Kategorie: Neu erschienen

Adam Ant „Adam Ant Is The Blueblack Husar Marrying The Gunners Daughter“

Adam Ant [rating=2] Welcome to Adams World

Adam Ant war in den frühen Achtzigern der Posterboy für die Mädchen, denen Johnny Rotten zu hässlich und Ian Curtis zu depressiv war. Als „Prince Charming“ beschäftigte er eine Zeitlang die englische Musikpresse und die Hitparaden mit tanzbaren Titeln wie „Goody Two Shoes“, im Grunde ein schneller Shuffle voller Emphase für „good vibrations“ (und gegen die Laster des Rauchens und Trinkens). Daneben schauspielerte Mister Ant ein wenig.
Nach kurzer Zeit war seine Karriere vorbei, was vielleicht damit zusammenhängen mochte, dass man hinter all den Images und dem bemühten Glam, den Rollenspielen und aufwändigen Bühnenshows, nur einen ziemlich durchschnittlichen Sänger und Musiker erkannte. Ein Fall für die Achtziger-Jahre-Recycling-Revuen also, bei denen gleich ein ganzes Rudel ehemals aktueller Bands ihre alten Hits nachspielt.

Achtzehn Jahre sind seit der letzten Veröffentlichung von Adam Ant vergangen; ein Zeitraum, in dem durchschnittlich drei bis vier Generation Popstars kommen und gehen. Nun also Adam Ant als 58-jähriger, schwarzblauer Husar, der das Töchterchen des Kanoniers geheiratet hat. Die Hochzeit mit dem Töchterlein, also der Kanone, auf die Adam Ant in „Marrying The Gunner’s Daughter“ anspielt, war eine drakonische Maßnahme der britischen Kriegsmarine: Befehlsverweigerer wurden vor die Kanone gebunden und diese dann abgefeuert. Mr. Ant pflegt also britischen Humor. Er hat, wie es scheint, eine ganze Menge erlebt in jenen beinahe zwei Jahrzehnten und davon will er uns nun ausführlich in 17 Titeln darüber berichten. Da hat einer Nachholbedarf.

„Cool Zombie“ leitet Adams Husarenritt mit Slidegitarre, Koyotengeheul (sein altes Markenzeichen) und energischem Rhythmus ein, flankiert von einem Chor, der irgendwie an die Jimmy-Miller-Phase der Stones erinnert. Der Song ginge als klassische Rocknummer durch, wenn nicht fiepsende Störgeräusche und andere Merkwürdigkeiten den Eindruck trübten. Bevor man sich in den überwiegend vertrauten Gemächern des Rock’n’Roll gemütlich einrichten kann, ist der Titel schon wieder vorbei. Es folgt „Stay In The Game“, das ein bisschen daherkommt wie eine Neuauflage eines Songs von 1980: ‚flache‘ Gitarre, irgendwie verwehter Gesang, dünnes Schlagzeug. Sogleich folgt das programmatische „Marrying the Gunners Daughter“, eine Art launige Revue vergangener Zeiten, vielleicht der eigenen Karriere. Für mich typisch Adam Ant: „You Know Me, I’ve Gone Too Far“; „Vince Taylor“ hätte auch Ian-Dury-Song sein können.

Nach dieser ersten Salve läutet „Valentines“ ein Intermezzo ein, das irgendwo zwischen Syd Barrett und Schlager changiert: »I know, where the pain is, I know, where the hurt is.« Ach ja. Jetzt würden wir die erste Seite der LP umdrehen, aber es geht pausenlos weiter.
Weil Endfünfziger noch nicht völlig zum alten Eisen gehören, schmachtet Adam nun eine ungenannte Dame an, ihn wie den Dreckskerl zu behandeln, der er eben sei. Mit Drums, die sich anhören wie aus dem Computer und einem irgendwie fiesen Sound, singt er dann vom „Punk Girl“, das einem mittelalten Mann begegnet, der vermutlich Adam heißt. Es geht natürlich um Sex und um eine gehörige Portion Selbstmitleid. Noch mehr krauses Zeug bietet „Cradle Your Hatred“, bevor „Old Men, Tough Blokes“ wieder mit Punkzitaten kurzzeitig aus dem Schlummer reißt.
Das alles wäre längst genug. Die ’15 Minutes of Fame‘ sind schon seit etwa 25 Minuten vorbei, aber Adam Ant macht unerbittlich weiter, mal mit einer Donovan-Replik, dann mit einem typischen Ant-Song, hier eine Computerdrum, da ein Effekt, dort das Duett mit sich selbst. Das ist auf Dauer zappelig und nervig. Aber das war ja schon damals bei „Goody Two Shoes“ nicht anders.

