Schlagwort: Pop

Susanna Nicchiarelli „Nico, 1988“

Sie müsse mit einer Band aus Amateuren touren, sagt Nico (Tryne Dyrholm) sichtlich frustriert und vermittelt ihrem Gegenüber gleichzeitig, dass sie das keineswegs ungerecht findet. Der längst in den Drogensumpf gefallenen Ikone ist offenbar bewusst, dass es kein Entrinnen gibt aus dem Kreislauf von Sucht, Versagensängsten und Erinnerungen an eine erfolgreiche Vergangenheit.
Das Leben von Nico, geboren als Christa Päffgen, Supermodel, Schauspielerin und Musikerin, lässt sich kaum in einen Film packen. Susanna Nicchiarelli (Regie und Drehbuch) gelingt es trotzdem – indem sie es als Roadmovie erzählt, das in den traurigen letzten Jahren spielt.
Die Gruppe tourt im Kleinbus durch Europa, Nico zerfressen von Sucht und Sehnsucht nach ihrem Sohn, der nicht nur ebenso drogenabhängig, sondern auch suizidgefährdet ist. Ihr Manager Richard (John Gordon Sinclair) ist in sie verliebt. Doch der landet allenfalls bei seiner Assistentin Laura (Karina Fernandez) – beim „Trostpreis“, wie diese selbst sarkastisch feststellt. Nicos Zuneigung gilt durchweg anderen.

Susanna Nicchiarelli zeigt Nico und ihre Entourage überwiegend auf Tour – Paris, Prag, Nürnberg, Krakau – und in kurzen Episoden in ihrem Zuhause Manchester. Neue Bekanntschaften und Gespräche mit Nicos Manager nutzt sie für Rückblenden, mitunter werden auch kurze Originalaufnahmen mit Nico eingeblendet.
Die Regisseurin zeigt eine Protagonistin, die mit unbändiger Stärke schwach ist. Ihre Nico ist egozentrisch und kompromisslos bis zur Tyrannei. Gleichzeitig ist sie sich ihrer Schwächen und Versäumnisse bewusst, unter denen sie zwar leidet, die sie aber unbeeindruckt akzeptiert und mitunter mit bissigem Sarkasmus kommentiert. Nicht nur die Besetzung der Hauptfigur – Tryne Dyrholm stellt Nico sowohl als Person wie auch in ihrem eigenwilligen Gesangsstil differenziert und überzeugend dar – ist ein Glücksgriff. Susanne Nicchiarelli zeigt bis hin zu vergleichsweise unwichtigen Nebenrollen eine sichere Hand bei der Wahl der Schauspieler. Ebenso gelungen sind viele Szenen und Dialoge. So macht sie aus einem schlichten Konzept einen Film, der sich der geschundenen Ikone respektvoll, aber nicht beschönigend nähert und der selbst dann ausgesprochen sehenswert wäre, wenn Susanne Nicchiarelli die ganze Geschichte nur erfunden hätte.

Bisherige Rezensionen zu Nico auf schallplattenmann.de

→ Besprechungen von Filmen über Barbara und Oum Kulthum auf schallplattenmann.de

(Foto: Filmtext)

Cristina Branco „Branco“

[rating=3] Universal schön, jedoch wie Kino ohne Leinwand

Weint sie einer verflossenen Liebe nach? Trauert sie um Flüchtlinge, die jedes Jahr zu Hunderten im Meer ertrinken? Oder beklagt sie den Tod ihres Hamsters? Künden die luftigeren Töne der Guitarra Portugues, die in „Namora Comigo“ auf die von Cristina Branco mit kummervoller Solostimme gesungene erste Strophe folgen, schon vom Grund des Umschwungs oder sind sie nur der Ausdruck erster Hoffnung, die sich rasch zerschlägt?
Die Texte sind Cristina Branco so wichtig wie die Musik. Deshalb hat sie junge Songwriter gebeten, welche für sie zu schreiben – eine Information, die kaum ein Rezensent seinen Lesern vorenthält. Doch was diese neue Künstlergeneration bewegt und wie sie mit Worten umgeht, erfahren wir nicht. Denn die Texte gibt es nur in Portugiesisch, an der Übersetzung wurde gespart. Selbst signifikante Textauszüge fehlen. Egal ob aus Nachlässigkeit oder weil ein Gros der Hörer wahrscheinlich gar nicht in die Tiefe gehen mag – es wirkt wie ein Zeichen der Geringschätzung anderssprachiger Hörer und zeigt den Unwillen, dem hohen Anspruch der Künstlerin zu entsprechen.

