Kategorie: Neu erschienen

Schönholzer & Rüdisüli „Sozialplan“

[rating=4] liebevoll hintersinnig, kritisch, bissig, charmant

Schweizer Expats haben es schwer, ihren deutschen Freunden die heimische populäre Musik nahezubringen. Annähernd massenkompatible Klassiker wie Züri West und Patent Ochsner oder der noch jüngere Michael von der Heide sind musikalisch zu kommun, sodass dann doch oft Mani Matter als Beispiel für Originalität und Eigenständigkeit herhalten muss. Dessen durchweg kurze Stücke sind sogar leicht verständlich oder zumindest schnell übersetzt.

Markus Schönholzer hat einen ebenso verschmitzten Witz und spielt wie Mani Matter virtuos mit der Sprache. Seine Lieder sind hintersinnig, kritisch und bissig, und trotz unverhohlener Traurigkeit wirken viele seiner Beobachtungen überaus liebevoll. Da freut sich der Sänger über die liebliche Vogelstimme („s Lied vo de Liebi“), deren Klang ihm so vertraut ist – und erst als sie näherkommt und seinen Namen ruft, merkt er, dass es seine Frau ist, die das Lied von der Liebe singt. Markus Schönholzer lässt es nicht bei einem einfachen Liebeslied bewenden, sondern spinnt aus der Idee die Beschreibung der Rollenverhältnisse einer Beziehung. Seine Geschichten scheinen einfach, doch sie sind komplex. Wenn er über das Heimkommen sinniert („I bi wider dehei“), beschreibt er anhand scheinbar nebensächlicher Beispiele an, was sich seit dem Weggehen verändert hat und deutet wie nebenbei an, wie sich in die Heimatgefühle solche der Fremdheit mischen. Für die Beschreibung des Altwerdens („Vatter“) reichen ihm sechs kurze Zeilen mit nicht mehr als 40 Silben. Doch egal wie ernsthaft ein Thema sein mag – Schönholzer widmet sich ihm immer mit Humor.
Darüber hinaus begeistern Schönholzer & Rüdisüli mit leichtfüßig-raffinierten Arrangements, in denen schelmische Pop-Zitate – beispielsweise „Lucy in the Sky“ von den Beatles – ebenso souverän eingesetzt werden wie Ravels „Bolero“.

Auf „Sozialplan“ wird gezupft (Banjo und Gitarre), Blech geblasen und Zieharmonika gespielt. Einen wichtigen Anteil am Charme der Musik hat denn auch der Akkordeonist Robi Rüdisüli. Der langjährige musikalische Wegbegleiter von Markus Schönholzer pendelt – zurückhaltend, aber wirkungsvoll – zwischen Musette und Volkslied und komplettiert so den Wortwitz seines Compagnons mit subtil platziertem Spielwitz – das, was ein charmantes Chanson braucht.

Bisherige Rezensionen zu Markus Schönholzer auf schallplattenmann.de

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(Foto: Schönholzer)

Erika Stucky „Papito“

[rating=5] Von sanft bis verstörend – immer besonders

Erika Stucky kommt vom Jazz und verpasst auch Popsongs außergewöhnliche Charakterzüge. Für ihre originellen Interpretationen findet sie immer auch ungewöhnliche Konstellationen – etwa Akkordeon, Posaune und Tuba. Sie spielte mit den Young Gods Songs aus dem Dokumentarfilm über das Woodstock-Festival nach, gestaltete mit der Schweizer Popsängerin Sina einen schrägen Abend mit Walliser Sagen und mit Christy Doran ein Jimi-Hendrix-Programm.
Mit „Papito“ öffnet sie eine neue Tür – zur Klassik. Und natürlich beschränkt sie sich nicht darauf, ihre Kompositionen mit ein paar Streicher-Arrangements aufhübschen zu lassen. Sie lockt das zu den renommierten Interpreten Alter Musik zählende La Cetra Barockorchester Basel und den Countertenor Andreas Scholl zu neuen Abenteuern und lässt FM Einheit, früher bei den Einstürzenden Neubauten und heute unter anderem auch für seine Hörspiel-Arbeiten ausgezeichnet, die neue Klangwelt elektronisch unterfüttern.

