Schlagwort: Electronica

Archive „Restriction“

restriction[rating=2]Streckenweise überzeugend, in anderen Momenten beliebig

Archive gehörten seit ihrer Gründung 1994 durchweg zur Regionalliga der britischen Musikszene. Die Gründe mögen häufige Besetzungswechsel, ein hörbarer Mangel an eigenständigen musikalischen Ideen oder einfach der Umstand gewesen sein, daß es stets bessere andere Bands des gleichen Genres gab. Ihr neues Album „Restriction“ ist keineswegs geeignet, dies nachhaltig zu ändern, was ein wenig schade ist. Immerhin bietet es einige überraschende Momente, so etwa im Eröffnungssong „Feel it“, auf dem New-Wave-Schrammel-Gitarren aufs Angenehmste das Synthie-Gewaber und die klagende Stimme unterbrechen. Aber bereits im Titelsong des Albums, „Restriction“ langweilen die Herrschaften mit Endlos-Klangschleifen und repetetiven Rhythmen. Der dritte und vierte Song, „Kid Corner“ und „End of our Days“, klingen wie aus dem Archiv von Morcheeba – aber die hatten sowohl bessere Synthies als auch mehr Pop-Appeal.

Die Sänger wechseln sich ab, die Klänge und Ideen ebenso. Das wäre nicht schlecht, wenn man nicht ständig das Gefühl hätte, dass sich die Akteure allzu häufig aus dem Fundus bekannter Arrangements, Ideen und Klängen anderer Leute bedienten. Vielleicht heißt die Band deshalb Archive?
Wir wollen jedoch nicht ungerecht sein. Wie die Band auf „Third Quarter Storm“ den schnulzigen Wohlklang durch Lärm-Einschübe stört, ist ganz hübsch. Und wenn auch das Getrommel auf „Ride in Squares“ nicht wirklich neu ist, so gefällt es dennoch. Dagegen langweilen Titel wie „Crushed“, denn eine wirkliche Idee oder auch nur etwas Spannendes konnte ich darin nicht ausmachen. Dafür versöhnt das irgendwie an Bond-Titelsongs (aus der Adele-Phase) erinnernde Ballade „Black and Blue“ ein bißchen. Den Abschluß bilden zwei längere Titel: „Greater Goodbye“ und „Ladders“, die „Restriction“ jedoch nichts mehr Wesentliches hinzufügen, sondern erneut den Bogen von Lärm zu Pop und zurück schlagen – große Momente inklusive. Am Songwriting sollten „Archive“ aber weiter arbeiten und vielleicht beim nächsten Mal versuchen, sich ein wenig stärker zu fokussieren. Aber fürs Durchhalten seit 1994 gibt’s einen Extra-Bonus.

Zoot Woman „Star Climbing“

zoot-woman-star-climbing[rating=1] Songs mit der Treibkraft eines atemlosen Schneckenrennens

Am Anfang der sogenannten Nullerjahre kamen Zoot Woman auf die clevere, vielleicht auch in der Luft liegende Idee, elektronische Musik und treibende Gitarren zu kombinieren. Ihr Debütalbum „Living in a Magazine“ gilt auch heute noch vielen als Bluechip des Electroclash. Die Generation Golf, die entweder längst im SUV mit zwei Kindersitzen herumkurvt oder jeden Tag in der U-Bahn zum Job rumpelt, mag sich vielleicht gerne an den Sound der eigenen Jugend erinnern. Allein: Die Unbeschwertheit ist vorbei. Mit dem Alter kamen die Verpflichtungen und der Bauchansatz, und zu den Enttäuschungen der Jugend gesellten sich die Frustrationen der gar nicht heroischen Gegenwart. Dagegen helfen auch die neuen Veröffentlichungen der alten Helden nicht, denn so schön wie früher wird es nimmermehr.
Andererseits scheint das kaum jemand zu stören. Denn selbst Bands, die ihre letzte kreative Idee bereits vor Jahrzehnten hatten, versilbern ihre fünf Minuten Ruhm mit überflüssigen CDs und spielen ihre alten Platten vor einem begeistertem Publikum in entbehrlichen Konzerten Note für Note nach. Zoot Woman machen es auf ihrem vierten Album ebenso und produzieren belangslosen Synthiepop. Nett, nichtssagend und weitgehende störungsfrei rauschen ihre Songs am Hörer vorbei. Krachen oder zusammenprallen, wie es das englische Wort „Clash“ impliziert, tut hier rein gar nichts mehr.
„Star Climbing“ ist nichts als Muzak, untermalt prima das Quengeln der Kinder auf dem Schulweg, wirkt wunderbar sedierend im täglichen Stau und stört selbst in der hellhörigen Neubauwohnung die Nachtruhe nicht.