Auch wenn man sich für Cristina Brancos Stimme, die geschmackvollen Arrangements und die versierte Begleitung auch ohne Textverständnis begeistern kann, wird das ihrem Gesang und ihren Musikern nicht gerecht.
Ursprünglich vom Fado kommend, hat die Portugiesin den portugiesischen Musikstil mit anderen Einflüssen gekreuzt und sich so weiterentwickelt. Gelandet ist sie letztlich bei einer Besetzung, in der das Klavier eine wesentliche Rolle spielt. Der verhalten schmissige und melancholische Duktus ihrer Lieder wie auch der gewitzte Klang der portugiesischen Gitarre wirken wie ein angenehmer Nachhall des Fado. Dadurch und durch die Sprache sind ihre universal klingenden Lieder in Portugal geerdet. Ob deren lyrische Kraft auch der Musik entspricht (und umgekehrt) bleibt leider im Dunklen. Cristina Brancos emotional vorgetragene Lieder zu hören, ohne die Texte nachvollziehen zu können, ist wie Kino ohne Leinwand.

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Facebook-Seite von Cristina Branco

(Foto: Qrious)

Dobet Gnahoré „Miziki“

[rating=4] tanzbar, luftig, elektronisch – und nachdenklich auch

Ihr Auftreten im Domina-Dress führt in die Irre. Denn nach dem poppigen, aber keineswegs herrischem Start schlägt die seit mehr als zwanzig Jahren in Frankreich lebende Dobet Gnahoré aus Côte d’Ivoire durchaus auch sanftere Töne an. Dafür steht das Energiebündel, das sie auf der Bühne darstellt, bislang nicht. Ebenso wenig für die elektronischen Klänge, die das Album prägen. Beides lässt man sich nur zu gerne gefallen. Denn Produzent Nicolas Repac sorgt für die angenehme Verschmelzung von Elektronik mit akustischen Instrumenten wie Gitarre und Balafon.
Mit ihrem neuen Album „Miziki“ (in ihrer Muttersprache Bété heißt das schlichtweg Musik) zeigt Dobet Gnahoré, dass sie der Heimat verbunden, aber schon lang genug in Europa ist, um musikalische Einflüsse beider Regionen überzeugend zu verbinden.
Die neuen Stücke sind mal tanzbar („Djoli“, „Miziki“), mal von angenehm nervöser Fiebrigkeit („Education“). Sie sind aber auch äußerst besinnlich („Afrika“, „Love“) oder schlichtweg schön („Détenon“, „Le Monde“), mit sanften Melodien und eingängigem Chorgesang. Aber es sind nicht nur die unterschiedlichen Charaktere der Songs, die das Album abwechslungsreich machen. So mancher Song bietet eine eigene Volte, die Arrangements sind durchweg äußerst geschmackvoll und gesanglich zeigt sich Dobet Gnahoré gleichermaßen einfühlsam und kraftvoll.

Bisherige Rezensionen zu Dobet Gnahoré auf schallplattenmann.de und im Blog

Offizielle Homepage von Dobet Gnahoré

(Foto: Indigo)

Franui „Ständchen der Dinge“

[rating=3] Schöner Überblick über 25 Jahre Bandgeschichte

Die einen feiern ihren Abschied, die anderen stoßen auf die nächsten 25 Jahre an. Mit ihrem umfangreichen „Ständchen der Dinge“, das die Osttiroler Band auf ein Vierteljahrhundert in nahezu unveränderter Besetzung darbringt, stellt sie gleichzeitig die Frage nach der Zukunft: „Geht es immer so weiter?“, fragen Franui im Untertitel ihrer Rückschau. Man darf ein beherztes Ja vermuten, die Neugierde auf Kommendes zurückstellen und in dieser Sammlung nach Vergessenem und Übersehenen stöbern.

