Schlagwort: Indie-Pop

Theodor Shitstorm „Sie werden dich lieben“

[rating=3] Selbstbewusst ins richtige Licht gesetzt

Aus Widrigkeiten Profit schlagen: Ihre hürdenreiche Anreise nach Belgrad, wo sie in der Wohnung von Freunden zwei Wochen lang Lieder schreiben wollten, haben die Liedermacherin Desiree Klaeukens und Dietrich Brüggemann, im Hauptberuf Regisseur und Drehbuchautor, gleich zu einem Stück verwurstet. Sie scheinen Spaß an allem zu haben, was schief gehen kann, und geben schon mit dem Auftakt („Getriebeschaden“) einen Hinweis darauf, dass Aufzählungen ihr beliebtes Stilmittel ist. Meist setzen sie es ganz originell ein.
Die Musik des Duos ist nicht vom Himmel gefallen: In „Kunst“, klingt Brüggemanns Stimme nach dem frühen Frank Spilker, die schwermütigen Refrains von „Nicht dein Typ“ und „Mama, schick mir die Platten von Reinhard Mey“ wirken wie von der Hamburger Band Die Heiterkeit geliehen.
Es ist leicht, das Duo in der deutschen Indie-Pop-Geschichte zu verorten, die sie um einige vergnügliche, mal flotte, mal getragene Songs bereichern. Diese könnten sie im Liedermacherstil inszenieren. Mit Golo Schultz (Bass) und Florian Holoubek (Schlagzeug) hat sich das Duo jedoch zwei Mitstreiter geholt, und damit es weniger nach Reinhard Mey im Duett mit Jenny Jürgens klingt die Chose mehr in Richtung Indie-Pop gedreht.

Das kommt ganz gut, auch wenn Schönheit in erster Linie im Auge des Betrachters liegt und in zweiter nach der richtigen Beleuchtung verlangt. „Ich sehe auch gut aus“, heißt es ganz selbstbewusst in „Nicht dein Typ“ – vor der selbsteinsichtigen Einschränkung: „es ist nur eine Frage des Lichts“. Das gilt ja, wenn man das Selbstbild nicht mit rosaroter Brille über das Zulässige hinaus korrigiert, für die meisten Menschen. Theodor Shitstorm wissen das – und als veritable Beleuchtungskünstler gelingt es ihnen immer wieder, dass man über den bescheuerten Namen hinwegsehen und sogar die Aufzählungsmarotte immer wieder originell finden kann.

Facebook-Seite von Theodor Shitstorm

(Foto: Staatsakt)

Fatima Dunn „Birds and Bones“

[rating=4] Anrührende Lieder einer originellen Alleinunterhalterin

Sie habe kein Geld, singt sie frohgemut wie ein unbekümmert in die Welt hinauswandernder Hans Guck-in-die-Luft, dafür aber einen Garten mit tausend Blumen und ebenso vielen Bienen, einen Wald mit tausend Bäumen, einen Himmel voller Wolken und – vor allem – tausend Lieder, die sie zu den Leuten trage. Das ist wohl am meisten wert, denn „denen mit Musik gehört die Welt“.

Wenn man das Stück hört, „Kei Gäld“, weiß man längst, dass die irisch-schweizerische Sängerin aus wenig viel machen kann. Es ist der letzte Song auf dem neuen Album der Cellistin und Sängerin, die sich etwas großsprecherisch ‚One Women Orchestra‘ nennt. Für die Mehrstimmigkeit muss Fatima Dunn das Rad nicht neu erfinden, sondern wie andere zuvor ihr Instrument bloß mit Loops vervielfachen und mit kleinen Effekten akzentuieren. Das ist leicht gesagt. Doch mit zupfen, streichen und gelegentlich rhythmisch auf den Korpus klopfen sind ihre Möglichkeiten auch trotz elektronischer Unterstützung beschränkt.

