Kategorie: Neu erschienen

Thomas Gansch/Georg Breinschmid „Gansch & Breinschmid Live“

Gansch/Breinschmid [rating=4] Thomas Gansch und Georg Breinschmid zeigen sich von ihrer besten Seite.

Ihre Moderationen seien so schlecht, kommentieren die beiden Musiker, dass ihnen vom Österreichischen Fernsehen bald eine Talkshow angeboten werde. Auch wenn sie das lustig meinen und auch einige durchaus gelungene Gags anbringen – weit daneben liegen sie nicht. Einmal mehr mit österreichischen Stereotypen wie dem Tod und der Verbeamtung zu kokettieren, ist nur mäßig originell. Doch Humor ist zu einem guten Teil Geschmackssache, und die Gstanzl – mit denen sie über die phlegmatisch-pragmatisierten Orchestermusiker herziehen – bringen sie durchaus verschmitzt und mit Verve.

Doch auch wer den Humor der beiden Musiker nur streckenweise teilt, kann sich für die eloquente Mischung aus Klassik, Jazz und Pop begeistern. Da trifft Johann Strauss erst auf Charlie Parker und später auf die Beatles, mit eigenen Stücken zeigen sie sich nicht nur als Kenner der jüngeren Pop-Geschichte („Kurt“ zitiert Nirvanas „Come As You Are“), sondern auch als launige Liedermacher und mit „Der Tod“ geben die beiden Virtuosen ihrem Programm gar eine kabarettistische Note.

Zwei Instrumente, viele Töne – und letztlich doch auch ziemlich viel Witz: Mit ihrem unmittelbar vor dem prognostizierten Weltende im Dezember 2012 aufgenommenen „The End“ zeigen sich Thomas Gansch und Georg Breinschmid von ihrer besten Seite.

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Offizielle Homepage von Thomas Gansch

(Foto: Jaro)

Georg Ringsgwandl „Mehr Glanz!“

Georg Ringsgwandl [rating=2] Die Kurve bleibt flach, wenige Ausreißer nach oben

»Rauchen ohne Nikotin, Pommes ohne Kalorien/Kaffee ohne Coffein, Fixer ohne Heroin/Arbeit ohne Plackerei/Zahnweh ohne Schmerz/Streiten ohne Schlägerei, Liebe ohne Herz«: Unser Leben mag immer angenehmer, bequemer und gesünder werden – die Lebenslust bleibt auf der Strecke, mahnt Georg Ringsgwandl. Und wie immer, wenn der bayerische Liedermacher Alltägliches kommentiert, ist das auch auf „Mehr Glanz!“ überwiegend amüsant.

Ringsgwandl singt über die Kehrseite des Showbusiness, macht sich über den Liebhaber einer Freundin lustig aber er hält auch sentimentale Rückschau. Doch es sind eher kleine Feuerwerke, die er auf seinem neuen Album abbrennt. Einzig „Schmeiß den Typen raus“ bietet die volle Packung Wortwitz und Bösartigkeit, die Ringsgwandl so unnachahmlich beherrscht.

Musikalisch bleibt Georg Ringsgwandl im vertrauten R&B-Terrain, das er mit Kumpanen beackert auf die er sich verlassen kann. Daniel Stelter prägt die Stücke mit einer überwiegend treibenden Gitarre. Er spielt durchweg akzentuiert, mitunter atmosphärisch und gelegentlich funky. Dann steht er auch mal schützend vor dem Herrn und bügelt dessen Schwächen aus.

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(Foto: Blanko Musik)

Ane Brun „Songs 2003–2013“

Ane Brun "Songs 2003–2013"

Ane Brun [rating=3] Umfangreiche Retrospektive.

Skandinavien: Region der Serienmörder, des Smörrebröds, der Sommersonnenwende und der sanften Sängerinnen. Stille Wasser, so klar und tief wie ein Fjord in Norwegen. Und genau daher stammt die Singer/Songwriterin Ane Brun, die in Stockholm lebt und arbeitet.