Schon das erste Stück ist symptomatisch für die Herangehensweise von Franui: „Creampuffs from Vienna“ aus dem Jahr 2009 beginnt als Trauermarsch und endet auf dem Tanzboden. Das macht die Gruppe gerne, wie sie wenig später bei Schuberts „Trockne Blumen“ zeigt.
Franui lassen sich von Mahler inspirieren, unterlegen ein Gedicht von Ernst Jandl mit einem Gemisch aus Brahms-Duetten, verquirlen Schubert, Bartok und Ligeti zu einem flatterhaft-huschigen Stück und vertonen Lyrik von Hans Magnus Enzensberger und William Shakespeare, bis einem die Bläser fast zu dominant werden.
Aber so ist es eben mit der Blasmusik. Wenn man das Blech weglässt, ist sie ja auch nichts. Und kaum hat man das gedacht, kommt Franz Schuberts behutsam getragenes „Du bist die Ruh“ mit Hackbrett und Kunstpfeifer. Nicht nur daran merkt man, dass die zehnköpfige Gruppe über genügend Personal und Ideen für ein abwechslungsreiches Programm verfügt.

Das letzte Stück des Albums, der gemäß Franui immer als Zugabe gespielte „schönste Trauermarsch“, ist auch eine indirekte Antwort auf die Frage, wie es weitergeht. Nämlich mit neuen Ideen – wie dem auf diesem Album nicht berücksichtigten Georg-Kreisler-Projekt – und neuer Musik in altbewährter Verballhornungslust. Und das wird wohl so lange andauern, bis sie selbst einen Trauermarsch gespielt bekommen. Lang sollen sie leben – und spielen.

Offizielle Homepage von Franui

(Foto: Col legno)

Jack Savoretti „Sleep No More“

jack-savoretti[rating=2]von Mainstream bis glanzvoll

Jack Savoretti hat eine markante Stimme, die sicherlich nicht nur seine Hörerinnen zum Träumen bringt, sondern auch Männer erfreuen kann. Seine zehnjährige Laufbahn hatte letztes Jahr mit seinem Album „Written in Scars“ deutlich an Fahrt gewonnen. Es war das erste Album, mit dem Jack Savoretti Chart-Platzierungen schaffte.
Was lag also näher, als diesen Lauf fortzuführen? Insbesondere der Auftakt des Albums, die Singleauskopplung „When We Were Lovers“, klingt, als ob Savoretti und seine Produzenten zu sehr auf den schnellen Chart-Erfolg schielten. Es ist eine nette, aber letzlich seichte und austauschbare Midtempo-Softrock-Nummer.
Mehr zu sich selbst kommt der Sänger immer dann, wenn die üppige Instrumentierung und „Oh, oh“-Girl-Chöre zurückgefahren werden, wenn etwa wie in „I’m Yours“ die Folk-Rock-Wurzeln Savorettis kurz an die Oberfläche dürfen. Im Großen und Ganzen gelingt es dem Musiker und den Produzenten jedoch, sein Faible für Folk, Soft-Rock und Pop in einer gewissen Balance zu halten. Deutlich wird dies in „We are Bound“, das nach einem reduzierten Intro aber schnell wieder mit Geigen und Chöre angereichert wird.

Jack Savoretti schlägt sich wacker in seinem Bemühen, die eigene musikalische Identität nicht dem Kommerz zu opfern. „Sleep No More“ soll ein „Liebesbrief an seine Frau“ sein, meint der Künstler, zwölf Songs über „Dinge, die dich nachts wach bleiben und nicht mehr schlafen lassen“. Das kann der mit seinen Refrains clever gemachte Song über „Troubled Souls“ sein. Das Stück beschwingt und hat das Zeug zum Ohrwurm.
Überhaupt haben Savoretti und seine Komponisten und Produzenten ein feines Händchen für eingängige Melodien und gut gesetzte musikalische Einfälle. So besticht „Sleep No More“, der Titelsong, mit toller Phrasierung Savorettis, sparsamen Effekten – etwa eine gepfiffene Melodie – und dem transparentem Sound. „Any Other Way“ ist dagegen nicht mehr als Mainstreamradio, und „Start Living in the Moment“ variiert das Rezept nur ein weiteres Mal. Den glanzvollen Schlußpunkt setzt „Lullaby Loving“, bei dem sich der Folk-Rocker Savoretti fast aus dem goldenen Hitparaden- und Produzentenkäfig befreit.
So gesehen bleibt die musikalische Zukunft des Mannes ein wenig offen. Vielleicht macht er weiter mit den chartkompatiblen Liedern. Oder er bringt doch irgendwann ein sparsam instrumentiertes Folk-Rock-Album heraus. Wir werden sehen und hören.

