Schlagwort: Rock

Small Time Giants „Stethoscope“

index[rating=3]

Erinnert an Gitarrenbands der leiseren Sorte, setzt aber auch eigene Akzente.

Die Small Time Giants kommen aus Grönland und sind eine der Lieblings-Rockbands dieser Insel. Was das im internationalen Pop-Zirkus bedeutet, kann sich jeder ausmalen. Wer „Big in Greenland“ ist, könnte genau so gut Popstar auf Pluto sein. Einerseits.
Andererseits eröffnet eine solche Nischenexistenz ungeahnte Möglichkeiten. Auch Zwerge haben einmal klein angefangen. Und: Größe allein besagt gar nichts. Immerhin hat es die vier Jungs unterdessen nach Kopenhagen verschlagen, was verglichen mit Grönland schon hautnah am Puls des Pop ist. Und so dauerte es auch ’nur‘ ein Jahr, bis ihre Debut-CD auch ausserhalb Grönlands und Dänemarks erhältlich ist.

Genug der Vorreden. Entscheidend ist immer noch, was hinten, also aus den Lautsprechern raus kommt. Grönland muss eine grundentspannte Insel sein, mit einem gehörigen Schuss Melancholie im Gemüt der Insulaner. Die Musik der Small Time Giants auf „Stehthoscope“ erinnert sicher nicht von ungefähr an
britische Indie-Gitarren-Bands der leiserern Sorte.
Die Vorbilder sind noch recht präsent. Aber die Jungs haben ein feines Gespür für Melodien und für dramatischen Song-Aufbau. Lead-Sänger Miki Jensen gelingt es gut, Emotionen und Stimmungen zu transportieren, wie in „Undiscovered Potential“, wo es hoffnungsvoll heisst: „We know every Flower will grow through Concrete“. Beinahe Hit-Potential – auch ausserhalb von Grönland – hat der Song „A Basement with a View“, der wie die meisten Titel auf beinahe naive Weise verhaltenen Optimismus verkörpert.

Musikalisch pendelt die Band irgendwo im Pop-Kosmos zwischen hallenden Gitarren, stellenweise opulenten orchestralen Keyboard-Melodien, Computer-gestützten Drums und einer angenehmen Stimme des Sängers. Jener mangelt es zwar an Tiefe und Variationsbreite, aber welcher Pop-Sänger kann das schon für sich in Anspruch nehmen? Wie bei vielen Platten-Debüts üblich, fehlt noch Routine. Die eingeschlagene Richtung ist noch nicht völlig ausdefiniert, und Änderungen im Sound sind vorstellbar. Wer jedoch eine nette Indie-Pop-Platte hören möchte, die zwischen einer Art post-adoleszenten Melancholie mit optimistischem Ausblick changiert, ist hier richtig. Die Small Time Giants treten mit ihrem Debüt sympathisch und bescheiden auf, ohne große Geste und ohne Anspruch, den Pop neu zu erfinden. Beim nächsten Mal darf es aber ruhig auch mal ein wenig dynamischer zur Sache gehen. Jetzt, im nebligen November, bieten sie die richtige Mischung.

Doran, Stucky, Studer, Tacuma „Call me Helium“

0608917115529[rating=2] Das Produkt einer amerikanisch-irisch-schweizerischen (oder umgekehrt) Zusammenarbeit.

