesige Reichweiten und befand sich auf dem Höhepunkt seiner Popularität: „MTV Unplugged“ wurde zum verkaufsfördernden Label für Live-Alben.

Als R.E.M. 1991 bzw. 2001 im Rahmen der Unplugged-Reihe in den MTV-Strudios auftraten, brachten sie alles mit, was für ein Gelingen eines solchen Konzerts vonnöten war: gute Songs, einen guten Sänger, eine spielfreudige Band, die technisch versiert war, an den akustischen Instrumenten (ebenso) zu glänzen. Freilich, ganz verzichtete R.E.M. nicht auf die Elektrifizierung: So hört man eine Hammond-Orgel und einen E-Bass, andererseits hielt sich aber bei den Arrangements weitgehend an die Akustik-Vorgabe.

R.E.M. waren sich 1991 natürlich bewusst, dass sie kurz vor dem Eintritt in die Champions-League des Rock standen, ließen aber dieses Renommee bescheiden im Standby-Modus. Und so präsentierten sie ihren in vielerlei Hinsicht typisch amerikanischen Rock nicht im Stadion-Format, der bald schon für sie Normalität werden sollte. Michael Stipe und seine Mitstreiter hatten sich vor dem Auftritt offensichtlich Gedanken über die Interpretation ihrer Songs gemacht und überwiegend auf mittleres Tempo und ausgefeilte Vokal-Arrangements gesetzt. Es ist durchaus reizvoll zu hören, wie R.E.M. auf „Fall on me“ oder „Belong“ zuckersüße, mehrstimmige Beach-Boys-Harmonien intonieren. Dazu erklingt ganz beschaulich die Mandoline und für einen Moment mag man daran glauben (aller möglicherweise gewollten Ironie bei diesen Interpretationen zum Trotz), dass zwischen ‚Alternative-Rock‘ und ‚Pop-Mainstream‘ eine feine, aber natürliche Verbindung besteht.

Während der Auftritt von 1991 noch manchmal gewisse Unsicherheiten in der Intonation oder im Zusammenspiel sympathisch erkennen lässt, präsentiert die 2001er-Session eine Band, die mit Hilfe von zusätzlichen Kollegen (nach dem Ausscheiden des Drummers Bill Berry) routiniert, aber nach wie vor sehr spielfreudig zur Sache geht. Selbst eine ‚Breitwand-Ballade‘ wie „The One I Love“ funktioniert da hervorragend im reduzierten Arrangement. Man vermisst eigentlich nichts bei R.E.M.s unverstärkten Auftritten, die Songs erhalten einfach eine neue Qualität. Statt Rock’n’Roll mit großen Gesten (vielleicht sowieso nie ganz die Sache von R.E.M., Anm. der Red.) erhält man tolle Country- und Folk-getränkte Songs, einen gut gelaunten Michael Stipe und bei einigen Titeln eine Art Doo-Woop-Ausgabe der Band.

Fazit: Nicht nur für Sammler und Fans, sondern auch für alle, die von R.E.M. bislang nur wenig kennen und neben der ‚Alternative‘-Combo und der ‚Mainstream‘-Band eine weitere Facette der Formation entdecken möchten.

Bisherige Rezensionen zu R.E.M. auf schallplattenmann.de

(Bild: Networking Media)

Hazmat Modine „Live“

[amazon_image id=“B00JW3R66C“ link=“true“ target=“_blank“ size=“medium“ class=“alignleft“]Hazmat Modine „Live“[/amazon_image][rating=3] Faszinierendes Gebräu aus Blues, Jazz, Klezmer, Balkanbläsern und Rockmusik

Hazmat Modine sind eine locker zusammengefügte Band aus New York, die sich um den Sänger und Harmonikaspieler Wade Schuman gruppiert. Der exotisch klingende Bandname hat eine einfache Bedeutung, die man allerdings auch leicht behämmert finden kann: Hazmat ist ein Akronym aus ‚Hazardous Material‘, also Gefahrgut, und Modine ist der Name eines Herstellers von Heizlüftern. Weil die Band gerne und oft Instrumente wie Saxophon, Sousaphon und Trompete einsetzt und diese nach Ansicht Schumans eine Menge ‚heiße Luft‘ produzieren ist der Bandname durchaus sinnfällig.

