Schlagwort: Jazz

Le Bang Bang „Pure“

[rating=3] Reizvoll reduziert und atmosphärisch

Nicht weniger als „pure“ soll die Musik von Le Bang Bang sein – also rein, echt, klar, unverfälscht. Dafür hat sich das Duo sogar ausgezogen. Das ist eigentlich ein ziemlich billiges Zeichen, aber vielleicht muss man heute plakativ sein.
Bereits mit den ersten Takten lassen Stefanie Boltz und Sven Faller erwarten, dass es sich bei der Hülle(nlosigkeit) um die einzige Entgleisung handelt. Nachdem sich bereits beim Intro von Nathaniel Adderleys „The Old Country“ der Bass an die Stimme schmiegt, zeigt das Duo, dass es das Tempo selbst bei langsamen Stücken noch ein wenig zurücknehmen und diese trotzdem noch swingen lassen kann. Dass Le Bang Bang Jazzstandards wie „Darn That Dream“ (u.a. von Billie Holiday gesungen) und „Harlem Nocturne“ (gecovert von Stan Kenton bis zu Ulrich Tukur und seinen Rhythmus Boys) und Popmusik („Time After Time“ von Cindy Lauper) genauso interpretieren wie eigene Kompositionen, ist längst nicht mehr ungewöhnlich. Ihre Besetzung aus Stimme und einem weitgehend ohne Effekte gespielten Bass ist es schon.
Doch obwohl Reduktion an sich schon reizvoll sein kann, ist das erst die halbe Miete. Den Rest muss das Duo mit seiner Inszenierung einspielen – und überwiegend gelingt das auch. Sven Faller zupft und klopft, sorgt mal für Rhythmus, mal für atmosphärischen Hintergrund und umspielt immer wieder die Stimme, der er viel Raum lässt. Stefanie Boltz wiederum interpretiert die Stücke respektvoll und wiedererkennbar, aber auch unverkennbar eigen.
Das muss nicht durchweg vorbehaltlos begeistern –Tom Waits „San Diego Serenade“ lebt doch zu sehr von der verlebten Stimme des Originals und die Effekte bei „You Send Me“ erzielen nicht die ersehnte magische Stimmung –, glänzt aber gleichwohl mit beeindruckend anmutigen Passagen.

Offizielle Homepage von Le Bang Bang

(Foto: Kerkau Promotion)

Synje Norland „Who Says I Can’t?“

norland[rating=3] Sparsam instrumentierter Kammerpop

Die Nordfriesin, Wahlkanadierin und Teilzeithamburgerin Synje Norland macht es einem nicht leicht. Abwehrend bis skeptisch, wenngleich nicht ängstlich, hebt sie die linke Hand wie ein Stoppsignal und blickt dem Hörer ihrer neuen CD selbstbewußt entgegen: Wer sagt, dass sie nicht könnte, wenn sie wollte? Das Zeug zur populären Sangeskünstlerin wie Helene-„Atemnot in der Nacht“-Fischer hätte sie allemal, das entsprechende Äußere ebenso. Synje Norland ist aber bislang unter ihrem eigenen Namen andere, anspruchsvollere Wege gegangen. So auch mit ihrem neuen Album. in Eigenregie eingespielt, arrangiert, komponiert und produziert und auf dem eigenen Label Norland Music veröffentlicht.

Unabhängigkeit scheint ein wichtiges Merkmal der Musik von Synje Norland zu sein. Das birgt Risiken, keine Frage. So vergingen vom letzten bis zum aktuellen Album gut fünf Jahre, in denen sie unter anderem mit Santiano tourte. Von deren Musik ist sie jedoch sehr weit entfernt.
Norland bietet eine recht interessante Mischung aus stimmlichen Varianten, die mitunter an Annie Lenox erinnern und durchaus popkompatibel sind und akustischem Kammerpop. Stimme, sparsame Instrumentierung, die vor allem von Michael Beckers Cello getragen und durch Norlands Spiel an Gitarre, Klavier, Schlagzeug oder Synthesizern ergänzt werden. Eher Moll als Dur, aber keine typische Liedermacher-Innerlichkeit, sondern von verträumt bis selbstbewußt gesungen. Auf jeden Fall weitab vom Mainstream und ein Erlebnis, das in den besten Momenten eine ganz eigene Stimmung schafft, die ein wenig an die dunkle Romantik der Lieder Franz Schuberts erinnert.