‚Call me Helium‘ soll der Meister selbst in einem seiner letzten Interviews gesagt haben: Helium, das leichteste Element und Gas als Metapher gegen das Schwere des irdischen Daseins – leicht, farb- und geruchslos, flüchtig. Ein interessanter Gedanke von Jimi Hendrix, der sich in gewisser Weise durch seinen frühen Tod selbst unbeabsichtigt der Erdenschwere entzog.
Einerseits ist über und von Hendrix alles gehört, gesagt, gefilmt, remastered und wiederaufgelegt worden. Es schwirren unzählige Veröffentlichungen, Statements und Dokumentation über die kurze Karriere des Ausnahmegitarristen durch sämtliche Medien. Seine vier Veröffentlichungen zu Lebzeiten liegen in allen Formaten vor, und die Zahl der nicht autorisierten ist Legion. Unzählige Saitenvirtuosen haben ihm seither – 45 Jahre! – nachgeeifert, zumeist mit zweifelhaftem Erfolg.
Andererseits hat der Meister sich mit seinem Austritt aus unserem Kosmos unsterblich gemacht. Und so, wie niemand nach dem Sinn der x-ten Bach-Interpretation fragt, kann man sich die Frage nach dem Sinn von „Call me Helium“ selbst beantworten. Allerdings war Jimi Hendrix kein großer Komponist, sondern ein herausragender Instrumentalist. Und das macht einen entscheidenden Unterschied. Denn nicht unbedingt was, sondern wie er spielte war entscheidend. Dennoch: Seine Musik ist da und zugänglich, warum sollte man sie nicht neu interpretieren? Dass es nicht einfach darum geht, sie nachzuspielen versteht sich bei Christy Doran, Erika Stucky, Fredy Studer und Jamaaladeen Tacuma von selbst.
Gitarrist Christy Doran und Drummer Fredy Studer sind fast Zeitgenossen von Jimi Hendrix, nur wenig später geboren und seit den Sechzigerjahren im Jazzrock aktiv. Bassist Tacuma bewegt sich in einem ähnlichem Umfeld und spielte mit Ornette Coleman oder James Blood Ulmer. Sängerin Erika Stucky wiederum, die sich auch schon mal als Schwarze Witwe inszenierte (ihr jüngstes Album heißt „Black Widow“, was die Spinnen davon halten, ist nicht bekannt), kommt aus einem vergleichbaren musikalischen Umfeld wie die anderen Beteiligten.

Es ist jedoch nicht so, daß die älteren Jazzrocker oder Rockjazzer dem Meister einfach ihre Referenz erweisen wollen. Christy Doran läßt die Sau raus. Seine Gitarre bahnt sich den Weg durch das Werk von Hendrix wie die Axt im Walde.
Natürlich verzichtet das Quartet nicht auf das unzerstörbare „Hey Joe“, nicht auf „Foxy Lady“ oder „Machine Gun“. Streckenweise zeigt Doran, wie gut er Hendrix‘ Spielweise, seine Sounds und „Signature Tones“ kennt. Mitunter klingt er fast wie das Original. Weil ein guter Jazzrocker aber immer auch mit dem Kopf arbeitet, gibt es häufig zusätzlich – und mitunter auch im selben Titel – noch die historisch-kritische Interpretation. „Machine Gun“ kommt als Noise daher, „Hey Joe“ zunächst sehr reduziert, dann jedoch überinterpretiert. Sängerin Stucky versucht, dem doch recht männlich geprägten Song und Text eine irgendwie weibliche Note und einen eigenen Stil zu verleihen. Bei ihr kommt der vielbesungene Frauenmörder Joe dann nicht ungeschoren nach Mexiko, sondern endet am Galgen. Kleinkunst trifft in diesem Moment auf Classic Rock. Auch die Idee, zeitgenössische Titel mit den Songs von Hendrix zu verweben, wirkt nicht wirklich stimmig. Passt „Sergeant Pepper“ zu „In from the Storm“, „Drifting“ zu Graham Nashs gern gehörter Schnulze „Teach your Children“?

Junge Hörer werden durch „Call me Helium“ den Zugang zum amerikanischen Gitarrengott wohl kaum finden, dafür sind die Fassungen des Quartetts zu skurril-verkopft. Auch, weil sich das Quartett nicht dafür entscheidet, seinen Vortrag eine Richtung zu geben und zwischen Ironie und Hommage schwankt. Vielleicht hätte man Jamaaladeen Tacuma öfter von der Leine lassen sollen, etwa wie in „Gypsy Eyes“, wo die drei Instrumentalisten mal richtig gut harmonieren.
So bleibt „Call me Helium“ eine interessante Randnotiz zum großen Buch, das Jimi Hendrix geschrieben hat.

