Kategorie: Neu erschienen

Synje Norland „Who Says I Can’t?“

norland[rating=3] Sparsam instrumentierter Kammerpop

Die Nordfriesin, Wahlkanadierin und Teilzeithamburgerin Synje Norland macht es einem nicht leicht. Abwehrend bis skeptisch, wenngleich nicht ängstlich, hebt sie die linke Hand wie ein Stoppsignal und blickt dem Hörer ihrer neuen CD selbstbewußt entgegen: Wer sagt, dass sie nicht könnte, wenn sie wollte? Das Zeug zur populären Sangeskünstlerin wie Helene-„Atemnot in der Nacht“-Fischer hätte sie allemal, das entsprechende Äußere ebenso. Synje Norland ist aber bislang unter ihrem eigenen Namen andere, anspruchsvollere Wege gegangen. So auch mit ihrem neuen Album. in Eigenregie eingespielt, arrangiert, komponiert und produziert und auf dem eigenen Label Norland Music veröffentlicht.

Unabhängigkeit scheint ein wichtiges Merkmal der Musik von Synje Norland zu sein. Das birgt Risiken, keine Frage. So vergingen vom letzten bis zum aktuellen Album gut fünf Jahre, in denen sie unter anderem mit Santiano tourte. Von deren Musik ist sie jedoch sehr weit entfernt.
Norland bietet eine recht interessante Mischung aus stimmlichen Varianten, die mitunter an Annie Lenox erinnern und durchaus popkompatibel sind und akustischem Kammerpop. Stimme, sparsame Instrumentierung, die vor allem von Michael Beckers Cello getragen und durch Norlands Spiel an Gitarre, Klavier, Schlagzeug oder Synthesizern ergänzt werden. Eher Moll als Dur, aber keine typische Liedermacher-Innerlichkeit, sondern von verträumt bis selbstbewußt gesungen. Auf jeden Fall weitab vom Mainstream und ein Erlebnis, das in den besten Momenten eine ganz eigene Stimmung schafft, die ein wenig an die dunkle Romantik der Lieder Franz Schuberts erinnert.

Norland hat ihre Ziele ehrgeizig hoch gesteckt, doch insgesamt fehlt noch die stilistische Einheitlichkeit, die aus „Who Says I Can’t“ einen Liederzyklus macht. Sie pendelt – vielleicht aus Unentschlossenheit, vielleicht aber, weil sie einmal das eigene Spektrum demonstrieren möchte – zwischen verschiedenen Welten. „Delirium Dive“ ist ein moderner, verträumter Folksong, und „Into the Blue“ mischt nicht ungeschickt Klassik und Folk. Michael Becker drückt „My Heavy Heart“ und etlichen anderen Titeln mit dem Cello seinen Stempel auf, und hin und wieder haben die zwölf Titel durchaus Popformat.
Ein bisschen viel auf einmal? Ach nein, insgesamt gesehen geht das mehr als in Ordnung. Am besten gelungen scheint, neben den beinahe jazzigen Passagen, der Titelsong „Who says i can’t“. Denn dort schaffen Norland und Becker ein ganz eigene, beinahe verwunsche Athmosphäre, die ihresgleichen sucht.

(Cover: Norland Music)