Aber wer braucht mehr, wenn der wahre Reichtum ohnehin die Lieder sind? Die von Fatima Dunn sind anrührend und werden von ihr seelenvoll interpretiert. Sie hat eine anmutige Stimme, die sie für anmutige Melodien auch gerne übereinanderschichtet. Ihre Songs sind von schlichter Schönheit und doch nicht ohne Raffinesse, ruhig und trotzdem eindringlich, und immer wieder auch temperamentvoll, jedoch ganz ohne aufgeregte Pop-Attitüde. Kurz: Sie sind einfach einnehmend und schön – schön geschrieben, schön gesungen und schön arrangiert –, und das, ohne belanglos zu sein. Und wenn man ganz am Ende die in ihrem Wohnort aufgenommenen Gesänge der Stare vor dem Abflug in den Süden hört, denkt man, dass Fatima Dunn mit ihren Liedern gar nicht selbst um die Welt reisen muss. Ziemlich sicher werden die Stare sie von Südeuropa bis Nordwestafrika singen. Anderswohin kann das Album fliegen – und an manche Orte kommt die Sängerin selbst zu Besuch. Das ist wahrscheinlich am schönsten.

Offizielle Homepage von Fatima Dunn

(Foto: Tourbo Music)

Bünger „Nie zu spät für eine glückliche Kindheit“

[rating=2] Ein Album für gewisse Stunden

Die Gemeinde Timmendorfer Strand in der Lübecker Bucht hatte in den Achtzigerjahren durchaus einen gewissen Einfluss auf die Hamburger Musikszene. So kam damals Schorsch Kamerun, seines Zeichens Sänger der Funpunker Die Goldenen Zitronen, zu erster öffentlicher Aufmerksamkeit. Auch Sven Bünger stammt aus jener Gegend und blickt nach eigenem Bekunden auf eine Jugend als Dorfpunk zurück. Das ist viele Jahre her. Kamerun ist heute anerkanntes Mitglied des etablierten Kunstbetriebs und Sven Bünger längst erfolgreicher Produzent in Hamburg, mit Klienten wie Johannes Oerding und Madsen.

Als Solokünstler ist Sven Bünger bislang nicht in Erscheinung getreten, was keineswegs verwundert. Denn Bünger reisst einen weder als Sänger noch als Gitarrist vom Stuhl. Seinen Sprechgesang muss man nicht mögen, seine deutschen Texte mit Titeln wie „Tut mir leid“, „Finde den Fehler“ oder „Ich brauche Nichts“ verströmen jedoch eine bisweilen leicht versoffene wirkende Lakonie, die von der knarzigen bluesrockigen Musik kongenial unterstützt wird.

Der Kern von Büngers Band, die gelegentlich von einem weiblichen Backgroundchor und Bläsern unterstützt wird, besteht aus einer zweiten Gitarre, Bass und Schlagzeug. Das klingt gut, wenn auch die Texte mitunter etwas deutschrockig sind oder wie aus der Zeit der Neuen Deutschen Welle wirken. Doch auch wenn Westernhagen und Co. grüßen lassen: Sven Bünger gibt dem Ganzen ein Update und eine eigene Note – so auch beim behutsam aufpolierten Trio-Cover „DaDaDa“. Freunde des deutschen Chansons wiederum kommen beim Titel „Verschwende“ auf ihre Kosten. Das seltsam unzeitgemäße „Maschinen“ hingegen erinnert an die Technikkritik einer zweitrangigen Neue-Deutsche-Welle-Band.

Wer dennoch zum Album „Nie zu spät für eine glückliche Kindheit“ greift, bekommt überwiegend Musik, die man gut live bei einem Bier in einem kleinen Club hören kann. Zu Hause kann man sie natürlich auch beim Bier hören, dann jedoch stellen sich rasch gewisse Abnutzungserscheinungen ein. Büngers stimmliche Möglichkeiten sind eben limitiert und sein nordischer Humor auch nicht jedermanns Sache. Aber eine Platte für gewisse Stunden ist „Nie zu spät für eine glückliche Kindheit“ trotzdem geworden.

