Schlagwort: Folk

Max Lässer und das Überlandorchester „1:1“

Max_Laesser_cover_1zu1[rating=4] Weltoffenes aus der Schweiz: Max Lässer holt die Welt zu sich und formt seine eigene alpine Weltmusik

Noch in den 90er-Jahren wurde es als unerhört empfunden, traditionelle Volksmusik mit modernen Elementen anzureichern. Heute ist das so selbstverständlich, dass man das reine Original – so es das denn überhaupt gibt – suchen muss. Doch auch wenn man es in
Volksmusikkreisen lange nicht wahrhaben wollte: Musik hat sich immer verändert und weiterentwickelt. Und einer, der schon lange daran arbeitet, ist Max Lässer. In den 80er-Jahren spielte er alte Schweizer Tänze ein, bevor er sich dem Folk und dem Austausch mit afrikanischen Musikern widmete.
Nun ist er schon seit rund 15 Jahren konsequent dabei, mit seinem Überlandorchester seine eigene Spielart universaler Volksmusik mit Schweizer Wurzeln zu entwickeln – mit Gitarre, Dobro und Mandoline, Schwyzerörgeli, Hackbrett und Kontrabass. Das Orchester ist zum Quartett geschrumpft – oder, um bei der Volksmusik zu bleiben, auf Stubete-Größe – die Musik ist nach wie vor grossartig. Das Album „1:1“ bringt lauter Live-Mitschnitte, allerdings nicht von bereits bekannten, sondern von neun durchweg neuen Stücken.
Da werden anrührend-heftiger Blues („Bibere Musik“), Folk („Luna“) und Volksmelodien aus dem 19. Jahrhundert verschmolzen. Die Musik des Quartetts kommt besonders bei jazzigen Ansätzen in Fahrt oder wenn die Musiker zu bluesen beginnen. Sie bringen jedoch keine „lüpfige“ Tanzbodenmusik, sondern spielen überwiegend mit einer gewissen akademischen Förmlichkeit auf.

Max Lässer spielt mit seinem Überlandorchester keine Volksmusik. Aber er schöpft aus ihr genauso wie aus der Musik von Cream oder den Rolling Stones, mit der er aufgewachsen ist.
Das Heimatliche in der Musik dient Max Lässer nicht dazu, sich gegen den Rest der Welt abzuschotten, um den Raum kleiner und überschaubarer zu machen. Für ihn ist Heimat vielmehr ein Punkt, von dem aus er die Welt betrachtet, auf sie zugeht und sie zu sich holt.

Bisherige Rezensionen zu Max Lässer auf schallplattenmann.de

Offizielle Homepage von Max Lässer

(Foto: Phonag)

Martin Stephenson und John Steel, 19. März 2015, Music Star, Norderstedt

Stephenson_Hull-2_PS5Was für ein Abend voller Anekdoten, Erzählungen, launiger Geschichten – und vor allem voller guter Musik! Martin Stephenson und sein Mitstreiter aus alten Tagen, John Steel, zaubern an einem kalten Donnerstagabend im März bereits mit dem ersten Song Rhythmus in die Beine und ein Lächeln ins Gesicht der überschaubaren Anzahl zumeist älterer Zuhörer. Anders als von Jethro Tull in den 70er-Jahren beschrieben, ist heute niemand mehr „Too Old To Rock’n’Roll“; Rockmusik heute ist Musik für ‚Best Ager‘ und noch ältere Zeitgenossen.

