Kategorie: Live – Musik spüren

Mokoomba, 12.02.2017, Moods, Zürich (CH)

Mit den ersten Takten machen Mokoomba alles klar: Ein paar schmissige Töne auf der nylonbesaiteten Gitarre, ein melodiöses Bassfundament und eine durchdringend helle Stimme formieren sich zu einem flotten Song. Man versteht auch ohne die kesse Sohle, die Trustworth Samende, Abundance Mutori und Mathias Muzaza dazu aufs Parkett legen, dass nichts anderes als das reine Vergnügen auf dem Programm des Sextetts aus Simbabwe steht. Das kommt gut an. Vorsänger Muzaza verzichtet auf Erklärungen zu Herkunft, Musik und Besonderheiten der Band, der nicht weniger als Simbabwes musikalische Zukunft zu gehören scheint. Die Band bleibt beim nichts als Fröhlichkeit zelebrierenden Afropop.

In der Mitte des Konzerts kommt es zum wohlkalkulierten Bruch – mit „Nyaradzo“, einem Song im südafrikanischen Mbube-Stil, der vor allem durch Ladysmith Black Mambazo bekannt wurde. Selbst wenn das Sextett nicht über die geschmeidigen Stimme der Südafrikaner verfügt, verfehlt das Stück seine Wirkung nicht.
Und bevor Mokoomba wieder in ihren Afro-Pop-Mix verfallen, zeigen sie mit einer weiteren kleinen Einlage, mit wie wenig man exzellent unterhalten kann. Fünf Musiker sorgen für den Rhythmus, indem sie Schlagzeugstöcke gegeneinander schlagen, und Mathias Muzaza wechselt von seiner hohen, durchdringenden Stimme immer wieder in die tiefen Lagen, wo sie durch eine Art Kehlkopfgesang wie elektronisch verfremdet klingt. Ob er in seiner Muttersprache Tonga oder einer anderen Landessprache singt, ob er Wortbruchstücke aneinanderreiht oder beliebige Laute scattet, bleibt offen. Doch das kaum enden wollende Stück, in dem er erst seine Mitspieler und danach das Publikum dazu auffordert, ein paar Tanzfiguren zu zeigen, ist gleichermaßen von angenehmer Redundanz und abwechslungsreich.

Danach schüttelt Trustworth Samende, dessen Gitarre man gerne öfter solistisch hören würde, wieder seine meist aufgeweckten Melodien aus dem Ärmel, zu denen Abundance Mutori seine Finger behände über die Basssaiten wandern lässt. Die Rhythmus-Sektion – Miti Mugande an den Congas, Ndaba Coster an Kalebasse und Snare-Drum sowie der gemeinsam mit Trustworth Samende als Komponist zeichnnende Donald Moyo an der Cajón – hält den Takt; und alle zelebrieren wieder den eingängigen mehrstimmigen, einschmeichelnden Gesang, der die helle Stimme Muzazas anheimelnd kontrastiert. Das ist ein schöner, aber letztlich doch ein bisschen zu berechenbarer Sonntagsausklang.

Manu Delago, 15.12.2016, Spielboden, Dornbirn (A)

Wollte sich Manu Delago mit seiner Ansage schützen oder selbstbewusst darauf hinweisen, was sein Live-Trio leisten kann? So oder so, bereits beim Hinweis darauf, dass man nur drei Tage Zeit gehabt habe, das neue Material einzustudieren, war klar, dass er als Sieger vom Platz gehen würde. Klappt nicht alles perfekt, sind die Mängel zumindest notdürftig entschuldigt, andernfalls werden sie als Helden gefeiert. Zumindest handwerklich waren keine groben Schnitzer zu erkennen. Zwar hätten die Bässe eine Spur geringfügiger wummern dürfen, aber selbst heiklere Stellen wie das abrupte Ende hat das Trio auf den Punkt gespielt.
Das ist schön, aber erst die halbe Miete – und von der anderen Hälfte ist Manu Delago
doch ein wenig schuldig geblieben. Dabei hat es nicht an Material und Abwechslung gemangelt. Elektronisches Schlagzeug und Kesselpauke, ein wohl selbstgebautes Streichinstrument, Geige und elektronische Kinkerlitzchen sollen nicht nur Abwechslung bringen, sondern Delagos Kompositionen zu energisch-düsteren Gebilden aufbauschen. Das ist – so interessant das Hang ist und so versiert er es einsetzt – mit seinem Hauptinstrument nicht möglich. Das zwar metallisch klare, aber doch weich klingende Hang, ist nicht für abgründige Klänge geschaffen. Doch so schafft er es mitunter mühelos, Tricky-düstere Stimmung hervorzurufen oder seine Songs zum beinahe-apokalyptischen Grollen aufzubauschen. Manu Delago beschränkt sich auf simple, redundante Melodien und Kompositionen, die sich allmählich entwickeln. Doch immer wieder verfällt er in bekannte Muster, fehlen an diesem Abend suggestive Kraft und Originalität.
Aber Manu Delago und seine Partner Isa Kurz (Piano, Geige, Gesang) und Chris Norz (Schlagzeug, Pauke) bleiben noch zwei Monate, die Längen zu poetisieren oder die Berg- und Talfahrt zu dramatisieren, bis der Ernst der Tournee beginnt. Bei der Testklausur sind sie schon mal anständig durchgekommen – zum ’summa cum laude‘ ist noch ein gutes Wegstück zu überwinden.