Rosetta „Quintessential Ephemera“

rosetta[rating=3]Das volle Brett? Aber nicht doch.

Hier kommt eine kalifornische Band, die zwar einerseits Metal spielt, andererseits aber auch Ambient und Prog-Rock-Elemente in ihre Kompositionen einfliessen lässt. Wie die Weltraumsonde gleichen Namens sind auch die Amis bereits längere Zeit unterwegs. Während die eine jedoch alleine durch das dunkle, kalte All fliegt, reist das Quintett durch Klangwelten, die mit dem Etikett Post-Metal nur unzureichend beschrieben sind. Die Band selbst nannte in frühen Tagen ihren Sound ‚Metal für Astronauten‘, aber auch das ist letztlich nur eine vage, selbstironische Umschreibung.
Schauen wir einfach mal aufs Cover ihrer kürzlich erschienenen CD „Quintessential Ephemera“. Dort sehen wir abstrakte, beinahe graphische Muster, die in grau und grün gehalten sind. Sie stammen – wie die gleichartigen Muster im Inneren des Klappcovers – vom US-Künstler Mark Price. Bilder der Bandmitglieder gibt es nicht.
Nun zur Titelübersicht: Erster Titel „After the Funeral“. Ein interessant klingendes Instrumentalstück. Dezent rockende, klare Gitarren, perlendes Piano, eher ruhig-fliessend als aggressiv und hart. Doch dann knallt einem unvermittelt eine Dachlatte an den Kopf: Titel Nummer zwei, „Untitled I“, lässt gleich eine Lawine aus Gitarren, Bass, Schlagzeug und ‚Growls‘ auf den Hörer los. Durchaus geeignet, den unbefangenen Hörer zu erschrecken. Der tiefe, gutturale Gesang, eben die Growls, wird als Stilmittel durchgängig eingesetzt. Da alle fünf Mitglieder ihren Teil zum Gesang beitragen, reicht das vokale Spektrum vom reinem metaltypischen Gebrüll über rockige Intonation bis hin zu sphärischen Chören. So auch in den folgenden Kompositionen, die „Untitled II“ bis „Untitled VII“ benannt sind und fast wie eine einzige, durchgängige Klanglandschaft daherkommen. Die Bandbreite changiert zwischen den Polen laut/leise und schnell/verhalten oder ambientartig ruhig bis metal-heftig.
Von Songs im klassischen Sinne kann man nur bedingt sprechen. Das ist durchaus eine Herausforderung. Doch es lohnt sich, Rosetta über 50 Minuten zuzuhören. Denn sobald man meint, den Herren ein Etikett ankleben zu können, sind diese schon wieder einen Schritt weiter. Auch nach zwölf aktiven Jahren, zehn Alben und unzähligen Live-Shows ist die Band konzeptionell noch ambitioniert und nicht auf eine Richtung festgelegt. Erst der neunte Song, „Nothing in the Guise of Something“, hat wieder einen richtigen Titel, und und mit ihm endet das Album mit einem eher zurückhaltenden, fast schon romantischen Instrumentalstück.

War das Debüt „The Galilean Satellites“ (2005) noch mit zwei Platten – eine Ambient- und eine Metal-Platte, die parallel abgespielt werden konnten (oder eben auch nicht) – auf die Koexistenz zweier Stilrichtungen ausgelegt, so herrscht nun eine Synthese aus beiden. Diese wird abgeklärt, virtuos und mit einer gewissen Selbtironie dargeboten, wobei auch die Metal-Anhänger durchaus auf ihre Kosten kommen. Doch  Rosetta gehen deutlich über dieses Genre hinaus, was „Quintessential Ephemera“ auch für Hörer mit anderen Vorlieben reizvoll macht.

