Autor: TheNoise

Mehmet Polat Trio „Ask your heart“

[rating=4] Kontemplativ

Die Kompositionen von Mehmet Pollat sind wie eine unauffällige Landschaft, deren mannigfaltige Reize man erst entdeckt, wenn man in ihr aufgeht und sich den Details widmet. Vordergründig sind es kontemplative Stücke, aus denen Polats Oud-Soli und der klagende Ton der Ney hervorstechen. Während die Melodien des ebenfalls türkischstämmigen Ney-Spielers Sinan Arat durchweg getragen bleiben, schwingt sich der Bandleader auch zu quirligen Improvisationen auf, die – etwa bei „Everything is in you“ – auch mal in die Tiefe führen: Polat hat seine Oud um zwei Bass-Saiten erweitert.
Mehmet Polat setzt diesen Effekt wohldosiert ein und zwingt so den Hörer auch dann zur Ruhe, wenn er ihn mit neuen Höranreizen anregt. Und selbst wenn das Trio während einer kurzen Passage in „Simorgh“ anklingen lässt, dass es sogar rocken könnte, stört das die Ruhe nicht.

Die bedächtigen Kompositionen von Mehmet Polat begünstigen die melancholische Stimmung. Maßgeblich forciert wird diese durch die traurige Wehmut, die meistens im Ton der Nay mitschwingt. Selbst wenn sie ihre Freude hinausspielen, machen es die drei Musiker nicht himmelhoch jauchzend, sondern mit angenehm verhaltener Fröhlichkeit.

Offizielle Homepage von Mehmet Polat

(Foto: Qrious)

International Music „Die besten Jahre“

[rating=4] Frohgemut bis düster, eigenständig mit deutlich erkennbaren Referenzen

„Dein Mund ist gerade, deine Lippen sind schief“, singen International Music in „Country Girl“, ganz so als ob sie damit programmatisch ihren konservativ-geschmeidigen Rock beschreiben wollten, den sie von frohgemut bis düster zelebrieren. Die Musik des Essener Trios ist kein ebenmäßig glattes, durchgestyltes Model, sondern von rauer, unkonventioneller Schönheit. International Music fertigen ein Patchwork aus unterschiedlichen Ingredienzen, bei dem man viele Einflüsse heraushören kann: In „Metallmädchen“ klingt Space-Rock an, und bei „Für alles“ standen The Jesus and Mary Chain Pate. Den Bass von „Farbiges Licht“ haben sich International Music bei Joy Division geliehen, und das in einer dumpfen Kakophonie endende „Mama“ erinnert über weite Strecken an Element of Crime. Das ist noch lange nicht so international, wie der Bandname vorgibt, aber doch schon ziemlich welthaltig.

Den Rat, den das Essener Trio in „Für alles“ einem imaginären Gegenüber gibt – „Stell die Weichen, die Richtung ist egal“ –, scheint es selbst zu beherzigen. Die drei nehmen sich, was ihnen gefällt, und stellen sich damit ihren eigenen, coolen Street Style zusammen.
Genauso unverfroren gehen sie mit ihren Texten um, die sich mal um reale Bürden wie äußere Zwänge („Cool bleiben“) und Verpflichtungen („Du Hund“) drehen, natürlich auch um Liebe („Metallmädchen“, „Country Girl“), aber auch zweckfreie Stimmungsbilder sein können („Kneipe“). Die Lieder von International Music sind immer wieder verschroben und rätselhaft, albern oder auch schlichtweg nihilistisch – ganz in der Tradition von Dada oder Palais Schaumburg und Andreas Dorau in den 80er-Jahren.
Das alles macht International Music zu einer Band für Nostalgiker, die sich auch an der Moderne erfreuen. Man hört das Gestern, befindet sich im Heute und ist zuversichtlich für die Musik der Zukunft. International Music hat die Begegnung mit ihrer Musik – wiederum in „Country Girl“ – gleich in eigene Worte gefasst: „Wie gesagt, du bist elektrisch/wie du siehst, bin ich elektrisiert“.