Neben eigenen Kompositionen bietet Erika Stucky gefühlvolle Interpretationen etwa von Cole Porters „Ev’ry Time We Say Goodbye“ und Randy Newmans „Marie“. Bei „Tea For Two“ kommt erstmals der Countertenor Andreas Scholl ins Spiel, zu dessen Stimme die von Erika Stucky in einem reizvollen Kontrast steht. In das/Unter das romantisch interpretierte Stück mischen sich erstmals Klangbilder, die gleichermaßen sanft und verstörend sind. Bei Stephen Sondheims „Not While I’m Around“ tauchen dann die Dämonen auf und das Medley aus „Caruso“ von Lucio Dalla und „I Want You“ von den Beatles kulminiert zum Untergangsszenario.

Erika Stucky liebt schräge Inszenierungen, daher ist es schade, dass man auf dem Album die Filme nicht mitgeliefert bekommt, mit denen sie die Bühnenshow des beim Alpentöne-Festival uraufgeführten Programms garnierte. Immerhin bedient sie ihre Hörer mit einer anderen Stärke: ihrem bislang untrüglichen Gespür für musikalische Konstellationen. Stuckys Zwiesprache mit dem Countertenor Andreas Scholl und ihr immer wieder experimenteller Stimmeinsatz sind jedoch auch ohne audiovisuelles Beiwerk ein großer Genuss. Nicht minder reizvoll sind die Klangwelt des La Cetra Barockorchesters Basel, dessen historische Instrumente hier zeitgenössisch inszeniert werden, und die zurückhaltenden elektronischen Einwürfe von FM Einheit.

Bisherige Rezensionen zu Erika Stucky auf CD und auf der Bühne auf schallplattenmann.de und im Blog.

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(Foto: Traumton)

Sternlumen „Norrebro Nights“

[rating=3] Getragen, ruhig, beschaulich

Sternlumen sind Thomas Kudela und sein Steinway-Flügel. Kudela ist im Ruhrgebiet aufgewachsen und lebt seit einigen Jahren in Kopenhagen. Genauer: im Stadtteil Norrebro. Mit der vorliegenden Hommage an sein Viertel legt Sternlumen sein zweites Album vor. Zu hören gibt es Solopiano und sonst nichts. Wer dabei an Keith Jarrett oder Chick Corea denkt, liegt nicht ganz falsch, obwohl Kudela einen eigenen Ansatz verfolgt.
Ähnlich wie bei den Genannten liegt liegt das Augenmerk auf Klang und Stimmung. Eingespielt wurden die Titel live in einem Kopenhagener Studio – unter hohen Qualitätsansprüchen, um den unvergleichlichen Klang des Flügels entsprechend einzufangen. Das ist gelungen. Damit enden die Vergleiche mit den ‚Göttern‘ des Solopianos aber auch beinahe. Kudela steht sicher in deren Tradition, was in diesem Genre gewissermaßen unausweichlich ist, markiert aber eigene Klangspuren. Die erinnern mal an Saties Pianostücke oder erzeugen eine romantische Stimmung wie bei Schumann. Trotzdem sollte man dem jungen Künstler kein Epigonentum vorwerfen. Seine Stücke sind getragen und, neben einigen dramatischen Momenten, im besten Sinne entschleunigt, aber nie temperamentlos.

Es verwundert nicht, daß auf dem Cover der CD steht: „Sternlumen is Thomas Kudela and a Piano“ – denn das Instrument ist ein unverzichtbarer Mitspieler.“Norrebro Nights“ mit seinen nur sechs Titeln wie „Red Wine Melancholia“, „Neon Lakes“ oder „Morgendämmerung“ eignet sich wunderbar dafür, dem alltäglichen Hamsterrad des Großstadtdaseins zu entfliehen. Weniger geeignet ist die Platte zum Nebenbeihören, obwohl man sich manchen Titel in Auszügen auch gut auf einem U-Bahnhof bei Morgenanbruch anhören könnte. Man wäre vermutlich nach wenigen Augenblicken der funktionellen Umgebung entrückt, sofern man der Musik Raum zur Entfaltung lässt.