Sarajane, 7.11.2016, Knust, Hamburg,

viewSarajane ist eine illustre Persönlichkeit. Geboren in den Achtzigern, als Kind einer deutschen Mutter und eines englischen Vaters in der niedersächsischen Provinz, lebt sie seit einigen Jahren in Hamburg. Dies und mehr aus ihrem bewegten Leben als Sängerin erfährt das Publikum bei einem Konzert in ihrem Wohnzimmer, dem Hamburger Club „Knust“. Der verströmt den Charme einer renovierungsbedürftigen Garage, was erst mal so gar nicht zum exaltierten Auftritt Sarajanes passen will.
In ein Superwoman-Superminikleid-Glitzerdress mit entsprechendem Mantel gewandet, tritt sie vor ihr Publikum, das sie wie eine alte Bekannte begrüßt. Auf der Bühne des nicht ganz gefüllten Clubs umringt sie die neunköpfige Band, bestehend aus vier Bläsern, zwei Backgroundsängerinnen, Schlagzeug, Gitarre, Bass. Es ist ein kalter, grauer Montagabend, aber Sarajane lässt sich nicht beirren und startet engagiert. Ihre Band ist eingespielt und spielfreudig, schon nach den ersten Takten schnurrt die Musikmaschine. Mit Anleihen bei klassischem Soul und R’n’B sowie mit einer guten Backing-Band kann man eigentlich kaum etwas falsch machen. Doch damit drängt sich der Vergleich mit all den anderen Soul-Sängerinnen der Szene auf. Natürlich würde sie dies, die sich auf ihrer Website selbst nur halbironisch als „unvergleichlich“ bezeichnet, weit von sich weisen. Die musikalischen Pfade, auf denen Sarajane und ihre Band wandeln, gleichen jedoch eher einem Highway, der von recht vielen musikalisch betreten wird. Daher muss sie, möchte sie tiefere Spuren hinterlassen, stärkere eigene kompositorische Akzente setzen. Fähig dazu ist sie, denn ein Titel wie beispielsweise „Carousel“, von ihrer bislang ersten und einzigen CD „First Step“ (2015), hat durchaus das Zeug, sich in den Gehörgängen festzusetzen. Ansonsten gab es viele Titel aus diesem Album, druckvoll gespielte und stimmgewaltig dargebotene Mid- und Uptempo-Songs, charmante Moderationen zwischen den Stücken und allenthalben gut gelaunte Gesichter.
Selbst wenn Sarajane der letzte Schliff als Sängerin und Komponisten noch fehlt: Sie ist eine gute Entertainerin. Sie will unterhalten – und kann das auch ganz gut, obwohl nicht jeder Titel vollständig zündet, manche Idee verpufft und Sarajanes Einlagen am Keyboard bisweilen nicht ganz zwingend wirken. Auf jeden Fall hat sie Persönlichkeit.
Sarajane hat durchaus Macherqualitäten, denn ihre Musik erscheint auf ihrem eigenen Label. Unabhängigkeit scheint ihr wichtig zu sein. Denn wie sie dem Publikum erzählt, wollte man sie eigentlich in Richtung deutschsprachigen Pop leiten. Sie möchte aber, ganz Herrscherin über ihre künstlerische Biographie, die Kontrolle behalten. Jetzt singt sie ihre eigenen Texte akzentfrei englisch, wechselt etwas maniriert zwischen deutscher und englischer Conference hin und her und präsentiert sich durchaus mit einer Prise Ironie und Charme. Das kommt an, man kennt und schätzt sich, selbst das eine oder andere Tanzbein wird geschwungen. Nach zwei Stunden inklusive Zugabe geht es wieder hinaus in den kalten Herbst. In der Zwischenzeit haben die Fußballfreunde in der zum Club gehörenden Kneipe erneut erleben müssen, wie der benachbarte FC St. Pauli wiederum in letzter Minute eine Partie abgeschenkt hat, wie es im Fußallreporter-Stil so schön heißt. Sarajanes Auftritt hingegen war ein gewonnenes Heimspiel. Drei Punkte!