Facebook-Seite von International Music

(Foto: Staatsakt)

Franui „Ständchen der Dinge“

[rating=3] Schöner Überblick über 25 Jahre Bandgeschichte

Die einen feiern ihren Abschied, die anderen stoßen auf die nächsten 25 Jahre an. Mit ihrem umfangreichen „Ständchen der Dinge“, das die Osttiroler Band auf ein Vierteljahrhundert in nahezu unveränderter Besetzung darbringt, stellt sie gleichzeitig die Frage nach der Zukunft: „Geht es immer so weiter?“, fragen Franui im Untertitel ihrer Rückschau. Man darf ein beherztes Ja vermuten, die Neugierde auf Kommendes zurückstellen und in dieser Sammlung nach Vergessenem und Übersehenen stöbern.

Schon das erste Stück ist symptomatisch für die Herangehensweise von Franui: „Creampuffs from Vienna“ aus dem Jahr 2009 beginnt als Trauermarsch und endet auf dem Tanzboden. Das macht die Gruppe gerne, wie sie wenig später bei Schuberts „Trockne Blumen“ zeigt.
Franui lassen sich von Mahler inspirieren, unterlegen ein Gedicht von Ernst Jandl mit einem Gemisch aus Brahms-Duetten, verquirlen Schubert, Bartok und Ligeti zu einem flatterhaft-huschigen Stück und vertonen Lyrik von Hans Magnus Enzensberger und William Shakespeare, bis einem die Bläser fast zu dominant werden.
Aber so ist es eben mit der Blasmusik. Wenn man das Blech weglässt, ist sie ja auch nichts. Und kaum hat man das gedacht, kommt Franz Schuberts behutsam getragenes „Du bist die Ruh“ mit Hackbrett und Kunstpfeifer. Nicht nur daran merkt man, dass die zehnköpfige Gruppe über genügend Personal und Ideen für ein abwechslungsreiches Programm verfügt.

Das letzte Stück des Albums, der gemäß Franui immer als Zugabe gespielte „schönste Trauermarsch“, ist auch eine indirekte Antwort auf die Frage, wie es weitergeht. Nämlich mit neuen Ideen – wie dem auf diesem Album nicht berücksichtigten Georg-Kreisler-Projekt – und neuer Musik in altbewährter Verballhornungslust. Und das wird wohl so lange andauern, bis sie selbst einen Trauermarsch gespielt bekommen. Lang sollen sie leben – und spielen.

Offizielle Homepage von Franui

(Foto: Col legno)

Imarhan „Temet“

Schöne, sanft-rockige Spielart des Tuareg-Blues

Sie schießen nicht gerade wie die Pilze aus dem Boden, aber seit zu Beginn des Jahrtausends der Tuareg-Blues durch die medienwirksame Aura von Tinariwen als Freiheitskämpfer geschickt vermarktet wurde, ist die Zahl der Protagonisten stetig gewachsen.

Imarhan beginnen feurig wie ein 60er-Jahre-Rocksong, über den sie nach wenigen Takten eine entspannte, für den Tuareg-Blues typische Melodie legen. Der weibliche Hintergrundchor beim zweiten Stück „Tamudre“ ist ein weiteres charakteristisches Element, das seine Wirkung nicht verfehlt. Obwohl das Quintett eher auf forcierte Stücke setzt, versteht es sich auch auf sanft-bluesige Töne und einfühlsame Stimmungen – erwartungsgemäß bevorzugt für Liebeslieder wie „Tarha-Nam“ und „Zinizjumegh“.