Die getragenen, ruhigen und eine beschauliche Stimmung verströmende Musik von Thomas Kudela kann cinematographische Eindrücke hervorrufen – und so manches Ostinato transportiert die dunklen Herbststimmungen, der kommenden Tage.Hörenswert.

(Cover: Gateway Music)

Random Willson & Brokof „Brother Equal“

[rating=2] Hart am Rand der Klischees

Random Willson heißt im bürgerlichen Leben Greg Northrop und ist Sänger und Songwriter. Brokof sind Fabian Brokof und seine Band aus Berlin. Beide sind schon länger aktiv, aber diese Platte ist das erste Ergebnis ihrer Zusammenarbeit „East to West“, wie ein Songtitel lautet. Northrop aka Willsom pendelt zwischen New York City und Berlin, wo er seit 2010 lebt. Es geht in den musikalisch angenehm untermalten Texten um den Weg von Manhattan nach Berlin Mitte. Oder darum, daß man sich für wichtige Entscheidungen besser Zeit lassen sollte („Slow Down“). Um die vielen Zufälle, die das Leben bestimmen. Um das Leben insgesamt. Daher auch der Künstlername „Random“, also Zufall oder zufällig. „Willson“ wiederum soll für Herrn Jedermann, also uns alle, stehen.
Brokof haben bereits etliche Alben auf ihrem eigenen Label veröffenlicht, Willson hat eine EP von 2014 auf der Habenseite.

Was gibt’s also zu hören? Eine musikalische Reise, die von Folkrock („Own Time“) bis zu ‚klassischem‘ amerikanischen Rock Marke Ryan Adams reicht („Green Girl“). Mit hymnischem Gesang, Chor, leicht beschleunigtem Shuffletempo und ein kleines bißchen psychedelisch. „First to Know“, die erste Singleauskopplung, ist durchaus radiotauglich – flott, kurz, knapp, direkt und mit einem eingängigen Refrain ausgestattet. „Amen“ könnte fast von Tom Petty eingespielt worden sein.
Eigene Akzente setzen Willson & Brokof in der Mischung der Genres, in den autobiographisch gefärbten Texten und dem naiven Wunsch nach Harmonie in der Welt („All Agree“). ‚Vielfalt‘ statt ‚Einheit‘ heissen die Stichworte, das Andere soll nicht als Bedrohung, sondern als Bereicherung verstanden werden.
Brokof zeigen sich in der Besetzung Fabian Brokof an der Gitarre, Rocco Weise am Bass, Puya Shoary, Schlagzeug, und Arne Bergner, Tasteninstrumente und Gitarre, als spielfreudige Mitakteure mit sichtlichem Spass an der Sache. Die meisten Titel stammen zwar aus Willsons Feder, aber das Ganze ist nicht als Veröffentlichung eines Sängers und seiner Begleitband gedacht, sondern als Gemeinschaftswerk.
Die Musik wirkt angenehm ‚handgemacht‘ und ein bißchen altmodisch, vermeidet aber nicht durchgängig den Verzicht auf leider allzu bekannte Versatzstücke aus dem Rock der Siebziger und Achtziger Jahre. „Guru“ schrammt beispielsweise hart am Rande der bekannten musikalischen und textlichen Klischees des Laid-Back-Westcoast-Sounds vergangener Zeiten entlang. Motto: Ich will kein Guru, aber auch kein Sklave sein, nur ein freier Mann. Das ist lobenswert, aber kein sonderlich origineller Wunsch. Alles in allem ist „Brother Equal“ jedoch ein sympathisches Album.