Hamilton Leithauser + Rostam „I had a dream that you were mine“

leithauser[rating=4] Reminiszenz an die goldene Zeit des amerikanischen Pop

Der US-amerikanische Sänger Hamilton Leithauser dürfte dem einen oder anderen als Sänger der New Yorker Band The Walkmen bekannt sein, die in den Jahren nach 2000 mit kommerziellem Indie-Pop aktiv war. Die Band hat sich seit 2014 eine unbestimmte Auszeit verordnet. Nachdem er im gleichen Jahr sein erstes Solo-Album vorlegte, hat Leithauser nun ein neues Projekt. Dieses formte er mit dem Multiinstrumentalisten Rostam Bantaglij, ex-Vampire Weekend. Mit „I had a dream that you were mine“ legen die beiden ihr Debut vor. Der Sound der zehn Songs wirkt beim ersten Hörer durchaus nostalgisch oder, wie es heute so plakativ heisst: Retro oder Vintage-Sound. Einerseits ist dies dem analogen Equipment zu verdanken, wie es früher auch The Walkmen in ihrem eigenen  Studio eingesetzt haben, andererseits dem Songwriting von Leithauser + Rostam. Den beiden scheint es vor allem um den Spaß zu gehen, Musik aus der Vergangenheit intelligent in die Gegenwart zu transportieren. Sie denken dabei aber auch über Vergänglichkeit oder das voranschreitende Alter nach.

„You ain’t that young Kid“ beginnt mit einer typischen Dylan-Harmonika, die von Beatles-Gitarren begleitet wird. Schließlich singt süßlich ein Mädchen-Chor, eine Hammond-Orgel nimmt die Harmonien auf, ein Clavinet und noch Manches andere kommt hinzu. Aber über allem thront der heisere Tenor von Leithauser, der über eine verflossene Liebe singt. Leithauser zieht als Sänger etliche Register und gibt den Entertainer. Sei es, dass er ganz im Stil der züchtigen fünfziger Jahre davon träumt, daß die Angebetete ihm ganz allein gehören möge („I had a dream that you were mine“), sei es, indem er Szenen aus schäbigen Bars und dunklen Parkplätze entwirft („You ain’t that young  Kid“).

Die Arbeitsteilung scheint damit klar: hier der Sänger, dort der Arrangeur und Multiinstrumentalist Rostam, der als eine Art lebender Musikbox virtuos die Stile vergangener Epochen mixt. Doch so einfach ist es nicht, denn auch Leithauser ist als Bassist und Gitarrist sowie als Komponist und Arrangeur am Klangbild maßgeblich beteiligt. Dieses bietet Doo-Woop-Adaptionen, spanische Gitarren, Anklänge an George Martins Zaubereien bei den Beatles, Reminiszenzen an Leonhard Cohen, antike Synthies aus den Achtzigern, Vaudeville-Pianos, Saxofon-Soli, Celli … Wer möchte, kann das ganze Klangpuzzle wieder auseinandernehmen und in seine Bestandteile zerlegen. Aber bekanntlich ist das Ganze mehr als die Summe seiner Teile. Weil Leithauser und Rostam begabte und versierte Klangtüftler mit hörbarem Spass an der Sache sind, vermischen sie die unterschiedlichen Zutaten auf ihre Album zu einem angenehmen, durchgehenden Hörvergnügen voller Up-Beat-Nummern mit melancholischen Obertönen, die aber nie ins Lamoryante verfallen.

(Cover: Glassnote Rec.)