Nick Waterhouse „Never Twice“

waterhouse[rating=3] Handgemachte und liebevoll produzierte Zeitreise

Nick Waterhouse hat, wie auf dem Cover seiner neuen CD „Never Twice“ zu sehen, eine immense Sammlung Vinyl-Scheiben. Das gibt bereits deutlich die Richtung vor, in die sich seine dritte Platte bewegt: analoger Sound, tief im Rhythm and Blues und dem Doo Wop der Fünfzigerjahre verwurzelt, kombiniert mit Club-Jazz, Boogaloo und Soul der Sechziger. Passend dazu sein Erscheinungsbild auf dem Foto: eine Mischung aus Buddy Hollys jüngerem Bruder und einem Ostküstenintellektuellen der frühen Sechziger.
Retro also, sonst nix?
Der Mann ist sicher ein glühender Verehrer dieser Ära, aber gleichzeitig lebendiger Teil der aktuellen Musikszene von San Francisco. Geboren 1986, huldigte Waterhouse bereits mit Anfang 20 in einer lokalen Band den Animals und frühen Who. Nach einigen Achtungserfolgen, die wohl eine professionelle Existenz als Musiker nicht zuliessen, verlegte er sich darauf, Musik als DJ aufzulegen. Seine erste Solo-Single, „Some Place“ (2010), fiel in die Hände eines einflussreichen anderen DJs und begründete seinen Ruf als Entertainer mit Faible für die Musik der Fünfziger- und Sechzigerjahre. Seither bewegt er sich als eine Art Geheimtipp durch die Musikwelt und veröffentlicht alle zwei Jahre ein neues Album. Ob sich an diesem Status viel ändert, darf bezweifelt werden. Denn entweder fehlt Waterhouse das Quäntchen Persönlichkeit oder die Unterstützung einer großen Plattenfirma – ganz sicher jedoch ein ausgekochtes Management.
Entscheidender ist vermutlich, dass Waterhouse zwar die Klänge kongenial aufleben lässt, dabei jedoch eher Fan bleibt. Er will offenkundig die Sounds nicht kreativ neu interpretieren und ihnen auch kein Update verpassen. So hört man auf „Straight Love Affair“ die Orgel aus „Green Onions“, und bei „Tracy“ meint man, dass gleich Wolfman Jack um die Ecke kommt und „Hit the Road, Jack“ zum Besten gibt.
Wo ist die eigene Note, wo bleibt der persönliche Ausdruck? Was zeigt Mr. Nick Waterhouse in diesem durchaus vergnüglichen Album von sich als Musiker, was macht seine Musik unverwechselbar? Leider noch zuwenig. Aber vermutlich ist die Hauptintention von Waterhouse auch nicht der unverwechselbare, individuelle Stil, sondern die Referenz an die Musik der Altvorderen. So hören wir also zehn unterhaltsame, flotte Titel, erkennen das eine oder andere aus dem Fundus der Rockmusik und werden dabei gut auf altmodische Art und Weise unterhalten. Das ist schön und gut, aber zuwenig für die große Karriere. Wahrscheinlich strebt Waterhouse die auch gar nicht an, sondern macht einfach das, was ihm und seinen zahlreichen Mitstreitern auf „Never Twice“ Spass macht: eine liebevoll produzierte Zeitriese mit handgemachter Musik.

(Cover: Innovative Leisure Records)

 

Kofelgschroa „Baaz“

us-0480_kofelgschroa_baaz_cover2-1024x1024 Gerade noch oder nicht mehr Volksmusik? Raus aus den Schubladen

Als Anfang der 1980er Jahre ein Typ unter dem Namen Haindling mit Abzählreimen experimentierte, etwas später die oberösterreichischen Brüder Attwenger die Macht des Weglassens entdeckten, war auf alten und ausgetretenen Wegen was ganz Neues, sehr Regionales aber auch Welt-läufiges entstanden. In dem Dorf Oberammergau ist das vor ein paar Jahren wieder passiert.

Der Ort, weltbekannt wegen seiner Jesusbärte und seiner Festspielhybris, bringt vier umwerfende Jungs hervor, die in kein Raster (Volksmusiker, Hippies, Punks, Anarchisten?) passen.
Als dann – ungefähr zum Erscheinen des zweiten Albums „Zaun“ – der Autor und Musiker Eric Pfeil die Band namens Kofelgschroa in einem sehr ausführlichen Artikel (Rolling Stone sic!) in den Himmel hob, gab es nichts mehr hinzuzufügen und ich konnte eine halbfertige Plattenkritik in die Tonne treten.
Mit dem neuen Album ‚Baaz‘ zündet die „Miniblaskapelle“ jetzt die dritte Stufe und einschlägige Magazine darben noch ungelesen, fest in Folie verschweißt.

Erweitert um rudimentäres Schlagwerk, Kontrabass und Orgel haben die Produzenten Micha Acher und Oliver Zülch das Album vor Ort im Hotel Kòfel eingespielt. Leicht spöttisch und selbstironisch in den Texten, spielen die 4 Musiker sich in vielen Tonart- und Rhythmuswechseln so kurzweilig durch die 60 Minuten, dass am Ende des Albums nur der Neustart in Frage kommt.
Das fast neun minütige Titelstück ‚Baaz‘ ist ein guter Anspieltipp, ein Harmonium-, Helikontuba-, Klampfen-, Schlagwerkbastard im psychedelisch stampfenden Krautrockgewand.

„Bleib i liegen, bleib i wach, kommt auf a kurze Nacht a langer Dog“ mit dieser für Kofel- gschroa typischen Einsicht, der Mischung zwischen Hochdeutsch und Mundart ist diese Musik aus bayerischer Volksmusik geboren, mit Polka und Tango vermählt im Geiste von Punk und Rock’n’Roll.