Fink (UK) „Hard Believer“

[amazon_image id=“B00J5LHKHG“ link=“true“ target=“_blank“ size=“medium“ class=“alignleft“]Fink „Hard Believer“[/amazon_image][rating=2]Reizvoll, aber auch beliebig

Fink, das Trio aus England um Sänger, Songwriter und Hauptakteur Finian Greenall, setzen mit „Hard Believer“, ihrem fünften Studioalbum, den eingeschlagenen Weg fort. Dieser besteht im Wesentlichen aus einem stellenweise recht reizvollen, wenn auch mittlerweile den Fink-Hörern hinlänglich bekannten Mix aus Countryblues mit Akustikgitarre und Greenalls rauer, dunkler Stimme, sowie Elementen aus Dancehall, Electronica, den verschleppten Rythmen des Triphop und Folkelementen, die versiert mit Hilfe moderner Studiotechnik verschmolzen werden. Das funktioniert dann gut, wenn das Gerüst, also das Songwriting, Substanz hat. Und es wird dann schnell beliebig, wenn die Songidee eher dürftig bleibt. Der Titelsong „Hard Believer“ eröffnet das Album ganz verheißungsvoll, aber schon „White Flag“ mit den bekannten, verhallten Dub-Effekten aus Dancehall und den schleppenden Drums des guten, alten Trip-Hop der Neunziger, schwächelt ein wenig. Das hat man alles schon einmal gehört – selbst von „Fink“ stellenweise erheblich besser.
„Pilgrim“ dagegen baut wieder gehörig Dramatik und Spannung auf. „Two Days Later“ oder „Too Late“ könnten hingegen in beinahe jedem beliebigen Formatradio geschmeidig durchgehen. Hier wird es mit dem stark zuckeraustauschhaltigen Radiopop – sehr süß, macht aber nicht dick und satt – etwas übertrieben. Immerhin ist Greenalls Stimme auch in diesen Liedchen noch ein Anker. „Shakespeare“ wiederum liebäugelt mit seinem gefälligem Text über den englischen Dichterfürsten und den Streicherarrangements aus dem Synthesizer eher mit Adult Orientated Pop, gefällt aber dennoch. „Looking Too Closely“ und die abschließende Liveaufnahme „Keep Falling“ sind solide Kost – nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Fazit: „Hard Believer“ ist ein Album, das man nicht unbedingt braucht von einer Band, die nicht so recht zu wissen scheint, wohin die weitere Reise gehen soll.

 

Dirtmusic „Lion City“

Dirtmusic "Lion City"

[amazon_image id=“B00HS95I1M“ link=“true“ target=“_blank“ size=“medium“ class=“alignleft“]Dirtmusic „Lion City“[/amazon_image][rating=4]Gelungene Mixtur aus Rock, Singer-Songwriter-Poesie, Electronica und „Wüstenblues“.
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„Lion City“ ist der vierte Streich der Zusammenarbeit zwischen Chris Eckman (von den „Walkabouts“) und Hugo Race („True Spirit“) als „Dirtmusic“ und der zweite Teil der im malischen Bamako 2012 entstandenen Aufnahmen mit Musikern aus Mali und dem Senegal.

Man kann sich sicherlich eine angenehmere Umgebung für eine Musikproduktion wünschen, als inmitten eines Bürgerkrieges und Militärputsches in einem Tonstudio in der malischen Hauptstadt zu sein und drinnen Musik zu machen, während draußen Gewalt herrscht. „Lion City“ reflektiert mit musikalischen Mitteln das politische Geschehen im unmittelbaren Umfeld, so singt  im Song „Red Dust“ Samba Touré: »Wie können wir versöhnen und vergeben? Wir müssen aufhören zu kämpfen.« Der nach wie vor aktuelle Bezug zur Lage Malis entstand nicht von Ungefähr, sondern kam auch daher, dass Eckman und Race nach eigenem Bekunden nicht mit fertigen Arrangements und Titeln, sondern vielmehr mit flüchtigen Entwürfen und ‚rohen‘ Ideen nach Afrika reisten, die erst während der gemeinsamen Proben und Aufnahmen mit den afrikanischen Musikern zu Songs reiften. Dementsprechend ist die Herangehensweise eine andere als bei vielen World-Music-Projekten.