(Cover: Chefrecords Ratekau)

Nick and June „My November My“

[rating=3] Im musikalischen und zeitlichen Zwischenreich

Wer Ende März eine Platte mit dem Titel „My November My“ herausbringt, hinkt entweder der Zeit hinterher oder ist ihr voraus. Im Falle der zweiten Veröffentlichung der Nürnberger Band Nick and June stehen die Dinge nicht ganz so einfach, sondern Band und Hörer scheinen sich eher in einer Art musikalischem und zeitlichen Zwischenreich zu begegnen. Ursprünglich begann der Sänger und Songwriter Nick Wolf 2011 als Solist, 2012 kam Julia Kalass hinzu, zunächst nur als Unterstützung für die ersten Aufnahmen. Mittlerweile hat man sich mit Bass und Schlagzeug zum Quartett entwickelt. Dominant bleiben aber die ausgefeilten Vokalarrangements. Nick Wolfs heiser-rauchiger Gesang und die helle Stimme von Julia Kalass geben Ton und Takt vor. Eine Vielzahl von Instrumenten ordnet sich dem unter und begleitet zart. Die verträumt-versponnenen Kompositionen unterstützen die stimmliche Dominanz und geben ihr Raum zur Entfaltung.

Zart, beinahe hingehuscht, beginnt die CD mit dem „Intro“, das Athmosphäre und Stimmung vorgibt. „November Boy“ greift den folkigen Indie-Sound auf, und im dritten Titel, „Tiger“, wird es kurz mal etwas lauter. Fans von handgemachtem Folk müssen jedoch keine Angst haben: Das Tempo bleibt verhalten, der Gesang reduziert und die Melodien zart, auch wenn dazu hin und wieder die Trommel etwas lauter geschlagen wird. Klaviere, Synthies und Gitarren ergänzen das Klangsprektrum, aber alles ist zurückhaltend bis reduziert arrangiert. Das passt ganz gut zum nachdenklich-traurig dreinschauenden Nick Wolf und der wie ein Hippiemädchen aussehenden Julia Kalass.
Für ambitionierte Proseminaristen gibt es verrätselte Texte um Wollen und Werden des „November Boy“ und Anspielungen auf Texte und Songs anderer Interpreten. Ein Konzeptalbum soll es also sein. Gut gefallen hat „London City, Boy, It’s killing me“ mit seinem fröhlichen Rhythmus, der irgendwie ’nostalgischen‘ Instrumentierung und dem sphärischen Gesang von Julia Kalass.

Ein Händchen für Melodien hat die Band obendrein. Aus dem Rahmen fällt ein wenig „Once in a Life“, wo man doch etwas zu sehr ins Indie-Rock-Klischee abdriftet, aber richtig schlecht ist auch das nicht. „Feels like Home“ wechselt dann wieder in den verträumt-verschlurften langsameren Modus. Darin fühlt die Band sich sichtlich am wohlsten. Vielleicht hätte man auf ein, zwei Songs verzichten können, aber so ist das halt mit jungen Bands, die sich und anderen zeigen wollen, wieviele Ideen man hat. Eins noch: beim nächsten Mal ein paar Kanten einbauen, ein wenig hat das Quartett damit bereits im letzten Titel „I & Love & …“, angefangen, in dem die zarte Stimmung auch mal mit Krach gestört wird.

Die junge Band hat ein Album vorgelegt, das dem Hörer Geduld und mithin Zeit abverlangt. Wer also filigranen, ausgefeilten Gesang schätzt, den Kompositionen Zeit gibt, sich zu entfalten, und Melancholie auch im Frühling nicht ganz abschüttelt, wird mit „My November My“ durchaus zufrieden sein.