2003 erschien ihr erstes Album „Spending Time with Morgan“. Zehn Jahre und acht in Deutschland eher unbeachtete Alben später erschien kürzlich ihre retrospektive Doppel-CD, die mit 32 (!) Songs kaum Wünsche offen lässt. Darauf findet sich alte und neue Lieder, Remixes, Live-Aufnahmen, Unveröffentlichtes oder Cover-Versionen wie „Big in Japan“ von Alphaville, oder „True Colors“ von Cyndi Lauper. Herausragend: Das im Duett mit Peter Gabriel eindringlich und intensiv gesungene „Don’t give up“, das sich hinter dem Original von Gabriel und Kate Bush nicht nur nicht verstecken muss, sondern dem leicht am Kitsch kratzenden Song eine ganz eigene, neue Qualität verleiht.

Auch wenn Brun häufig in der „Indie-Folk“-Ecke steht, wird man ihrem Schaffen dadurch nicht ganz gerecht. Ihre ausdrucksstarke, klare Stimme könnte vermutlich auch das Telefonbuch der bekannten norwegischen Stadt Flekkefjord singend darbieten und sie würde bei den Zuhörern trotzdem Gänsehaut erzeugen.

Der geneigte Hörer kann ihre besondere Qualität bereits beim ersten Song der Sammlung „Humming one of your Songs“ überprüfen, das zum sparsamen Arrangement aus Bruns Akustikgitarre und Streichern melancholische Stimmung verbreitet. „My Lover will go“ hätte stimmlich dagegen fast das Zeug zum Soul-Song, wenn die Musik dazu weniger balladenhaft wäre. Der getragene Rhythmus, die  nachdenkliche Innenschau in die Psyche einer jungen Frau: Das ist in etwa der musikalische Kosmus von Bruns eigenen Kompositionen, die stets geschmackvoll daher kommen. Doch sie kann auch anders, wie die Duette mit Ron Sexsmith und anderen zeigen, wo es schon mal fröhlicher im leicht trunkenen Takt unbefangen zur Sache geht. Mit dem „Treehouse Song“ oder „One“ zeigt sie eine weitere, fast schlagerhafte Facette ihres Wirkens.

„Songs 2003–2013“ bietet für Fans und Einsteiger gleichermaßen einen guten Überblick über Bruns Schaffen. Ein Tipp für alle, die Singer/Songwriterinnen und sanfte Klänge mögen. Passt gut zum kommenden Herbst, funktioniert aber auch an lauen Sommerabenden.

Offizielle Website von Ane Brun

 

Dawanggang „Wild Tune Stray Rhythm“

DaWangGang [rating=3] Widerborstige Weltmusik aus China.

Weltmusik aus China, aber keine Angst: Hier treten nicht farbenfroh gekleidete Künstler mit fürs internationale Pop-Publikum glatt gebürsteten ‚exotischen‘ Melodien aus dem Synthie und ‚lieblichen‘ Sängerinnen auf, hier erwartet den Hörer etwas wahrhaft Ungewohntes: eine widerborstige Mixtur aus diversen Saiteninstrumenten, Samples, Elektronik, Pferdekopfgeige, Maultrommel, Perkussion, Obertongesang und anderen Instrumenten. Das hört sich sonderbar an und das ist es auch, gleich wenn Titel wie „Meeting Two Wizzards on the Mountain Road“ mit ihrer ausgeprägten Metaphorik möglicherweise Klischees des alten China heraufbeschwören könnten. Zwar finden sich in der faszinierenden Klangmixtur, die Dawanggang heraufbeschwören natürlich Anklänge an die reiche Musiktradition Chinas oder der Mongolei, aber diese werden durchweg gegen den Strich gebürstet und mit europäischen Einflüssen aus Rock und Avantgarde gekreuzt.