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(Foto: Popup)

Rokia Traoré „Beautiful Africa“

Rokia Traoré [rating=3] Von gefühlvoll bis ausgelassen – Afropop mit rockiger Note

Man kann es Rokia Traoré nicht verdenken, dass ihr neues Album ein Stück weit eingängiger klingt als frühere. Denn auch wenn sie im Titelstück explizit auf die aktuellen gewaltsamen Auseinandersetzungen in verschiedenen afrikanischen Ländern verweist und ihre Mitmenschen zum verständnisvollen Dialog aufruft, befinden sich ihr Publikum und die Käufer ihrer CD überwiegend in Europa. Als Diplomatentochter ist sie nicht nur mit der heimischen Musik eines Sori Kandia Kouyaté aufgewachsen, sondern hat genauso selbstverständlich die Chansons von Joe Dassin, Janis Joplin und die Dire Straits gehört.

Rockmusik, hat die malische Musikerin gesagt, habe sie dazu bewogen, Gitarre zu lernen. Und jetzt rockt auch sie, wobei die verzerrte Gitarre zwar immer wieder hervorsticht, sich aber gleichermaßen an ihre Songs schmiegt. Doch auch wenn Rokia Traoré rockige Klänge in mehr als homöopathischen Dosen verabreicht, macht das „Beautiful Africa“ noch lange nicht zum Rockalbum. Den Auftakt macht ein treibend-simpler Blues („Mala“), der in Mali längst in seiner eigenen Spielart beheimatet ist. Das von einer gefühlvoll gespielten Ngoni begleitet „N’Teri“ und das teilweise in Englisch gesungene „Sarama“ sind berührende Balladen, und mit den leicht funkigen Up-Tempo-Stücken „Tuit Tuit“ und „Beautiful Africa“ zeigt Rokia Traoré ihre ausgelassene Seite. Dass sie mit letzteren in die Fußstapfen von Sängerinnen wie Angelique Kidjo tritt, schadet dem Vergnügen keineswegs.

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(Foto: Outhere)

 

Madeleine Peryroux „The Blue Room“

Madeleine Peyroux_The Blue Room[rating=2] Zu süß und gefällig

Wer mit Jazz halbwegs Geld verdienen möchte, muss sich der Pop-Variante verschreiben. Madeleine Peyroux hat das erfolgreich getan, ohne dabei banal zu werden. Mit ihrem besonderen Timbre und der ihr eigenen Phrasierung hat sie von Beginn ihrer Solokarriere an mit Interpretationen von Stücken so unterschiedlicher Musiker wie Bessie Smith und Bob Dylan, Edith Piaf, Hank Williams und Elliot Smith begeistert.

Obwohl „The Blue Room“ von ruhigen Songs mit eher düsteren Texten geprägt ist, wirkt es auf Anhieb fröhlicher – und leider auch banaler als die früheren Arbeiten von Madeleine Peyroux. Ursprünglich wollte sie – die Idee stammt von ihrem Produzenten Larry Klein – Stücke interpretieren, die Ray Charles auf seinem erfolgreichen Album „Modern Sounds in Country And Western Music“ coverte. Doch daraus wurde nichts. Nur sechs Songs – darunter „Born To Lose“, das von den Everly Brothers berühmt gemachte „Bye, bye Love“ oder „I Can’t Stop Loving You“ – sind von der ursprünglichen Idee übrig geblieben. Der Name Ray Charles dient jetzt nicht mehr als Benchmark, sondern ist nur noch Namedropping. Hinzu gekommen sind Lieder von so unterschiedlichen Künstlern wie Leonard Cohen, Buddy Holly und Warren Zevon. Das sind große Namen, und oft genug hat Madeleine Peyroux auch großartige Songs gewählt und wie gewohnt mit exzellenten Begleitmusikern eingespielt. Doch auch ihre nonchalante Version von Buddy Hollies „Changing All Those Changes“ kann nicht über die seichteren Interpretationen hinwegtäuschen. So macht sie etwa mit ihrer Version von „Bird On The Wire“ nicht das Original vergessen, sondern weckt allenfalls die Sehnsucht danach. Und dass das Klangbild wesentlich mehr von süßlichen Streichen geprägt ist als von Hammond und Lapsteel, weckt eher die Lust auf ihre früheren Einspielungen als Begeisterung für die aktuelle.