„Live“ ist die dritte Veröffentlichung der Amerikaner. Wer ein Faible für musikalische Vielfalt hat, den erwartet unter anderem eine Version von „Baby please don’t go“, die geeignet ist, eine Gänsehautentzündung (das Copyright darauf gebührt Mehmet Scholl) zu produzieren. Ganz große Klasse, wie Schuman und Co. diesen Delta-Blues-Klassiker von Big Joe Williams aus dem Jahr 1935 elektrifizieren, entstauben und neu interpretieren.

Die stilistische Bandbreite von Hazmat Modine ist verblüffend. Hört man eben noch eine postmoderne Band, die mit allen Wassern gewaschen ist und den gesamten Katalog des Blues und seiner Interpretationsmöglichkeiten von den Zwanzigern über den Chicago Blues der Fünziger und Sechziger bis in die Gegenwart präsent zu haben scheint, erklingt im nächsten Augenblick „Walking Stick“ von Irving Berlin. Unmittelbar nach Anklängen an John Mayalls Mundharmonikaspiel oder an einen Rockjazz-Bläsersatz tritt eine Querflöte aus dem Cool-Jazz auf den Plan, um im nächsten Augenblick von einem Song im Reggae-Rhythmus abgelöst zu werden.

Die verbindende Klammer ist Wade Schumans Stimme, die mal an die Bluesshouter vom Schlage eines Howlin‘ Wolf oder Big Joe Williams gemahnt, aber auch gekonnt Klezmer-Songs, Eigenkomposititonen oder Klassiker der amerikanischen Unterhaltungsmusik interpretiert. Die Band hat sichtlich Spaß daran, von einem Genre ins nächste zu wechseln und spielt, als ob der Teufel hinter ihr her wäre. Eine weitere wichtige Basis sind die vielfältigen musikalischen Interessen der beteiligten Musiker, darunter versierte Session- und Studioprofis sowie die durchaus ungewöhnliche Instrumentierung mit dem Sousaphon als Bassersatz, Mundharmonika, Tuba, Steelgitarre und anderem.
Hazmat Modine sind sozusagen eine zeitgenössische Variante des kulturellen amerikanischen ‚melting pot‘ der verschiedenen Musikstile – wilde Mischung, aber sie gefällt.

 

Eno & Hyde „Someday World“

Eno & Hyde [rating=3] Zwei Götter der elektronischen Musik haben vom Olymp ihrer musikalischen Meriten herab ein gemeinsames Pop-Album veröffentlicht.

„Someday World“ ist – Überraschung! – recht eingängig geworden, gut zu hören und durchaus von heiterer Abgeklärtheit und Gelassenheit geprägt. Und das will etwas heißen bei den beiden Herren und ihrem musikalischen Output.
Auffällig ist, dass der ‚Underworld‘-Einfluss weitaus geringer ist als jener von Eno selbst. Karl Hyde, unter anderem Sänger eben jener Band, überlässt dem Älteren also den Vortritt. Ist das auch gut so? Wenn man ein Pop-Album haben möchte, bei dem Songs im Vordergrund stehen und keine Ambient- oder Dancefloorsounds, ist man auf alle Fälle schon mal gut bedient. Ergänzt wird dies durch ein solides rhythmisches Gerüst, das stets präsent ist, aber nicht in den Vordergrund drängt.
Ob es sich dabei tatsächlich um Polyrhythmen handelt und ob diese gar von Steve Reich und Fela Kuti inspiriert sind oder eher ‚Black Music‘ in ihrer ganzen Vielfalt den Takt beeinflusst, ist vielleicht weniger von Belang, aber es pluggert, trommelt und schnarrt vernehmlich auf den neun Songs, ohne jedoch den Gesang – der zumeist von Hyde und gelegentlich von Eno kommt – und die Soloinstrumente zu überdecken.
Wann hat Eno eigentlich zuletzt selbst ins Mikro gesungen? Mir fallen da vor allem die frühen Sachen ein wie „Here He Comes“ oder das charmante „I’ll Come Running“. Musikalisch zeigt sich folgerichtig auch eine gewisse Nähe zum eigenen frühen Schaffen.
Ganzgott blickt auf eine lange kreative Periode zurück und dabei fiel sein Blick augenscheinlich voller Wohlgefallen auf den jüngeren Eno. Bei dieser Gelegenheit entsann er sich wohl der Bekanntschaft mit Andy Mackay, der zum Kreis der Mitstreiter auf „Someday World“ gehört, wenngleich er dort keinen besonderen Eindruck hinterlassen hat.