Mit den antreibenden Liedern möchten die fünf Musiker nicht nur zum Tanzen animieren. Sie stellen sich damit auch in die kämpferische Tradition ihres noch immer um Selbstbestimmung ringenden Volkes. „Meine Brüder, hört nie auf zu kämpfen“, singen sie in „Azzaman“, und Kapitulation gilt ihnen als Schande („Tamudre“). Dabei fordern sie, die Schuld für die oft miserable Situation der Tuareg auch bei sich selbst und nicht nur bei anderen zu suchen und rufen zur Einigkeit auf. Denn: „Eine Hand kann niemals alleine applaudieren“ („Imuagh“).
Ihre Texte sind – vertraut man der Übersetzung – in einfachen Worten gehalten, aber keineswegs belanglos und oberflächlich. Und obwohl oft sehr eindeutig formuliert, verfügen auch ihre mehrheitlich appellierenden Texte über poetische Passagen.

Auch mit ihrem zweiten Album bringen Imarhan eine rockigere Interpretation des Tuareg-Blues. Das Quintett bietet lässige Gitarrensoli, eloquente Bassläufe und einnehmende Melodielinien und wirkt insgesamt viel freudestrahlender, als die doch oft ernsthaften Texte vermuten lassen.

Bisherige Rezensionen zu Imarhan

Offizielle Homepage von Imarhan

(Foto: Irascible)

Malia „Ripples“

[rating=4] Poetisch, gefühlvoll, ergreifend

Die Grenze zwischen Jazz und Pop ist schon lange brüchig, und wer erfolgreich sein will, spielt raffiniert mit beidem. Malia hat sich mit ihrem Debüt „Yellow Daffodils“ (2003) geschickt als Jazzpop-Chanteuse eingeführt und später immer wieder die populäre Seite stärker betont. Noch ziemlich unbefriedigend mit ihrem Zweitling „Echoes Of Dreams“ (2004), aber mehr als zehn Jahre später veröffentlichte sie gemeinsam mit Boris Blank (Yello) ihr zumindest an Charterfolgen gemessen erfolgreichstes Album „Convergence“.

Jetzt erfolgt eine Rückbesinnung. Mit „Ripples“ bringt Malia die Songs, die sie für das Album „Echoes Of Dreams“ verschenkt hat, in ansprechender, reduzierter Form. Die einfühlsame Begleitung von Jazzpianist Alexandre Saada und einem Streicher-Trio ist für die Songs eine würdig-schlichte Gewandung und bringt Malias Stimme angemessen zur Geltung. Mal romantisch schön („My Love“), mitunter schmerzlich („Mary Mary“) oder auch mal leicht beschwingt („Men In Your Eyes“) – vor allem aber das ganze Album hindurch empfindsam und seelenvoll.

Bisherige Rezensionen zu Malia auf schallplattenmann.de

(Foto: MPS)

Hannes Wader „Macht’s gut“

[rating=3] Typisch Wader – als Kompliment gemeint

Er sei die lange Zeit seiner Karriere ein „aufrechter Künstler“ gewesen, der „wichtige, hinreißende, herzöffnende Lieder“ geschrieben habe, lobt sein Bruder im Geiste, der nur wenige Jahre jüngere Konstantin Wecker, Hannes Wader bei seinem Abschied von der Bühne. Die beiden haben – auch gemeinsam mit der dritten deutschen Liedermacherinstanz dieser Generation, Reinhard Mey – oft zusammen auf der Bühne gestanden. Doch bei seiner letzten Tournee präsentierte sich Hannes Wader wie in seinen Anfängen alleine dem Publikum. Und man kann es sich nicht anders vorstellen, als dass jedes Konzert ein Heimspiel gewesen ist.

„Meine Lieder klingen nicht mehr so wie damals, frei und leicht“, singt Wader gleich im zweiten Stück seiner Abschiedstournee („Damals“) und mag damit recht haben. Es ist kein Wunder, dass der 75-Jährige nicht mehr über die strahlende Stimme des Mittzwanzigers verfügt. Aber auch heute noch ist sie unverkennbar, klingt immer noch angenehm weich und – ja, überraschend jung. Und auch die Gitarre zupft er immer noch ansprechend.