Kala Jula – Samba Diabaté & Vincent Zanetti, Museum Rietberg, Zürich (CH)

diabate_zanetti-5481Sie seien schon eine kuriose Gruppe, witzelt Vincent Zanetti, ein Westafrikaner, der jeden Tag Django Reinhardt spielt, und ein Weißer an afrikanischen Instrumenten. Das kommt nicht von ungefähr. Samba Diabaté ist nicht nur in eine malische Griot-Familie geboren und daher mit Musik aufgewachsen. Er findet in seiner Heimat, in der sich eine eigene Spielart zwischen Tradition und Moderne entwickelt hat, ein inspirierendes Umfeld. Der Walliser Vincent Zanetti wiederum, von einem malischen Clan schon vor dreißig Jahren ‚adoptiert‘, ist tief in die Kultur und Musik des Landes eingetaucht.

Obwohl die ruhigen Töne dominieren, wird es ein lebendiger Abend. Im Vordergrund stehen die Gitarren des Duos. Vincent Zanetti legt mit charmantem Fingerpicking die Grundlage, über der Samba Diabaté mit flinken Fingern seine Melodien zelebriert. Anfangs etwas angespannt (und von der Kälte des unfreundlichen Sommerabends gepiesackt) wechselt er bald behende zwischen für die malische Gitarrenmusik typischen gelassen fließenden Passagen und eloquenten, jazzigen Läufen, die er mit vielen Trillern verziert.
Mit der Zena – einer Anverwandten der Kora, von der es weltweit keine Handvoll Exemplare gibt – und der Langhalslaute Ngoni bringt das Duo weitere Klangfarben in das durchweg ruhige und auf Dauer auch etwas gleichförmige Spiel.

Für Dynamik sorgen weniger die Variationen von Lautstärke und Geschwindigkeit, sondern die Erklärungen und Erzählungen von Vincent Zanetti, der nicht nur den Hintergrund der Stücke erläutert, sondern damit auch charmant und humorvoll ein wenig malische Gesellschaftskunde vermittelt. Erst gegen Ende des Konzerts greift er zur Djembé und zeigt mit seiner furiosen Begleitung, was ihm vor 30 Jahren die Achtung ’seiner‘ afrikanischen Familie eingebracht hat. Mit dem aufpeitschenden Abschied, für den es zu Recht frenetisch bejubelt wird, verweist das Duo aber auch auf die insgesamt fehlende Dynamik des ganzen Sets – ein kleiner Wermutstropfen, den Samba Diabaté und Vincent Zanetti mit ihrem energiegeladenen Finale aber fast vergessen machen konnten.

Homepage von Kala Jula

(Foto: TheNoise)

Imarhan, 27.5.2016, Palace, St. Gallen (CH)