 

Garish, 18.03.2017, Spielboden, Dornbirn (A)

„Vergesst das Morgen“, fordert Falco in seinem hedonistischen „Junge Römer“, auch wenn er darauf anspielt, dass am nächsten Tag die Rechnung folgen wird. Der schillernde Musiker hat den Song mit großem Orchester eingespielt. Garish bringen als Zugabe ihres frenetisch umjubelten Konzerts die Lagerfeuer-Version. Ihre zehn Jahre alte, nachdenkliche Interpretation des Liedes, das die diesem innewohnende Katerstimmung nach dem Fest betont, ist bezeichnend. So selbstbewusst Falco aufgetreten ist, so zurückhaltend geben sich Garish. Falcos exaltierter Virilität steht die gefühlvolle Inbrunst gegenüber, die zumindest Sänger Thomas Jarmer gelegentlich zelebriert. Der Rest der Truppe gibt den stillen Handwerker.

In den letzten Jahren hat sich das Quartett ein stimmiges Œuvre geschaffen, in das sich die Lieder des neuen Albums „Komm schwarzer Kater“ nahtlos einfügen. Indem viele ihrer Melodien mit extrem langgezogenen Silben und Vokalen angereichert sind, haben Garish trotzdem ihr eigenes Klangbild entwickelt. Der Ohrwurmcharakter ihrer Songs liegt ebenso jenseits des Mainstreams wie ihre Texte. Dass sie virtuose Anstrengungen durchweg vermeiden, hilft ihnen auf der Bühne. Und dass sie mit ihrem ausgiebig eingesetzten Chorgesang den Beachboys nicht das Wasser reichen können, sähe man ihnen noch lieber nach, wenn das redliche Bemühen nach Abwechslung etwas fruchtbringender wäre.
Doch auf der Bühne gehen oft die Zwischentöne verloren. Dann bleiben melancholische Songs immer wieder blass, während die forschen Stücke rasch stampfig werden. Da ist es von Vorteil, dass Garish neben den Liedern des vor kurzem erschienenen Albums (etwa „Pandoras Box & ein Getränk“, „Matador“, „Apollo“, „Menschenfresserwalzer“) auch auf bereits bewährte wie „Eisenherz“ und „Auf den Dächern“ setzten. Und, oh lala, mit der Wucht und dem Pathos von „Paris“, das auch zwei Tage danach noch in den Ohren saust, heizen sie die Stimmung noch einmal auf, bevor sie das ihnen ergebene Publikum mit ihrer introvertierten Version von „Junge Römer“ an das drohende Ende der euphorischen Nacht erinnern.

Bisherige Rezensionen zu Garish im Schallplattenmann-Blog

Offizielle Homepage von Garish

(Foto: TheNoise)

Jenn Grant „Paradise“

[rating=2] Unverhohlen auf Radiotauglichkeit getrimmt

Mit „Paradise“ legt die kanadische Sängerin und Musikerin Jenn Grant ihr nunmehr sechstes Album vor. Zumindest in unseren Breiten blieb die Dame bislang eher unbeachtet, wenngleich sie auch in Europa fleißig tourte. Ob sie mit ihrem neuen Album größere Aufmerksamkeit erlangen wird, ist ungewiss. „Paradise“ entstand in intensiver Zusammenarbeit mit ihrem Ehemann und Produzenten in ländlicher kanadischer Abgeschiedenheit. Allerdings hören wir hier keine folkloristische Versponnenheit fernab der Klänge der Metropolen, sondern eine durchaus gefällige Mischung aus verträumten Popsongs, Balladen und im weiteren Sinne Singer/Songwriter-Werken. Grant äußert zwar tapfer, dass sie mit ihrem neuen Opus in bislang unbekannte klangliche ‚galaktische Gefilde‘ vorstoßen möchte, aber das dürfen wir getrost unter Marketing-Geklingel verbuchen. Auch wenn sie, scheinbar selbstkritisch und zufrieden zugleich, bekennt, dass sie nun endlich ihrer eigenen stimmlichen Möglichkeiten gewahr werde, muss das niemand erschrecken. Die elf zumeist im Mid-Tempo gehaltenen Songs schielen unverhohlen auf Radiotauglichkeit – und das klappt auch. Jenn Grant ist gut bei Stimme. Doch diese ist nicht unverwechselbar. So oder ähnlich hat man schon etliche Sängerinnen gehört. Die Musik fällt auch nicht aus dem Rahmen, sondern bedient sich der handelsüblichen Zutaten mit einer Prise Synthies und Geigen hier, elektrischem Klavier dort und zu allem hübsche Melodien. Das ist ganz gut gemacht und dringt in die Gehörgänge, setzt sich dort aber nicht wirklich fest.
Fazit: Für Jenn Grant mag „Paradise“ ein Meilenstein ihrer musikalischen Entwicklung sein. Für den Hörer ist es eine weitere, gut gemachte Pop-Platte, die beim Hören durchaus ihre Wirkung zu entfalten vermag.