Bros. Landreth „Let it Lie“

Bros_Landreth_cd[rating=2] Von US-amerikanischen Vorbildern unüberhörbar geprägt

Das Verhältnis Kanadas zu den „Lower 48 States“, also den unteren nordamerikanischen Staaten, mit denen man sich den Kontinent teilt, ist seit jeher delikat. Der übermächtig erscheinende Nachbar ist eine Herausforderung für das kanadische Selbstverständnis, das daher von Zeit zu Zeit einer Selbstvergewisserung oder Abgrenzung von den USA bedarf. Was hat dies mit dem Debüt der vier Rocker, darunter die beiden Brüder David und Joey Landreth, aus Winnipeg, Manitoba, zu tun? Eine Menge.
Beim ersten Hören meint man nämlich, Zeuge einer Renaissance oder zumindest Reminiszenz des ‚klassischen‘ US-Rock zu werden. Bluesige Gitarrenwände, eine warme Hammond-B-3-Orgel, Stimme und Stimmung schaffen einen Sound, den wir ohne weiteres mit namhaften US-Bands und Solisten aus der Rock-History (vor allem der 70er- und 80er-Jahre) verbinden. Auf der eigenen Homepage nennt die Band zwar ausgiebig Namen und Vorbilder, betont jedoch, natürlich, gleichzeitig eine gewisse Eigenständigkeit. Verständlich, denn das reine Epigonentum wäre ein Armutszeugnis.
Hier kann von bloßem Nachspielem aber keine Rede sein, selbst wenn den Kompositionen der Landreth-Brüder noch eine eigene Handschrift fehlt. Ob sie diese jedoch entwickeln werden, bleibt ungewiss. Für meinen Geschmack zielen Bros. Landreth mit „Let it Lie“ noch zu sehr auf breite Zustimmung beim Publikum. Nach dem Motto »etwas für jeden Geschmack» wechseln sich radiokompatible Songs wie „Made up my Mind“ mit Mid-Tempo-Rockern wie „Let it Lie“ und country-seligen Schunkelliedern ab. Das wirkt etwas kalkuliert und marktstategisch orientiert.
Herausragend sind jedenfalls der dreistimmige Harmoniegesang und die solide Gitarrenarbeit. Das alles ist nicht neu, ebensowenig die Texte. Diese schwanken zwischen vertontem Liebeskummer und der Begegnung mit der nächsten Dame. Solange man nicht die Zukunft des Rock’n’Roll erwartet, stört das nicht. Immerhin bekommt man solide musikalische und stimmliche Kost geboten. Für meinen Geschmack hätten es jedoch durchaus mehr krachende Rocker und weniger langsame Songs wie „Tappin‘ on Glass“ sein dürfen. Diese klingen doch zu sehr danach, als ob Bros. Landreth direkt bei amerikanischen Radiostationen im Nachmittagsprogramm Stammgast werden wollten – also ziemlich routiniert für eine junge Band. Da die Landreth-Brüder aber einige Jahre Erfahrung als Sidemen und Sessionmusiker haben und mithin ausgebuffte Profis sein dürften, verwundert dies nicht wirklich.
Mit der eigenen, kanadischen, musikalischen Handschrift hat es also noch nicht geklappt, dafür sind die Anleihen beim ‚klassischen‘ US-amerikanischen Rock zu ausgiebig. Aber das muss uns Europäer nicht stören.

Klone „Here Comes The Sun“

klone cover[rating=3] Für Freunde härterer Gitarrenklänge mit einem Sinn für Melodien.

