Kategorie: Neu erschienen

Rosetta „Quintessential Ephemera“

rosetta[rating=3]Das volle Brett? Aber nicht doch.

Hier kommt eine kalifornische Band, die zwar einerseits Metal spielt, andererseits aber auch Ambient und Prog-Rock-Elemente in ihre Kompositionen einfliessen lässt. Wie die Weltraumsonde gleichen Namens sind auch die Amis bereits längere Zeit unterwegs. Während die eine jedoch alleine durch das dunkle, kalte All fliegt, reist das Quintett durch Klangwelten, die mit dem Etikett Post-Metal nur unzureichend beschrieben sind. Die Band selbst nannte in frühen Tagen ihren Sound ‚Metal für Astronauten‘, aber auch das ist letztlich nur eine vage, selbstironische Umschreibung.
Schauen wir einfach mal aufs Cover ihrer kürzlich erschienenen CD „Quintessential Ephemera“. Dort sehen wir abstrakte, beinahe graphische Muster, die in grau und grün gehalten sind. Sie stammen – wie die gleichartigen Muster im Inneren des Klappcovers – vom US-Künstler Mark Price. Bilder der Bandmitglieder gibt es nicht.
Nun zur Titelübersicht: Erster Titel „After the Funeral“. Ein interessant klingendes Instrumentalstück. Dezent rockende, klare Gitarren, perlendes Piano, eher ruhig-fliessend als aggressiv und hart. Doch dann knallt einem unvermittelt eine Dachlatte an den Kopf: Titel Nummer zwei, „Untitled I“, lässt gleich eine Lawine aus Gitarren, Bass, Schlagzeug und ‚Growls‘ auf den Hörer los. Durchaus geeignet, den unbefangenen Hörer zu erschrecken. Der tiefe, gutturale Gesang, eben die Growls, wird als Stilmittel durchgängig eingesetzt. Da alle fünf Mitglieder ihren Teil zum Gesang beitragen, reicht das vokale Spektrum vom reinem metaltypischen Gebrüll über rockige Intonation bis hin zu sphärischen Chören. So auch in den folgenden Kompositionen, die „Untitled II“ bis „Untitled VII“ benannt sind und fast wie eine einzige, durchgängige Klanglandschaft daherkommen. Die Bandbreite changiert zwischen den Polen laut/leise und schnell/verhalten oder ambientartig ruhig bis metal-heftig.
Von Songs im klassischen Sinne kann man nur bedingt sprechen. Das ist durchaus eine Herausforderung. Doch es lohnt sich, Rosetta über 50 Minuten zuzuhören. Denn sobald man meint, den Herren ein Etikett ankleben zu können, sind diese schon wieder einen Schritt weiter. Auch nach zwölf aktiven Jahren, zehn Alben und unzähligen Live-Shows ist die Band konzeptionell noch ambitioniert und nicht auf eine Richtung festgelegt. Erst der neunte Song, „Nothing in the Guise of Something“, hat wieder einen richtigen Titel, und und mit ihm endet das Album mit einem eher zurückhaltenden, fast schon romantischen Instrumentalstück.

War das Debüt „The Galilean Satellites“ (2005) noch mit zwei Platten – eine Ambient- und eine Metal-Platte, die parallel abgespielt werden konnten (oder eben auch nicht) – auf die Koexistenz zweier Stilrichtungen ausgelegt, so herrscht nun eine Synthese aus beiden. Diese wird abgeklärt, virtuos und mit einer gewissen Selbtironie dargeboten, wobei auch die Metal-Anhänger durchaus auf ihre Kosten kommen. Doch  Rosetta gehen deutlich über dieses Genre hinaus, was „Quintessential Ephemera“ auch für Hörer mit anderen Vorlieben reizvoll macht.