Norland hat ihre Ziele ehrgeizig hoch gesteckt, doch insgesamt fehlt noch die stilistische Einheitlichkeit, die aus „Who Says I Can’t“ einen Liederzyklus macht. Sie pendelt – vielleicht aus Unentschlossenheit, vielleicht aber, weil sie einmal das eigene Spektrum demonstrieren möchte – zwischen verschiedenen Welten. „Delirium Dive“ ist ein moderner, verträumter Folksong, und „Into the Blue“ mischt nicht ungeschickt Klassik und Folk. Michael Becker drückt „My Heavy Heart“ und etlichen anderen Titeln mit dem Cello seinen Stempel auf, und hin und wieder haben die zwölf Titel durchaus Popformat.
Ein bisschen viel auf einmal? Ach nein, insgesamt gesehen geht das mehr als in Ordnung. Am besten gelungen scheint, neben den beinahe jazzigen Passagen, der Titelsong „Who says i can’t“. Denn dort schaffen Norland und Becker ein ganz eigene, beinahe verwunsche Athmosphäre, die ihresgleichen sucht.

(Cover: Norland Music)

Marc Ribot, 7.5.2016, Spielboden, Dornbirn (A)

Marc Ribot-4028Marc Ribot wirkt wie ein Keith Jarrett an der Gitarre. Den Kopf auf den Korpus gepresst, scheint er völlig entrückt. Sein Instrument umklammert er wie einer, der die Karikatur eines Gitarristen abgeben will. Als ob er in seiner eigenen Welt lebte, spult er lange seine verschroben-dissonanten Läufe ab, schabt in kindlicher Ernsthaftigkeit mit dem Luftballon über die Saiten und lässt den angeleckten Daumen über den Korpus quietschen, bevor er sich das erste Mal mit einem kurzen Kommentar ans Publikum wendet. Die sparsame Kommunikation ist kein Zeichen einer Verweigerungshaltung, sondern eines seiner Konzentration.
Längst sind wir gewöhnt, dass die Gitarre mit Bogen gespielt und mit Dingen traktiert wird, die nicht zum Musikmachen gedacht sind. Marc Ribot setzt einen zweiten Steg hinter das Schallloch oder klemmt eine Nagelfeile zwischen die Saiten. Das ist manchmal effektvoll, zum Staunen bringt jedoch eher die Frage, ob tatsächlich Anklänge an „As Time Goes Bye“ oder „Somewhere Over The Rainbow“ herauszuhören waren, oder ob das nicht vielmehr am haluzinogenen Spiel Ribots liegt.
Die Stücke, die Ribot gewählt hat, sind keineswegs so simpel, wie sie mitunter wirken. Er zeigt sich immer wieder raffiniert, wenn er beispielsweise gleichzeitig mit dem Plektron anschlägt und mit den freien Fingern zupft, lässt aber oft die Saiten achtloser schnarren als notwendig. Stil ist alles und Perfektion überbewertet, teilt er mit dem rustikalen Fingertapping mit, und wenn der Luftballon vor der Zeit platzt, so ist das auch nicht weiter tragisch. Der Abend ist ein besonderes Wechselbad, aber nicht zwischen gut und schlecht, sondern zwischen anheimelnd melodiös und zwanglos avantgardistisch.
Marc Ribot wandert wie gewohnt zwischen Jazz, Neuer und populärer Musik, bringt Stücke von John Zorn und seinem einstigen Lehrer Frantz Casséus, dessen Kompositionen prototypisch Sperrigkeit und Melodiosität vereinen, die auch Ribots Werk ausmacht.

Bisherige Rezensionen zu Marc Ribot auf schallplattenmann.de

Offizielle Homepage von Marc Ribot

(Foto: TheNoise)

Doran, Stucky, Studer, Tacuma „Call me Helium“

0608917115529[rating=2] Das Produkt einer amerikanisch-irisch-schweizerischen (oder umgekehrt) Zusammenarbeit.