Ist dies der Ort für Geständnisse? Dann bekenne ich, daß mir die zahlreichen Verzweigungen und Verästelungen des Metal-Genres beinahe wie ein Dschungel erscheinen. Das stört beim Hören des neuesten, mittlerweile sechsten Albums der Franzosen nicht wirklich. Schließlich feiern Klone – metaphorisch betrachtet – nicht den dunklen Schatten des Regenwaldes oder einer Fantasy-Zwischenwelt. Sie begrüßen den offenbar nahen Sonnenaufgang: „Here Comes The Sun“. Allerdings verharrren die Musiker auf dem Cover noch in der Dunkelheit, und auch die Texte der neun Eigenkompositionen formulieren eher Erwartungen als Gewißheiten.
In den nunmehr zwölf Jahren ihres Bestehens hat sich die Band von einer epigonalen Metal-Combo zu einer originellen, vielseitigen Band entwickelt. Selbst Jazzrock-Zitate finden ihren Platz im musikalischem Universum von Klone, etwa im kurzen Instrumental „Gleaming“, und sogar eine Version des Evergreens „Summertime“ von George Gershwin. Diese reduzierte Fassung zeigt aber, getreu der vorherrschenden Stimmung des Albums, daß neben dem fröhlichen Licht des Sommers auch mancher Schatten vorhanden ist.
Der erste Titel, „Immersion“, also das spirituelle Eintauchen oder Versenken, erinnert mit seinem klaren, leicht verhallten Gesang von Yann Lingner und der echoverwehten Gitarre von Guillaume Bernard beinahe an die ätherisch-melancholischen New-Wave-Sounds der frühen Achtziger. Dann setzt aber ein ernergisches Schlagzeug ein, das den Rhythmus erdet. Schließlich wird es mit Saxophon und Synthiesizern beinahe symphonisch. Wuchtige Riffs treffen auf Melodien, dazu Songtexte, die alles und nichts bedeuten können und vage Melancholie artikulieren.
Kline entwickeln einen sehr eigenen Sound und Stil, der obendrein clever gemacht ist. Denn immer wenn man denkt, alles schon einmal gehört zu haben, kommt wieder eine neue Idee, ein weiterer vertrackter Rhythmus und der nächste ausgetüftelte Song. Anspieltipp ist „The Drifter“, in dem die Qualitäten des Sextetts deutlich und fokussiert erscheinen. Die Metal-Fans, schließlich will man die Wurzeln nicht vollständig kappen, kommen dafür in „Grim Dance“ auf ihre Kosten. Wermutstropfen: Nicht jede musikalische Idee von Klone zündet , mancher Effekt wird ein wenig zu oft eingesetzt, etwa wenn sich  Frontmann Yann Lingner zu vordergründig im Mix zwischen scheinbar ziellosem Hymnus und anlaßloser Trauer bewegt.

Archive „Restriction“

restriction[rating=2]Streckenweise überzeugend, in anderen Momenten beliebig

Archive gehörten seit ihrer Gründung 1994 durchweg zur Regionalliga der britischen Musikszene. Die Gründe mögen häufige Besetzungswechsel, ein hörbarer Mangel an eigenständigen musikalischen Ideen oder einfach der Umstand gewesen sein, daß es stets bessere andere Bands des gleichen Genres gab. Ihr neues Album „Restriction“ ist keineswegs geeignet, dies nachhaltig zu ändern, was ein wenig schade ist. Immerhin bietet es einige überraschende Momente, so etwa im Eröffnungssong „Feel it“, auf dem New-Wave-Schrammel-Gitarren aufs Angenehmste das Synthie-Gewaber und die klagende Stimme unterbrechen. Aber bereits im Titelsong des Albums, „Restriction“ langweilen die Herrschaften mit Endlos-Klangschleifen und repetetiven Rhythmen. Der dritte und vierte Song, „Kid Corner“ und „End of our Days“, klingen wie aus dem Archiv von Morcheeba – aber die hatten sowohl bessere Synthies als auch mehr Pop-Appeal.

Die Sänger wechseln sich ab, die Klänge und Ideen ebenso. Das wäre nicht schlecht, wenn man nicht ständig das Gefühl hätte, dass sich die Akteure allzu häufig aus dem Fundus bekannter Arrangements, Ideen und Klängen anderer Leute bedienten. Vielleicht heißt die Band deshalb Archive?
Wir wollen jedoch nicht ungerecht sein. Wie die Band auf „Third Quarter Storm“ den schnulzigen Wohlklang durch Lärm-Einschübe stört, ist ganz hübsch. Und wenn auch das Getrommel auf „Ride in Squares“ nicht wirklich neu ist, so gefällt es dennoch. Dagegen langweilen Titel wie „Crushed“, denn eine wirkliche Idee oder auch nur etwas Spannendes konnte ich darin nicht ausmachen. Dafür versöhnt das irgendwie an Bond-Titelsongs (aus der Adele-Phase) erinnernde Ballade „Black and Blue“ ein bißchen. Den Abschluß bilden zwei längere Titel: „Greater Goodbye“ und „Ladders“, die „Restriction“ jedoch nichts mehr Wesentliches hinzufügen, sondern erneut den Bogen von Lärm zu Pop und zurück schlagen – große Momente inklusive. Am Songwriting sollten „Archive“ aber weiter arbeiten und vielleicht beim nächsten Mal versuchen, sich ein wenig stärker zu fokussieren. Aber fürs Durchhalten seit 1994 gibt’s einen Extra-Bonus.