Jack Savoretti „Written in Scars“

Jack _Savoretti_Albumcover_800(1)[rating=2] Erwachsener, eigenständiger, erdverbundener

Drei Jahre sind vergangen, seit Jack Savoretti sein letztes Album veröffentlicht hat. Zwischenzeitlich hatte er nach eigenem Bekunden mit dem Gedanken gespielt, die Musik an den Nagel zu hängen. Die Gründe, die er dafür anführt, kommen einem bekannt vor: Ärger mit Managern und Plattenfirmen, Karrierepläne, die nicht aufgehen, die wirtschaftlich unsichere Existenz als Künstler. Den Sinneswandel, der ihn dazu bewogen habe, es nochmals zu versuchen, begründet er so: Seine Entscheidung, die professionelle Musikerlaufbahn aufzugeben, habe den Erfolgsdruck von ihm genommen. Die so gewonnene neue Freiheit habe zu einem Kreativitätsschub geführt. Mit anderen Worten: Savoretti komponierte fleißig und traf in der Zwischenzeit die für ihn richtigen Leute: Etliche Songs auf „Written in Scars“, etwa der erste Titel „Back to Me“, entstanden in Zusammenarbeit mit Samuel Dixon, der auch mit Adele arbeitet. Diese Songwriting-Partnerschaft wirkte sich fruchtvoll auf Savoretti aus, denn er änderte seine Arbeitsweise. Am Anfang habe dieses Mal der Rhythmus und der Sound gestanden, erst danach seien Strukturen entstanden.

Das ist sicherlich keine gewöhnliche Herangehensweise für einen Singer-Songwriter, und sie führte denn auch zu einem hörbar anderen Klangbild. Klang Savoretti am Anfang seiner Karriere noch ein wenig wie eine Art Quersumme des romantischen Troubadours, so wirken Stimme und Kompositionen nunmehr erwachsener, eigenständiger, erdverbundener. Die unverwechselbare warme, kratzige Stimme hat er behalten. Aber auch diese scheint nunmehr gereifter, wenngleich immer noch mädchenschwarm-tauglich.
Musikalisch geht Savoretti mit der neuen Platte trotzdem keine wirklichen Risiken ein. Eingängige Popmelodien paaren sich mit Country und Soul-Elementen in mitunter etwas forciertem Rhythmus. Das sei von Profis clever ür die junge weibliche Zielgruppe hergestellt, könnte man spotten. Natürlich singt Savoretti von unerfüllter Sehnsucht und vom Wunsch, die Geliebte möge nach Hause kommen, und er singt auch vom Freiheitswillen jedes Individuums oder von der großen Kraft der Liebe. Dazu lässt der Produzent an passender Stelle ein paar Geigen schmelzen oder er bringt einen gefühlvollen Chor im HIntergrund.

Ist das zuviel der Romanze? Vielleicht, aber der Mann tritt ja nicht an als der zornige Prophet aus dem brennenden Dornbusch. Und: ja, auch männliche Hörer werden dabei ganz gut unterhalten, solange sie keine komplexen Arrangements oder Soundtüfteleien erwarten. Das ist gut gemachter Pop – nicht mehr, nicht weniger. Jack Savoretti müsste also gar nicht so traurig in die Zukunft blicken, wie er das auf dem Cover von „Written in Scars“ macht.

El Zitheracchi „Modernes Raubzithertum“

Zitheracchi[rating=3] Feinfühlig, traditionell-modern

Raubzithertum – das klingt martialisch und evoziert die Rechtlosigkeit und Brutalität eines Thomas von Absberg, dem an der Seite des Götz von Berlichingen kämpfenden ‚Schrecken Frankens’. Doch El Zitheracchi ist weniger Haudegen an der Zither als Minnesänger. Und auch wenn der Künstlername wirkt, als habe er zu viele Spaghetti-Western gesehen, spielt El Zitheracchi keineswegs schneller als sein Schatten. Im Gegenteil: Er glänzt nicht durch Virtuosität, sondern durch die feinfühlige Interpretation seiner durchweg ruhigen und melodiösen Kompositionen.
Der Musiker, der sich gerne manieriert hinter der breiten Hutkrempe versteckt, spielt weltoffen, aber nicht folkloristisch. Er integriert unterschiedliche Einflüsse, ist aber auch dann kein plumper Nachahmer anderer Stile, wenn er explizit eine mittelamerikanische Volksweise zupft. Er spielt sich mit dem kontemplativen, siebeneinhalbminütigen „Bavarindi“ in Trance, lädt mit der kurzen „Zitheracchi-Suite“ zum Tanz, und mit „Schön voran“ gelingt ihm ein gefälliger Ohrwurm. Bei den meisten Stücken lässt er sich von einem Musiker begleiten; dann sorgen entweder Bass, Saxofon, Tabla, Djembé und einmal auch ein Hang für eine zusätzliche Klangfarbe, die den jeweiligen Stücken gut tut.