‚Call me Helium‘ soll der Meister selbst in einem seiner letzten Interviews gesagt haben: Helium, das leichteste Element und Gas als Metapher gegen das Schwere des irdischen Daseins – leicht, farb- und geruchslos, flüchtig. Ein interessanter Gedanke von Jimi Hendrix, der sich in gewisser Weise durch seinen frühen Tod selbst unbeabsichtigt der Erdenschwere entzog.
Einerseits ist über und von Hendrix alles gehört, gesagt, gefilmt, remastered und wiederaufgelegt worden. Es schwirren unzählige Veröffentlichungen, Statements und Dokumentation über die kurze Karriere des Ausnahmegitarristen durch sämtliche Medien. Seine vier Veröffentlichungen zu Lebzeiten liegen in allen Formaten vor, und die Zahl der nicht autorisierten ist Legion. Unzählige Saitenvirtuosen haben ihm seither – 45 Jahre! – nachgeeifert, zumeist mit zweifelhaftem Erfolg.
Andererseits hat der Meister sich mit seinem Austritt aus unserem Kosmos unsterblich gemacht. Und so, wie niemand nach dem Sinn der x-ten Bach-Interpretation fragt, kann man sich die Frage nach dem Sinn von „Call me Helium“ selbst beantworten. Allerdings war Jimi Hendrix kein großer Komponist, sondern ein herausragender Instrumentalist. Und das macht einen entscheidenden Unterschied. Denn nicht unbedingt was, sondern wie er spielte war entscheidend. Dennoch: Seine Musik ist da und zugänglich, warum sollte man sie nicht neu interpretieren? Dass es nicht einfach darum geht, sie nachzuspielen versteht sich bei Christy Doran, Erika Stucky, Fredy Studer und Jamaaladeen Tacuma von selbst.
Gitarrist Christy Doran und Drummer Fredy Studer sind fast Zeitgenossen von Jimi Hendrix, nur wenig später geboren und seit den Sechzigerjahren im Jazzrock aktiv. Bassist Tacuma bewegt sich in einem ähnlichem Umfeld und spielte mit Ornette Coleman oder James Blood Ulmer. Sängerin Erika Stucky wiederum, die sich auch schon mal als Schwarze Witwe inszenierte (ihr jüngstes Album heißt „Black Widow“, was die Spinnen davon halten, ist nicht bekannt), kommt aus einem vergleichbaren musikalischen Umfeld wie die anderen Beteiligten.

Es ist jedoch nicht so, daß die älteren Jazzrocker oder Rockjazzer dem Meister einfach ihre Referenz erweisen wollen. Christy Doran läßt die Sau raus. Seine Gitarre bahnt sich den Weg durch das Werk von Hendrix wie die Axt im Walde.
Natürlich verzichtet das Quartet nicht auf das unzerstörbare „Hey Joe“, nicht auf „Foxy Lady“ oder „Machine Gun“. Streckenweise zeigt Doran, wie gut er Hendrix‘ Spielweise, seine Sounds und „Signature Tones“ kennt. Mitunter klingt er fast wie das Original. Weil ein guter Jazzrocker aber immer auch mit dem Kopf arbeitet, gibt es häufig zusätzlich – und mitunter auch im selben Titel – noch die historisch-kritische Interpretation. „Machine Gun“ kommt als Noise daher, „Hey Joe“ zunächst sehr reduziert, dann jedoch überinterpretiert. Sängerin Stucky versucht, dem doch recht männlich geprägten Song und Text eine irgendwie weibliche Note und einen eigenen Stil zu verleihen. Bei ihr kommt der vielbesungene Frauenmörder Joe dann nicht ungeschoren nach Mexiko, sondern endet am Galgen. Kleinkunst trifft in diesem Moment auf Classic Rock. Auch die Idee, zeitgenössische Titel mit den Songs von Hendrix zu verweben, wirkt nicht wirklich stimmig. Passt „Sergeant Pepper“ zu „In from the Storm“, „Drifting“ zu Graham Nashs gern gehörter Schnulze „Teach your Children“?