Martin Stephenson, seit nummehr auch schon 30 Jahren sowohl mit Band als auch solo unterwegs und zuletzt 2003 in Deutschland, gab jedoch von Beginn an nicht den Revoluzzer. Er war immer ein Storyteller, fast ein Busker, ein Folkie mit Punk und Reggae-Wurzeln. Nicht die große Geste ist sein Metier. Vielmehr skizziert Stephenson liebevoll bis boshaft menschliche Schwächen wie Heuchelei und Eitelkeit, die er in „Crocodile Cryer“, einem Klassiker der Daintees, aufs Korn nimmt, oder beschreibt die Liebe im reiferen Alter. Stephensons kongenialer Begleiter John Steel, Mitglied der ersten Daintees-Besetzung, ist nach langer Zeit wieder dabei. „Ich wurde von Ausserirdischen entführt“, begründet er seine Abwesenheit zwischen Songs wie „Wholly Humble Heart“ oder „Coleen“ und „Little Red Bottle“ vom längst zum Klassiker gewordenen 1986er-Debüt „Boat to Bolivia“. Auch „Tribute to the Late Rev. Gary Davis“ fehlt nicht. Die Setlist, von Stephenson scherzhaft als Gedächtnisstütze bezeichnet, ist ellenlang. Alte und neue Songs wie „Slow Love“ werden mit zahlreichen Anekdoten garniert, etwa jener über Peter, Paul and Mary die den Blueser Gary Davis derart verehrt hätten, dass sie ihm in den späten Sechzigern ein Haus in Queens schenkten.

Im Laufe des langen Abends, bei dem die angejahrten Zuhörer vor den Musikern zu ermatten schienen, erzählt Stephenson auch von durchzechten Nächten mit Allan Hull, der wie Stephenson aus Newcastle stammte und mit „Lindisfarne“ in den 70er-Jahren zu einigem Ruhm gekommen war, von einer Begegnung mit dem knurrigen Doc Watson, von den Arbeitsbedingungen der mexikanischen Arbeiterinnnen, welche die Fender-Gitarren zusammenbauten, vom grantigen Roadie Lone Wolfe aus „Wolvesburg“, von seiner Gitarre aus dem Jahr 1946 und nicht zuletzt auch von Buddah und Gott. Mal erzählt er mit Augenzwinkern, wenn er vom realen Vorbild für seinen „Crocodile Cryer“ erzählt, mal ernsthaft, wenn es um die Suche nach Sinn und Frieden im Leben geht.

Erst nach fast drei Stunden gehen die Lichter wieder an, und wer nicht dabei war, hat definitiv etwas verpaßt. Beschwingt treten wir den Heimweg durch die Kälte an, während „Solomon“ und „Salutation Road“ noch in unseren Ohren nachklingen.

Lily and Madeleine „Fumes“

Lily and Madeleine Fumes Cover[rating=2]Netter Folk-Pop mit geringem Tiefgang.

Lily and Madeleine fahren Boot – beziehungsweise: Sie liegen verträumt in einem Ruderboot, das auf ruhigen Gewässern treibt. Schön anzusehen, die sich räkelnden jungen Damen.
Keine Spur von ‚giftigen Dämpfen‘ („Fumes“), nirgends, nicht ein Hauch von Gefahr. Stattdessen dominieren wie schon beim letztjährigen Debüt der beiden Schwestern zuckersüße Harmoniegesänge. Tolle Stimmen, keine Frage, wenn auch mit typisch amerikanischem Zungenschlag, was die Art und Weise des Gesangs anbelangt. Das können die beiden.
Im Ergebnis bekommt der Hörer eine Mischung aus radiokompatiblem Pop und Folk-Pop light, teils opulente Ararrangements, stimmlichen Wohlklang und eher harmlose Texte, die problemlos auch auf Radiostationen des mittleren Westens gut ankommen dürften. Auch eine verhallte Prise Lana del Rey fehlt nicht. Ist das nicht ein bißchen viel?

Schon der Karrierstart der siebzehn und neunzehn Jahre alten Damen aus Indianapolis mutet an wie am Reißbrett von einem cleveren Produzenten erdacht. Der Legende nach stellten Lily und Madeleine selbst produzierte Videos bei Youtube ein, die – Überraschung! – nicht nur sehr gut waren, sondern auch massenhaft angeklickt worden sein sollen. Danach kam es, wie es kommen musste: Ein lokaler Produzent – Paul Mahern, der unter anderem für John Mellencamp gearbeitet hat – wurde auf sie aufmerksam. Mit Hilfe des Songwriters Kenny Childers, ebenfalls in Bloomington, Indiana ansässig, entstanden etliche Songs und bald folgte das Debutalbum.
Auch wenn „Fumes“ ohne diese beiden und ohne die Mitwirkung ungenannter, versierter Studiomusiker nicht denkbar wäre, sind Lily and Madeleine wohl keine Marionetten in Händen abgezockter Manager und Produzenten. Dafür stehen sie in den zehn Songs des Albums doch zu sehr im Mittelpunkt. Jedoch offenbart das Cover vielleicht unfreiwillig, daß andere die Ruder in der Hand zu halten scheinen, während ‚Lil and Mad‘ versonnen übers tiefe Wasser gleiten. Hoffentlich zieht kein Sturm auf …