(Foto: Goldrausch Records)

Bünger „Nie zu spät für eine glückliche Kindheit“

[rating=2] Ein Album für gewisse Stunden

Die Gemeinde Timmendorfer Strand in der Lübecker Bucht hatte in den Achtzigerjahren durchaus einen gewissen Einfluss auf die Hamburger Musikszene. So kam damals Schorsch Kamerun, seines Zeichens Sänger der Funpunker Die Goldenen Zitronen, zu erster öffentlicher Aufmerksamkeit. Auch Sven Bünger stammt aus jener Gegend und blickt nach eigenem Bekunden auf eine Jugend als Dorfpunk zurück. Das ist viele Jahre her. Kamerun ist heute anerkanntes Mitglied des etablierten Kunstbetriebs und Sven Bünger längst erfolgreicher Produzent in Hamburg, mit Klienten wie Johannes Oerding und Madsen.

Als Solokünstler ist Sven Bünger bislang nicht in Erscheinung getreten, was keineswegs verwundert. Denn Bünger reisst einen weder als Sänger noch als Gitarrist vom Stuhl. Seinen Sprechgesang muss man nicht mögen, seine deutschen Texte mit Titeln wie „Tut mir leid“, „Finde den Fehler“ oder „Ich brauche Nichts“ verströmen jedoch eine bisweilen leicht versoffene wirkende Lakonie, die von der knarzigen bluesrockigen Musik kongenial unterstützt wird.

Der Kern von Büngers Band, die gelegentlich von einem weiblichen Backgroundchor und Bläsern unterstützt wird, besteht aus einer zweiten Gitarre, Bass und Schlagzeug. Das klingt gut, wenn auch die Texte mitunter etwas deutschrockig sind oder wie aus der Zeit der Neuen Deutschen Welle wirken. Doch auch wenn Westernhagen und Co. grüßen lassen: Sven Bünger gibt dem Ganzen ein Update und eine eigene Note – so auch beim behutsam aufpolierten Trio-Cover „DaDaDa“. Freunde des deutschen Chansons wiederum kommen beim Titel „Verschwende“ auf ihre Kosten. Das seltsam unzeitgemäße „Maschinen“ hingegen erinnert an die Technikkritik einer zweitrangigen Neue-Deutsche-Welle-Band.

Wer dennoch zum Album „Nie zu spät für eine glückliche Kindheit“ greift, bekommt überwiegend Musik, die man gut live bei einem Bier in einem kleinen Club hören kann. Zu Hause kann man sie natürlich auch beim Bier hören, dann jedoch stellen sich rasch gewisse Abnutzungserscheinungen ein. Büngers stimmliche Möglichkeiten sind eben limitiert und sein nordischer Humor auch nicht jedermanns Sache. Aber eine Platte für gewisse Stunden ist „Nie zu spät für eine glückliche Kindheit“ trotzdem geworden.

(Cover: Chefrecords Ratekau)

The Klezmatics, 12.8.2017, Freudenhaus, Lustenau (A)

„Ich bedanke mich beim großartigen Lustenau Yiddish Choir“, beginnt Trompeter Frank London eine seiner kurzen Ansagen, nachdem das Publikum zum wiederholten Mal der Aufforderung zum Mitsingen nachgekommen war. Bei den meisten Bands ist der Einbezug des Publikums nicht mehr als eine billige Masche, mit der sie Gemeinsamkeit und gute Laune herstellen. In der jüdischen Musikkultur gehört das jedoch ebenso zur Tradition wie das unerschöpflich erscheinende Repertoire an fröhlichen Liedern. Diese – und auch einige melancholische – finden die Klezmatics in Katalonien genauso wie in der Ukraine. Und sie schöpfen nicht nur aus dem Fundus der jüdischen Kultur, sondern steuern auch „Gonna get through this world“ aus dem Album „Wonder Wheel“ bei, für das sie unbekannte Woodie-Guthrie-Texte vertont haben.