Offizielle Homepage von Jenn Grant

(Cover: Star House)

Various „Mach’s besser: 25 Jahre Die Sterne“

Chance vergeben

Wie keine eine andere Band vor ihnen haben Die Sterne sperrige Texte mit geschmeidiger Musik kombiniert. Sie sind beim Vermitteln ihrer Botschaften ohne Parolen ausgekommen und trotz Wandlungen über all die Jahre unverwechselbar geblieben. Zweifellos: Die Hamburger haben Tribut verdient – und zwar würdigenden.
Das 25-jährige Jubiläum ist ein ebenso konventioneller wie willkommener Anlass für ein Tribut-Album. Der Reputation der Sterne angemessen, reicht die Bandbreite der Gratulanten von alten Kämpen (Die Zimmermänner, Die Aeronauten und Peter Hein, der mit Fehlfarben und Family 5 vertreten ist) über Hamburger Freunde (Björn Beton von Fettes Brot) und Geistesverwandte wie Stereo Total und Peter Licht bis hin zu jungen Bands wie Kreisky und den Newcomern Isolation Berlin. Mit ihren Geschenken haben sie sich jedoch kaum Mühe gemacht und allenfalls die Verpackung etwas aufgehübscht. Die Gratulanten geben sich indierockig, funky oder ein wenig elektrostampfig, bleiben Liedermacher und machen auch mal ein wenig Disco. Oft geben sie sich damit zufrieden, zu zeigen, wie sie sind. Das ist immer wieder unterhaltsam, kreativ ist es nicht. Die Aufforderung der Sterne, es besser zu machen, wird keineswegs erfüllt. Wir warten auf das nächste Album des Originals.

Bisherige Rezensionen zu den Sternen

Offizielle Homepage von Die Sterne

(Foto: Staatsakt)

Kristoffer Aström „Göteborg String Sessions“

astroem_goeteborg[rating=3] angenehm und berührend

Der 1974 geborene Gitarrist und Sänger Kristoffer Aström ist in seiner schwedischen Heimat seit langem kein Unbekannter mehr. Bereits neben seinen Anfängen als wilder Rocker – mit Fireside in den frühen Neunziger-Jahren – arbeitet er fast gleichzeitig als Solokünstler. Doch anders als mit seiner Band ist er solo eher im Country- oder Folk-Rock-Genre unterwegs. Das bereits vor einiger Zeit mit Mitgliedern des Göteborger Symphonie-Orchesters live eingespielte Album dokumentiert diese Facette seines Schaffens eindrucksvoll. Geigen oder ganze Orchester werden von Rockmusikern gerne eingesetzt, wenn es etwas ‚feierlicher‘ zugehen soll. Allerdings kann auch ein versiertes symphonisches Klanggebilde aus einem schlechten Song keinen guten machen – umgekehrt schon eher. Doch Aströms zumeist persönlich geprägte Songs über die „Queen of Sorrows“ oder „All Lovers Hell“ vertragen die Arrangements gut. Der Schwede hat nicht die beste Stimme aller Zeiten, und seine Künste auf der akustischen Gitarre sind mit dem Prädikat „ganz ordentlich“ hinreichend beschrieben. In den „Göteborg String Sessions“ geht es daher nicht um Virtuosität. Aber die Songs verströmen durchweg eine sanfte, introvertierte, warme und eher melancholische Stimmung. Sie entfalten  einen sehr eigenen, berührenden Reiz. Dabei bleibt sowohl für den Solisten als auch für das Orchester genügend Raum zur Entfaltung. Aström ist in seinen Kompositionen durchaus dem amerikanischen Country- oder Folkrock verpflichtet. Das heißt jedoch nicht, dass er keinen eigenen Ausdruck und Stil sucht. Dieser findet sich am Ende weniger in den Themen der Songs, die um Alkohol, Einsamkeit mit und ohne Frauen oder gebrochene Herzen junger Männer kreisen, sondern in der Art seines Vortrags. Und auch wenn dieser nicht unverwechselbar sein mag, liefert Kristoffer Aström mit seinen „String Sessions“ ein ordentliches Album ab, das im kalten Herbst und Winter sehr angenehm und berührend wärmt.