Junge Hörer werden durch „Call me Helium“ den Zugang zum amerikanischen Gitarrengott wohl kaum finden, dafür sind die Fassungen des Quartetts zu skurril-verkopft. Auch, weil sich das Quartett nicht dafür entscheidet, seinen Vortrag eine Richtung zu geben und zwischen Ironie und Hommage schwankt. Vielleicht hätte man Jamaaladeen Tacuma öfter von der Leine lassen sollen, etwa wie in „Gypsy Eyes“, wo die drei Instrumentalisten mal richtig gut harmonieren.
So bleibt „Call me Helium“ eine interessante Randnotiz zum großen Buch, das Jimi Hendrix geschrieben hat.

James Blood Ulmer, 29.1.2015, Spielboden, Dornbirn (A)

James Blood Ulmer-6244Während Weggefährten wie Sonny Sharrock längst tot sind, verbreitet der in diesen Tagen seinen 75. Geburtstag feiernden James Blood Ulmer seine Altersweisheit auf der aktuellen Revelation-Tour. Auch wenn er dabei nichts verkündet, was man nicht ohnehin von ihm kennt und erwartet, bietet der Gitarrist immer wieder eindrückliche Momente – gewohnt sperrige, artifizielle Läufe ebenso wie berührend einfache Melodien; Letzteres allerdings nur so gelegentlich, wie er auch den einfachen Blues aufblitzen lässt, den er dann aber rasch wieder destruiert, während Calvin Jones den Walking Bass weiterzupft.
Calvin Jones (Bass) und Aubrey Dayle (Schlagzeug), der in einigen Formationen Ulmers spielt, begleiten den Altmeister in seinem zweistündigen Programm dezent und subtil. Sie liefern den anheimelnden Untergrund, auf den Ulmer seine spröden Gebilde setzt. Ulmer gesteht seinen beiden Mitstreitern das obligatorische Solo-Stück zu, das beide in gefühlvollem Kontrast zu den Kompositionen von James Blood Ulmer setzen. Gemeinsam mit den kurzen melodiösen Ausflügen Ulmers gewinnt dadurch der Abend an Spannung.

Bisherige Rezensionen zu James Blood Ulmer auf schallplattenmann.de

Offizielle Homepage von James Blood Ulmer

(Foto: TheNoise)

Albin Bruhns Nah Quartett „Wegmarken“

Albin Bruhns Nah Quartett "Wegmarken"

Albin Bruhns Nah Quartett [rating=3] Die Wurzeln im Boden, den Kopf im Wind

Es vergeht kaum eine Woche, in der nicht eine neue Gruppe vorgestellt wird, die die heimische Volksmusik neu interpretiert und die – Überraschung, Überraschung – mit ethnischer Musik anderer Länder kreuzt. Albin Brun ist keiner, der mit seiner Melange noch schnell auf den Zug aufgesprungen ist. Er wandelt schon lange zwischen Jazz und Neuer Volksmusik und mischt mit der Interkantonalen Blasabfuhr schon seit den 90er-Jahren Freejazz und Marschmusik. Vor wenigen Jahren verschmolz er die Musik seines Nah-Quartetts mit den Klängen eines weißrussischen Frauentrios.

Jetzt legt er seine „Wegmarken“ vor. Diese findet er erwartungsgemäß nicht nur in der Heimat, sondern auf dem Balkan ebenso wie im arabischen Raum, in Frankreich, Brasilien oder im südlichen Afrika. Albin Brun geht es jedoch nicht darum, möglichst viele Stile aufzugreifen. Es geht ihm also nicht um oberflächliche Originalität, sondern um Empfindungen – und das spürt man durchweg. Albin Brun interpretiert nicht fremdländische Musik, sondern eignet sich einzelne Elemente an, um Stimmungen zu kreieren, um seine Gefühle und Impressionen auszudrücken. „Die Wurzeln im Boden, den Kopf im Wind“, beschreibt er es selbst.

Hinter jedem Stück steht eine persönliche Erinnerung. Dass er diese erklärt, ermöglicht einen kurzen Blick auf die Person. Das ist schön, aber letztlich von geringer Bedeutung. Denn die Kompositionen sprechen für sich selbst. Sie sind von stiller Schönheit und selbst dann noch unaufgeregt, wenn es ausgelassen oder jazzig wird.