Offizielle Homepage von El Zitheracchi

(Foto: Galileo)

Bros. Landreth „Let it Lie“

Bros_Landreth_cd[rating=2] Von US-amerikanischen Vorbildern unüberhörbar geprägt

Das Verhältnis Kanadas zu den „Lower 48 States“, also den unteren nordamerikanischen Staaten, mit denen man sich den Kontinent teilt, ist seit jeher delikat. Der übermächtig erscheinende Nachbar ist eine Herausforderung für das kanadische Selbstverständnis, das daher von Zeit zu Zeit einer Selbstvergewisserung oder Abgrenzung von den USA bedarf. Was hat dies mit dem Debüt der vier Rocker, darunter die beiden Brüder David und Joey Landreth, aus Winnipeg, Manitoba, zu tun? Eine Menge.
Beim ersten Hören meint man nämlich, Zeuge einer Renaissance oder zumindest Reminiszenz des ‚klassischen‘ US-Rock zu werden. Bluesige Gitarrenwände, eine warme Hammond-B-3-Orgel, Stimme und Stimmung schaffen einen Sound, den wir ohne weiteres mit namhaften US-Bands und Solisten aus der Rock-History (vor allem der 70er- und 80er-Jahre) verbinden. Auf der eigenen Homepage nennt die Band zwar ausgiebig Namen und Vorbilder, betont jedoch, natürlich, gleichzeitig eine gewisse Eigenständigkeit. Verständlich, denn das reine Epigonentum wäre ein Armutszeugnis.
Hier kann von bloßem Nachspielem aber keine Rede sein, selbst wenn den Kompositionen der Landreth-Brüder noch eine eigene Handschrift fehlt. Ob sie diese jedoch entwickeln werden, bleibt ungewiss. Für meinen Geschmack zielen Bros. Landreth mit „Let it Lie“ noch zu sehr auf breite Zustimmung beim Publikum. Nach dem Motto »etwas für jeden Geschmack» wechseln sich radiokompatible Songs wie „Made up my Mind“ mit Mid-Tempo-Rockern wie „Let it Lie“ und country-seligen Schunkelliedern ab. Das wirkt etwas kalkuliert und marktstategisch orientiert.
Herausragend sind jedenfalls der dreistimmige Harmoniegesang und die solide Gitarrenarbeit. Das alles ist nicht neu, ebensowenig die Texte. Diese schwanken zwischen vertontem Liebeskummer und der Begegnung mit der nächsten Dame. Solange man nicht die Zukunft des Rock’n’Roll erwartet, stört das nicht. Immerhin bekommt man solide musikalische und stimmliche Kost geboten. Für meinen Geschmack hätten es jedoch durchaus mehr krachende Rocker und weniger langsame Songs wie „Tappin‘ on Glass“ sein dürfen. Diese klingen doch zu sehr danach, als ob Bros. Landreth direkt bei amerikanischen Radiostationen im Nachmittagsprogramm Stammgast werden wollten – also ziemlich routiniert für eine junge Band. Da die Landreth-Brüder aber einige Jahre Erfahrung als Sidemen und Sessionmusiker haben und mithin ausgebuffte Profis sein dürften, verwundert dies nicht wirklich.
Mit der eigenen, kanadischen, musikalischen Handschrift hat es also noch nicht geklappt, dafür sind die Anleihen beim ‚klassischen‘ US-amerikanischen Rock zu ausgiebig. Aber das muss uns Europäer nicht stören.

Feral Kizzy „Slick Little Girl“

Feral-Kizzy-Slick-Little-Girl-Cover-300x300[rating=2] Nostalgisch und trotzdem aktuell

Debbie trifft Patti am Strand von Kalifornien nach Einbruch der Dunkelheit. Jeder, der Platten von „Blondie“ oder Großmama Patti Smith kennt, fühlt sich im Sound von „Slick Little Girl“ sofort zu Hause. Die Gnade der späten Geburt entpuppt sich somit manchmal als Fluch, denn wer will schon klingen und singen wie die Mütter? Daher peppen Feral Kizzy ihren Sound hin und wieder mit aktuellen Einflüssen auf, aber die Basis bilden doch die Klänge der beiden oben erwähnten Damen. Das muss nicht schlecht sein, denn schließlich hat das Gute Bestand.