Hamilton Leithauser + Rostam „I had a dream that you were mine“

leithauser[rating=4] Reminiszenz an die goldene Zeit des amerikanischen Pop

Der US-amerikanische Sänger Hamilton Leithauser dürfte dem einen oder anderen als Sänger der New Yorker Band The Walkmen bekannt sein, die in den Jahren nach 2000 mit kommerziellem Indie-Pop aktiv war. Die Band hat sich seit 2014 eine unbestimmte Auszeit verordnet. Nachdem er im gleichen Jahr sein erstes Solo-Album vorlegte, hat Leithauser nun ein neues Projekt. Dieses formte er mit dem Multiinstrumentalisten Rostam Bantaglij, ex-Vampire Weekend. Mit „I had a dream that you were mine“ legen die beiden ihr Debut vor. Der Sound der zehn Songs wirkt beim ersten Hörer durchaus nostalgisch oder, wie es heute so plakativ heisst: Retro oder Vintage-Sound. Einerseits ist dies dem analogen Equipment zu verdanken, wie es früher auch The Walkmen in ihrem eigenen  Studio eingesetzt haben, andererseits dem Songwriting von Leithauser + Rostam. Den beiden scheint es vor allem um den Spaß zu gehen, Musik aus der Vergangenheit intelligent in die Gegenwart zu transportieren. Sie denken dabei aber auch über Vergänglichkeit oder das voranschreitende Alter nach.

„You ain’t that young Kid“ beginnt mit einer typischen Dylan-Harmonika, die von Beatles-Gitarren begleitet wird. Schließlich singt süßlich ein Mädchen-Chor, eine Hammond-Orgel nimmt die Harmonien auf, ein Clavinet und noch Manches andere kommt hinzu. Aber über allem thront der heisere Tenor von Leithauser, der über eine verflossene Liebe singt. Leithauser zieht als Sänger etliche Register und gibt den Entertainer. Sei es, dass er ganz im Stil der züchtigen fünfziger Jahre davon träumt, daß die Angebetete ihm ganz allein gehören möge („I had a dream that you were mine“), sei es, indem er Szenen aus schäbigen Bars und dunklen Parkplätze entwirft („You ain’t that young  Kid“).

Die Arbeitsteilung scheint damit klar: hier der Sänger, dort der Arrangeur und Multiinstrumentalist Rostam, der als eine Art lebender Musikbox virtuos die Stile vergangener Epochen mixt. Doch so einfach ist es nicht, denn auch Leithauser ist als Bassist und Gitarrist sowie als Komponist und Arrangeur am Klangbild maßgeblich beteiligt. Dieses bietet Doo-Woop-Adaptionen, spanische Gitarren, Anklänge an George Martins Zaubereien bei den Beatles, Reminiszenzen an Leonhard Cohen, antike Synthies aus den Achtzigern, Vaudeville-Pianos, Saxofon-Soli, Celli … Wer möchte, kann das ganze Klangpuzzle wieder auseinandernehmen und in seine Bestandteile zerlegen. Aber bekanntlich ist das Ganze mehr als die Summe seiner Teile. Weil Leithauser und Rostam begabte und versierte Klangtüftler mit hörbarem Spass an der Sache sind, vermischen sie die unterschiedlichen Zutaten auf ihre Album zu einem angenehmen, durchgehenden Hörvergnügen voller Up-Beat-Nummern mit melancholischen Obertönen, die aber nie ins Lamoryante verfallen.