Offizielle Homepage von Albin Brun

(Foto: Doublemoon)

John Wolf Brennan, Aarkady Shilkloper & Klanglabor updaten das Sennen-Ave, 9.10.2014, Tak, Schaan (FL)

Sennen-Ave-3956Wir sind nicht auf der Alm und es ist kein Senn da, der seinen allabendlichen Schutzruf für Vieh und Gesinde in die vier Himmelsrichtungen psalmodieren könnte. Auch Christian Zehnder, der krankheitshalber fehlt, kann nicht aushelfen. So kommt der Alpsegen von der Konserve – und weder ein prächtiger Blick in das Tal noch Naturgeräusch unterstützt die Erhabenheit, die im Akt des Betrufs steckt.

Spät setzt dann die Musik ein, langsam und leise plätschernd – produziert nach dem Konzept der experimentellen Musik, das sich besonders in den 80er-Jahren verbreitet hat: Alltägliche Produkte wie eine Kuchenform werden zur Klangerzeugung eingesetzt oder die Instrumente mit nicht für sie vorgesehenen Gegenständen bearbeitet. Beim Klanglabor wird einmal mehr die Gitarre mit einem Geigenbogen gespielt.

Als sich John Wolf Brennan und Arkady Shilkloper dazugesellen, wird die Arbeitsteilung klar: hier die Ruhe, dort die Kraft. Das Klanglabor wird weiterhin für den ruhigen Untergrund sorgen, während Brennan und Shilkloper solistisch brillieren. Auch Brennan macht das nach einem bekannten Konzept – dem präparierten Klavier. Doch wenn er die Klaviersaiten mit einem Faden zum Streichinstrument macht oder sie mit Schlägeln bearbeitet, geht es um die Klangerweiterung des Instruments und nicht um den Einsatz möglichst kurioser Klangerzeuger. Und er beweist damit – wie immer wieder auch Arkady Shilkloper –, dass man auch ohne ausgefallene Hilfsmittel virtuos und originell sein kann.

Der Alpsegen braucht kein Update. Man darf seine Aktualisierung genauso überflüssig finden wie so manches neue Feature eines Computerprogramms. Doch wenn Arkady Shilkloper bei der Zugabe die Melodie des noch einmal von Konserve eingespielten Sennen-Aves aufgreift und den Sprechgesang umspielt, kann man sich auch für das Nicht-Notwendige begeistern.

Bisherige Rezensionen zu Zehnder-Shilkloper-Brennan sowie zu Christian Zehnder im Blog und auf schallplattenmann.de

Offizielle Homepage von Arkady Shilkloper

Offizielle Homepage von John Wolf Brennan

Offizielle Homepage des leider verhinderten Christian Zehnder

Offizielle Homepage von Klanglabor

(Foto: TheNoise)

Hazmat Modine „Live“

[amazon_image id=“B00JW3R66C“ link=“true“ target=“_blank“ size=“medium“ class=“alignleft“]Hazmat Modine „Live“[/amazon_image][rating=3] Faszinierendes Gebräu aus Blues, Jazz, Klezmer, Balkanbläsern und Rockmusik

Hazmat Modine sind eine locker zusammengefügte Band aus New York, die sich um den Sänger und Harmonikaspieler Wade Schuman gruppiert. Der exotisch klingende Bandname hat eine einfache Bedeutung, die man allerdings auch leicht behämmert finden kann: Hazmat ist ein Akronym aus ‚Hazardous Material‘, also Gefahrgut, und Modine ist der Name eines Herstellers von Heizlüftern. Weil die Band gerne und oft Instrumente wie Saxophon, Sousaphon und Trompete einsetzt und diese nach Ansicht Schumans eine Menge ‚heiße Luft‘ produzieren ist der Bandname durchaus sinnfällig.

„Live“ ist die dritte Veröffentlichung der Amerikaner. Wer ein Faible für musikalische Vielfalt hat, den erwartet unter anderem eine Version von „Baby please don’t go“, die geeignet ist, eine Gänsehautentzündung (das Copyright darauf gebührt Mehmet Scholl) zu produzieren. Ganz große Klasse, wie Schuman und Co. diesen Delta-Blues-Klassiker von Big Joe Williams aus dem Jahr 1935 elektrifizieren, entstauben und neu interpretieren.