Auch wenn ihrer Musik (noch) die unverwechselbare Handschrift fehlt – Ecken und Kanten leider ebenso –, versöhnen der stimmliche Wohlklang und die entspannte, leicht wehmütige Stimmung des Albums. Das ist für Herbsttage, golden oder regnerisch und stürmisch, ganz nett.

Yellow Teeth „Night Birds“

yellow_teeth_night_birds_cover_jpeg[rating=3] Einfach und gut oder einfach gut. Anhören und ins Träumen kommen.

»Folk Songs and Hard Working Blues« versprechen Yellow Teeth auf ihrem soeben erschienenen Erstling, und genau das trifft es. Man meint zunächst, einen von schier endlosen Highways, von zuviel Whiskey and Women gegerbten amerikanischen Singer-Songwriter mit ganz viel Lebenserfahrung zu hören. Aber, Überraschung: Es ist ein junger Typ, der aussieht wie John Fogerty um1970, und der uns dieses wunderbare Album voller skurriler Geschichten und staubtrockener Klänge  präsentiert. Eine erstaunlich reife Stimme, gerne auch im Duett mit einer Sängerin, eine gezupfte akustische Gitarre, eine Mundharmonika, die klingt, als ob wir uns im Jahre 1962 befänden und einem jungen Großmaul aus Dulluth, Minnesota im Greenwich Village lauschten. Dazu gute Songs und Stories. Mehr braucht es nicht und daher ist es auch für uns Hörer letztlich immer noch ’so was von egal‘, ob Tiziano Zandonella und seine Mitstreiter aus dem Kanton Wallis, aus Minnesota, Memphis oder Maschen, wie Truck Stop sangen, kommen. Klar, manche Textzeile wie die hinlänglich bekannte »All the Troubles I’ve seen« nehmen wir mal als nicht ganz so originelles Zitat, denn soviele ‚Troubles‘ werden es schon nicht gewesen sein, die sie im Wallis erlebt haben. Und sicher: Wer will, hört sogleich die übergroßen Vorbilder wie Neil Young, Bonnie ‚Prince‘ Billy, Townes van Zandt, His Bobness und so fort heraus (die allesamt auch Vorbilder hatten). Aber „Night Birds“ zieht einen praktisch vom ersten Takt an in seinen Bann. Denn die künstlerische Darbietung wirkt in sich stimmig und die Musik ist gut gespielt.
Das ganze Album ist durchdacht und verbreitet eine ganz eigene Atmosphäre, die sich nicht im Beschwören bekannter Bilder amerikanischer Weite erschöpft, sondern auch die eigene Innenwelt des Sängers gekonnt auslotet. Also: anhören und geniessen.

Yellow Teeth haben mit „Night Birds“ eine tolle Platte geschaffen, der man ganz viele Hörer wünscht.

Hazmat Modine „Live“

[amazon_image id=“B00JW3R66C“ link=“true“ target=“_blank“ size=“medium“ class=“alignleft“]Hazmat Modine „Live“[/amazon_image][rating=3] Faszinierendes Gebräu aus Blues, Jazz, Klezmer, Balkanbläsern und Rockmusik

Hazmat Modine sind eine locker zusammengefügte Band aus New York, die sich um den Sänger und Harmonikaspieler Wade Schuman gruppiert. Der exotisch klingende Bandname hat eine einfache Bedeutung, die man allerdings auch leicht behämmert finden kann: Hazmat ist ein Akronym aus ‚Hazardous Material‘, also Gefahrgut, und Modine ist der Name eines Herstellers von Heizlüftern. Weil die Band gerne und oft Instrumente wie Saxophon, Sousaphon und Trompete einsetzt und diese nach Ansicht Schumans eine Menge ‚heiße Luft‘ produzieren ist der Bandname durchaus sinnfällig.