Dawanggang ist ein chinesisch-europäisches Projekt des Multiinstrumentalisten Song Yuzhe. Der Titel des Albums greift einen Begriff der Pekingoper auf; wie uns die Website der Band informiert, handelt es sich dabei um eine Art „Katzenmusik“. Humor hat die Truppe also. Manchmal wirken die Titel jedoch etwas überambitioniert, die Musik zu angestrengt um Originalität und um die Vermengung von Modernität und Tradition bemüht. Gelegentlich beschleicht einen beim Hören das Gefühl, Anspielungen oder Zitate aus der europäischen Avantgarde- und Rockszene der vergangenen Jahrzehnte zu hören. Auch der Gesang kann bisweilen anstrengen, wie auch die Assoziationen zur Peking-Oper. Zum Nebenbeihören ist „Wild Tune Stray Rhythm“ wirklich nicht geeignet. Die fünf Musiker und ihre Gäste wollen die ganze Aufmerksamkeit. Können Sie haben, aber nicht allzu oft, denn dafür sind die erzeugten Klangwelten dann wieder zu ‚kunstvoll‘, obwohl Titel wie „Talking about Birds“ oder „For Children“ das nicht unbedingt nahe zulegen scheinen.

Im Gesamteindruck ergibt sich eine aufregende, wenn auch mitunter anstrengende Klangreise für die Ohren, während der Rest unserer Hülle bequem auf dem Sofa ruht und hin und wieder von den schrillen Klängen der Pferdekopfgeige aufgeschreckt wird. Gut so! Zu viel Ruhe ist auch der deutschen Eiche und dem deutschen Michel nicht bekömmlich und der Bambus biegt sich sowieso im geschmeidig im Wind.

Offizielle Website von Dawanggang
→ Dawanggang bei Soundcloud

(Bild: Jaro)

Baptist Generals „Jackleg Devotional to the Heart“

[amazon_image id=“B00C3JU4KM“ link=“true“ target=“_blank“ size=“medium“ class=“alignleft“]Baptist Generals „Jackleg Devotional to the Heart“[/amazon_image][rating=2] Sperriger Titel, sperrige Musik, seltsame Band.

The Baptist Generals sind eine sechsköpfige Band aus Denton, Texas, die seit 1998 existiert und in dieser Zeit neben zwei EPs 2003 eine CD auf dem Label Sub Pop veröffentlichten. Danach herrschte für zehn Jahre Funkstille. Das hört sich nach einer Band für Eingeweihte an – und genau das sind sie auch.

Das wird sich mit dem neuen Album nicht ändern, denn  „Jackleg Devotional to the Heart“ bietet jede Menge verschrobene Musik und dazu Texte, die alles andere als eingängig oder direkt sind. Fast könnte man von einem „Konzeptalbum“ sprechen, denn ‚des Tölpels Andacht ans Herz‘, wie der Albumtitel frei übersetzt lautet, handelt von der Liebe und ihren Irrungen und Wirrungen. Natürlich nicht in der handelsüblichen Weise von »Uh, I love you, baby«, eher schon in der Art von »You won’t answer my call« („Dog that bit you“). Aber keine Sorge: Flemmons und seine Truppe haben hintergründigen Humor und neigen deshalb nicht zum Selbstmitleid, sondern loten das Thema auf ihre eigene Art aus. Da nölt der Sänger, dass ’sie‘ genauso lügt wie seine Mutter oder dass er aus nicht aus dem Pub kann, weil keine Seife da ist und es erklingen mal folkige, mal rockige Töne, doch schon bei „Thunders and Overpasses“ oder „Broken Glass“ wird der Hörer für Augenblicke an Kraftwerks „Autobahn“ erinnert. Kein Wunder bei einer Truppe, die sich nicht alleine amerikanischem Folk-Rock, sondern ebenso dem Experiment verbunden fühlt und genauso über „3 Bromide“ singt wie über „Broken Glasses“.