Meisterwerk! Jahresendliste!

(Cover: trikont.de)*

Ultimate Painting „Dusk“

ultimate-painting[rating=3] Hommage an die Vorbilder aus den Sechzigerjahren

„Dusk“ ist die dritte Veröffentlichung der britischen Indie-Darlings Jack Cooper und James Hoare, die nebenbei oder währenddessen Zeit für weitere Bands wie Veronica Falls oder Mazes finden. Fleissige, junge Männer! Ihr gemeinsames Engagement bei Ultimate Painting bietet Psychedelia vom Feinsten. Die Midtempo-Songs haben Ohrwurmcharakter, auch oder gerade weil sie beinahe formelhaft erscheinen – jedoch ohne formelhaft zu wirken. Perlende Gitarren treffen auf eine stoisch durchgehaltene Basslinie und ein unauffälliges Schlagzeug. Darüber singen Cooper und Hoarse von der Mühsal heutigen Daseins oder auch vom früh verstorbenen Brian Jones. Das alles kommt wunderbar leicht und eingängig herüber, und bevor man an die überlebensgroßen Vorbilder dieses Sounds denkt, freut man sich einfach darüber, das so etwas heutzutage aus den Lautsprechern kommt.

Was einfach und simpel wirkt, ist dennoch das Ergebnis fleissigen Studierens – oder besser: des Hörens der Musik der alten Recken. Gemeint sind dabei beispielsweise Velvet Underground, aber nicht die krachigen mit John Cale und Nico, sondern die Besetzung von 1969 mit Doug Yule. Andererseits: Wer hat sich nicht schon alles auf diese und ähnliche Bands seither bezogen? Cooper und Hoare gelingt jedoch das Kunststück, mit bekannten Mitteln Neues und Hörenswertes zu erzeugen. Die beiden haben ein Händchen für Melodien, für den  sparsamen Effekt zur richtigen Zeit und für die passenden Gesten und Texte. Selbst das Cover von „Dusk“ wirkt gleichzeitig wie ein Zitat und eine Hommage an das Artwork der Sechzigerjahre. Der erste Song, „Bills“, bietet bereits einen guten Überblick über das musikalische Universum von Ultimate Painting: Zwei Gitarren, die sich mit ihren hellen, perlenden Läufen umkreisen wie in den glorreichen Tagen des Jangle-Pop (Beispiele hiefür sind „Mr. Tambourine Man“, „A Hard Days Night“ oder „Losing my Religion“), dazu eine präzise Schlagzeugerin und ein Bassist, der alles erdet. Nimmt man den letzten Titel, „I can’t Run Anymore“, mit seiner Fuzz-Gitarre und dem lakonischen Gesang hinzu, ist das Terrain von „Dusk“ schon ziemlich weit abgesteckt. Die anderen acht Titel dazwischen, stellenweise wirken sie fast hypnotisch, entfalten aber jeweils ihren eigenen Reiz. Hier und da kommen eine Orgel oder ein Wurlitzer-Piano zum Einsatz und das 4/4-Schema wird auch mal verlassen.
Ein äußerst unterhaltsames, kurzweiliges Erlebnis, aufgenommen übrigens im Heim-Studio der Herren.

(Cover: Out of Mind)

 

Hamilton Leithauser + Rostam „I had a dream that you were mine“

leithauser[rating=4] Reminiszenz an die goldene Zeit des amerikanischen Pop

Der US-amerikanische Sänger Hamilton Leithauser dürfte dem einen oder anderen als Sänger der New Yorker Band The Walkmen bekannt sein, die in den Jahren nach 2000 mit kommerziellem Indie-Pop aktiv war. Die Band hat sich seit 2014 eine unbestimmte Auszeit verordnet. Nachdem er im gleichen Jahr sein erstes Solo-Album vorlegte, hat Leithauser nun ein neues Projekt. Dieses formte er mit dem Multiinstrumentalisten Rostam Bantaglij, ex-Vampire Weekend. Mit „I had a dream that you were mine“ legen die beiden ihr Debut vor. Der Sound der zehn Songs wirkt beim ersten Hörer durchaus nostalgisch oder, wie es heute so plakativ heisst: Retro oder Vintage-Sound. Einerseits ist dies dem analogen Equipment zu verdanken, wie es früher auch The Walkmen in ihrem eigenen  Studio eingesetzt haben, andererseits dem Songwriting von Leithauser + Rostam. Den beiden scheint es vor allem um den Spaß zu gehen, Musik aus der Vergangenheit intelligent in die Gegenwart zu transportieren. Sie denken dabei aber auch über Vergänglichkeit oder das voranschreitende Alter nach.