„Live“ ist die dritte Veröffentlichung der Amerikaner. Wer ein Faible für musikalische Vielfalt hat, den erwartet unter anderem eine Version von „Baby please don’t go“, die geeignet ist, eine Gänsehautentzündung (das Copyright darauf gebührt Mehmet Scholl) zu produzieren. Ganz große Klasse, wie Schuman und Co. diesen Delta-Blues-Klassiker von Big Joe Williams aus dem Jahr 1935 elektrifizieren, entstauben und neu interpretieren.

Die stilistische Bandbreite von Hazmat Modine ist verblüffend. Hört man eben noch eine postmoderne Band, die mit allen Wassern gewaschen ist und den gesamten Katalog des Blues und seiner Interpretationsmöglichkeiten von den Zwanzigern über den Chicago Blues der Fünziger und Sechziger bis in die Gegenwart präsent zu haben scheint, erklingt im nächsten Augenblick „Walking Stick“ von Irving Berlin. Unmittelbar nach Anklängen an John Mayalls Mundharmonikaspiel oder an einen Rockjazz-Bläsersatz tritt eine Querflöte aus dem Cool-Jazz auf den Plan, um im nächsten Augenblick von einem Song im Reggae-Rhythmus abgelöst zu werden.

Die verbindende Klammer ist Wade Schumans Stimme, die mal an die Bluesshouter vom Schlage eines Howlin‘ Wolf oder Big Joe Williams gemahnt, aber auch gekonnt Klezmer-Songs, Eigenkomposititonen oder Klassiker der amerikanischen Unterhaltungsmusik interpretiert. Die Band hat sichtlich Spaß daran, von einem Genre ins nächste zu wechseln und spielt, als ob der Teufel hinter ihr her wäre. Eine weitere wichtige Basis sind die vielfältigen musikalischen Interessen der beteiligten Musiker, darunter versierte Session- und Studioprofis sowie die durchaus ungewöhnliche Instrumentierung mit dem Sousaphon als Bassersatz, Mundharmonika, Tuba, Steelgitarre und anderem.
Hazmat Modine sind sozusagen eine zeitgenössische Variante des kulturellen amerikanischen ‚melting pot‘ der verschiedenen Musikstile – wilde Mischung, aber sie gefällt.

 

Folly and the Hunter „Tragic Care“

Der Schallplattenmann bloggt… (Keine Vorschau vorhanden)

[amazon_image id=“B00C205BUU“ link=“true“ target=“_blank“ size=“medium“ class=“alignleft“]Folly and the Hunter „Tragic Care“[/amazon_image][rating=4]Eingängige Melodien, authentische Texte: Anhören!

Die Jugend von heute ist auch nicht mehr so wie früher. In den seligen 60er- und 70er-Jahren beklagten die Jungs hinterm Mikro direkt und unverblümt den sexuellen Notstand (und hofften auf Abhilfe nach der Show) oder riefen trotzig einen Ein-Mann-Aufstand aus. Die Texte von Nick Vallee hingegen, dem Sänger und Texter der jungen Montrealer Band Folly and the Hunter, erreichen beinahe literarisches Niveau. Kostprobe? »You have claimed to have made it beyond the disguises and through the folly. By the time I met you I was far behind where I thought I’d be.« („Mask“)