Sofern möglich, wird’s beim zweiten Teil des Albums („Type B“ genannt) noch schräger. Der Folk macht Pause und filgrane Streicherarrangements treffen auf Geräusche. Konstant bleibt Flemmons nasale Stimme, die auf Dauer etwas anstrengend ist: Nein, dies ist definitv nicht die x-te Version einer ‚Indie-Rock-Band‘.

Hat sich das Warten also gelohnt? Wartete überhaupt jemand? Egal, wer Lust hat, mal etwas Unerwartetes zu hören (und Spaß daran, verrätselte Texte zu entschlüsseln), findet mit „Jacklegs Devotional to the Heart“ das Passende.

Offizielle Website der Baptist Generals

Album beim Label Sub Pop mit Klangbeispielen

Anouk „Sad Singalong Songs“

Anouk "Sad Singalong Songs"

Anouk [rating=4] Wie der Titel schon sagt: Traurige Lieder zum Mitsingen

Ich gebe zu, ich habe seit vielen Jahren eine morbide Schwäche für die große Trash-Veranstaltung, die allgemein unter dem Namen „Eurovision Song Contest“ bekannt ist. Jahr für Jahr kann ich mich der schaurig-schönen Faszination der bombastischen Knalleffekte, der gewagt-geschmacklosen Outfits und der missglückten Choreographien von mehrheitlich mindertalentierten One-Hit-Sternchen nicht entziehen. Praktisch: Mit der Musik braucht man sich üblicherweise nicht weiter zu beschäftigen: Da hört man schon vier Wochen nach dem Klamauk den Sieger-Titel  nur noch mit ganz viel Pech im Radio (von allen anderen ganz zu schweigen) …

Manchmal, aber wirklich nur manchmal, landen bei ESC aber auch Künstler, die da eigentlich nichts zu suchen haben. In der Regel gehen sie im allgemeinen Geschrei, Getanze, Gehupse und Popo-Gewackel unter. Mit der niederländischen Sängerin Anouk hätte zumindest ich niemals auf so einer Show-Veranstaltung gerechnet. Ihr überzeugender, aber schmuckloser Auftritt in Malmö landete zwar im vorderen Teil der Endabrechnung, wirkte aber mit seiner bescheidenen Zurückhaltung letzten Endes auf verlorenem Posten.

Anouk? Moment einmal: War das nicht diese blondgemähnte Powerfrau, die in den Neunzigern sich und allen anderen versprach niemandes Ehefrau („Nobody’s Wife“) zu sein? Well, das ist lange her. Mittlerweile ist Anouk zur echten Charaktersängerin gereift. Mit jedem Album entfernt sie sich ein Stück vom Rockröhren-Image, das weder zur vierfachen Mutter (und Ex-Ehefrau), noch zu ihren stimmlichen Möglichkeiten passt. Denn Anouk, die »beste Sängerin der Niederlande«, kann deutlich mehr als sich durch rockige und soulige Power-Nummern zu blöken.

Mit „Sad Singalong Songs“ legt sie nun ein Album vor auf dem man, wie der Titel schon suggeriert, schön traurige Lieder zum Mitsingen findet. Kleine, trübselige Ohrwürmer, die von Anouks samtig-weichem, dunklen Timbre veredelt werden: Schicksalhafte Momente im Leben einer Frau, in ehrliche Worte gefasst und mit bittersüßen Melodien veredelt. Neben dem ESC-Song „Birds“ bestechen auch der Opener „The Rules“, „Pretending As Always“, „The Good Life“, „Kill“ und „I Don’t Know Nothing“, letzterer erinnert mich an die bezaubernde Carly Simon in ihren besten Zeiten.
Überhaupt ist es bemerkenswert, wie viel Mut zum Altmodischen, nein, zur Zeitlosigkeit Anouk und ihr Produktions- und Musikerteam auf dem Album bewiesen haben. Die aus Den Haag stammende Sängerin singt die Töne ganz einfach (und ganz lange) aus, keine Tricks, kein Auto-Tune, keine dramatisch-affektierten Endlos-Modulationen (sprich: kein Gejodel), keine rauchige Reibeisen-Stimme und keine Uptempo-Nummern fürs Radio, einfach nur Sad Singalong Songs.