„You ain’t that young Kid“ beginnt mit einer typischen Dylan-Harmonika, die von Beatles-Gitarren begleitet wird. Schließlich singt süßlich ein Mädchen-Chor, eine Hammond-Orgel nimmt die Harmonien auf, ein Clavinet und noch Manches andere kommt hinzu. Aber über allem thront der heisere Tenor von Leithauser, der über eine verflossene Liebe singt. Leithauser zieht als Sänger etliche Register und gibt den Entertainer. Sei es, dass er ganz im Stil der züchtigen fünfziger Jahre davon träumt, daß die Angebetete ihm ganz allein gehören möge („I had a dream that you were mine“), sei es, indem er Szenen aus schäbigen Bars und dunklen Parkplätze entwirft („You ain’t that young  Kid“).

Die Arbeitsteilung scheint damit klar: hier der Sänger, dort der Arrangeur und Multiinstrumentalist Rostam, der als eine Art lebender Musikbox virtuos die Stile vergangener Epochen mixt. Doch so einfach ist es nicht, denn auch Leithauser ist als Bassist und Gitarrist sowie als Komponist und Arrangeur am Klangbild maßgeblich beteiligt. Dieses bietet Doo-Woop-Adaptionen, spanische Gitarren, Anklänge an George Martins Zaubereien bei den Beatles, Reminiszenzen an Leonhard Cohen, antike Synthies aus den Achtzigern, Vaudeville-Pianos, Saxofon-Soli, Celli … Wer möchte, kann das ganze Klangpuzzle wieder auseinandernehmen und in seine Bestandteile zerlegen. Aber bekanntlich ist das Ganze mehr als die Summe seiner Teile. Weil Leithauser und Rostam begabte und versierte Klangtüftler mit hörbarem Spass an der Sache sind, vermischen sie die unterschiedlichen Zutaten auf ihre Album zu einem angenehmen, durchgehenden Hörvergnügen voller Up-Beat-Nummern mit melancholischen Obertönen, die aber nie ins Lamoryante verfallen.

(Cover: Glassnote Rec.)

Kristoffer and the Harbour Heads „EX/EX“

kristoffer_and_the_harbour_heads_ex_ex_album_cover_150dpi[rating=3] Nicht die Zukunft des Rock’n’Roll, aber ein gut hörbares Album

Das schwedische Trio um den Sänger, Songwriter und Multiinstrumentalisten Kristoffer Ragnstam aus Göteborg ist seit 2010 aktiv. „EX/EX“ ist ihre dritte und bislang ausgereifteste Veröffentlichung. Eingespielt wurde das Album laut eigener Mitteilung in nur vier Tagen in einem Studio in Los Angeles und anschließend  in den berühmten Muscle Shoals Studios in Alabama gemixt. Man könnte bei dieser direkten Herangehensweise natürlich an einfachen, eingängigen Rock denken, aber das Trio bietet verspielten Indie-Pop mit elektronischen Helferlein wie Drum-Computer und Synthesizer. Allerdings ging der rasanten Produktion nach Angaben der Band ein intensives Jahr der gemeinsamen Vorbereitung und Songwritings voraus. Und bei der Produktion im Studio half Bruce Salter, ein Mann, der auch schon mit ‚Boss‘ Bruce Springsteen zusammengearbeitet hat.

Die Songs haben bisweilen etwas Kollagenhaftes und nehmen gerne Anleihen beim Psychedelic-Pop der Sechzigerjahre. Kristoffer und die Harbour Heads (Bassist und Gitarrist Joel Lundberg und Emil Rindstad an Keyboards und Schlagzeug) haben sich fleißig durch den Katalog der englischen und amerikanischen Pop-Psychedelia gehört, setzen ihre Hörerlebnisse jedoch charmant, clever und zeitgemäß um, und keineswegs als reines Retro-Projekt. Die vorab veröffentlichte Single „When you say stay“ widmet sich dem Thema der Migaration nach Europa, im dazu gehörenden Video tauchen ein nun in Deutschland lebendes Mädchen aus dem Libanon sowie ein Zebra auf. Ragnstam war vor seiner Zeit bei den Harbour Heads als Singer/Songwriter tätig. Das brachte ihm den zweifelhaften Spitznamen ‚der schwedische Beck‘ ein. Gemeint ist damit nicht der schwedische Kommissar des Autorenduos Maj Sjöwall und Per Walhöö, sondern der amerikanische Musiker Beck Hansen. Aus dieser Singer/Songwriter-Phase erklärt sich dann wohl auch, dass Kristoffer Ragnstam nicht vor ernsteren Themen zurückschreckt. Übergeordnetes Thema seiner Songs seien Beziehungen, die in die Brüche gegangen sind. Auch bei „When you say stay“ geht es in einem weiteren Sinn um menschliche Beziehungen. Wie man weiss, sind die Begegnungen zwischen Einheimischen und  den Fremden nicht immer einfach oder konfliktfrei.