Imarhan-4905Die Bekleidung der Tuareg – das weite, knöchellange Gewand und der in der Art eines Turbans gewickelten Gesichtsschleier – ist zweifellos prächtig und weckt bei vielen das Gefühl von 1000 und einer Nacht, von der Freiheit des nomadischen Lebens und vielleicht auch von Abenteuer. Auf der Bühne ist das vermeintliche Zeichen von Authentizität eigentlich nicht mehr als ein stimmungsvolles und daher keineswegs zwingend notwendiges Accessoire. Trotzdem präsentieren sich (nord)afrikanische Gruppen ebenso gerne folkloristisch wie bayerische Volksmusikgruppen. Daher ist es überaus angenehm, dass Imarhan mit dieser Regel – von einer kleinen Ausnahme abgesehen – brechen. Sie gehen im Outfit des Durchschnittsmenschen auf die Bühne, um ihre Musik sprechen zu lassen.
Bei den forcierten, etwas schnelleren Stücken geht das wenigstens halbwegs gut. Doch sobald das Quintett die Zügel anzieht, zerstört die zu hoch ausgesteuerte Rhythmus-Sektion jeglichen Versuch des gefühlvollen Spiels. Dann stört es noch viel mehr, dass der Bass übersteuert ist und dass jeder Schlag auf die Kalebasse wirkt, als ob man in Plastiktonne sitzt, die mit dem Schlegel bearbeitet wird.
Die Rechnung von Imarhan, die Musik für den Tanzboden einfach ein wenig knalliger zu machen, geht nicht auf. Denn dabei bleiben nicht nur die verhaltenen Stücke auf der Strecke. Auch den anderen wird der eigene Charakter abgeschliffen, übrig bleibt bloß noch eine durchschnittliche Tuareg-Band. Dafür hätten die Algerier nicht auf Folklore verzichten müssen – und wären immerhin prächtig anzusehen gewesen.

((Foto: TheNoise))

Marc Ribot, 7.5.2016, Spielboden, Dornbirn (A)

Marc Ribot-4028Marc Ribot wirkt wie ein Keith Jarrett an der Gitarre. Den Kopf auf den Korpus gepresst, scheint er völlig entrückt. Sein Instrument umklammert er wie einer, der die Karikatur eines Gitarristen abgeben will. Als ob er in seiner eigenen Welt lebte, spult er lange seine verschroben-dissonanten Läufe ab, schabt in kindlicher Ernsthaftigkeit mit dem Luftballon über die Saiten und lässt den angeleckten Daumen über den Korpus quietschen, bevor er sich das erste Mal mit einem kurzen Kommentar ans Publikum wendet. Die sparsame Kommunikation ist kein Zeichen einer Verweigerungshaltung, sondern eines seiner Konzentration.
Längst sind wir gewöhnt, dass die Gitarre mit Bogen gespielt und mit Dingen traktiert wird, die nicht zum Musikmachen gedacht sind. Marc Ribot setzt einen zweiten Steg hinter das Schallloch oder klemmt eine Nagelfeile zwischen die Saiten. Das ist manchmal effektvoll, zum Staunen bringt jedoch eher die Frage, ob tatsächlich Anklänge an „As Time Goes Bye“ oder „Somewhere Over The Rainbow“ herauszuhören waren, oder ob das nicht vielmehr am haluzinogenen Spiel Ribots liegt.
Die Stücke, die Ribot gewählt hat, sind keineswegs so simpel, wie sie mitunter wirken. Er zeigt sich immer wieder raffiniert, wenn er beispielsweise gleichzeitig mit dem Plektron anschlägt und mit den freien Fingern zupft, lässt aber oft die Saiten achtloser schnarren als notwendig. Stil ist alles und Perfektion überbewertet, teilt er mit dem rustikalen Fingertapping mit, und wenn der Luftballon vor der Zeit platzt, so ist das auch nicht weiter tragisch. Der Abend ist ein besonderes Wechselbad, aber nicht zwischen gut und schlecht, sondern zwischen anheimelnd melodiös und zwanglos avantgardistisch.
Marc Ribot wandert wie gewohnt zwischen Jazz, Neuer und populärer Musik, bringt Stücke von John Zorn und seinem einstigen Lehrer Frantz Casséus, dessen Kompositionen prototypisch Sperrigkeit und Melodiosität vereinen, die auch Ribots Werk ausmacht.

Bisherige Rezensionen zu Marc Ribot auf schallplattenmann.de

Offizielle Homepage von Marc Ribot

(Foto: TheNoise)

Trio Da Kali, 9.4.2016, Spielboden, Dornbirn (A)

Trio_Da_Kali-3821Bereits nach wenigen Takten fühle ich mich nach Ségou in Mali versetzt – einer der entspanntesten Orte, an denen ich jemals gewesen bin. Draußen flirrt die Hitze, im schattigen Innenhof legt sich die zwischen träge und gemütlich plätschernde Musik wie ein kühlender Kokon um die matt plaudernde Gesellschaft. Es ist keine aufgeregte Feststimmung, die das Trio Da Kali verbreitet, nichts erinnert an eine ausgelassene Hochzeitsgesellschaft oder an die aufgekratzten Besucher eines Dorffestes, zu denen der angesehenste Griot der Region in oft suggestiv-monotonem Singsang die Genealogie der Gemeinschaft repetiert und die hohen Würdenträger preist.