Eno/Hyde „High Life“

Eno_•_Hyde_-_High_Life_Cover_Image[rating=2] Nervöse Rhythmen, endlose Wiederholung von Akkorden und Samples – nichts für gemütliche Stunden, sondern eher anstrengend. Kein Meisterwerk.

Vor kurzem haben die beiden Herren vorgerückten Alters das erste Ergebnis ihrer Zusammenarbeit veröffentlicht, und schon folgt mit dem neuen Album „High Life“ der zweite Streich. Keine Outtakes aus „Someday World“ erwarten den Hörer, sondern sechs Titel, die allesamt in nur fünf Tagen entstanden.
Während der Vorgänger mit Pop-Songs und beinahe eingängigen Melodien aufwartet, zeigt „High Life“ die eher an Klangwelten orientierte Seite Enos, der erneut dominiert. Mag man sich bei dem neunminütigen Eröffnungssong „Return“ mit seinen von Gittarist Karl Hyde stoisch wiederholten zwei Akkorden, dem Synthesizer und dem luftigen Walla-Walla-Hintergrundgesang von Eno und Marianna Champion noch an Enos Werke aus den Achtziger- und Neunziger-Jahren erinnert fühlen, so vereinen die folgenden Titel „DBF“ und „Time to Waste it“ (ungewollte Ironie?), bei dem Hydes Gitarre den Vortritt hat, nervöse Energie. Diese ist jedoch mit einer Monotonie gepaart, die man nur gelegentlich ertragen kann. Das hat man von Meister Eno auf seinen Großwerken „My Life in the Bush of Ghosts“ oder „Wrong Way Up“ schon abwechslungs- und einfallsreicher gehört. Auch das letztlich belanglose „Lilac“ versucht ein weiteres Mal, sonnigen Wave-Pop mit afrikanischen Rythmen zu vereinen. Das ist alles andere als eine neue Idee. Doch immerhin hat Brian Eno diese Fusion als Interpret und Produzent seit den Achtzigern maßgeblich vorangetrieben.
Es wäre ungerecht, Bria Eno und Karl Hyde nur Selbstzitate zu unterstellen. Im Vergleich zu anderen aktuellen Werken der Pop-Musik, die sich gerne und oft der wenigen bahnbrechenden Ideen früherer Generationen ungeniert bedienen, jammern wir hier auf beachtlichem Niveau. Denn immerhin zitieren Eno und Hyde eigene Geistesblitze, die sie zudem zumindest im Ansatz zeitgemäß überarbeitet haben.
„Moulded Life“, das vorletzte Stück, sollten alle überspringen, die von Reizüberflutung geplagt sind. Denn dort treffen die eher nervenden Elemente des ‚Underworld‘-Sounds auf die etwas anstrengenden Einfälle von Brian Eno. Dann ist – schwupp – der letzte Titel erreicht: „Cells and Bells“, der mir am besten gefällt. Denn dort entert Karl Hyde das Mikro. Dadurch verleiht er dem Titel eine spezielle Athmosphäre. Zudem schwebt der Song irgendwie träge durch den akustischen Raum und läßt einem jene Luft zum Atmen, die einem der überwiegende Teil des Albums zuvor fast genommen hat. Worüber er singt? Keine Ahnung, aber es hört sich gut an + und das ist alles, was zählt. Mir persönlich hätte eine halbe Stunde „High Life“ gereicht, nun sind es beinahe 45 Minuten geworden. Aber es gibt ja die Stopp- und die Skip-Taste …

Deep Purple „In Concert ’72“ (2012 Remix)

Deep Purple "In Concert '72"

Deep Purple [rating=3] Statt bombastischer Live-Atmosphäre, ein fast intimes Club-Konzert von Deep Purple. Fast.