Ragnstam ist als Sänger zwar weder besonders markant, noch unverwechselbar, und die Songs wirken durch die Anleihen beim Sechziger-Pop als ob man sie bereits gehört hätte. Trotzdem verbreitet „EX/EX“  mit seinen neun Songs eine entspannte Athmosphäre. Es ragen weniger einzelne Titel heraus, vielmehr entsteht eine Art Klangteppich, der mit durchaus neuen Mustern – hier abschnittsweise Harmonien und Sounds aus der klassischen Rockära, dort moderne elektronische Umsetzung und aktuelle Songthemen – durchaus gefällt. Kristoffer and the Harbour Heads bringen uns nicht die Zukunft des Rock’n’Roll, haben aber ein gut hörbares Album abgeliefert.

(Cover: Pop-Up Records)

Ahura, 21.08.2016, Walserherbst, Blons (A)

Eghbal-7762Er hat das verwegene Gesicht eines gealterten Haudegens und wirkt gleichzeitig wie die personifizierte Güte: Mohammad Eghbal ist das Zentrum von Ahura. Mit der Gruppe – sie tritt in wechselnden Besetzungen auf – hat er sich dem Werk von Dschelaluddin Rumi verschrieben, dessen Gedichte er gefühlvoll vertont.

Mohammed Eghbal braucht nur wenige Töne, um die nüchterne Umgebung der Mehrzweckhalle vergessen zu lassen. Wie improvisiert beginnt er mit einer sanften, auf der Ney gespielten Melodie aus wenigen, eher rauchigen Tönen, dazu rezitiert seine Frau Christa Eghbal das Rumi-Gedicht in Deutsch, bevor sie mit der Harfe einsteigt. Gelegentlich greift sie auch zur Rahmentrommel Daf, für die normalerweise der feinfühlige iranische Perkussionist Hossein Amini zuständig ist. Mohammad Eghbal wechselt zwischen Ney und Oud und singt mit warmer Stimme, sanft und fest. Friedvoll sind seine Interpretationen und andächtig. Und das, obwohl Ahura nicht nur getragene und erhabene Stücke bringen: Mohammad Eghbal setzt mit der Oud auch jazzige Akzente und flicht genauso selbstverständlich fröhliche Melodien ein. Dabei bleiben die drei Verkünder von Rumis bedingungsloser Liebe ein Trio im Dienste des Wohlklangs und bietet die musikalische Entsprechung zu Rumis Dichtkunst. Es ist Musik, die selbstvergessen macht – und lange nachhallt.

Offizielle Homepage von Ahura

Offizielle Homepage Walserherbst

Bohatsch & Skrepek, 21.08.2016, Brandalpe, Damüls (A)

Bohatsch_Skrepek-7698Schon beim Aufstieg habe ich mich gefragt, warum denn zwei Wiener auf eine Alm hochlaufen und dort musizieren sollen, wenn der Spaziergang auf die Vorarlberger Alm als bewahrenswertes historisches Kleinod aufmerksam machen soll. Der Regen macht die Wege durch Gras und Heidelbeerflecken schlüpfrig, er durchnässt die Kleider, aber er verwässert nicht die Lieder von Helmut Bohatsch und Paul Skrepek. Obgleich nur am Rande dem Wienerlied zuzuordnen, sind diese die Wurzeln der ironischen und hintergründig-verschmitzten Lieder, die Helmut Bohatsch mit komödiantischem Talent interpretiert. Das Duo braucht nicht viel – Kontragitarre und Stimme sind die Basis, zu denen sich in den Intermezzi mal Mundharmonika, mal Melodica gesellt, oder auch nur ein Plastikbecher, mit dem Bohatsch eine Trompete mit Schalldämpfer simuliert.
Auch wenn die Vorstellung, die beiden Wiener auf der Alm musizieren zu lassen, wirkt, als ob sie einem Kottan-Krimi entstammt: Bohatsch & Skrepek zeigen schon mit wenigen Takten, dass auch Widerborstiges auf die Alm passt und der heutige Senn den Blues nicht mit Zäuerlis bekämpft. Und so wird rasch klar, so ganz ohne Arbeit und mit einem Schnaps zur zünftigen Jause könnte man den beiden einen ganzen sonnigen Nachmittag lang zuhören.