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(Foto: Universal)

t „Psychoanorexia“

t - Psychoanorexia

t - Psychoanorexia

[rating=5]Progressive Rock – Moderner Progressive Rock von internationalem Format.

Gut Ding will Weile haben: Ganze vier Alben hat Thomas Thielen, in arte „t“ (der wohl unglücklichste Künstlername für Suchmaschinen ever!) in elf Jahren veröffentlicht. Der Sänger und Multi-Instrumentalist aus Hannover ist ein perfektionistischer Tüftler, der seine komplexen Songideen mit viel Sorgfalt umsetzt – und das braucht Zeit.

Sein vor einigen Wochen erschienenes viertes Album „Psychoanorexia“ ist der bisherigen Höhepunkt in seinem Schaffen – und zwar in vielerlei Hinsicht: Im Laufe der Jahre hat t gelernt mit seinen stimmlichen Möglichkeiten, genauer gesagt seinem Timbre, besser umzugehen (was viele andere Kritiker bei ihm immer wieder bemängelten, was für mich aber nie ein ernsthafter Kritikpunkt war – Geschmackssache halt). Auf dem neuen Album wirken seine Kompositionen aus- aber nicht überkomponiert, es entstehen keine unnötigen Längen, dafür Tiefen, die man erst nach und nach beim Zuhören entdeckt. Speziell auf dem Vorgänger „Anti-Matter Poetry“ hatte ich (bei allem Respekt) hie und da den Eindruck, dass t seine Progressive-Rock-Wurzeln zu kaschieren versucht: Nun, Schablonen und Stereotypen sind wohl für die wenigsten Künstler wirklich wünschenswert. Ich hatte den Eindruck, dass t sich vielleicht einen Tick zu sehr müht, dem uncoolen Progger-Image zu entkommen und eher den coolen, modernen Postrocker in sich kultiviert.  Nun geht er deutlich unverkrampfter mit seinen musikalischen Vorbildern aus den 1970ern und 1980ern um, wobei die Anklänge stets subtil und vom typischen Retro-Plagiat weit entfernt bleiben. ‚Uncool‘ ist das immer noch nicht, im Gegenteil: Das Album könnte sogar Hörer ansprechen, die normalerweise um die üblichen Prog-Klischees einen großen Bogen machen.

„Psychoanrexia“ enthält im Ergebnis vielschichtigen, stellenweise düsteren, stellenweise nachdenklichen modernen Progressive Rock mit mal aggressiven, mal poetischen Unterklängen. Ein persönliches, intensives, kryptisches und exzellent klingendes Album, gewiss nicht für jedermann, dafür sind ts Klangwelten zu individuell ausgeprägt, wohl aber für den Hörer, der nicht alles auf Anhieb verstehen und mitträllern muss, um sich auf ein Album einzulassen.

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t „Anti-Matter Poetry“ auf schallplattenmann.de

Offizielle Website

(Cover: t)

Rover „Rover“

Rover "Rover"

Rover [rating=4] Gute Melodien, großer Pop

Franzosen können keine Autos bauen und keine gute Popmusik machen. Zumindest das zweite Vorurteil muss jetzt endgültig revidiert werden, denn was der Newcomer aus Frankreich Timothée Rénier unter dem Künstlernamen „Rover“ (einer britischen Automarke, sic!) auf seinem gleichnamigen Debütalbum abgeliefert hat, kann man durchaus als großen Wurf bezeichnen.

Auf 17 Tracks (inklusive Bonus-Nummern) breitet der zwischenzeitlich im Libanon beheimatete Rénier einen Melodie-Kosmos vor uns aus, der seinesgleichen sucht. Die mit Orgel und Drum Machine oder Syntheziser und Gitarre arrangierten Melodien spannen den Bogen zwischen Disco und Glamrock eines David Bowie in einer seiner kreativsten Phasen und dem Pop der mittleren bis späten Talk Talk. Jeder Song sitzt perfekt, nicht wenige eignen sich zum Hit. Und auch textlich weiß Rover seine Treffer zu setzen. Da singt er beispielsweise in der bitteren Abrechnung „Queen of the Fools“ über eine Verflossene: »Funny how it sounds much better without you, see the noise is gone, I’m playing without you.« Wir können dieser Dame also echt dankbar sein, haben wir ihr doch so einen Song zu verdanken.

