Fatima Dunn „Birds and Bones“

[rating=4] Anrührende Lieder einer originellen Alleinunterhalterin

Sie habe kein Geld, singt sie frohgemut wie ein unbekümmert in die Welt hinauswandernder Hans Guck-in-die-Luft, dafür aber einen Garten mit tausend Blumen und ebenso vielen Bienen, einen Wald mit tausend Bäumen, einen Himmel voller Wolken und – vor allem – tausend Lieder, die sie zu den Leuten trage. Das ist wohl am meisten wert, denn „denen mit Musik gehört die Welt“.

Wenn man das Stück hört, „Kei Gäld“, weiß man längst, dass die irisch-schweizerische Sängerin aus wenig viel machen kann. Es ist der letzte Song auf dem neuen Album der Cellistin und Sängerin, die sich etwas großsprecherisch ‚One Women Orchestra‘ nennt. Für die Mehrstimmigkeit muss Fatima Dunn das Rad nicht neu erfinden, sondern wie andere zuvor ihr Instrument bloß mit Loops vervielfachen und mit kleinen Effekten akzentuieren. Das ist leicht gesagt. Doch mit zupfen, streichen und gelegentlich rhythmisch auf den Korpus klopfen sind ihre Möglichkeiten auch trotz elektronischer Unterstützung beschränkt.

Aber wer braucht mehr, wenn der wahre Reichtum ohnehin die Lieder sind? Die von Fatima Dunn sind anrührend und werden von ihr seelenvoll interpretiert. Sie hat eine anmutige Stimme, die sie für anmutige Melodien auch gerne übereinanderschichtet. Ihre Songs sind von schlichter Schönheit und doch nicht ohne Raffinesse, ruhig und trotzdem eindringlich, und immer wieder auch temperamentvoll, jedoch ganz ohne aufgeregte Pop-Attitüde. Kurz: Sie sind einfach einnehmend und schön – schön geschrieben, schön gesungen und schön arrangiert –, und das, ohne belanglos zu sein. Und wenn man ganz am Ende die in ihrem Wohnort aufgenommenen Gesänge der Stare vor dem Abflug in den Süden hört, denkt man, dass Fatima Dunn mit ihren Liedern gar nicht selbst um die Welt reisen muss. Ziemlich sicher werden die Stare sie von Südeuropa bis Nordwestafrika singen. Anderswohin kann das Album fliegen – und an manche Orte kommt die Sängerin selbst zu Besuch. Das ist wahrscheinlich am schönsten.

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(Foto: Tourbo Music)

Samba Touré „Wande“

[rating=4] Mali-Blues, zurückhaltend und fein

Die Lage der Welt macht nicht wirklich froh, und die jahrzehntelang immer wieder fragile Situation in Mali hat sich in den vergangenen Jahren noch weiter verschlechtert – ohne Aussicht auf Veränderung. Daher erstaunt es nicht, dass der malische Gitarrist und Songwriter mit „Wande“ ein äußerst melancholisches Album eingespielt hat. Selbst das seiner Frau gewidmete Liebeslied, mit dem das Album betitelt ist, wirkt schwermütig.

Trotzdem wirken die neuen Lieder von Samba Touré nicht durchweg so resigniert wie „Mana Yero Koy“, in dem er „die ganze Welt im Chaos“ sieht und beklagt, dass es „keinen sicheren Platz mehr gibt“. Er ergibt sich der Misere nicht apathisch, sondern regt an, erst einmal die persönliche Einstellung zu ändern und zusammenzustehen. Und wie Boubacar Traoré, der malische Chuck Berry, bereits in den 60er-Jahren forderte, ruft auch der um Jahrzehnte jüngere Musiker seine Landsleute dazu auf, das Glück nicht in der Emigration zu suchen, sondern die Heimat mitzugestalten.

Musikalisch steht Samba Touré in der besinnlichen Tradition des Mali-Blues, seine Lieder singt er alle in Songhai. Das extrem zurückhaltende „Wande“ erinnert Anfangs an die melancholischen Stücke von Boubacar Traoré, um bald und mit einer psychedelischen Note versehen in die Richtung seines Namensvetters Ali Farka Touré zu driften. Die Basis von „Yerfara“ („We are tired“) ist ein Lick, das den frühen Stones gut gestanden hätte, und bei „Mana Yero Koy“ („Where to go?“) zeigt der Gitarrist auf angenehme Weise, dass ihm auch tanzbare Musik nicht fremd ist.
Alle Stücke sind als harmonisches Ganzes arrangiert. Der Gitarrist bleibt prägnant, drängt sich jedoch nie in den Vordergrund, sondern fügt sich in sein stilvoll-gelassen agierendes Ensemble mit traditionellen Instrumenten wie Kalebasse, Ngoni und der einseitigen Geige Sokou ein.