Auch wenn die New Yorker Band auf überwiegend leichtfüßiges Liedgut setzt, werden sie nicht belanglos – inhaltlich genauso wenig wie musikalisch. Ihre überwiegend eingängige Kost wird mit jazzigen Intermezzi, mitreißenden Soli (für die vor allem Trompeter London und Saxophonist Matt Darriau verantwortlich zeichnen) und den originellen, aber immer subtil agierenden Schlagzeuger Richie Barshay aufgewertet. Zymbal und die bulgarische Flöte Kaval sorgen dafür, dass innerhalb eines Stücks erst die Sonne über der Puszta aufgeht, dann der nasale Klang der Kaval an den Orient erinnert und das Ganze schließlich als Klagelied endet. Garniert wird das üppig gewürzte Potpourri mit einer guten Portion Freiheitsgeist, der keineswegs indoktrinierend, sondern mit lebensbejahender Fröhlichkeit einhergeht. So kommen alle auf ihre Kosten, die unterhalten werden und mitsingen möchten, während auch die nicht zu kurz kommen, die musikalische Brillanz höher gewichten und sich lieber an Frank Londons Volten an der Trompete oder dem einen oder anderen geschmackvollen Basslick delektieren möchten.

Bisherige Rezensionen zu The Klezmatics auf schallplattenmann.de

Offizielle Homepage von The Klezmatics

(Foto: TheNoise)

Diagrams „Dorothy“

Kann in andere Sphären tragen [rating=4]

Die Diagrams sind weniger eine richtige Band als vielmehr ein Projekt von Sam Genders. Jener ist wiederum seit Jahren in der englischen Musikszene mit obskuren Bands wie Tunng, The Accidental oder Throws aktiv. „Dorothy“ ist das dritte Album der Diagrams seit 2012. Entstanden ist es mit Hilfe von Crowdfunding und gefördert wurde es von Institutionen des britischen Kulturbetriebs. Genders war bislang in musikalischen Nischen unterwegs wie Electronic Folk oder Folktronic. „Dorothy“ bleibt diesem hybriden Genre treu, erweitert aber den Horizont durch die Zusammenarbeit mit Dorothy Trogden, einer neunzigjährigen amerikanischen (Hobby-)Dichterin und ehemaligen Architektin. Sie hat die Texte aller neun Titel des Mini-Albums (Spieldauer 29 Minuten) verfaßt. Deren Horizont reicht von „Everything“ über das „Motherboard“ bis zu „Under the Graphite Sky“. Der letztgenannte Text eröffnet das Album „Dorothy“ als Song und beschließt es als von Trogden rezitiertes Gedicht.
Dorothy Trogdens Texte sind versponnene, verträumte Beobachtungen über Beziehungen, das Leben, die Wissenschaft oder den Wechsel der Jahreszeiten, die von Sam Genders und seinen Mitstreitern kongenial vertont werden. Text und Musik sind leicht entrückt und schaffen – trotz der Kürze des Albums – einen eigenen, nahezu vollständigen Kosmos, eine athmosphärische Parallelwelt, die verzaubert.
Obwohl Genders Stimme in ihren Ausdrucksformen und Möglichkeiten limitiert ist, gereicht dies den kurzen Songs nicht zum Nachteil. „It’s only Light“ fängt ganz schlicht mit einer akustischen Gitarre und Genders Stimme an und wird dann behutsam mit Bläsern, Streichern und elektronische Effekte angereichert. Hinzu kommen eingefangene Geräusche aus der Umgebung von Orcas Island, Trogdens Wohnort in Washington State. Dies zeigt die Vielschichtigkeit der Produktion. Es entsteht dabei keine Soundcollage, sondern ein homogener Klang. Das Ergebnis ist wichtig, nicht die Zutaten. „I tell Myself“ erinnert zu Beginn ein wenig an die frühe Laurie Anderson, „Dorothy“ hingegen entfernt an englische Singer/Songwriter. Solche Reminiszenzen dauern aber nur Augenblicke, dann sind Genders und seine Mitstreiter wieder ganz bei sich. Ein Besuch dort lohnt.