Kaum eine andere Band verwaltet ihren (Back-)Catalogue so sorgfältig wie Deep Purple. Neben den heute üblichen zyklischen Remaster- und Remix-Runden der regulären Studioalben, die die Fans alle paar Jahre immer wieder zum Kauf ein und derselben Platte bewegen sollen (am besten mit obskuren Bonus Tracks), kümmern sich Deep Purple sorgsam um das vorhandene Live-Material, sei es um das offizielle, sei es um das halb-offizielle, das jahrelang gar nicht oder nur aus halbseidenen Quellen zu beziehen war.

Nur wenige Wochen vor der Veröffentlichung ihres sechsten Studioalbums „Machine Head“ (VÖ.: 25. März 1972) lud die BBC Deep Purple am 9. März zum exklusiven Radiokonzert (für die Reihe ‚Sound of the Seventies‘) ins Paris Theatre in der Lower Regent Street in London ein. Die Band nutzte den Gig, um das neue Album zu promoten und spielte es fast vollständig, darunter auch das berühmt-berüchtigte „Smoke on the Water“ zum allerersten Mal live. Der Club war klein und entsprechend ‚intim‘ war die Atmosphäre – naja, so intim wie halt Deep Purples Hardrock überhaupt sein kann.

Man merkt, dass die Band sich des vollen Potentials der neuen Songs (darunter auch solche Klassiker wie „Highway Star“, „Lazy“ und „Space Truckin’'“) noch nicht ganz bewusst ist, die nur einige Monate später im August in Japan so kunstvoll zelebriert werden sollten. Ausgerechnet „Smoke on the Water“ (man beachte bitte das leicht verblueste erste Riff!) kommt vielleicht etwas verhalten, ja von Gillan sogar etwas hüftsteif daher, in anderen Nummern duellieren sich Blackmore und Lord bereits auf höchstem Niveau nach bekannter Art und Weise. Außerdem enthält das Album die selten live gespielten Nummern „Never Before“ und „Maybe I’m a Leo“, letztere mit besonders beschwingtem Groove.

Der Sound des 2012 erstellten Remix (ursprünglich exklusiv für die Vinyl-Ausgabe des Albums) ist satt und druckvoll. Er transportiert die purer Energie, die die Band selbst bei solch einem ‚kleinen Gig‘ entwickelte, sehr gut. Mag sein, dass die Gruppe zu diesem Zeitpunkt schon inneren Spannung ausgesetzt war, der Chemie auf der Bühne tat dies keinen Abbruch.

Natürlich ist „In Concert ’72“ keine zweite „Made in Japan“ und kann das epochale Live-Album (das vor kurzem übrigens in einer tollen Deluxe-Ausgabe wiederveröffentlicht wurde) nicht ersetzen. Aber als sinnvolle Ergänzung, um Deep Purple auf dem Zenit ihres Erfolges mal von einer anderen, ‚intimeren‘ Seite kennenzulernen, taugt das Album allemal. Und sei es auch nur, um festzustellen, dass die legendäre Mk.II-Besetzung auch im kleineren Rahmen eine unglaubliche Power aufbauen konnte.

Bisherige Rezensionen zu Deep Purple auf schallplattenmann.de

http://www.deeppurple.com

(Bild oder Foto: Networking Media)

Dirtmusic „Lion City“

Dirtmusic "Lion City"

[amazon_image id=“B00HS95I1M“ link=“true“ target=“_blank“ size=“medium“ class=“alignleft“]Dirtmusic „Lion City“[/amazon_image][rating=4]Gelungene Mixtur aus Rock, Singer-Songwriter-Poesie, Electronica und „Wüstenblues“.
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„Lion City“ ist der vierte Streich der Zusammenarbeit zwischen Chris Eckman (von den „Walkabouts“) und Hugo Race („True Spirit“) als „Dirtmusic“ und der zweite Teil der im malischen Bamako 2012 entstandenen Aufnahmen mit Musikern aus Mali und dem Senegal.