Bisherige Rezensionen zu Samba Touré im Blog

Bisherige Rezensionen zu Boubacar Traoré auf schallplattenmann.de

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(Foto: Glitterbeat)

Susanna Nicchiarelli „Nico, 1988“

Sie müsse mit einer Band aus Amateuren touren, sagt Nico (Tryne Dyrholm) sichtlich frustriert und vermittelt ihrem Gegenüber gleichzeitig, dass sie das keineswegs ungerecht findet. Der längst in den Drogensumpf gefallenen Ikone ist offenbar bewusst, dass es kein Entrinnen gibt aus dem Kreislauf von Sucht, Versagensängsten und Erinnerungen an eine erfolgreiche Vergangenheit.
Das Leben von Nico, geboren als Christa Päffgen, Supermodel, Schauspielerin und Musikerin, lässt sich kaum in einen Film packen. Susanna Nicchiarelli (Regie und Drehbuch) gelingt es trotzdem – indem sie es als Roadmovie erzählt, das in den traurigen letzten Jahren spielt.
Die Gruppe tourt im Kleinbus durch Europa, Nico zerfressen von Sucht und Sehnsucht nach ihrem Sohn, der nicht nur ebenso drogenabhängig, sondern auch suizidgefährdet ist. Ihr Manager Richard (John Gordon Sinclair) ist in sie verliebt. Doch der landet allenfalls bei seiner Assistentin Laura (Karina Fernandez) – beim „Trostpreis“, wie diese selbst sarkastisch feststellt. Nicos Zuneigung gilt durchweg anderen.

Susanna Nicchiarelli zeigt Nico und ihre Entourage überwiegend auf Tour – Paris, Prag, Nürnberg, Krakau – und in kurzen Episoden in ihrem Zuhause Manchester. Neue Bekanntschaften und Gespräche mit Nicos Manager nutzt sie für Rückblenden, mitunter werden auch kurze Originalaufnahmen mit Nico eingeblendet.
Die Regisseurin zeigt eine Protagonistin, die mit unbändiger Stärke schwach ist. Ihre Nico ist egozentrisch und kompromisslos bis zur Tyrannei. Gleichzeitig ist sie sich ihrer Schwächen und Versäumnisse bewusst, unter denen sie zwar leidet, die sie aber unbeeindruckt akzeptiert und mitunter mit bissigem Sarkasmus kommentiert. Nicht nur die Besetzung der Hauptfigur – Tryne Dyrholm stellt Nico sowohl als Person wie auch in ihrem eigenwilligen Gesangsstil differenziert und überzeugend dar – ist ein Glücksgriff. Susanne Nicchiarelli zeigt bis hin zu vergleichsweise unwichtigen Nebenrollen eine sichere Hand bei der Wahl der Schauspieler. Ebenso gelungen sind viele Szenen und Dialoge. So macht sie aus einem schlichten Konzept einen Film, der sich der geschundenen Ikone respektvoll, aber nicht beschönigend nähert und der selbst dann ausgesprochen sehenswert wäre, wenn Susanne Nicchiarelli die ganze Geschichte nur erfunden hätte.

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(Foto: Filmtext)

Jimi Tenor „Order Of Nothingness“

[rating=4] Afrobeat und Bee Gees auf Beta-Blocker – sonnig und ernsthaft verspielt

Der Auftakt heißt nicht ohne Grund „Mysterya“. Denn man fragt sich, warum Jimi Tenor seine Hörer mit einer Disco-Nummer im Stil deutscher Bierzelt-Bee-Gees-Imitatoren vergraulen will. Verglichen mit dem weiteren Programm wirkt das Stück wie ein Irrtum. Groove und Sprechgesang sind wie entschleunigter Afrobeat, und wenn Jimi Tenor die Flöte ansetzt, erinnert er an Yusuf Lateef auf der Spurensuche nach seinen verschütteten afrikanischen Wurzeln.
Dass dies so zwanglos und selbstverständlich klingt, liegt sicherlich nicht nur an seiner eigenen Erfahrung. Jimi Tenor hat vor zehn Jahren ein Album mit Tony Allen eingespielt, dem Erfinder des Afrobeat. Mit Ekow Alabi Savage steht ihm ein Schlagzeuger und Perkussionist aus Ghana zur Seite, und mit dem Schlagzeuger Max Weissenfeldt ein Partner, der mit Embryo ethnische Musikkonzepte erkundet und in Ghana Polyrhythmik gelernt hat. Mit der Gruppe Polyversal Souls fusioniert er afrikanische, karibische und europäische Musiken.
Die drei hatten offenbar Vergnügen und verbreiten großen, aber durchweg gediegenen Spaß. Obwohl ihrer wilden Mischung aus unterschiedlichsten Stilen und Einflüssen überaus kindliche Spielfreude zugrunde zu liegen scheint: In die Niederungen der Schenkelklopfer begeben sie sich nicht. Auch wenn beispielsweise in „Chupa Chups“ wieder der an Bierzelt-Bee-Gees erinnernde Falsettgesang kommt und ein Refrain, den auch Frank Farian für Milli Vanilli hätte schreiben können: Mit Jimi Tenors Beiwerk – dem Saxophon, den mit analoger Elektronik aufgenommenen Einsprengseln – wird auch das eine coole Nummer, die sich gut einfügt. Vielleicht hätte Jimi Tenor einfach „Mysterya“ nicht an den Anfang stellen sollen. Das jedoch ist – wenn überhaupt – nicht mehr als ein lässliches Vergehen.