Eine besondere Erwähnung verdienen die hinreißenden Arrangements für Streicher (und Chor), die Keyboarder und Co-Komponist Martin Gjerstad geschrieben hat und die das Album (neben Anouks Stimme) so hörenswert machen. Wie groß sein Anteil am Gesamtsound von „Sad Singalong Songs“ ist, kann man erahnen, wenn man feststellt, dass der einzige Song an dem er nicht mitschrieb, nämlich „Only A Mother“, auch gleichzeitig die einzig schwache Nummer auf diesem ansonsten wirklich bemerkenswerten Output ist. Insgesamt aber gilt: Ein Album zum Durchhören und Genießen.

Schallplattenmann-Leser können jetzt Anouks „Sad Singalong Songs“ gewinnen. Zwei Ausgaben des Albums stehen zur Verlosung bereit. Wie das geht, steht → hier.

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(Bild: MCS)

Red Baraat „Shruggy Ji“

Red Baraat [rating=3] vital und ausgelassen

Früher sorgte der Kolonialismus für den Kulturaustausch – zum Beispiel indem die Briten die Blasmusik nach Indien brachten. Das veränderte die nordindische Musikkultur, in der es längst üblich sein soll, die Braut am Hochzeitstag auf ihrem Weg zum Haus der Bräutigams mit fröhlich-treibender Blasmusik zu begleiten. Mit ihrer von der Baraat-Zeremonie inspirierten Spielart bringen Red Baarat die Blasmusik auf friedlichem Weg wieder zurück. Und obwohl es weder in ihrer Heimat, noch in Europa einen Mangel an quirligen Blasmusikgruppen gibt, wurde die Musik von Red Baraat begeistert aufgenommen.

Wie auf dem erste Album („Chaal Baby“, 2012) bringt die achtköpfige Band auch auf „Shruggy Ji“ fröhlich-schrille Tanzmusik, die sich mit ausgelassenen Marching-Bands ebenso locker messen kann wie mit furiosen Balkan-Bläsern. Die in New York beheimatete Gruppe um Dhol-Spieler Sunny Jain verschmilzt den vitalen Bhangra-Rhythmus mit Funk, Latin und Jazz, garniert mit ausgelassenen Gesängen und fetzigen Soli.

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(Foto: Jaro)

Treetop Flyers „The Mountain Moves“

Treetop Flyers [rating=2] Aus dem regnerischen London des Jahres 2013 ins sonnige Kalifornien des Jahres 1973.

Die Treetop-Flyers bitten zum musikalischen Rundflug über die sonnigen Gefilde Kaliforniens. Ihre kleine Sound-Maschine hat, man staune, die Qualitäten eines Star-Trek-Kreuzers und führt die Hörer per Zeitreise unvermittelt zurück in die späten sechziger und frühen siebziger Jahre.

„Things will change“ versprechen sie auf dem ersten Titel ihrer Debüt-CD, aber bereits nach den ersten Takten meint man, eine Art zellregenerierte Version von Crosby, Stills, Nash & Young zu hören. Immerhin, dem Stephen-Stills-Song „Treetop Flyer“ verdankt die Band den Namen. Sanfter Westcoast-Sound also, und warum auch nicht? Ob du aus Süd-London, wie die Band, oder Südkalifornien kommst, ist bekanntlich ’sowas von egal‘ – zumindest solange das Ergebnis stimmt. Und das tut es, auch wenn ältere Hörer immer wieder die Originale durchklingen hören. Die Jungen freut es, denn Spielchen wie ‚Finde das Vorbild‘ und ‚Finde den Unterschied‘ sind stets aktuell. Damit der Klang ganz authentisch wirkt, begab die Band sich nach Übersee ins amerikanische Studio. Angeblich flogen draußen die Adler vorbei, während drinnen die Songs eingespielt wurden.