Auch das Trio Da Kali beruft sich auf die Herkunft seiner Mitglieder – allesamt entstammen sie Griot-Familien. Und Sängerin Hawa Kasse Mady Diabaté, Tochter des mit der Gruppe Afrocubism Grammy-nominierten Sängers Kasse Mady Diabaté, soll ihr Geld nach wie vor überwiegend mit Auftritten auf Hochzeiten verdienen. Für den Balafon-Spieler Lassana Diabaté ist das nicht mehr denkbar. Er spielte neben Afrocubism in Toumani Diabatés Symmetric Orchestra und tourt mit verschiedenen Formationen durch die Welt.

Als Abkömmlinge von Griots möchte das Trio Da Kali die Tradition erhalten und weitergeben. Ihr Verhältnis dazu erklären sie nicht, aber es wird in ihrer Musik deutlich. Das Trio Da Kali strebt ganz offensichtlich nicht danach, die Asche zu hüten. Sie wollen das Feuer weitergeben und verschließen sich keineswegs modernen Einflüssen. Das erstaunt nicht. Denn Lassana Diabaté und Mamadou Kouyaté spielen seit Jahren in innovativen, modernen Gruppen.

Der gleichermaßen gefühlvolle wie virtuose Lassana Diabaté begeistert immer wieder mit jazzigen Einwürfen. Und der Hinweis, dass die von Mamadou Kouyaté gespielte Kurzhalslaute Ngoni seit fast zweitausend Jahren gespielt wird, verdeckt die zeitgenössische Komponente. Die Bass-Ngoni, die er spielt, ist eine noch recht junge Weiterentwicklung seines Vaters Basseko Kouyaté. Demnach hat sie in konservativ-traditioneller Musik gar keinen Platz. Mamadou Kouyaté gelingt es jedoch nicht, sich prägend einzubringen. Oft spielt er die Melodielinie eine Oktave tiefer, gelegentlich lässt er in Rock-Manier die Saiten gegen das Griffbrett schnalzen, und in seinen Soli variiert er meist nur seine Begleitung.

Die meisten Stücke des Trios haben den Charakter von Wiegenliedern. Sie sind jedoch oft rhythmisch reizvoll und daher alles andere als einschläfernd. Daher wäre es gar nicht notwendig, den Auftritt mit einem Mitsing-Spiel zu beenden – das noch dazu das Publikum mit einer einfältigen Ohrwurm-Melodie nach Hause schickt, die die anheimelnde Stimmung völlig übertüncht.

(Foto: TheNoise)

The Jon Spencer Blues Explosion, 4.3.2016, Rote Fabrik, Zürich (CH)

DSC_3242„Ladies and gentlemen, the Blues Explosion“, verkündet Jon Spencer wiederholt zwischen
den Stücken. Obwohl er sicher sein kann, dass jeder im Saal weiß, wer hier den Bulldozer mit veredeltem Trash durch die Menge schiebt, gibt er den altmodischen Entertainer. Das ist durchaus passend zu einer Musik, die bereits aus der Zeit gefallen scheint. Doch vielleicht zeigt gerade das, wie zeitlos The Jon Spencer Blues Explosion ist. Und auch wenn die Besetzung – zwei Gitarren und Schlagzeug – längst nicht mehr neu ist, fragt man sich einmal mehr, wofür andere Trios einen Bassisten brauchen.

The Jon Spencer Blues Explosion stehen kompakt auf der Bühne und lassen einen guten Teil
der Fläche ungenutzt – fast so, als ob sie sich spüren müssten. Tatsächlich scheinen sie
sich praktisch blind zu verstehen. Doch der gedrängte Aufbau versinnbildlicht, dass bei JSBE
nichts ausfranzt, dass die Songs ungemein dicht sind und straight ins Publikum gerotzt
werden. JSBE prügeln unerbittlich mit dem Rockbrett, knurren den Blues, zitieren
Sprechgesang und zeigen in einer ganz kurzen Anspielung, dass sie auch schon atonaler unterwegs waren als jetzt.
Das alles kommt wie eh und je direkt aus der Gosse – ramschige Fundstücke, die Jon Spencer, Judah Bauer und Russell Simins neu sortieren, zu Edeltrash aufhübschen und wuchtig in die Welt hinausdonnern. Im Hintergrund flimmern Filmausschnitte mit Aliens, Zombies und Dracula, tanzen Gogo-Girls und schüttelt ein Skelett rhythmisch seine Knochen. Auch das ist von gestern
– und verfehlt seine Wirkung trotzdem nicht. Es fügt sich stimmig in die ‚anything goes‘-Haltung, die JSBE mit ihrer Musik zelebrieren.