(Cover: Glassnote Rec.)

Kristoffer and the Harbour Heads „EX/EX“

kristoffer_and_the_harbour_heads_ex_ex_album_cover_150dpi[rating=3] Nicht die Zukunft des Rock’n’Roll, aber ein gut hörbares Album

Das schwedische Trio um den Sänger, Songwriter und Multiinstrumentalisten Kristoffer Ragnstam aus Göteborg ist seit 2010 aktiv. „EX/EX“ ist ihre dritte und bislang ausgereifteste Veröffentlichung. Eingespielt wurde das Album laut eigener Mitteilung in nur vier Tagen in einem Studio in Los Angeles und anschließend  in den berühmten Muscle Shoals Studios in Alabama gemixt. Man könnte bei dieser direkten Herangehensweise natürlich an einfachen, eingängigen Rock denken, aber das Trio bietet verspielten Indie-Pop mit elektronischen Helferlein wie Drum-Computer und Synthesizer. Allerdings ging der rasanten Produktion nach Angaben der Band ein intensives Jahr der gemeinsamen Vorbereitung und Songwritings voraus. Und bei der Produktion im Studio half Bruce Salter, ein Mann, der auch schon mit ‚Boss‘ Bruce Springsteen zusammengearbeitet hat.

Die Songs haben bisweilen etwas Kollagenhaftes und nehmen gerne Anleihen beim Psychedelic-Pop der Sechzigerjahre. Kristoffer und die Harbour Heads (Bassist und Gitarrist Joel Lundberg und Emil Rindstad an Keyboards und Schlagzeug) haben sich fleißig durch den Katalog der englischen und amerikanischen Pop-Psychedelia gehört, setzen ihre Hörerlebnisse jedoch charmant, clever und zeitgemäß um, und keineswegs als reines Retro-Projekt. Die vorab veröffentlichte Single „When you say stay“ widmet sich dem Thema der Migaration nach Europa, im dazu gehörenden Video tauchen ein nun in Deutschland lebendes Mädchen aus dem Libanon sowie ein Zebra auf. Ragnstam war vor seiner Zeit bei den Harbour Heads als Singer/Songwriter tätig. Das brachte ihm den zweifelhaften Spitznamen ‚der schwedische Beck‘ ein. Gemeint ist damit nicht der schwedische Kommissar des Autorenduos Maj Sjöwall und Per Walhöö, sondern der amerikanische Musiker Beck Hansen. Aus dieser Singer/Songwriter-Phase erklärt sich dann wohl auch, dass Kristoffer Ragnstam nicht vor ernsteren Themen zurückschreckt. Übergeordnetes Thema seiner Songs seien Beziehungen, die in die Brüche gegangen sind. Auch bei „When you say stay“ geht es in einem weiteren Sinn um menschliche Beziehungen. Wie man weiss, sind die Begegnungen zwischen Einheimischen und  den Fremden nicht immer einfach oder konfliktfrei.

Ragnstam ist als Sänger zwar weder besonders markant, noch unverwechselbar, und die Songs wirken durch die Anleihen beim Sechziger-Pop als ob man sie bereits gehört hätte. Trotzdem verbreitet „EX/EX“  mit seinen neun Songs eine entspannte Athmosphäre. Es ragen weniger einzelne Titel heraus, vielmehr entsteht eine Art Klangteppich, der mit durchaus neuen Mustern – hier abschnittsweise Harmonien und Sounds aus der klassischen Rockära, dort moderne elektronische Umsetzung und aktuelle Songthemen – durchaus gefällt. Kristoffer and the Harbour Heads bringen uns nicht die Zukunft des Rock’n’Roll, haben aber ein gut hörbares Album abgeliefert.

(Cover: Pop-Up Records)