(Cover: Rough Trade)

Dreamcar „Dreamcar“

[rating=2] Unterhaltsam

Erinnert sich noch jemand an No Doubt, die Combo um die sehr blonde Sängerin Gwen Stefani? Hier sind drei ihrer Mitstreiter mit neuem Sänger: Tom Dumont an der Gitarre, Tony Kanal an Keyboards und Bass, Adrian Young am Schlagzeug – also drei Viertel von No Doubt  – und als Sänger Davey Havok, der als Punker bei den hierzulande eher unbekannten Bands AFI und Blakq Audio gesungen hat. Jetzt sieht er ein wenig aus wie Russel Mael von den Sparks. Schnurrbärte sind schon länger wieder salonfähig, jetzt  anscheinend auch die Achtzigerjahre. Soviel 80er-Sound in einer brandneuen Produktion war selten. Wer „Kill for Candy“ hört, meint sofort, dass wir wieder 1981 haben. Handelt es sich hierbei um Ironie oder um eine Art historisch-kritischer Aneignung des britischen New Wave mit Bands wie ABC, Culture Club, Duran Duran oder A Flock of Seagulls? Eher nicht.
Dreamcar meinen das anscheinend ernst. So bekennt Tony Kanal sich in einem Interview mit dem Rolling Stone zwar einerseits zu den deutlich hörbaren musikalischen Einflüssen, behauptet jedoch gleichzeitig tapfer, man habe etwas Neues geschaffen. Davon kann über weite Strecken des Debütalbums zwar keine Rede sein, aber weil die vier Musiker und ihre Helfer Profis sind, legen sie eine sorgfältig eingespielte und produzierte Platte vor. Diese ist durchaus eingängig und unterhaltsam, wobei für ältere Hörer noch ein gewisser Déjà-vu-Effekt hinzukommt. Man kennt die verschatteten, durch Echo-Effekte gejagten Gitarren, die Power-Drums, den Slapping-Bass und die üppigen Keyboards noch von den oben genannten Bands. Deren oft vorwärts treibenden Rhythmus hat man passenderweise gleich mit übernommen. Sänger Davey Havok hat seine Punk-Vergangenheit nicht nur optisch hinter sich gelassen, sondern beherrscht auch den Gesangsstil eines Martin Fry von ABC. Er setzt aber wenig eigenständige Akzente und fügt sich somit nahtlos ins Sound-Konzept von Dreamcar.
Wer aber braucht so etwas? Ältere mögen sich nostalgisch an ihre musikalische Früherziehung erinnern, für jüngere mögen Dreamcar gar neuartig wirken. Amerikanische Musikmagazine wie Billboard und  Rolling Stone raunen von einer Supergroup, aber das kann man getrost unter Marketing-Geklingel verbuchen. Für ein New Wave-Revival wird es vermutlich nicht reichen, aber ganz unterhaltsam ist das Debut von Dreamcar schon geworden.

(Cover: Sony Music)

Tim Vantol „Burning Desires“

[rating=2]Konventionell, aber unterhaltsam

Tim Vantol ist ein Singer/Songwriter und Gitarrist aus Amsterdam, aber seine gut gelaunte Mischung aus Country und Folk könnte ebenso aus Amerika stammen. Seine Musik ist massentauglich und passt problemlos ins nachmittägliche Radioprogramm. Tim Vantol erfindet das Genre also nicht neu, geht aber unbekümmert an die Sache und startet seine dritte CD, „Burning Desires“, direkt mit eingängigen Melodien und ungekünsteltem Gesang. Zwar seien ihm, wie er selbst sagt, mehr als genügend andere Musiker in Sachen Technik und Stimmbeherrschung überlegen. Er mache jedoch einfach die Musik, wie er sie vermöge und weil es ihm Spass mache.
Das erinnert entfernt an die Haltung der Punk-Bewegung. Und tatsächlich hat Vantol kurz bei Antiintellectual gespielt, einer holländischen, von Punk beeinflussten Band. Jenes Erbe ist auf „Burning Desires“ am ehesten im geradlinigen, bisweilen etwas lauten und heiseren Gesang von Tim Vantol und in den einfachen Rhythmen zu entdecken. Aber auch der Song „The Hardway“ mit seinen drei Akkorden und dem ‚Fussballchorus‘ erinnert in mancherlei Hinsicht daran. „Follow your Heart“ lautet dessen Refrain, was auch Vantols musikalischen und sprachlichen Kosmos umreißt. Er hat das Herz auf dem rechten Fleck und singt gerne über das Leben an und für sich, über das Reisen und Nachhausekommen und über die Erlebnisse auf dem Weg dazwischen. Die Freiheit und die Sehnsucht, nie zu altern, besingt er in „We’re not gonna make it“, und „I’m restless, but I’m satisfied“, bekennt er in „Restless“.
Im Abschlusstitel, „’67 in Broken White“, beschränkt sich Tim Vantol auf seinen heiseren Gesang zur akustischen  Gitarre. „I wish, I could take your for a ride on those breezy summer Nights“, singt er dort und formuliert damit seine Version der Singer/Songwriter-Romantik.