Doch nicht nur die Texte der Songs sind sozusagen kompliziert. Die Musik selbst klingt zwar zunächst nach Jedermanns-Lieblings-Indie-Folk-Pop-Truppe, entfaltet aber bereits beim ersten Hören einen zauberhaften Reiz, kurz: Dem jungen Trio (und seinen Helfern im Studio) ist eine ganz erstaunliche Platte gelungen. Tragik, wir wissen es seit wir in der Schule ‚Weltliteratur‘ lesen mussten und daran beinahe verzweifelten, entsteht infolge des Zusammenpralls von ‚Schicksalsmächten‘ und dem Einzelnen. ‚Tragisch‘ erscheinen uns Ereignisse, die beim besten Willen nicht abzuwenden waren. Weil aber Nick Vallee und seine Mitstreiter nicht im antiken Griechenland leben, sondern im modernen Kanada, und weil sie auch keine Dichter, sondern Musiker sind, ist die Fallhöhe des Helden glücklicherweise ganz moderat. ‚Bittersüß‘ nennen Folly and the Hunter das Gefühl, das die Songs auf „Tragic Care“ beschreibt.  Auch wenn Zeilen wie »I give up, I repent,my money is spent. I am rotting to the core« („Vultures“) düster klingen, die Musik dazu hat stets etwas Schwebendes, Schwereloses, beinahe Fröhliches, viel eher Dur als Moll. Hieraus entsteht ein reizvoller Kontrast, der sich beim wiederholten Hören noch steigert.

Das verwundert nicht, denn die Arrangements sind bisweilen recht komplex. Mitunter meint man, nicht drei, sondern vielleicht dreizehn Musiker zu hören. Die junge Band geht hier weit über den stets etwas verschlurften Indie-Folk-Stil hinaus. Und sie hat ein Faible für eingängige Melodien, auch wenn die Texte, hierin wieder ganz dem Geiste des Storytellers oder Singer-Songwriters verpflichtet, in dem Sinne authentisch sein sollen, dass ihnen eigene Erfahrungen zugrunde liegen. Was letztlich zählt, sind aber weniger die Erlebnisse des Sängers, sondern vielmehr das, was er und seine Mitstreiter daraus machen – bei „Tragic Care“ schaffen sie eine ganz eigene Atmosphäre: »I’m with you for the feel not for a fate to seal« („There are no Great Redeemers“).

Lange Rede, kurzes Ende: Anhören!

Dirtmusic „Lion City“

Dirtmusic "Lion City"

[amazon_image id=“B00HS95I1M“ link=“true“ target=“_blank“ size=“medium“ class=“alignleft“]Dirtmusic „Lion City“[/amazon_image][rating=4]Gelungene Mixtur aus Rock, Singer-Songwriter-Poesie, Electronica und „Wüstenblues“.
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„Lion City“ ist der vierte Streich der Zusammenarbeit zwischen Chris Eckman (von den „Walkabouts“) und Hugo Race („True Spirit“) als „Dirtmusic“ und der zweite Teil der im malischen Bamako 2012 entstandenen Aufnahmen mit Musikern aus Mali und dem Senegal.

Man kann sich sicherlich eine angenehmere Umgebung für eine Musikproduktion wünschen, als inmitten eines Bürgerkrieges und Militärputsches in einem Tonstudio in der malischen Hauptstadt zu sein und drinnen Musik zu machen, während draußen Gewalt herrscht. „Lion City“ reflektiert mit musikalischen Mitteln das politische Geschehen im unmittelbaren Umfeld, so singt  im Song „Red Dust“ Samba Touré: »Wie können wir versöhnen und vergeben? Wir müssen aufhören zu kämpfen.« Der nach wie vor aktuelle Bezug zur Lage Malis entstand nicht von Ungefähr, sondern kam auch daher, dass Eckman und Race nach eigenem Bekunden nicht mit fertigen Arrangements und Titeln, sondern vielmehr mit flüchtigen Entwürfen und ‚rohen‘ Ideen nach Afrika reisten, die erst während der gemeinsamen Proben und Aufnahmen mit den afrikanischen Musikern zu Songs reiften. Dementsprechend ist die Herangehensweise eine andere als bei vielen World-Music-Projekten.