Palace Winter „Waiting for the World to turn“

TAMB138DA_rgb_web[rating=3]Gelungener Einstand

Debüt des australisch-dänischen Duos, das bereits mit seiner EP „Medication“ aus dem Jahre 2015 eine gewisse Aufmerksamkeit für seinen verspielten Psychedelik-Sound erzeugte. Carl Coleman und Caspar Hesselager gehen dabei erneut clever vor. „Dune Wind“, der Eingangstitel zieht einen mit seinem Piano, den Synthies, der langsam einsetzenden Gitarre und dem wie verweht wirkenden Gesang geradezu in den Klangkosmos von Palace Winter. Das ist Absicht, wie Hesselager bekennt: Er wolle den Hörer in die weite, luftige Klanglandschaft locken und dann eine Weile darin festhalten. Dieser Dünenwind erinnert an Krautrock, Psychedelia und Pop und fesselt durch das Songwriting. Der Text handelt, soweit verständlich, von Erwartungen oder eben einfach davon, dass man auf etwas wartet. Hatte sich der Hörer gerade in der endlosen Weite des Raumes eingerichtet, überfällt ihn mit „Hearts to Kill“ ein irgendwie klaustrophobisches Klanggewirr aus übereinandergelegten Gitarren- und Synthesizerschichten. Eine Reise lebt halt von Kontrasten und verschiedenen Eindrücken. Deshalb bietet Titel Nummer Drei,“Positron“, diese in hohem Maße. Mit seinem Piano, der treibenden Gitarre mit starken Anklängen an die Sechziger fast überdreht, schlägt etwa in der Mitte die Stimmung um, der federnde Rhythmus wird plötzlich stark verlangsamt und der Sänger setzt aus. „Positron“, so die Musiker, beschreibe als Begriff ein hyperaktives Individuum an der Grenze zur Hysterie, eine Art bipolares Muster zwischen Depression und Überschwang.

Kennengelernt haben sich die Beiden übrigens 2013 auf einer Tour durch Dänemark, als die Band The Rumour said Fire, bei denen Hesselager als Keyboarder spielt(e) von Coleman begleitet wurden. Daraus erwuchs die Idee zum Projekt Palace Winter.
Beide haben eine Vorliebe für gute Melodien, leicht versponnene Texte, perlende Gitarren und flächige Synthesizer. Ein gutes Beispiel dafür ist „Soft Machine“, ein Song, der alles das aufs trefflichste bietet, obendrein luftig daher kommt und gedankliche und räumliche Weite entstehen lässt. Palace Winter können aber auch einfach Pop, wie sie mit dem radiotauglichen „HW Running“ beweisen. Doch dauerhaft können und wollen Palace Winter nicht dem Uptempo-Fröhlich-Sound frönen. Daher kommt mit „What Happend?“ gleich anschließend ein Midtempo-Song, der vom Selbstmord eines Nachbarn der Beiden handelt. Das ernste Thema offenbart sich nicht sofort, da das Ganze mit dem Klang von 80er-Jahre-Synthies bitter-süß daherkommt. „Proclamation Day“ stellt erneut das Songwriting und das E-Piano heraus, zieht sich jedoch etwas in die Länge. Definitiv lang ist der Doppeltitel, mit dem „Waiting for the World to turn“ schließt. „Dependance“ ist eine Ballade, eine Fahrt durch eine dunklen Tunnel („My Dependance of you frightens me/What if they took you away“), die „Independance“ dynamisch aufnimmt und aus dem dunklen Gefühlstunnel wieder hinausführt.

(Foto: Tambourhinoceros)

Milow „Modern Heart“

milow[rating=3]Der Belgier Milow scheint ein Optimist zu sein, oder aber zumindest ein moderner, aufgeklärter Mann.