Bisherige Rezensionen zu The Jon Spencer Blues Explosion auf schallplattenmann.de

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(Foto: TheNoise)

Die Nerven, 26.02.2016, Palace, St. Gallen (CH)

DSC_2988Die Bassdrum knochentrocken, hart und düster die Gitarre, einzig der Bass sorgt immer wieder für einen schummrig warmen Lichtstrahl in der Finsternis. Die Nerven präsentieren sich wie ein Schwarzweißbild, das Anton Corbijn in einem heruntergekommenen Londoner Vorort geschossen hat – grobkörnig, verwischt und trotzdem eigenartig deutlich.
Das Trio reiht seine Stücke fast nahtlos aneinander und entwickelt so einen mitreißenden Sog. Der bleibt jedoch auch dann gut akzentuiert, wenn Die Nerven ihre brachialen Klänge zu einem fürchterlichen Grollen ausbauen, das wie ein Soundtrack zu einem Endzeitfilm wirkt.

Es ist zwar weder neu, die Songs Live wesentlich härter zu bringen als auf dem Album, noch sind die Nerven die Ersten, die einen Auftritt mit Rückkoppelungs-Gewitter beenden. Das bleibt, obwohl sie es etwas überdehnen, trotzdem gewaltig. Dass das Gegenstück – die Musik zum ‚piano pianissimo‘ auf das leise Surren aus den Lautsprechern zu reduzieren – nicht funktioniert, ist hingegen nicht der Band anzulasten. Denn obwohl Sänger und Gitarrist Max Rieger mit eindeutigen Gesten um Stille bittet – zerredet das Publikum die Sequenz, die ein magischer Moment hätte werden können.

Bisherige Rezensionen zu Die Nerven

Offizielle Homepage von Die Nerven und die nächsten Auftritte

(Foto: TheNoise)

Madame Baheux, 13.11.2015, Spielboden, Dornbirn (A)

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Drei der fünf Musikerinnen von Madame Baheux repräsentieren den neuen österreichischen Vielvölkerstaat, dessen Bewohner traditionellerweise aus den Balkanstaaten kommen. Dank ihnen schreiben Madame Baheux die heimatlichen Folklore mit ihren eigenen Mitteln fort – und diese sind durchaus stattlich. Denn in der Gruppe treffen nicht nur unterschiedliche Charaktere aufeinander, sondern auch musikalische Expertise und Erfahrung.
Schon der Name der Gruppe signalisiert, dass sich die Musikerinnen nicht nur damenhaft benehmen, sondern auch einen ganz schönen Wirbel (Wienerisch: Bahö) veranstalten können. Trotzdem braucht das Quintett eine ganze Weile, um auf Touren zu kommen. Dass die erst akademisch klingende Balkan-Hausmannskost mit jazzigen Zutaten dann doch noch mitreißend wird, liegt vor allem an der Sängerin und Violinistin Jelena Popržan. Diese führt nicht nur eigenwillig durch das Programm und begeistert besonders, wenn sie im Stil der bulgarischen Vokaltradition singt und wie beim Jodeln zwischen Brust- und Falsettstimme wechselt.
Madame Baheux interpretieren ihre Volksmusik nicht nur auf ihre eigene Art, diese ist auch der Ausgangspunkt zu eigenen Stücken. Und um ihren Integrationsgrad zu beweisen, wie Jelena Popržan einem Stück verschmitzt vorwegschickt, singen sie beispielsweise auch ein Lied in einem Wiener Fantasiedialekt. Dass dieser naturgemäß kaum zu verstehen ist, tut dem Vergnügen keinen Abbruch. Dieses wird sogar noch gesteigert, weil sie unüberhörbar die ausländerfeindliche Politik aufs Korn nehmen. So glänzen sie immer wieder mit der Verve, die man bei manchen, etwas verkopft erscheinenden Stücken vermisst. Andererseits: Humpta-Balkanbands gibt es ohnehin schon genügend.

Offizielle Homepage von Madame Baheux

(Foto: TheNoise)