Die stilistische Bandbreite von Hazmat Modine ist verblüffend. Hört man eben noch eine postmoderne Band, die mit allen Wassern gewaschen ist und den gesamten Katalog des Blues und seiner Interpretationsmöglichkeiten von den Zwanzigern über den Chicago Blues der Fünziger und Sechziger bis in die Gegenwart präsent zu haben scheint, erklingt im nächsten Augenblick „Walking Stick“ von Irving Berlin. Unmittelbar nach Anklängen an John Mayalls Mundharmonikaspiel oder an einen Rockjazz-Bläsersatz tritt eine Querflöte aus dem Cool-Jazz auf den Plan, um im nächsten Augenblick von einem Song im Reggae-Rhythmus abgelöst zu werden.

Die verbindende Klammer ist Wade Schumans Stimme, die mal an die Bluesshouter vom Schlage eines Howlin‘ Wolf oder Big Joe Williams gemahnt, aber auch gekonnt Klezmer-Songs, Eigenkomposititonen oder Klassiker der amerikanischen Unterhaltungsmusik interpretiert. Die Band hat sichtlich Spaß daran, von einem Genre ins nächste zu wechseln und spielt, als ob der Teufel hinter ihr her wäre. Eine weitere wichtige Basis sind die vielfältigen musikalischen Interessen der beteiligten Musiker, darunter versierte Session- und Studioprofis sowie die durchaus ungewöhnliche Instrumentierung mit dem Sousaphon als Bassersatz, Mundharmonika, Tuba, Steelgitarre und anderem.
Hazmat Modine sind sozusagen eine zeitgenössische Variante des kulturellen amerikanischen ‚melting pot‘ der verschiedenen Musikstile – wilde Mischung, aber sie gefällt.

 

Rebekka Bakken „Little Drop Of Poison“

Rebekka Bakken "Little Drop of Poison"

Rebekka Bakken [rating=5] Tom-Waits-Songs in gelungenen Big-Band-Arrangements und phantastischer Sängerin

Es kann wohl kaum ein Zweifel daran bestehen, dass Tom Waits zu den besten Songwritern der letzten 40 Jahre zu zählen ist. Seine bittersüßen Lieder von Verlierern, Trinkern, Huren, Träumern, armen Schluckern und Sonderlingen sind zeitlose Geschichten, ein Spiegel der Realität jenseits der Hochglanzfassaden der heilen Welt der Bürgerlichkeit. Dabei wechselt Waits musikalisch geschickt zwischen Jazz, Blues und Rock-Einflüssen, bleibt aber bei allem seinem eigenen Stil treu.

Kaum verwunderlich, dass die Liste der arrivierten Künstlerinnen und Künstler, die seine Songs über die Jahre gecovert haben, ebenso lang, wie bunt ist: Von Tim Buckley über Bruce Springsteen, Bon Jovi (sic!), Rod Stewart (sic!!) und Bob Seger zu Diana Krall, Norah Jones, Holly Cole, Scarlett Johansson, Peter Gabriel und zuletzt Rebekka Bakken auf dem vorliegenden Album „Little Drop Of Poison“. Und dieses Album hat es wirklich in sich …

16 (auf der Deluxe-Edition sogar 18) Songs hat die norwegische Sängerin ausgewählt, die der Arrangeur Jörg Achim Keller für die Bigband des hessischen Rundfunks, eine der besten Adressen für moderne Bigband-Musik weltweit, kongenial bearbeitet hat. Dabei fielen die Arrangements so unterschiedlich und facettenreich aus, wie die Vorlagen von Waits selbst: Mal poetisch-kammermusikalisch, mal im satten New-Orleans-Sound, mal bluesig, mal mit einer großen Portion Swing. Dazu kommt die vielschichtige Stimme Rebekka Bakkens mit der deutlichen Diktion einer engagierten Geschichtenerzählerin, die mal croonert, mal faucht und kratzt, mal klagt, mal durch traurige Schönheit verzaubert..