Die Songs und ihre Interpretation gefallen, auch wenn man alles schon einmal gehört hat. Zum Nachteil gereicht Tim Vantol am ehesten, dass die Rolle des rauen, aber liebenswerten Barden, der uns von seinem Wanderleben musikalisch erzählt, schon recht häufig prominent besetzt war. Dass er auch mit seinem dritten Album nicht versucht, die doch recht breit ausgetretenen Wege des umherschweifenden Troubadours mit Klampfe zu verlassen, kann durchaus enttäuschen. Aber hey: Er bietet immerhin unterhaltsame 40 Minuten Musik, nicht überproduziert und handgemacht.

→ [Offizielle Homepage](http://www.timvantol.com) von Tim Vantol

(Cover: Odyssey Music)

Quadro Nuevo, 27.4.2017, Freudenhaus, Lustenau (A)

„Flying Carpet“ heißt das neue Album des Münchner Weltmusik-Quartetts – und sie haben ihn tatsächlich mitgebracht: Was da auf der Bühne liege, sei zwar in Tat und Wahrheit nur ein gewöhnlicher Teppich, gesteht Gruppensprecher Mulo Francel. Aber man solle sich bitte trotzdem darauf niederlassen, vielleicht würde man ja doch mit der Musik abheben.

Zum Abheben, wie es der fliegende Teppich suggeriert, eignet sich die Musik des Quadro Nuevo weniger. Ihre vor allem ruhigen Kompositionen mit gelegentlich schwelgerischen Passagen umgarnen, bringen zur Ruhe und lassen einen in den wohligen Tönen versinken. Und wohlig bleiben die Melodien und Arrangements eigenartigerweise auch bei den furiosen Perkussionseinlagen von Dietmar Lowka oder wenn sich Mulo Francel und Andreas Hinterseher zu einem ihrer eloquenten Soli aufschwingen.

Mulo Francel steuert mit Saxofonen und Klarinetten unterschiedliche Klangfarben bei, Andreas Hinterseher mit Akkordeon und Vibrandoneon, und wenn Dietmar Lowka vom wahlweise gezupft und gestrichenen Bass zu Dombak und – von ihm nur als Basstrommel eingesetzten – Daf wechselt, übernimmt Evelyn Huber mit der Harfe die tiefen Töne.

Das Quartett ist weit gereist, spielte mit Tango-Musikern in Argentinien und jüngst mit Musikern in Kairo, und amalgamiert dabei fremde Traditionen zu einem eigenen Stil. Da folgen Walzer- und Musette-Klänge auf eine melancholisch-elegische orientalische Melodie, und das Harfen-Glissando vereint sich mit Trommelrhythmen – eine Mischung, in der auch das Fremde anheimelnd vertraut wirkt.

Auch wenn der Teppich am Bühnenrand nicht abgehoben ist und die Zuhörer auf den Stühlen geblieben sind – sie haben sich trotzdem in anderen Sphären vergnügt, und zwar sehr.

Offizielle Homepage von Quadro Nuevo

((Fotos: TheNoise))