So treu sich Wader als Person geblieben sein mag und so einheitlich sein musikalisches Schaffen wirkt: Die Bandbreite seiner Lieder ist beträchtlich – von dezidiert sozialkritischen über schräg-humoristische und poetische bis hin zu Volksliedern. Der Liedermacher bringt erwartungsgemäß von allem etwas und kann damit wohl die meisten Fans glücklich machen. Und gleichzeitig wird den meisten mehr als ein Lied fehlen – er hat schlicht zu viele gute geschrieben oder adaptiert, um sie in einem Konzert unterzubringen.

Bisherige Rezensionen zu Hannes Wader auf schallplattenmann.de und im Blog.

Offizielle Homepage von Hannes Wader

(Foto: Qrious)

Jütz „Hin & Über“

[rating=3] Neue Klangästhetik für alte Lieder – unpolitisch und mit reduziertem Kunstverständnis, was dem Hörvergnügen jedoch nicht schadet.

Sie tummeln sich im abgegrasten Genre der neuen Volksmusik und wollen zudem in die übergroßen Fußstapfen des unkonventionellen „Zappa von Tirol“ und „ordentlichen Anarchisten“ Werner Pirchner treten. Dieser fiel nicht nur als unerhörter Musiker auf, sondern hielt auch mit seiner von der Mehrheit abweichenden Einstellung nicht hinter dem Berg.
Jütz dagegen machen es sich leichter. Sie beginnen mit dem ins Tirolerische übersetzten „Luegid vo Bärg und Tal“, einem Schweizer Kinderlied-Gassenhauer aus dem 19. Jahrhundert. Das kann man als etwas eigenartigen Hinweis auf die Herkunft des Trios aus zwei Tirolern und einem Berner verstehen. Der Autor des Liedes, Josef Anton Henne, versuchte nämlich im berndeutschen Dialekt zu schreiben, obwohl er aus dem Kanton St. Gallen stammte. Vielleicht sind Jütz nur der einfachen Melodie erlegen, vielleicht wollen sie mit dem lauwarmen Aufwärmprogramm auch bloss die lange Tradition der bis heute ungebrochenen Begeisterung für den berndeutschen Dialekt zeigen.
Jütz vertonen gerne überlieferte Texte, die sie bunt durcheinandermischen und basteln daraus auch schon mal leichten Volksmusikpop mit angejazztem Akkordeon („Das kennst du wohl“). Doch sie können auch anders: Der „Postfeldwalzer“ und die „Bergaufpolka“ sind humorige Instrumentalstücke (das zweite mit Spracheinspielungen von Werner Pirchner), „Schleuniger Tempo Dampfl“ ist ein originelles Spoken-Word-Stück und mit dem entschleunigten Jodler „Der Schweinsbeuschler“ nähern sie sich sehr vergnüglich der Tradition.

Das Trio beschäftige sich nicht mit der politischen Dimension von Kunst, zitieren etwa die Wiener Stadtzeitung Falter und die Salzburger Nachrichten die Multiinstrumentalistin und Sängerin Isa Kurz. Das Trio wolle mit seiner Klangästhetik dem Publikum den unvoreingenommenen Zugang zur traditionellen Musik ermöglichen. Wenn Jütz dann aber in „Mantua“ das Andreas-Hofer-Lied aufgreifen, das einen regionalen Widerstandskämpfer zum gesamtdeutschen Helden stilisiert, wirkt diese Einstellung mehr als naiv – vor allem nach dem ausdrücklichen Bezug zum eher anarchistisch eingestellten Werner Pirchner. Und dies ausgerechnet in einer Zeit enormer, auch mit kriegerischen Mitteln herbeigerufenen Umwälzungen, die auch unsere politische Landschaft enorm verändert hat.