Die beteiligten Musiker wie der schon erwähnte Touré, die Band „Tamikrest“, die Sängerin Aminata Traoré, Ben Zabo und etliche andere sollen nicht bloß eine musikalische ‚exotische Farbe‘ liefern, sondern integraler Bestandteil des Projektes sein, was über weite Strecken gut gelingt. Natürlich ist Eckmans Stimme sofort für alle unverkennbar, die auch nur einen einzigen Song der Walkabouts kennen. Daher könnte „Movin‘ Careful“ beinahe ebenso gut auf einer Veröffentlichung seiner alten Band sein, wenngleich die „klagenden“ Gitarren von Race und Ousmane Mossa (von der Touareg-Band Tamikrest) eher wieder Richtung afrikanischen ‚Wüstenblues‘ weisen. Andererseits sind solche Genre-Schubladen obsolet im Zeitalter des Internets und des internationalen künstlerischen Austausches und sie widersprechen dem Grundgedanken Chris Eckmans, der eine »gemeinschaftlich-demokratische Herangehensweise« bei den Aufnahmen favorisierte und intendierte. Ablesen kann man dies auch daran, dass die Autorenschaft der Titel nicht nur den IndieVeteranen Eckman und Race, sondern von Fall zu Fall auch den anderen Mitwirkenden zugeschrieben und der Platz vorm Mikro mal vom einen, dann wieder vom anderen eingenommen wird. Eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe also.

Entscheidend ist jedoch nicht, wir erinnern uns an diese grundlegende Erkenntnis des deutschen ‚Bummdeskanzlers‘ Kohl, wie etwas entsteht, sondern »was hinten rauskommt«. In diesem Falle eine faszinierende Collage aus Electronik, vom Ethno-Kitsch befreiter World-Music, Singer-Songwriter-Skizzen und Rock.

Manchmal magisch, manchmal gut gemeint mit appellativen Texten an die menschliche Vernunft  und überwiegend unterhaltsam und spannend: Die beteiligten Musiker kennen und schätzen sich seit Jahren, als sie sich erstmals auf einem Festival in der Sahara begegneten und zusammen spielten. Die musikalische Zusammenarbeit zwischen den alten Recken aus der Indie-Szene und den Wüstenbluesern und Afro-Popmusikern erweist sich erneut als Bereicherung für beide Seiten – und als Vergnügen für die Hörer, die diesem Album in großer Zahl zu wünschen sind.

(Foto: Glitterhouse)

 

 

Neko Case, Mojo Club, Hamburg, 29.11.2013

Neko Case & Kelly Hogan im Mojo Club, Hamburg (Foto: Helge Buttkereit)[caption id="attachment_2079" align="alignleft" width="219"]Neko Case & Kelly Hogan im Mojo Club, Hamburg (Foto: Helge Buttkereit) Neko Case & Kelly Hogan im Mojo Club, Hamburg (Foto: Helge Buttkereit)[/caption]

Sie wirkt zerbrechlich und etwas deplatziert, wenn sie auf der Bühne steht und singt. Denn Neko Case Haare sind zerzaust, sie trägt eine eher nach Freizeit aussehende Leggins und einen schlabbrigen Pullover. Neko Case steht nicht als abgeklärte Sängerin auf der Bühne des Hamburger Mojo Clubs an der Reeperbahn, als die sie nach 15 Jahren eigentlich zu erwarten wäre. Die mittlerweile 43-Jährige scheint an einem Scheitelpunkt ihrer Karriere angekommen zu sein, immerhin scheint sie die Depressionen überwunden zu haben, von denen sie in einem Interview mit dem Guardian erzählt hat. Case singt noch immer grandios, ihre Stimme schafft es weiterhin, die (zu wenigen) Zuschauer in ihren Bann zu ziehen und dabei dem Text einen ganz besonderen Ausdruck zu verleihen. Aber ist dies wirklich das Richtige für Neko Case? Hat ihr das jahrelange Leben auf der Bühne und auf der Tour nicht vielleicht doch so viel zugesetzt, wie man es in ihrem Gesicht zu erkennen glaubt, das eher nach Erschöpfung denn nach Freude aussieht? Viele Gedanken, die das immer zerbrechlich scheinende Äußere aufdrängt.