Offizielle Homepage von Bohatsch & Skrepek

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Swans „The Glowing Man“

Swans_TheGlowingMan_Packshot[rating=3] Faszinierend und herausfordernd

Ein neues Werk der arrivierten New Yorker Avantgarde-Band. Arriviert und Avantgarde sind nur scheinbar ein Widerspruch, denn über mangelnden Zuspruch zumindest der Kritiker können sich Michael Gira und seine Mitstreiter mittlerweile nicht mehr beklagen. Anfang der Achtziger-Jahre im kaputten und wilden Manhatten gegründet, präsentierten sich die Swans zunächst vor allem als musikalisches Abbruchunternehmen. Dem New Yorker No Wave-Sound und Industrial gleichermaßen verbunden, waren Konzerte in den frühen Jahren ein Unternehmen für Wagemutige: kaum Songs, viel und vor allem sehr lauter Gitarrenlärm, Polizeieinsätze während der Auftritte und so fort. Dagegen waren James Chance oder Lydia Lunch pure Unterhaltung. So ging es einige Jahre weiter, bis Gira beschloss, dem Ganzen ein vorläufiges Ende zu setzen. Zuvor war die Band jedoch noch mit dem Joy-Division-Cover „Love will tear us apart“ über die Keller-Clubs und Avantgardezirkel hinaus bekannt geworden. Gira verfolgte in der Zwischenzeit eigene Projekte und gründete das Label Young God Records.

2010 rief er dann die neue Besetzung der Swans ins Leben, die mit dieser Doppel-CD ihr neuerliches Ende haben soll. Auf den zwei Silberlingen von „The Glowing Man“ finden sich nur acht Titel, darunter zwei mit einer Spieldauer von deutlich über 20 Minuten. Der erste Titel, Song kann man eigentlich nicht sagen, „Cloud of Forgetting“, zeigt in einer guten Viertelstunde, worauf man sich einlassen muss: sonorer Sprechgesang Giras, Drone-Sounds, repetetive Gitarrenriffs, die Stimmung mollgedämpft, Feedbacks und bisweilen symphonische Elemente. „Cloud of Unknowing“, das zweite Stück, bleibt düster, klaustrophobisch, lärmend und monoton, dabei streckenweise fast beschwörend, dann wieder bedrohlich.
Aber auch alte Avantgardisten, Gira ist mittlerweile auch schon über sechzig, brauchen ab und an etwas Ruhe und müssen sich vom Erschrecke-den-Hörer-Spiel ausruhen. Ms. Jennifer Gira singt den Song „When will I return“ fast mädchenhaft und hält die Dämonen in Schach. Die Band bleibt dabei brav und beinahe pastoral, wenn Giras Ehefrau monoton wiederholt, dass sie „alive“ sei. Wie schön.
„The Glowing Man“, der Titelsong, läßt sich viel Zeit. Eine Orgel, eine Gitarre wie bei den lärmigen Songs der Velvet Underground, überhaupt Noise, und Backgroundgesang wie aus dem Death-Metal-Lehrbuch zu leiernden Leadvocals – Live ist das sicherlich anstrengend und erschöpfend. Zum Abschluss finden die Swans aber Frieden. „Finally Peace“ zeigt, dass auch die größten Krachmacher lyrische Momente haben. Klar, dass hier auch Ehefrau Jennifer wieder am Start ist.

Wer nicht „Fuck Art, let’s dance“ skandiert und auch nicht einfach unterhalten werden will, ist bei „The Glowing Man“ der Swans gut aufgehoben. Keine Platte für den Alltag, dafür faszinierend und  herausfordernd. Aber wie eigentlich immer bei Avantgardisten (Georg Antheil und Luis Bunuel einmal ausgenommen) fehlt der Humor, weshalb einem die Band auf Bildern grimmig entgegenblickt.

(Cover: Mute Rec.)