Wer schräge Töne sucht, wird hier schwer etwas finden, aber alle, die große, leicht düstere Melodien lieben und sich dem Pop nicht verschließen, bekommen hier eines der großen Alben dieses Jahres.

Tipp: Auf seiner Soundcloud-Seite kann man sich das gesamte Album in voller Länge anhören.

Rover „Rover“ Albumstream bei Soundcloud

Rover bei Facebook

Label-Homepage Wagram

(Cover: add-on-music.de)

Sallie Ford & The Sound Outside „Untamed Beast“

Sallie Ford [rating=4] Sallie Ford hat den Rock’n’Roll.

Motto: Ich brauche keinen Ehering, keine falschen Versprechen, ich will mich nur im Bett mit dir herumwälzen. Eine ebenso klare wie erfrischende Aussage, die andererseits recht zeitlos ist: Girls just want to have fun.

Auch wenn die Anfangszwanzigerin aus Portland, Oregon, aussieht wie Tante Ingrid 1963 – Hornbrille, grellroter Schmollmund, fluffige Kleidchen –, sollte man sich nicht täuschen: Ms. Ford und ihre drei Jungs haben den Backing-Katalog des Rock’n’Roll ausgiebig studiert. Hier klingt die Surf-, dort die Twang-Gitarre, das Schlagzeug kommt stets direkt, und der Gesang zitiert durchaus mal die beiden Damen der B 52s. Die Songs verströmen zumindest teilweise die raue Energie der Zweispur-Aufnahmen aus den Sun-Studios, was sich vermutlich einfacher anhört, als es bei der Produktion war. Vielleicht haben Sallie Ford und ihre Band die Songs in wenigen Takes eingespielt. Ihr Sound zumindest kommt recht natürlich aus den Boxen.

Auf ihrem zweiten Album präsentiert das Quartett elf durchweg kurze Songs, was die Spieldauer von „Untamed Beast“ auf ein angenehmes Zeitmaß begrenzt. Wer braucht schon Alben, die sechzig Minuten oder länger sind?
Das Themenspektrum der Songs dreht sich im Wesentlichen um das Leben einer jungen Frau, wobei natürlich die Klassiker „Sex“ („Roll Around“), Rock’n’Roll („Rockability“) ebenso ausgiebig wie augenzwinkernd besungen werden. Nur die „Drugs“ bleiben, dem Song „Addicted“ zum Trotz, außen vor. Dafür ersetzt Sallie Ford die chemische Keule durch Lebensfreude und Adrenalin. Und nicht zuletzt bekommen die dummen, großmäuligen Jungs, die jahrzehntelang über zickige Mädchen gesungen haben, jetzt in „Lip Boy“ ihr Fett ab.

„Untamed Beast“ bietet durchweg Gute-Laune-Musik. Sallie Ford hat eine gute Stimme, die Songs sind abwechselungsreich und die Rockabilly-Attitüde mit Country, Blues und modernen Einsprengseln ist äußerst unterhaltsam. Let’s party.

 

(Foto: Fargo)

Daniel Kahn & The Painted Bird „Bad Old Songs“

Daniel Kahn [rating=3] Daniel Kahn bringt seine übliche Mischung aus jiddischen, deutschen und englischen Liedern. Doch dieses Mal pflegt er das melancholische Grau – durchaus stimmungsvoll, aber stellenweise auch eintönig.

Daniel Kahn ist wie ein Theatermacher, der in alten Stücken den Bezug zum Hier und Jetzt zeigt. Der in Berlin lebende amerikanische Musiker gräbt gerne alte Lieder aus. Viele davon stammen aus dem jüdischen Kulturkreis, aber er vertont auch immer wieder Gedichte von Heinrich Heine und Kurt Tucholsky. Auf seinem letzten Album hat er sogar das arg diskreditierte „Lili Marleen“ interpretiert. Das alles macht es leicht, Daniel Kahn als politischen Musiker in der Tradition von Tucholsky und Brecht zu verorten.