[caption id="attachment_2082" align="aligncenter" width="300"]Neko Case (Foto: Helge Buttkereit) Neko Case (Foto: Helge Buttkereit)[/caption]

Auf der anderen Seite wird sie von einer Band begleitet, die mit Case an der Gitarre sowohl ein grandioses Rock-Feuerwerk wie bei „Man“, dem Abschluss des regulären Sets, abliefern kann und die gleichzeitig die leisen Töne beherrscht. Dabei wird dann die Stimme von Neko Case besonderes in den Vordergrund gerückt. Ob „Maybe Sparrow“, „Set Out Running“ oder „The Tigers Have Spoken“ – die meist sanfteren Titel der vergangenen Alben spielen die Musiker um die langjährigen Weggefährten Jon Rauhouse (Gitarre, Steel Gutar und ein paar Töne Posaune) und Tom V. Ray (Bass) ebenso gekonnt wie die vielen Stücke des aktuellen Albums „The Worse Things Get, The Harder I Fight, The Harder I Fight, The More I Love You“. Ansagen und Scherze überlässt Case dabei Background-Sängerin Kelly Hogan, die ein wenig wie die Mutter der Kompanie wirkt und sicher auch eine gute Stütze für Neko Case ist. Sie lässt den Zuhörer und Zuschauer dann auch etwas beruhigter zurück, wenn das Konzert nach zu kurzer Zeit bereits zu Ende ist und auch die letzten nachhallenden Töne des Gesangs der Hauptdarstellerin verklungen sind. Für Neko Case scheint gesorgt und sie kündigt auch schon wieder weitere Konzerte an. Im Sommer komme sie zurück, sagt sie. Ein größeres Publikum sollte dann aber schon kommen, denn selbst wenn ein Neko-Case-Konzert nicht lange dauert. Es ist jede Minute wert.

Ane Brun „Rarities“

Ane Brun "Rarities"

Ane Brun [rating=2] Ane Bruns zweite Sammlung mit Coversongs und unveröffentlichtem Material.

Ane Brun kann sich zu ihrem zehnjährigen Jubiläum als ‚Performing and Recording Artist‘ kaum bremsen und macht sich und ihren Hörern das vorliegende „Geschenk“ in Form einer Doppel-CD. Darauf finden sich, der Titel verrät es bereits, zahlreiche selten gehörte akustische Schmankerln der norwegischen Sängerin. Teils handelt es sich  um alternative Versionen ihrer Songs wie „Humming one of your Songs“ von ihrem Debutalbum aus dem Jahre 2003, dem sie hier eine ordentliche stimmliche Prise ‚Soul‘ mitgibt, teils um unveröffentlichte Aufnahmen wie „Fly on the Windscreen“, ein Depeche-Mode-Cover, bei dem Vince Clarke mitwirkt.

Erneut wird die enorme stilistische Bandbreite Bruns deutlich. Die erste CD bietet überwiegend sparsam instrumentierte Titel, darunter eigene Nummern und Coverversionen, denen sie ihren Stempel aufdrückt, auf der zweiten CD darf das Arrangement auch schon mal etwas orchestraler ausfallen. Wer hätte gedacht, dass der alte Eurythmics Song „It’s Alright (Baby’s Coming Back)“ heute noch (oder wieder) zu gefallen vermag? Auf den einen oder anderen Titel („From Me to You“, Lennon/McCartney, „Joga“, Björk) hätte ich persönlich gut verzichten können, bei anderen Titeln („Crawfish“, Elvis) muss der geneigte Hörer wohl selbst entscheiden, ob Ane Bruns Interpretation wirklich etwas entscheidend Neues bietet. Leonhard Cohens „Ain’t no Cure for Love“ ist in Bruns bittersüßer Fassung ein Highlight; die drei Titel von Emmylou Harris („All my Tears“, „Tragedy“, „Orphan Girl“) gewinnen hingegen kaum ein eigenes Gesicht. Und so liegen Licht und Schatten, bravouröse Neuinterpretation und einfaches, fast braves Anknüpfen an Wohlbekanntes in dieser Sammlung eng beieinander.