Da sich die aktuelle Popmusik ohnehin seit längerem in einem ‚Post-Irgendwas‘-Zustand befindet, ist der Rückgriff auf den charmanten Pop Debbie Harrys oder die poetisch-trunkene Geste von Patti Smith sicher nicht die schlechteste Wahl. Folgerichtig sind die zehn Songs des Debüt-Albums der Kalifornier dynamisch, eingängig und überwiegend unterhaltsam. Man macht nichts verkehrt, wenn man mit dem dritten Song beginnt, bei dem sich die Qualitäten, aber auch die kreativen Grenzen der jungen Band deutlich zeigen. „The Way We Are“ gefällt trotzdem, weil es ein munterer Popsong mit eingängiger Melodie ist. Schwieriger wird es bei Songs wie „Lament“ oder „Not my Mind“. Denn auch wenn diese das erprobte Rock-Schema nicht wirklich verlassen, hört man, daß die stimmliche Qualität von Sängerin Kizzy Kirk schnell am Limit ist. Sie wird dann leicht heiser und schrill; aber die Vorbilder waren ja auch keine Stimmwunder. In „The Dinosaur“ fühlt man sich – noch ein Einfluss – an den Gesang und den bisweilen unerbittlichen Frohsinn der „B 52’s“ erinnert, jedoch fehlt der männliche Counterpart. Bei Feral Kizzy schweigen die Männer und die Frauen haben das Mikro erobert.

Alles in allem ist Feral Kizzy mit „Slick Little Girl“ ein über weite Strecken unterhaltsames Album gelungen. Den Preis für das hässlichste Cover des Monats gewinnen sie obendrein, aber bei all der musikalischen Nostalgie darf ein wenig Schockästhetik durchaus sein. Wenn sich dann noch einer der drei Männer getrauen würde zu singen, wäre das möglicherweise ein Gewinn – für die Ohren der Hörer und für Ms. Kizzys Stimmbänder.

Offizielle Homepage von Feral Kizzy

Irie Révoltés „Irie Révoltés“

IRIE_REVOLTES_ALBUM_COVER_500[rating=1] Texte bieder und bemüht, Musik auf ausgetretenen Pfaden

Neuestes Werk der ‚freien Revoltierenden‘, wie sich die neunköpfige Band aus Heidelberg nennt. Die Truppe mag live eine sichere Bank sein, auf Festivals für gehörige Stimmung sorgen und voller Engagement gegen die Mißstände dieser Welt musizieren. Was aber tut sich auf der neuen Platte? Nichts, was man nicht erwarten würde.
»Ha – Unsere Wut bricht aus! Zuviel Wut im Bauch«, heißt es im ersten Titel „Ruhe vor dem Sturm“. Aber mehr als eine leise Brise erzeugt dieser Sound nicht. Und Aufbruchstimmung lassen die ‚kämpferischen‘ Texte auch nicht aufkommen. Zu allgemein, zu vage, zu klischeebeladen oder zu Agitprop-bieder kommen diese Moritaten über den »sozialen Aufschrei, der von Knüppeln begraben wird« daher, wie sie in „Stopper“ singen. Auch die Klage über das vom Terminstress bestimmte Leben („Zu schnell“) mutet nicht sonderlich originell an. „Jetzt ist Schluss“ wiederum, eine Anklage gegen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit, bietet keine kritische Bestandsaufnahme der Gegenwart, sondern setzt Beobachtungen in Szene, die eher den Neunzigerjahren zuzuordnen sind, als Asylbewerberheime unter dem Beifall von bierseligen Nachbarn brannten. Gelegentlich sollte man auch die eigenen Überzeugungen einer kritischen Prüfung unterziehen, sonst wird das ‚gut gemeint‘ nicht zu ‚gut gemacht‘.

Zündet stattdessen die Musik? Unüberhörbar mischen die Heidelberger französischen Rap, Hip-Hop, Dancehall, Reggae, dezenten Elektro-Beat und einiges mehr zusammen. Mit netten Songs wie „Jetzt“ mit seinem Neue-Deutsche-Welle-Retrosound bringen Irie Révoltés gelegentlich die Füsse zum Wippen. Wirklich revolutionär ist an ihrem neuen Album jedoch wenig bis nichts: Irie Révoltés klingen wie in den Neunziger- und frühen Nullerjahren. Wer ohnehin meint, dass sich alles wiederholt, wird das nicht weiter schlimm finden. Dass aber auch heute noch »Alle Fäuste von Kairo bis Berlin hochgehen«, wenn wir „Fäuste Hoch“ hören, darf zumindest bezweifelt werden – und ganz allgemein auch, dass man dieses Album wirklich braucht.