Auf seinem neuen Album – es ist das dritte mit seinen ‚Painted Birds‘ – spielt er neben eigenen Stücken auch das aus dem 19. Jahrhundert überlieferte jüdische Volkslied „A Meydl From Berlin“ und das dem Album den Titel gebende Stück, das von Robert Schumann vertonte Heinrich-Heine-Gedicht „Die alten bösen Lieder“. Er singt aber auch nicht ganz so alte Lieder – von Franz Josef Degenhardt, Leonard Cohen und vom griechischen Liedermacher Dionysis Savvopoulos.

Während er mit seinen energiegeladenen, rumpelig-rohen Interpretationen bislang den „Tanz auf dem Vulkan“ evozierte, der die Kabarett-Szene zwischen den beiden Weltkriegen auszeichnete, bringt er jetzt überwiegend düstere Lieder – dabei geraten ihm die wenigsten so eindringlich wie die teilweise zornige, dann aber stimmungsvoll ausklingende Heine-Vertonung von „Die alten bösen Lieder“. Die Kastanien aus dem Feuer holt der Liedermacher vor allem mit seiner eindrücklichen, dreisprachigen Version, die er von Degenhardts „Die alten Lieder“ gemacht hat, sowie mit dem einzigen wirklich flotten Stück des Albums: In seinem schwelgerischen Lied „Good Old Days“ stellt der politische Liedermacher überaus humorvoll das Leben unter dem DDR-Regime und die aktuelle Lebenswelt gegenüber und kritisiert dabei den revisionistischen Rückblick auf die DDR genauso wie den heutigen Lebensentwurf, der sich zwar der revolutionären Klischees bedient, sein Aufbegehren aber nicht durch selbstbewussten Widerstand zeigt, sondern durch das Tragen von Accessoires, die Hammer und Sichel zeigen. So macht Daniel Kahn doch noch einiges wieder wett.

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(Cover: Oriente Musik)

Les Reines Prochaines „Blut“

reines_prochaines_blut[rating=3] Sinn oder Unsinn, das ist hier keine Frage. Die Basler Frauengruppe ist heute so unorthodox wie vor 25 Jahren.

Ein bisschen Balkangedöns, ein wenig Schlager-Schunkelgroove; deutsch-englisch-spanisches Sprachgemisch und viel Nonsens. Die Reines Prochaines erzählen von banalen Begebenheiten („Die Hecke“), Phänomenen des Alltags („Kreisel sind rund“) und erklären ganz dialektisch die Frage nach der Eigentümlichkeit des Menschen („Identität“). Das verströmt den Geist von Dada und Punk und ist heute so unorthodox wie vor 25 Jahren.

Die Köpfe der Reines Prochaines stecken noch immer in der Zeit der genialen Dilettanten. Es wirkt, als ob die Reines Prochaines nur in dem unvermeidbaren Maß besser geworden sind, das die wiederholte Beschäftigung mit den Instrumenten zwangsläufig mit sich bringt. Trotz Alterns bringen sie keine Lebensweisheiten schon gar kein frühes Alterswerk. Und wie ihnen kein Thema zu nebensächlich ist, um sich ihm ausgiebig zu widmen, halten sie sich auch stilistisch alles offen – die Mariachi-Imitation („Bliss“) ebenso wie die freejazzige Kakophonie („Shila“) oder der strenge Duktus von Brechts „Einheitsfrondlied“ („Identität“). »Wir machen keinen Unsinn, wir machen keinen Sinn – wir gehen so mehr um den Sinn herum; weil das Leben so ist«, hat Muda Mathis, eine der Gründerinnen, dem Kunstmagazin Monopol erklärt. Vergessen zu erwähnen hat sie, wie lustvoll sie sich dem Umschreiten von Sinn und Unsinn hingeben.

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(Foto: Les Reines Prochaines)

Hannes Wader & Allan Taylor „Old Friends In Concert“

Wader_Taylor_Old_Friends[rating=3] Best friends, best music: zwei Troubadoure mit ewig jungen Liedern – und einer Botschaft

Wie sehr die beiden Folk-Musiker harmonieren, zeigt eine Anekdote, die Allan Taylor im Verlauf des Konzerts erzählt. „Du spielst ein Lied von Hannes Wader“, habe ihm jemand anerkennend gesagt, nachdem er seinen Song „It’s Good To See You“ intoniert hatte. Dabei wurde das Lied in zehn Sprachen übersetzt, und die Coverversion von Hannes Wader ist nur eine von mehr als hundert Interpretationen.