Brun ist immer dann sehr gut, wenn sie ihre Neigung zum Idyllischen, Schlagerhaften unter Kontrolle hat und sich ganz auf ihre gute Stimme verlässt und auf sparsame Arrangements setzt. Allerdings scheint sie stilistische Bandbreite zu schätzen, was sich aus der Auswahl der von ihr interpretierten Titel mühelos ablesen und heraushören lässt. Wo die Künstlerin also vermutlich aus Mengen unveröffentlichten Materials mühevoll den einen oder anderen Song schweren Herzens streichen musste, sind es für meinen Geschmack auf den beiden CDs schon beinahe zu viele. Ist halt auch nicht jede musikalische Vorlage, die sie hier verwendet, eine Perle. Weil „Rarities“ aber stellenweise intensiven Hörgenuss bietet, sollte man dennoch zugreifen und das Ganze einfach wirken lassen.

Ane Brun „Songs 2003-2013“ auf blog.schallplattenmann.de

Offizielle Website von Ane Brun

(Foto: Lautstark)

Maria Taylor „Something About Knowing“

[amazon_image id=“B00F5O1WYO“ link=“true“ target=“_blank“ size=“medium“ class=“alignleft“]]Maria Taylor „Something About Knowing“[/amazon_image][rating=1] Netter, harmloser Singer-Songwriter-Pop.*

Maria Taylor ist in der amerikanischen Musikszene keine Unbekannte. Seit mindestens anderthalb Jahrzehnten ist die umtriebige Dame solo oder mit Kollegen wie Bright Eyes aktiv. Nun liegt ihr neues Album „Something About Knowing“ vor. Und um es gleich rundheraus zu sagen: Es ist eine Ansammlung musikalischer Nettig- und Nichtigkeiten geworden.

Dagegen ist natürlich erst einmal nichts Grundsätzliches einzuwenden, auch wenn das Plattencover mit zwei quietschbunten Liegestühlen, einem ebensolchen Sonnenschirm, sauberem und vor allem leeren Strand und einem unverstellten Blick aufs azurblaue Meer vielleicht dem Betrachter ein wenig zu „makellos“ erscheint. Wo ist die rostige, leere Coladose, an der sich der Badegast schneiden könnte? Es gibt sie nicht im neuen Werk von Maria Taylor. Die zehn Songs plätschern angenehm und eingängig dahin, gesungen wird die harmlos-nette „Folk Song Melody“, bei „Up all Night“ geht’s weniger um Party, als um die Sorge der Mama für ihr Neugeborenes. Hört sich an wie die typische Produktion aus Nashville mit den typischen „rockigen“ Gitarren und dem bekannten Timbre der amerikanischen Sängerinnen. Werden die in einer Fabrik am Band produziert? Wer bei „Tunnel Vision“ Beklemmendes erwartet, bekommt eine Art recycelter Fleetwood Mac. Wer’s braucht…

Maria Taylor erklärt diese allumfassende, fast schon „gnadenlose“ Nettigkeit, ihres neuen Albums, das unverhohlen auf den Mainstream-Markt zielt, mit ihrer neuen Rolle als Mutti. So fühlt sie sich angeblich gerade eben zur Zeit als Musikerin und Mutter. Komisch nur, dass diese in Musik gegossenen Gefühle so haargenau dem entsprechen, was das hungrige Pop-Format-Radio als akustisches Futter braucht. So braucht niemand Angst zu haben, dass der Genuss des überteuerten „Frappuccinos“ eines an jeder Ecke lauernden Kaffeeausschanks durch Misstöne gestört wird, denn so wie das Heißgetränk überall gleich schmeckt, so klingt auch Maria Taylors Musik wie etwas, das wir schon zigmal gehört haben. Die Frage ist nur, ob wir es immer wieder aufs Neue hören wollen? Das muss dann jeder Hörer selbst entscheiden. Mir ist es auf CD-Dauer zu harmlos und langweilig.

Promo-Video zur “Something About Knowing“ auf Youtube