Keine Revolte, natürlich nicht, aber immer noch gilt, was Mister Jagger schon Ende der Sechzigerjahre wusste: »What can a poor boy do but play in a Rock’n’Roll-Band?« Den Sound der Rebellion liefern Irie Révoltés  nicht, bestenfalls einen kleinen Beitrag zum Soundtrack der sich alternativ wähnenden Jugend. Auf die Barrikaden treibt diese Platte aber niemanden, weder im Guten noch im Schlechten.

 

Klone „Here Comes The Sun“

klone cover[rating=3] Für Freunde härterer Gitarrenklänge mit einem Sinn für Melodien.

Ist dies der Ort für Geständnisse? Dann bekenne ich, daß mir die zahlreichen Verzweigungen und Verästelungen des Metal-Genres beinahe wie ein Dschungel erscheinen. Das stört beim Hören des neuesten, mittlerweile sechsten Albums der Franzosen nicht wirklich. Schließlich feiern Klone – metaphorisch betrachtet – nicht den dunklen Schatten des Regenwaldes oder einer Fantasy-Zwischenwelt. Sie begrüßen den offenbar nahen Sonnenaufgang: „Here Comes The Sun“. Allerdings verharrren die Musiker auf dem Cover noch in der Dunkelheit, und auch die Texte der neun Eigenkompositionen formulieren eher Erwartungen als Gewißheiten.
In den nunmehr zwölf Jahren ihres Bestehens hat sich die Band von einer epigonalen Metal-Combo zu einer originellen, vielseitigen Band entwickelt. Selbst Jazzrock-Zitate finden ihren Platz im musikalischem Universum von Klone, etwa im kurzen Instrumental „Gleaming“, und sogar eine Version des Evergreens „Summertime“ von George Gershwin. Diese reduzierte Fassung zeigt aber, getreu der vorherrschenden Stimmung des Albums, daß neben dem fröhlichen Licht des Sommers auch mancher Schatten vorhanden ist.
Der erste Titel, „Immersion“, also das spirituelle Eintauchen oder Versenken, erinnert mit seinem klaren, leicht verhallten Gesang von Yann Lingner und der echoverwehten Gitarre von Guillaume Bernard beinahe an die ätherisch-melancholischen New-Wave-Sounds der frühen Achtziger. Dann setzt aber ein ernergisches Schlagzeug ein, das den Rhythmus erdet. Schließlich wird es mit Saxophon und Synthiesizern beinahe symphonisch. Wuchtige Riffs treffen auf Melodien, dazu Songtexte, die alles und nichts bedeuten können und vage Melancholie artikulieren.
Kline entwickeln einen sehr eigenen Sound und Stil, der obendrein clever gemacht ist. Denn immer wenn man denkt, alles schon einmal gehört zu haben, kommt wieder eine neue Idee, ein weiterer vertrackter Rhythmus und der nächste ausgetüftelte Song. Anspieltipp ist „The Drifter“, in dem die Qualitäten des Sextetts deutlich und fokussiert erscheinen. Die Metal-Fans, schließlich will man die Wurzeln nicht vollständig kappen, kommen dafür in „Grim Dance“ auf ihre Kosten. Wermutstropfen: Nicht jede musikalische Idee von Klone zündet , mancher Effekt wird ein wenig zu oft eingesetzt, etwa wenn sich  Frontmann Yann Lingner zu vordergründig im Mix zwischen scheinbar ziellosem Hymnus und anlaßloser Trauer bewegt.