So nett wie diese Anekdote ist das ganze Debüt der Band. Das ist handwerklich schon mal gut gemacht, aber die eigene Handschrift darf noch  deutlicher werden. Anders als bei den Vorbildern aus den ‚old days‘ fehlen nämlich hier und da noch Ecken und Kanten. Von Dämonen wird keiner geplagt: alles im grünen Bereich, sozusagen.

Weil es von düsteren Songs aber ohnehin genug gibt und der Sommer dieses Jahr wieder nicht in unsere Gefilde zu kommen plant, erscheint das Album der Treetop Flyers genau zur rechten Zeit. Und, nicht zu verachten: Der Harmoniegesang ist besser als bei CSN&Y, die Gitarren sind gut gestimmt und der Sound klar – die Jungs haben Potential. „Is it all worth it“, fragt der letzte Titel zweifelnd und wir antworten: „geht durch“. Und: das liebevoll gestaltete Cover ist ein kleiner Extrabonbon.

Offizielle Homepage von Treetop Flyers

Treetop Flyers „The Mountain Moves“ in voller Länge auf soundcloud.com streamen

Blockflöte des Todes – Ich habe heute Ananas gegessen

Blockflöte des Todes - Ananas[rating=2] Von der Lust und Qual, unreif zu sein

Dreijährige sagen gerne „Scheiße“ und andere tagtäglich von Erwachsenen verwendete Begriffe, die zumindest nach Ansicht der Erziehungsberechtigten zumindest für ihren Nachwuchs ziemlich ‚bäh‘ sind. Auch Matthias Schrei gibt sich, wenngleich auf dem Niveau eines Vierzehnjährigen, gerne infantil. Das ist nur manchmal lustig, und auch dann nur wenig. Brachte er auf seinem ersten Album „Wenn Blicke flöten könnten“, vergnügliche Nonsens-Texte und Ideen, die einen Song lang trugen, so wirken die Einfälle von Matthias Schrei auf dem neuen Album vor allem eines: bemüht. Das Ableben von Musikern zu thematisieren (»Jim Morrison hat uns gelehrt«, sing er, »wenn man sterben will ist eine Überdosis nicht verkehrt«), ist durchaus angebracht. Den Tod von einem witzigen Standpunkt aus zu betrachten, ist ebensowenig verkehrt. Doch Reime wie »Was könnte es Schöneres geben, als am Ende seines Lebens / nochmals Drogen zu nehmen und ein Groupie zu ficken und zur Krönung an der eigenen Kotze zu ersticken«, laufen als Provokationsversuch ins Leere. Das kann man heute gefahrlos im Radio spielen.

Bei solchen Texten macht Matthias Schrei auch nicht wett, dass er fluffig-flotte Popsongs ebenso eloquent bringt wie Rockiges und Easy Listening und bei der Mehrzahl der Songs alle Instrumente selbst eingespielt hat. Das ist vielversprechend – hören wir weiter, wenn er die spätpubertäre Phase abgeschlossen hat.

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(Foto: Revolver)

Socalled „Sleepover“

Socalled - Sleepover

Socalled [rating=3] Pralinenschachtel der Sorte ‚Wild-feiner Stilmix‘

»Das Leben ist wie eine Pralinenschachtel: Man weiß nie, was als Nächstes kommt«, so eine Lebensweisheit von Forrest Gumps Mutter. Hört man „Sleepover“, den neuesten Streich des Kanadiers Josh Dolgin aka Socalled, kommt einem die Maxime von Mama Gump automatisch in den Sinn. ‚Kindergeburtstag‘ wäre eine andere passende Assoziation. Bunt und kurzweilig wirken die Songs auf „Sleepover“, die Mr. Socalled teilweise schon länger im Repertoire führt.