Die beteiligten Musiker wie der schon erwähnte Touré, die Band „Tamikrest“, die Sängerin Aminata Traoré, Ben Zabo und etliche andere sollen nicht bloß eine musikalische ‚exotische Farbe‘ liefern, sondern integraler Bestandteil des Projektes sein, was über weite Strecken gut gelingt. Natürlich ist Eckmans Stimme sofort für alle unverkennbar, die auch nur einen einzigen Song der Walkabouts kennen. Daher könnte „Movin‘ Careful“ beinahe ebenso gut auf einer Veröffentlichung seiner alten Band sein, wenngleich die „klagenden“ Gitarren von Race und Ousmane Mossa (von der Touareg-Band Tamikrest) eher wieder Richtung afrikanischen ‚Wüstenblues‘ weisen. Andererseits sind solche Genre-Schubladen obsolet im Zeitalter des Internets und des internationalen künstlerischen Austausches und sie widersprechen dem Grundgedanken Chris Eckmans, der eine »gemeinschaftlich-demokratische Herangehensweise« bei den Aufnahmen favorisierte und intendierte. Ablesen kann man dies auch daran, dass die Autorenschaft der Titel nicht nur den IndieVeteranen Eckman und Race, sondern von Fall zu Fall auch den anderen Mitwirkenden zugeschrieben und der Platz vorm Mikro mal vom einen, dann wieder vom anderen eingenommen wird. Eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe also.

Entscheidend ist jedoch nicht, wir erinnern uns an diese grundlegende Erkenntnis des deutschen ‚Bummdeskanzlers‘ Kohl, wie etwas entsteht, sondern »was hinten rauskommt«. In diesem Falle eine faszinierende Collage aus Electronik, vom Ethno-Kitsch befreiter World-Music, Singer-Songwriter-Skizzen und Rock.

Manchmal magisch, manchmal gut gemeint mit appellativen Texten an die menschliche Vernunft  und überwiegend unterhaltsam und spannend: Die beteiligten Musiker kennen und schätzen sich seit Jahren, als sie sich erstmals auf einem Festival in der Sahara begegneten und zusammen spielten. Die musikalische Zusammenarbeit zwischen den alten Recken aus der Indie-Szene und den Wüstenbluesern und Afro-Popmusikern erweist sich erneut als Bereicherung für beide Seiten – und als Vergnügen für die Hörer, die diesem Album in großer Zahl zu wünschen sind.

(Foto: Glitterhouse)

 

 

Karl Bartos „Off The Records“

Karl Bartos - Of The Record

Karl Bartos [rating=3] Karl Bartos spinnt weiter, was er bei Kraftwerk begann

Es könnte ein Lebenszeichen von Kraftwerk sein. Doch weil diese nur noch ihr musikalisches Erwerbe verwalten und vom Pop- in den Kunst-Himmel streben, bleibt es dem einstigen Mitmusiker Karl Bartos überlassen, das Kraftwerk-Konzept weiterzuspinnen. Bartos, der immer im Hintergrund der Gründer Ralph Hütter und Florian Schneider stand, ist Co-Autor wichtiger Kraftwerk-Stücke wie „Das Modell“, „Computerliebe“, „Musique Non-Stop“ und „Tour de France“.

Bartos‘ drittes Solo-Album, „Off The Records“ schmeckt stark nach Erinnerung. Das verwundert nicht, soll es doch auf Ideen und Skizzen aus seiner 15-jährigen Kraftwerk-Zeit beruhen (1975-1990).

Bartos zeigt nun also, was er damals noch so alles in der Hinterhand hatte. Er bringt die bekannten, einfachen und süßlichen Melodien, was etwa in „Nachtfahrt“ an die „Model“-Zeit erinnert. Allerdings klingt der Text dann doch mehr nach Joachim Witt. Er zelebriert den Sprechgesang und ausgiebig Vocoder-Klänge, und nicht zuletzt erweist er mit „Musica Ex Machina“ seiner ehemaligen Band – und damit auch sich selbst – die Referenz als Techno-Vorläufer. Doch auch wenn jede Komposition die Ausstrahlung von Kraftwerk vermittelt – an heranzureichen gelingt Bartos mit keiner einzigen.

Bisherige Rezensionen zu Kraftwerk auf schallplattenmann.de

Offizielle Homepage von Karl Bartos

(Foto: Bureau B)