Jonathan Jeremiah „Oh Desire“

[rating=3] Ein durchweg gutes Album
Der britische Sänger und Gitarrist Jonathan Jermiah legt mit „Oh Desire“ ein hörenswertes neues Album vor. Stilistisch durchaus uneinheitlich, wie man es von Jeremiahs bisherigen Veröffentlichungen kennt, pendelt auch dieses zwischen Folk-Jazz, Jazz, Pop und Soul. Deutliche Reminiszenzen an Otis Reddings unzerstörbaren Klassiker „Sitting on the Dock of the Bay“ liefert etwa sein „Smiling“, und bei „Walking on Air“ stellte sich die leise Erinnerung an „Solid Air“ von John Martyn ein. Jeremiah steht also auf den Schultern großer Musiker der sechziger und siebziger Jahre, was zusätzlich durch die analogen 16-Spur-Aufnahmen, mit denen die Titel aufgenommen wurden, akzentuiert wird.
Bleibt da Raum für eigenes? Sein Debüt 2011, „A Solitary Man“, wirkte bei aller Qualität seiner angenehmen Bariton-Stimme teils glatt und zerfahren, und mit dem Himmel voller Geigen, der beinahe in jedem Song dräute, auch überproduziert. Die etwas eigenwillige musikalische Mischung aus Big-Band-Jazz, Folk, Soft-Rock und seinem Aussehen, das wie eine Kreuzung aus Cat Stevens und modernem Hipstertum wirkt, schienen ihn nur bedingt zum Posterboy sensibler junger Menschen zu prädestinieren, die am virtuellen Lagerfeuer neben dem CD-Player Wärme suchten. Allein, der Erfolg wirkte bestätigend. Nun, einige Jahre später, sind die Big-Band-Anklänge weitgehend verschwunden, und die Geigen schluchzen ebenfalls dezenter. Nur im kurzen Eröffnungstitel und in „Rosario“ dominieren sie noch.
Geblieben ist die Liebe Jeremiahs zum klassischen Soul, zu Folk-Jazz und Soft-Pop, zur angejazzten Ballade. Hinzugekommen ist zudem eine feste Band, die bei der Umsetzung der vielfältigen musikalischen Ideen den Ton trifft. Und dieses Mal produzierte der Künstler selbst. Herausgekommen sind 13 Songs, die jedoch nicht alle im musikalischen Gedächtnis haften bleiben. Aber „Oh Desire“ ist, etlichen überraschenden Wechseln in der musikalischen Farbe zum Trotz, ein durchweg gutes Album geworden. Dem Thema Verlangen verhaftet, erzählt Jeremiah mit seiner angenehm tiefen Stimme Geschichten vom Tod der Eltern, Mythen der irischen Heimat („The Devils Hillside“), wie er diese Mythen aus den Erzählungen der Mutter als Kind kennen lernte oder vom hektischen, lauten Großstadtleben in London und der Sehnsucht nach dem vermeintlich einfachen Leben in der Natur. In „Rising Up“ räsonniert er darüber, daß – anders als in seiner Jugend – Bildung und Fleiß jungen Leuten keineswegs den Aufstieg ermöglichen oder auch nur erleichtern. Die sozialen Barrieren seien so hoch wie nie.
In der Summe seiner Musik und Texte bleibt sich Jonathan Jeremiah mit „Oh Desire“ treu, wenngleich einige behutsame, gleichwohl hörbare, Änderungen die neue Veröffentlichung prägen.   

Sufjan Stevens „Carrie & Lowell“

a2231815864_2[rating=3] Betörend, stellenweise berührend und autobiographisch

„This is not my art project, this is my Life“, sagt Sufjan Stevens über „Carrie & Lowell“. Das Cover ziert ein altes, vergilbtes und beschädigtes Polaroid-Foto, das seine 2012 an Magenkrebs verstorbene Mutter und seinen Stiefvater zeigt. Eine musikalische Reise in die eigene Vergangenheit mithin, die mit „Death with Dignity“ den Reigen der elf Songs bedeutungsschwanger eröffnet. Wer nun einzig Düsternis und Schwermut erwartet, liegt richtig und falsch zugleich. Die Texte handeln von Leben und Tod, von Liebe und Verlust, von Kindheit und Pubertät – doch musikalisch erlebt der Hörer die Wiederkehr männlichen Harmoniegesangs aus den sonnigen sechziger Jahren und einen aufs Wesentliche reduzierten ‚Wall of Sound‘ in der Tradition Phil Spectors. Stevens setzt dabei jedoch nicht auf Retrosound, sondern erzeugt  einen ganz heutigen, modernen Klang. Er ist ein versierter Wanderer zwischen den musikalischen Welten und verbindet Folk, Indiepop, Electronica, orchestrale Arrangements und mehrstimmigen Gesang zu einer eigenen Mischung. Diese ist allerdings aufgrund der vielen Zutaten bisweilen schwer verdaulich. Manches Projekt seiner jüngsten Vergangenheit, etwa „Sevens Swans“ mit seinen biblischen Themen, wirkte überambitioniert, mancher Auftritt mit exaltierter Bühnenshow und einer Vielzahl von Mitstreitern abgeschmackt und neben der Spur.