Milow denkt sich vermutlich nichts dabei, seine nunmehr fünfte Platte am Freitag, den 13. zu veröffentlichen. Das Dunkle, Mystische war ohnehin nie sein Thema, auch wenn es in „Howling at the Moon“ auf den ersten Blick so scheint. Dabei geht es in dem Song um „mehr Licht“, wie Milow erläutert: es sei „ein total einfacher Folksong mit sommerlichem Flair“. Stimmt, man kann den Titel gut an einem sommerlichen Tag hören, vielleicht in einem Café am Wasser. Trotzdem ziehen die Songs nicht einfach vorüber wie ein laues Lüftchen, und inhaltlich geht es auch weniger um Girls, Eiscreme oder den endlosen Sommer. Dafür ist Milow denn doch zu erwachsen und ernsthaft.
So finden sich in seinen neuen Liedern durchaus Themen wie soziale Vereinsamung trotz steter Online-Verfügbarkeit („Lonely One“), oder – wie in „The Fast Lane“ – auch um Reminiszenzen an die eigene Kindheit in einer belgischen Kleinstadt: „I’m from a town where nothing ever takes you by surprise (…) I know that’s why I pushed so hard to get out of there“. Einen „Soundtrack für Sorgen, Zweifel und Träume“, den Milow nach seinem Bekunden mit „Modern Heart“ schaffen wollte, hören da jedoch höchstens notorisch Depressive heraus. Denn das Rastlose, Zweifelnde mancher Textzeile wird in der Regel von einer eher fröhlichen Melodie wieder in die Schranken verwiesen.
Gleiches gilt stilistisch: Milow sagt, er habe etwas Neues ausprobieren, sich weiter entwickeln und aktuelle Klänge adaptieren wollen. Die Vielzahl der beteiligten bekannten Produzenten und Songschreiber bleibt aber glücklicherweise überwiegend unaufdringlich. Im Vordergrund stehen, wie gewohnt, Milows Stimme und seine akustische Gitarre. Daran ändern auch orchestrale Elemente, Elektronika oder Drumbeats nichts, und das ist auch ganz gut so. Allzu groß sind die Unterschiede zu den vier vorigen Alben also nicht. Aber man trifft auf von dem Sänger so bislang nicht gehörte Elemente. Sie erweitern und ergänzen das bekannte Klangspektrum Milows, ersetzen es jedoch nicht.
Milow operiert wie gewohnt im Singer-, Songwriter-Genre und macht das auf seine eigene Art auch ganz gut. Fröhliche Melodien und durchaus nachdenkliche Texte sind bei ihm kein Widerspruch, aber der Weltverbesserergestus vieler Folkies fehlt ihm. Gut acht Jahre nach seinem bislang größten Erfolg mit dem 50-Cent-Cover „Ayo Technology“ bietet „Modern Heart“ also den vorsichtigen Versuch einer Modernisierung seiner Musik. Insgesamt ein angenehmes Album für den Sommer, das man auch im Herbst noch hören kann.

Ashia Bison Rouge „Oder“

Ashia_Bison_Rouge_Oder[rating=4] Vielstimmig und intensiv

Erst sorgte es in der populären Musik bei einzelnen Stücken für die bestimmende Klangfarbe, später wurde es bei Gruppen wie Rasputina und Apocalyptica zum zentralen Instrument: Das Cello hat in der Popmusik seit Jahrzehnten seinen festen Platz. Auch beim neuen Album von Ashia Grzesik steht es im Mittelpunkt. Die Cellistin und Sängerin hat sich ihrer Begleitmusiker entledigt, sich deren Namen Bison Rouge einverleibt und spielt – bis auf wenige Ausnahmen – solo und trotzdem vielstimmig. Sie loopt einzelne Sequenzen, schichtet die Spuren übereinander. Zum Teil schickt die in den USA aufgewachsene Polin die Töne auch durch Effektgeräte. Das Prinzip ist bekannt – der Schweizer Bassist Mich Gerber setzt es schon seit den 90er-Jahren ein –, doch Ashia Bison Rouge fügt eine weitere, tolle Facette hinzu.

Das Cello scheint ein für dieses Prinzip ideales Instrument zu sein. Es deckt den Bereich der männlichen Stimme ab. Ashia Bison Rouge, kann ihre kräftige Stimme mit einem ordentlichen Bass unterlegen oder ihren Stücke mit einer Art Streichquartett einen klassischen Touch geben. Und gezupft wird das Cello auch zu einer kleinen Rhythmusmaschine. Wenn Ashia Grzesik höhere Töne braucht, holt sie sich eine Geige dazu, mitunter ist auch eine Ukulele zu hören.