Bisherige Rezensionen zu Werner Pirchner auf schallplattenmann.de

Offizielle Homepage von Jütz

(Foto: Bauer Studios)

Mathieu Almaric „Barbara“

Was ist wichtig, wenn man ein Leben erzählt? Was müssen wir wissen, über Herkunft oder Bildungsweg, welche Lebensdaten kennen, um eine Person zu erfassen, ihre Gedanken, Einstellungen und Sehnsüchte? Mathieu Amalric stellt das alles nicht in den Vordergrund. Er nähert sich „der schönsten Stimme Frankreichs“ atmosphärisch und skizziert die Lebensgeschichte von Barbara indirekt. Er erzählt, wie seine Protagonisten, der Regisseur Yves und die Schauspielerin Brigitte, der Ikone bei der Suche nach ihrem Wesen immer mehr verfallen.

Yves Zand, gespielt von Almaric selbst, dreht als obsessiver Verehrer einen Film über die französische Sängerin Barbara. Seine Darstellerin folgt ihm in die Obsession und findet aus ihrer Rolle nicht mehr heraus. Die Ebenen überlagern sich. Wann Barbara für den Dreh gespielt wird und wann Brigitte im Leben zu Barbara wird, ist oft nur schwer auseinanderzuhalten. Und das, obwohl der Regisseur durch Einstellungen und unterschiedliches Filmmaterial – die Szenen mit Barbara wirken historisch, alle anderen sind zeitgemäß brillant – durchaus Hilfestellungen gibt. Zudem werden auch Originalaufnahmen mit der ausdrucksstarken Sängerin geschickt eingebaut.

Almarics Herangehen kann man als verkopft abtun oder als besondere Referenz an die ausdrucksstarken poetischen Texte Barbaras interpretieren. Und die Obsession von Yves und Brigitte entspricht der Besessenheit Barbaras für ihre Lyrik und Musik.
Barbara war – glaubt man dem Film – eine Diva, schwierig und eigensinnig. Welche Lebenserfahrungen dem zugrunde liegt, eröffnet der Film nicht. Führt man sich die im Film rezitierten Texte von Barbara vor Augen, ist es jedoch gut und richtig, dass Mathieu Almaric ganz auf Poesie und Charisma setzt. Denn die unmittelbare psychologische Deutung ist in einer konventionellen Biographie besser aufgehoben. Das passende Schlusswort sagt Jeanne Balibar als Brigitte als Barbara: „Das ist fantastisch! Wie violetter Regen auf finsteren Bergen.“

„Barbara“ in der IMDB
Wikipedia-Eintrag der Chansonsängerin Barbara

(Foto: Diagonal)

Ferd „Music Without Borders“

[rating=5] Origineller Mix aus Traditionen und Nationen

Die vier norwegischen Musiker, die singen, Maultrommel und die der Violine ähnliche Hardangerfiedel spielen, sind Spezialisten für die Musik der Region Setesdal. Die Melodien aus dem Tal im Süden Norwegens haben sie in die Welt geschickt – in das Nachbarland Schweden, in europäische Länder wie Irland, Armenien und Rumänien, und in entfernte wie Syrien, Indien und Indonesien, China und Iran. 52 Musiker aus 18 Ländern waren an diesem Projekt ohne Grenzen beteiligt, haben sich mit der Musik fremder Kulturen und den musizierenden Menschen ausgetauscht und neue, vertraut-fremde Stücke geschaffen. In diesen treffen die Gesangsstile der Ureinwohner Lapplands, aus Tibet und der Mongolei zusammen, oder es spielen Hardangerfiedel, indische Sarangi, die persische Zither Kanun und andere Instrumente gemeinsam für norwegischen und thailändischen Gesang auf.