Auf „Carrie & Lowell“ erscheint Sufjan Stevens nunmehr gleichzeitig gereifter und reduzierter. Beinahe intim in seinen Erinnerungen an Kindheitsszenen, in denen die von Drogen und Psychosen gebeutelte, meist abwesende Mutter eine wichtige Rolle spielt. „Death and Dignity“ beginnt mit einfachen Akkorden einer akustischen Gitarre, dann setzt Stevens‘ Falsett-Stimme ein, gerne auch – wie in „All of me wants all of you“ schön hörbar – mit sich selbst im Chor und in reiner Harmonie. Diesen wesentlichen Zutaten wird hier und da ein Klavier hinzugefügt, weibliche Background-Stimmen, und elektronische Instrumente und Effekte beenden die Songs zumeist mit einem leichten Anklang an Ambient-Sounds.
Dadurch ist „Carrie & Lowell“  weder eine reine Rückbesinnung auf Stevens Folk-Anfänge, noch Ambient-Folk, falls es sowas gibt, sondern eine Art Synthese aus seinem bisherigen Schaffen mit interessanten Ausblicken auf eine mögliche Zukunft seiner Musik.

Max Lässer und das Überlandorchester „1:1“

Max_Laesser_cover_1zu1[rating=4] Weltoffenes aus der Schweiz: Max Lässer holt die Welt zu sich und formt seine eigene alpine Weltmusik

Noch in den 90er-Jahren wurde es als unerhört empfunden, traditionelle Volksmusik mit modernen Elementen anzureichern. Heute ist das so selbstverständlich, dass man das reine Original – so es das denn überhaupt gibt – suchen muss. Doch auch wenn man es in
Volksmusikkreisen lange nicht wahrhaben wollte: Musik hat sich immer verändert und weiterentwickelt. Und einer, der schon lange daran arbeitet, ist Max Lässer. In den 80er-Jahren spielte er alte Schweizer Tänze ein, bevor er sich dem Folk und dem Austausch mit afrikanischen Musikern widmete.
Nun ist er schon seit rund 15 Jahren konsequent dabei, mit seinem Überlandorchester seine eigene Spielart universaler Volksmusik mit Schweizer Wurzeln zu entwickeln – mit Gitarre, Dobro und Mandoline, Schwyzerörgeli, Hackbrett und Kontrabass. Das Orchester ist zum Quartett geschrumpft – oder, um bei der Volksmusik zu bleiben, auf Stubete-Größe – die Musik ist nach wie vor grossartig. Das Album „1:1“ bringt lauter Live-Mitschnitte, allerdings nicht von bereits bekannten, sondern von neun durchweg neuen Stücken.
Da werden anrührend-heftiger Blues („Bibere Musik“), Folk („Luna“) und Volksmelodien aus dem 19. Jahrhundert verschmolzen. Die Musik des Quartetts kommt besonders bei jazzigen Ansätzen in Fahrt oder wenn die Musiker zu bluesen beginnen. Sie bringen jedoch keine „lüpfige“ Tanzbodenmusik, sondern spielen überwiegend mit einer gewissen akademischen Förmlichkeit auf.

Max Lässer spielt mit seinem Überlandorchester keine Volksmusik. Aber er schöpft aus ihr genauso wie aus der Musik von Cream oder den Rolling Stones, mit der er aufgewachsen ist.
Das Heimatliche in der Musik dient Max Lässer nicht dazu, sich gegen den Rest der Welt abzuschotten, um den Raum kleiner und überschaubarer zu machen. Für ihn ist Heimat vielmehr ein Punkt, von dem aus er die Welt betrachtet, auf sie zugeht und sie zu sich holt.

Bisherige Rezensionen zu Max Lässer auf schallplattenmann.de

Offizielle Homepage von Max Lässer

(Foto: Phonag)