Das erste Ergebnis der gemeinsamen Zusammenarbeit, dem demnächst schon der zweite Streich folgt, ist, wie in vielen Fällen bei erfahrenen und etablierten Musikern, keine tatsächliche oder vermeintliche Neu-Erfindung des Rads, auch kein reiner Rückblick, sondern eine Art solider Status-Quo-Bericht.Das Prädikat ‚Ganz nett‘ ist dafür zuwenig, ‚großartig‘ zuviel. „Someday World“ liegt irgendwo dazwischen und ermöglicht, beim empfehlenswerten Wiederhören die eine oder andere Nuance herauszuhören und auch neue Facetten zu entdecken. Vergangenes und Gegenwärtiges werden auf angenehme und gut hörbare Weise vermengt. Was will man mehr?

Folly and the Hunter „Tragic Care“

Der Schallplattenmann bloggt… (Keine Vorschau vorhanden)

[amazon_image id=“B00C205BUU“ link=“true“ target=“_blank“ size=“medium“ class=“alignleft“]Folly and the Hunter „Tragic Care“[/amazon_image][rating=4]Eingängige Melodien, authentische Texte: Anhören!

Die Jugend von heute ist auch nicht mehr so wie früher. In den seligen 60er- und 70er-Jahren beklagten die Jungs hinterm Mikro direkt und unverblümt den sexuellen Notstand (und hofften auf Abhilfe nach der Show) oder riefen trotzig einen Ein-Mann-Aufstand aus. Die Texte von Nick Vallee hingegen, dem Sänger und Texter der jungen Montrealer Band Folly and the Hunter, erreichen beinahe literarisches Niveau. Kostprobe? »You have claimed to have made it beyond the disguises and through the folly. By the time I met you I was far behind where I thought I’d be.« („Mask“)

Doch nicht nur die Texte der Songs sind sozusagen kompliziert. Die Musik selbst klingt zwar zunächst nach Jedermanns-Lieblings-Indie-Folk-Pop-Truppe, entfaltet aber bereits beim ersten Hören einen zauberhaften Reiz, kurz: Dem jungen Trio (und seinen Helfern im Studio) ist eine ganz erstaunliche Platte gelungen. Tragik, wir wissen es seit wir in der Schule ‚Weltliteratur‘ lesen mussten und daran beinahe verzweifelten, entsteht infolge des Zusammenpralls von ‚Schicksalsmächten‘ und dem Einzelnen. ‚Tragisch‘ erscheinen uns Ereignisse, die beim besten Willen nicht abzuwenden waren. Weil aber Nick Vallee und seine Mitstreiter nicht im antiken Griechenland leben, sondern im modernen Kanada, und weil sie auch keine Dichter, sondern Musiker sind, ist die Fallhöhe des Helden glücklicherweise ganz moderat. ‚Bittersüß‘ nennen Folly and the Hunter das Gefühl, das die Songs auf „Tragic Care“ beschreibt.  Auch wenn Zeilen wie »I give up, I repent,my money is spent. I am rotting to the core« („Vultures“) düster klingen, die Musik dazu hat stets etwas Schwebendes, Schwereloses, beinahe Fröhliches, viel eher Dur als Moll. Hieraus entsteht ein reizvoller Kontrast, der sich beim wiederholten Hören noch steigert.

Das verwundert nicht, denn die Arrangements sind bisweilen recht komplex. Mitunter meint man, nicht drei, sondern vielleicht dreizehn Musiker zu hören. Die junge Band geht hier weit über den stets etwas verschlurften Indie-Folk-Stil hinaus. Und sie hat ein Faible für eingängige Melodien, auch wenn die Texte, hierin wieder ganz dem Geiste des Storytellers oder Singer-Songwriters verpflichtet, in dem Sinne authentisch sein sollen, dass ihnen eigene Erfahrungen zugrunde liegen. Was letztlich zählt, sind aber weniger die Erlebnisse des Sängers, sondern vielmehr das, was er und seine Mitstreiter daraus machen – bei „Tragic Care“ schaffen sie eine ganz eigene Atmosphäre: »I’m with you for the feel not for a fate to seal« („There are no Great Redeemers“).