Auf dem Album gibt es nur wenige so naheliegende Kombinationen wie in „Havar Heddi“, für das die vier Musiker ein Stelldichein von Maultrommel und Hardangerfiedel mit Bass, Harmonium, Gitarre und Tin-Whistle geben, oder in „Gamlestev“, bei dem die Stimmen von Kirsten Bråten Berg und Masha Vahdat (Iran) nur vom Flötisten Jonas Simonson begleitet wird. Meist werden die Gesangsstile mehrerer Länder mit unterschiedlichen Perkussionsarten und Instrumenten aus vieler Herren Länder gemischt. Das Ergebnis ist immer wieder überraschend – und wirkt trotz der eigenwilligen Paarungen wie natürlich gewachsen. Und das nicht nur deshalb, weil in einem Stück verwandte Instrumente wie das persische Hackbrett Santur und die von ihm abstammende thailändische Khim versammelt sind.

„Music Without Borders“ ist ein herausragendes Weltmusikalbum: weil das weltumspannende Konzept verfängt und zu einem neuen Hörerlebnis führt, weil es traditionelle Lieder in eine neue Zeit bringt und weil es über das Genre hinaus weist. Und das ganz ohne Ausflüge in Klassik, Jazz oder elektronische Musik. Man kann sich auch so gut vorstellen, dass Sequenzen wie der vokale Schlusspunkt des Tanzlieds „Nils, Jens und Geidaug“ die Beine in heute angesagten Tanzschuppen in Bewegung bringen könnte.

Dead Brothers „Angst“

Struwwelpeterschauerliche Mischung

Die Lage der Nation ist eine Steilvorlage für die Dead Brothers. Obwohl die Statistiker in vielen Bereichen einen Aufwärtstrend feststellen und die Müllhalden ungebrochen wohlfahrtsstaatsmäßig anwachsen, ist Angst das bestimmende Lebensgefühl weiter Kreise. Das ist nicht nur ein guter Nährboden für Populisten, sondern auch für die Dead Brothers.
Die Genfer Gruppe ist mit ihrem achten Album unterwegs und sammelt diejenigen Moribunden ein, die den Untergang fröhlich zelebrieren möchten. Die Sensen der Schnitter-Brüder hören auf die Namen Tuba, Gitarre, Violine, Trommel, Akkordeon und Dudelsack. Und – natürlich – den Gesang lieben sie auch.

Dass die Dead Brothers musikalische Einflüsse ohne Stand und Ansehen mitnehmen und mit punkiger Attitüde so vermengen, dass man ihre Herkunft nicht mehr sicher heraushören kann, ist ein Grundprinzip. Da klingt der Auftakt eines Songs mal vage kubanisch oder nach Rembetiko, nur um bereits nach wenigen Takten schnöde mit einer anderen Spielart übertüncht zu werden. Mal klingt Balkanmusik an, mal scheinen die Dead Brothers von dem Lied „Wir sind die Moorsoldaten“ inspirieren worden zu sein. Und dass sie sich der heimischen Volksmusiktradition annehmen, ist typisch für die Dead Brothers und wird hier wiederum so vergnüglich wie originell inszeniert: Auf die Idee, beim Appenzeller Naturjodel die Stimmen nur schwer vernehmbar in den Hintergrund zu schieben, muss man erst einmal kommen.
Das klingt wie Theatermusik, und das ist kein Wunder, sind sie doch auf Theaterbühnen gerne gesehene Akteure, wie die Vertonung des Robert-Walser-Gedichts „Angst“ für eine Inszenierung am Stadttheater Hannover zeigt. Anders als Heinz Holliger, der es hoch artifiziell vertont hat (vor 20 Jahren in seinem Projekt „Beiseit“), bringen die Dead Brothers eine standesgemäße Struwwelpeter-Variante.

Die Dead Brothers schwingen die Sense nicht immer treffsicher. Doch selbst wenn sie dann wie eine weniger eloquente, ländliche Kopie des frühen Tom Waits klingen, sind sie immer noch vergnüglich.

Offizielle Homepage der Dead Brothers

(Foto: Voodoo Rhythm)