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(Foto: Philophon)

Cristina Branco „Branco“

[rating=3] Universal schön, jedoch wie Kino ohne Leinwand

Weint sie einer verflossenen Liebe nach? Trauert sie um Flüchtlinge, die jedes Jahr zu Hunderten im Meer ertrinken? Oder beklagt sie den Tod ihres Hamsters? Künden die luftigeren Töne der Guitarra Portugues, die in „Namora Comigo“ auf die von Cristina Branco mit kummervoller Solostimme gesungene erste Strophe folgen, schon vom Grund des Umschwungs oder sind sie nur der Ausdruck erster Hoffnung, die sich rasch zerschlägt?
Die Texte sind Cristina Branco so wichtig wie die Musik. Deshalb hat sie junge Songwriter gebeten, welche für sie zu schreiben – eine Information, die kaum ein Rezensent seinen Lesern vorenthält. Doch was diese neue Künstlergeneration bewegt und wie sie mit Worten umgeht, erfahren wir nicht. Denn die Texte gibt es nur in Portugiesisch, an der Übersetzung wurde gespart. Selbst signifikante Textauszüge fehlen. Egal ob aus Nachlässigkeit oder weil ein Gros der Hörer wahrscheinlich gar nicht in die Tiefe gehen mag – es wirkt wie ein Zeichen der Geringschätzung anderssprachiger Hörer und zeigt den Unwillen, dem hohen Anspruch der Künstlerin zu entsprechen.

Auch wenn man sich für Cristina Brancos Stimme, die geschmackvollen Arrangements und die versierte Begleitung auch ohne Textverständnis begeistern kann, wird das ihrem Gesang und ihren Musikern nicht gerecht.
Ursprünglich vom Fado kommend, hat die Portugiesin den portugiesischen Musikstil mit anderen Einflüssen gekreuzt und sich so weiterentwickelt. Gelandet ist sie letztlich bei einer Besetzung, in der das Klavier eine wesentliche Rolle spielt. Der verhalten schmissige und melancholische Duktus ihrer Lieder wie auch der gewitzte Klang der portugiesischen Gitarre wirken wie ein angenehmer Nachhall des Fado. Dadurch und durch die Sprache sind ihre universal klingenden Lieder in Portugal geerdet. Ob deren lyrische Kraft auch der Musik entspricht (und umgekehrt) bleibt leider im Dunklen. Cristina Brancos emotional vorgetragene Lieder zu hören, ohne die Texte nachvollziehen zu können, ist wie Kino ohne Leinwand.

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(Foto: Qrious)

Dobet Gnahoré „Miziki“

[rating=4] tanzbar, luftig, elektronisch – und nachdenklich auch

Ihr Auftreten im Domina-Dress führt in die Irre. Denn nach dem poppigen, aber keineswegs herrischem Start schlägt die seit mehr als zwanzig Jahren in Frankreich lebende Dobet Gnahoré aus Côte d’Ivoire durchaus auch sanftere Töne an. Dafür steht das Energiebündel, das sie auf der Bühne darstellt, bislang nicht. Ebenso wenig für die elektronischen Klänge, die das Album prägen. Beides lässt man sich nur zu gerne gefallen. Denn Produzent Nicolas Repac sorgt für die angenehme Verschmelzung von Elektronik mit akustischen Instrumenten wie Gitarre und Balafon.
Mit ihrem neuen Album „Miziki“ (in ihrer Muttersprache Bété heißt das schlichtweg Musik) zeigt Dobet Gnahoré, dass sie der Heimat verbunden, aber schon lang genug in Europa ist, um musikalische Einflüsse beider Regionen überzeugend zu verbinden.
Die neuen Stücke sind mal tanzbar („Djoli“, „Miziki“), mal von angenehm nervöser Fiebrigkeit („Education“). Sie sind aber auch äußerst besinnlich („Afrika“, „Love“) oder schlichtweg schön („Détenon“, „Le Monde“), mit sanften Melodien und eingängigem Chorgesang. Aber es sind nicht nur die unterschiedlichen Charaktere der Songs, die das Album abwechslungsreich machen. So mancher Song bietet eine eigene Volte, die Arrangements sind durchweg äußerst geschmackvoll und gesanglich zeigt sich Dobet Gnahoré gleichermaßen einfühlsam und kraftvoll.

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(Foto: Indigo)