Rebekka Bakken und ihren Mitstreitern der hr-Bigband ist das schier Unmögliche eines Cover-Albums gelungen: Sie haben den ureigenen Charakter der Songs nicht verändert und sie dennoch nicht schnöde 1:1 kopiert, sondern geistesverwandt neu erschaffen und so neue, bisher verborgene Aspekte herausgearbeitet. Rebekka Bakken erweist sich nicht nur als technisch brillante, sondern auch als außergewöhnlich wandlungsfähige Sängerin mit geradezu schauspielerischen Fähigkeiten.

Fazit: Dies ist eines der besten Cover-Alben, das ich in den letzten Jahren gehört habe. Ein Album für Tom-Waits-Aficionados und -Skeptiker, für Jazz-Fans und Freunde intelligenter und authentischer Songs.

 

Album-Preview bei Spiegel Online

Bisherige Rezensionen zu Rebekka Bakken auf schallplattenmann.de

Bisherige Rezensionen zu Tom Waits auf schallplattenmann.de

Rebekka Bakken in der Wikipedia

 

(Bild oder Foto: Networking Media)

Antonija Pacek „Soul Colours“

[amazon_image id=“B00I2MP71U“ link=“true“ target=“_blank“ size=“medium“ class=“alignleft“ ]Antonija Pacek „Soul Colours“[/amazon_image][rating=3]Solo-Klavier-Musik mit Anklängen an Einaudi, Jarrett oder Satie.

Zugegeben: Beim ersten Hören fand ich die Sammlung unbegleiteter Klavierstücke auf Antonija Paceks Debüt „“Soul Colours““ vor allem entspannend und stellenweise einfach ‚schön‘. Beim zweiten Mal gefielen mir die insgesamt 15 Aufnahmen mit Titeln wie „Once in a Wintertime“, „Made in Agony“ oder „Hope“ immer noch, wenngleich stellenweise einfach einmal ein wilder, kurzer Ausbruch, forciertes Tempo oder was auch immer zu fehlen schien. Antonija Pacek spielt ihr Klavier nämlich nach ‚altmodischer‘ Façon, irgendwo zwischen Keith Jarretts „Köln-Concert“, Saties „Gymnopedies“ oder den populären Zyklen Ludovico Einaudis.

Dahinter steckt durchaus ein Programm, nämlich vermutlich die Intention der spätberufenen Künstlerin – sie gibt mit Ende Dreißig ihr musikalisches Debüt – der globalen Zappeligkeit, dem schrillen Bling-Bling der Event-Kultur in Pop, Jazz und Klassik den überwiegend ruhigen Fluss eines Solo-Klaviers entgegenzusetzen, quasi den melodischen Ausdruck einer empfindsamen Seele. Weil sich dieser jedoch über die Länge einer ganzen CD erstreckt, führt die durchaus boshafte Annahme (die mich zeitweise beschlichen hat, ich gestehe), hier wolle jemand vor allem seine eigene Interpretation der »schönsten Momente klassischer Musik« im Sinne weichgespülter Radioprogramme oder ‚romantischer‘ Konzerte darbieten, durchaus ins Leere. Und das nicht alleine deswegen, weil es sich um Eigenkompositionen handelt und sanfte Geigen völlig fehlen, sondern auch, weil hinter der Ausführung ein Konzept und Stil-Willen erkennbar sind: Es geht, der Titel verdeutlicht es bereits, um Gefühle und Seelenlagen, um deren musikalischen Ausdruck und um die Imagination, welche die Klänge beim Hörer hervorrufen sollen.

Pacek trägt dabei nicht zu dick auf, denn lakonische Songtitel wie „Too Late“, „Imagination“ oder „Life goes on“ lassen dem Hörer genügend Raum für eigene Bilder zur musikalischen ‚Begleitung‘. Wenn uns ‚kritischen Kritikern‘ dennoch der Stachel der Polemik juckt, dann vor allem deshalb, weil diese Musik so völlig aus der Zeit gefallen zu sein scheint, was durchaus Antonija Paceks Absicht gewesen sein dürfte. Erfreuen wir uns also einfach an diesen Klängen, denn hinter jedem Idyll lauert im Zweifel bereits der nächste Schrecken.