Ihr erstes gemeinsames Live-Programm ist eine Greatest-Hits-Sammlung aus eigenen Liedern und Evergreens des Folk, etwa Pete Seegers „Where Have All The Flowers Gone“ und „The Green Field of France“. Die beiden Sänger bringen viele Lieder zweisprachig, wechseln sich mit dem Singen ab und setzen immer wieder Akzente, indem sie die zweite Stimme beisteuern. Es ist eine Freude, den beiden subtil spielenden Fingerpickern und ihren harmonischen Stimmen zuzuhören.

Aber auf das eigentlich Spektakuläre, das für uns längst selbstverständlich ist, muss Allan Taylor hinweisen. „Wenn ich dieses Lied spiele, muss ich immer daran denken, dass sich mein Vater und der von Hannes vor siebzig Jahren noch bekriegt haben“, kündigt er das Antikriegslied „Es ist an der Zeit/The Green Fields Of France“ an, „und wir sind heute Kumpels und spielen gemeinsam auf einer Bühne.“ Hannes Wader, der auch als politischer Liedermacher nie die Poesie außen vor gelassen hat, und Allan Taylor stellen ihr Engagement nicht in den Vordergrund. Präsent ist es trotzdem. Und man darf getrost davon ausgehen, dass sie zwar von der politischen Dimension des zusammenwachsenden Europas sprechen, wenn sie ein Lied wie „The Green Fields Of France“ intonieren, das Lied aber nicht auf Europa reduziert sehen möchten. Sie zeigen damit implizit, dass es in anderen Teilen der Welt noch zu wenige „gemischte“ Konzerte gibt und beispielsweise auch Daniel Barenboim mit dem West-Eastern Divan Orchestra in seinem Land für seine Landsleute spielen dürfen sollte.

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(Foto: Universal)

Friska Viljor „Remember Our Name“

Friska Viljor_Remember[rating=2] Pop – Friska Viljor sind schon fast beim Durchschnittspop angekommen.

Die beiden Gründer von Friska Viljor, Daniel Johansson und Joakim Sveningsson, schauen nicht gerne zurück. Die Trunkenbold-Liebesleid-Phase, in der sie ihr erstes Album „Bravo“ (2006) einspielten, haben sie längst überwunden. Doch das Image klebt nach wie vor an ihnen. Dabei pflegt das Duo mittlerweile einen gesetzteren Lebenswandel und ist zum Sextett angewachsen. Beides hat auch ihre Musik verändert: Joakim Sveningsson singt mit seiner brüchigen Stimme nicht mehr verschroben-folkigen Lieder, sondern überwiegend konventionelle Popsongs. Seine eigenartige helle Stimme kommt in der üppigen Besetzung kaum noch zur Geltung.

Dabei geben sich Friska Viljor immer wieder Mühe und bringen eine – bei einem Folk-Männerduo eigentlich naheliegende – und durchaus gelungene Reminiszenz an Simon and Garfunkel („I’m Not Done“) und bringen mit „Boom Boom“ sogar eine Elektropop-Nummer. Dass konventionell nicht langweilig sein muss, zeigen sie vor allem mit den letzten beiden Stücken, in „Flageoletten“ und, zumindest in Ansätzen, „Remember My Name“. Diese Bitte soll gerne erhört werden – wenn auch weniger wegen dem aktuellen Album, sondern wegen ihrer früheren Musik. Vielleicht ist ja „Remember Our Name“ nur ein Übergangsalbum, nur ein Abstecher zu einem Aussichtspunkt, von dem der Ausblick dann doch nicht so prächtig war wie erwartet.

Friska Viljor wären nicht die ersten Musiker, die vom Weg abkommen und an Originalität verlieren. Insofern wäre es vielleicht gar nicht verkehrt, wenn sie auch selbst wieder einmal zurückschauen würden. Sie müssen ja nicht zwangsläufig die Leber strapazieren, sondern können es beim künstlerischen Blick belassen.

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(Foto: Cargo Records)