Lange Rede, kurzes Ende: Anhören!

Dirtmusic „Lion City“

Dirtmusic "Lion City"

[amazon_image id=“B00HS95I1M“ link=“true“ target=“_blank“ size=“medium“ class=“alignleft“]Dirtmusic „Lion City“[/amazon_image][rating=4]Gelungene Mixtur aus Rock, Singer-Songwriter-Poesie, Electronica und „Wüstenblues“.
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„Lion City“ ist der vierte Streich der Zusammenarbeit zwischen Chris Eckman (von den „Walkabouts“) und Hugo Race („True Spirit“) als „Dirtmusic“ und der zweite Teil der im malischen Bamako 2012 entstandenen Aufnahmen mit Musikern aus Mali und dem Senegal.

Man kann sich sicherlich eine angenehmere Umgebung für eine Musikproduktion wünschen, als inmitten eines Bürgerkrieges und Militärputsches in einem Tonstudio in der malischen Hauptstadt zu sein und drinnen Musik zu machen, während draußen Gewalt herrscht. „Lion City“ reflektiert mit musikalischen Mitteln das politische Geschehen im unmittelbaren Umfeld, so singt  im Song „Red Dust“ Samba Touré: »Wie können wir versöhnen und vergeben? Wir müssen aufhören zu kämpfen.« Der nach wie vor aktuelle Bezug zur Lage Malis entstand nicht von Ungefähr, sondern kam auch daher, dass Eckman und Race nach eigenem Bekunden nicht mit fertigen Arrangements und Titeln, sondern vielmehr mit flüchtigen Entwürfen und ‚rohen‘ Ideen nach Afrika reisten, die erst während der gemeinsamen Proben und Aufnahmen mit den afrikanischen Musikern zu Songs reiften. Dementsprechend ist die Herangehensweise eine andere als bei vielen World-Music-Projekten.

Die beteiligten Musiker wie der schon erwähnte Touré, die Band „Tamikrest“, die Sängerin Aminata Traoré, Ben Zabo und etliche andere sollen nicht bloß eine musikalische ‚exotische Farbe‘ liefern, sondern integraler Bestandteil des Projektes sein, was über weite Strecken gut gelingt. Natürlich ist Eckmans Stimme sofort für alle unverkennbar, die auch nur einen einzigen Song der Walkabouts kennen. Daher könnte „Movin‘ Careful“ beinahe ebenso gut auf einer Veröffentlichung seiner alten Band sein, wenngleich die „klagenden“ Gitarren von Race und Ousmane Mossa (von der Touareg-Band Tamikrest) eher wieder Richtung afrikanischen ‚Wüstenblues‘ weisen. Andererseits sind solche Genre-Schubladen obsolet im Zeitalter des Internets und des internationalen künstlerischen Austausches und sie widersprechen dem Grundgedanken Chris Eckmans, der eine »gemeinschaftlich-demokratische Herangehensweise« bei den Aufnahmen favorisierte und intendierte. Ablesen kann man dies auch daran, dass die Autorenschaft der Titel nicht nur den IndieVeteranen Eckman und Race, sondern von Fall zu Fall auch den anderen Mitwirkenden zugeschrieben und der Platz vorm Mikro mal vom einen, dann wieder vom anderen eingenommen wird. Eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe also.

Entscheidend ist jedoch nicht, wir erinnern uns an diese grundlegende Erkenntnis des deutschen ‚Bummdeskanzlers‘ Kohl, wie etwas entsteht, sondern »was hinten rauskommt«. In diesem Falle eine faszinierende Collage aus Electronik, vom Ethno-Kitsch befreiter World-Music, Singer-Songwriter-Skizzen und Rock.

Manchmal magisch, manchmal gut gemeint mit appellativen Texten an die menschliche Vernunft  und überwiegend unterhaltsam und spannend: Die beteiligten Musiker kennen und schätzen sich seit Jahren, als sie sich erstmals auf einem Festival in der Sahara begegneten und zusammen spielten. Die musikalische Zusammenarbeit zwischen den alten Recken aus der Indie-Szene und den Wüstenbluesern und Afro-Popmusikern erweist sich erneut als Bereicherung für beide Seiten – und als Vergnügen für die Hörer, die diesem Album in großer Zahl zu wünschen sind.

(Foto: Glitterhouse)