Das Album ist bereits zwei Jahre alt, wurde aber erst jetzt hierzulande veröffentlicht. Da rappelt die Beatbox, Funk-Bläser fallen ein und Socalled und seine Freunde erzählen seltsame Geschichten. Der Titelsong handelt davon, dass ein Durchschnittstyp mit Hornbrille und Flanellpyjama nachts unsanft von einer Horde feierwütiger Puppen aus dem Schlaf gerissen wird. Die Folge: eine Hausparty der anderen Art.

„Unlvd“ klingt dagegen wie eine Art Hybrid-Version des 1970er- und 1980er Jahre Funk – Prince lässt grüßen. Kein Wunder, denn Fred Wesley, Boban Markovic, The Mighty Sparrow oder Roxanne Shanté spielen auch alle mit und bieten mit dieser Mischung den einen oder anderen Aha- und gleichzeitigen Verfremdungseffekt. Eine  Vorgehensweise, mit der auch Bands wie Animal Collective, das LCD Soundsystem oder Popstars wie Kanye West und Madonna stilistische Anleihen aus jeder Richtung beziehen.

Damit soll nicht Beliebigkeit oder Schielen nach dem Angesagten unterstellt werden, wohl aber programmatische Absicht. Eklektizistisch ist die passende Bezeichnung für diesen Mix aus schwarzer Tanzmusik, Balkan-Bläsern, französischen Rap-Einlagen, Soul, Elektro-Funk und als ‚Topping‘ schräger Humor: eine interessante Mischung bekannter Zutaten.

Josh Dolgin hat ein Händchen für Melodien, allerdings taugen seine Songs wegen des wilden Stilgemischs eher nicht zum Ohrwurm. Trotzdem setzen sich Melodiefragmente, Textzeilen, hier ein Klarinettensolo, dort eine Fiddle oder ein Funk-Bass beim wiederholten Hören immer fester in den Gehörgängen fest, bis man sich irgendwann erstaunt dabei ertappt, dass man eine seiner Melodien vergnügt vor sich hinbrummt, über „Gummi Bears“ sinniert oder den fröhlichen Rhythmus von „Sleepover“, der ein wenig an Bläser-Bands vom Balkan erinnert, in den zwei linken Beinen spürt. Hat man gerade verstanden, dass „Work with what you got“ eine Einladung zum fröhlichen Anders- oder Man-Selbst-Sein ist, folgt mit „Springhill Mine Desaster“ ein Coversong der Dubliners und damit der Sprung zu folkloristisch angehauchten Canadiana-Klängen, die allerdings mit zurückhaltender Elektronik und Piano-Sounds angereichert sind.

„Sleepover“ ist nichts für die Liebhaber von musikalischem ‚Schniposa‘ (Schnitzel, Pommes, Salat), sondern für entdeckungslustige Hörer, die beim wiederholten Hören immer neue Details entdecken wollen. So entsteht eine Art musikalisches Gesamtkunstwerk aus einer Vielzahl von Zutaten unter reger Beteiligung guter Musiker. Josh Dolgin als Mastermind drängt sich dabei nicht in den Vordergrund, sondern fügt sich in sein Ensemble ein. Das Ergebnis ist moderne Weltmusik. Kurioserweise liefert das Album mit den Titeln 11 bis 17 selbst Remixe der ersten 10 Songs, davon gleich drei teils recht bizarre Versionen des Titelstücks und eine rasant beschleunigte Version von „Unlvd“, die einen atemlos zurücklässt.

Auf den ersten 10 Titeln von „Sleepover“ lädt er zur Pyjama-Party mit Chips, Gummibärchen und Soda, dann schmeißt er kurz die gut geölte Tanzmaschine an. „Sleepover“ ist also tatsächlich eine Art Pralinenschachtel, wobei die Mischung  nicht die ‚Feine Auslese‘ ist, sondern eine  Entdeckungsreise in Neuland. Wer sich darauf einlässt, wird mit Überraschungen musikalischer Art gut bedient.

Offizielle Homepage von Socalled