Der Albumtitel „Oder“ verweist auf den Strom, der Polen und Deutschland trennt. Beide Länder spielen in der Biographie der Künstlerin, die derzeit in Berlin, lebt eine Rolle. Die Stücke sind auch eine Auseinandersetzung mit ihrer Herkunft, der Song „Dig In Our Roots“ kündigt das schon im Titel an. Ihre – mit Ausnahme des auf Polnisch gesungenen Titelstücks „Oder“ –überwiegend stimmungsvollen und gelegentlich melancholischen Stücke singt Ashia Bsion Rouge in Englisch. Die Melodie des romantischen „Hold and Fall“ erinnert an Gershwins „Summertime“. Die durch repetitive Loops zwangsläufig redundanten Passagen mancher Stücke bringen sie in die Nähe der Minimal-Music, auch wenn sie keineswegs die suggestive Kraft der Kompositionen eines Philip Glass ausstrahlen. Dafür hat Ashia Bison Rouge ihre kraftvolle Stimme, die sie nicht nur akzentuiert und energisch, sondern durchaus auch subtil einsetzt.

Offizielle Homepage von Ashia Bison Rouge

(Foto: Jaro)

Femme Schmidt „Raw“

index[rating=1] Pop-Noir? Überproduzierter Girlpop!

Es fällt zunächst nicht schwer, Femme Schmidt in die Rubrik ‚hübsches Mädchen in den Fängen abgezockter Produzenten‘ einzuordnen. So produzierte der umtriebige Guy Chambers, bekannt aus der Zusammenarbeit mit Robbie Williams, ihr Debüt 2011. Dieses Mal war der Londoner Glen Scott (James Morrison, Mary J. Blige, James Blunt, u.a.) an den Reglern, unterstützt von zwei Kollegen, die neben etlichen weiteren Kollegen tatkräftig beim Songwriting mitwirkten. Auch der Künstlername der gebürtigen Elisa Schmidt aus Koblenz weist in die Richtung ‚Girl-Pop mit internationalem Anspruch‘.  Der erste Titel, „The Edge“, beginnt bombastisch mit Anklängen an Adele und James-Bond-Soundtracks und rauscht vorbei. Nicht unangenehm, aber auch nichts, was sich in den Gehörgängen festsetzen würde. Die Dame hat eine angenehme Stimme, die jedoch gegen die üppigen Arrangements und die leichtgewichtigen Kompositionen einen schweren Stand hat.

‚Pop-Noir‘ soll das sein, aber es gibt weder Stilbruch noch Aufbegehren gegen Konventionen und Klischees. An diesem Album ist nichts rauh oder gar schmutzig, unkonventionell ist ihre Musik auch nicht. Dafür müsste Femme Schmidt zunächst einmal einen eigenen Stil entwickeln und nicht nach dem Erfolg von Adele und anderen schielen. Vielleicht sollte sie ihre Produzenten feuern. Möglicherweise sollte sie mit einer kleinen Band eigene Songs einspielen, die ihre Stimme zur Geltung kommen lassen. Dazu müsste sie eine musikalische Persönlichkeit entwickeln, die nicht wie ein Abziehbild aus den Sechzigern und dem ‚Besten von heute‘ daherkommt, und Texte schreiben mit Dingen, die sie selbst bewegen.

Denn das bestehende Konzept geht trotz durchaus guter Ansätze nicht auf. Das aus altbekannten Zutaten fabrizierte „Surround me with your Love“ – ist der Song passt gut als Begleitung des Jahrmarkts der Eitelkeiten in der frühabendlichen Cocktailbar – vermag immerhin durch die Melodie, den gehauchten Gesang und die Atmosphäre zu punkten. Auch der Torch-Song „Loving Forces“ über die verflossene Liebe bietet schöne Momente, wenngleich man Femme Schmidt den bitteren Liebes- oder Trennungsschmerz nicht völlig abnimmt. Aber auch zwei mehr als nur nett anzuhörende Titel würden die restlichen nicht ungeschehen machen. Daher bleibt zu hoffen, dass Femme Schmidt sich auf ihre Stärken besinnt und die Klischees abstreift.

Offizielle Homepage von Femme Schmidt

(Foto: Warner)