Man kann sich sicherlich eine angenehmere Umgebung für eine Musikproduktion wünschen, als inmitten eines Bürgerkrieges und Militärputsches in einem Tonstudio in der malischen Hauptstadt zu sein und drinnen Musik zu machen, während draußen Gewalt herrscht. „Lion City“ reflektiert mit musikalischen Mitteln das politische Geschehen im unmittelbaren Umfeld, so singt  im Song „Red Dust“ Samba Touré: »Wie können wir versöhnen und vergeben? Wir müssen aufhören zu kämpfen.« Der nach wie vor aktuelle Bezug zur Lage Malis entstand nicht von Ungefähr, sondern kam auch daher, dass Eckman und Race nach eigenem Bekunden nicht mit fertigen Arrangements und Titeln, sondern vielmehr mit flüchtigen Entwürfen und ‚rohen‘ Ideen nach Afrika reisten, die erst während der gemeinsamen Proben und Aufnahmen mit den afrikanischen Musikern zu Songs reiften. Dementsprechend ist die Herangehensweise eine andere als bei vielen World-Music-Projekten.

Die beteiligten Musiker wie der schon erwähnte Touré, die Band „Tamikrest“, die Sängerin Aminata Traoré, Ben Zabo und etliche andere sollen nicht bloß eine musikalische ‚exotische Farbe‘ liefern, sondern integraler Bestandteil des Projektes sein, was über weite Strecken gut gelingt. Natürlich ist Eckmans Stimme sofort für alle unverkennbar, die auch nur einen einzigen Song der Walkabouts kennen. Daher könnte „Movin‘ Careful“ beinahe ebenso gut auf einer Veröffentlichung seiner alten Band sein, wenngleich die „klagenden“ Gitarren von Race und Ousmane Mossa (von der Touareg-Band Tamikrest) eher wieder Richtung afrikanischen ‚Wüstenblues‘ weisen. Andererseits sind solche Genre-Schubladen obsolet im Zeitalter des Internets und des internationalen künstlerischen Austausches und sie widersprechen dem Grundgedanken Chris Eckmans, der eine »gemeinschaftlich-demokratische Herangehensweise« bei den Aufnahmen favorisierte und intendierte. Ablesen kann man dies auch daran, dass die Autorenschaft der Titel nicht nur den IndieVeteranen Eckman und Race, sondern von Fall zu Fall auch den anderen Mitwirkenden zugeschrieben und der Platz vorm Mikro mal vom einen, dann wieder vom anderen eingenommen wird. Eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe also.

Entscheidend ist jedoch nicht, wir erinnern uns an diese grundlegende Erkenntnis des deutschen ‚Bummdeskanzlers‘ Kohl, wie etwas entsteht, sondern »was hinten rauskommt«. In diesem Falle eine faszinierende Collage aus Electronik, vom Ethno-Kitsch befreiter World-Music, Singer-Songwriter-Skizzen und Rock.

Manchmal magisch, manchmal gut gemeint mit appellativen Texten an die menschliche Vernunft  und überwiegend unterhaltsam und spannend: Die beteiligten Musiker kennen und schätzen sich seit Jahren, als sie sich erstmals auf einem Festival in der Sahara begegneten und zusammen spielten. Die musikalische Zusammenarbeit zwischen den alten Recken aus der Indie-Szene und den Wüstenbluesern und Afro-Popmusikern erweist sich erneut als Bereicherung für beide Seiten – und als Vergnügen für die Hörer, die diesem Album in großer Zahl zu wünschen sind.

(Foto: Glitterhouse)

 

 

The Men „Tomorrow’s Hits“

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[rating=3] Geläuterte Noise-Rocker und Punks auf den Spuren des Übervaters Tom Petty und anderer Helden des amerikanischen Songsbooks

The Men sind eine seit 2008 bestehende Band aus Brooklyn, die mit ihren ersten Veröffentlichungen als Noise- oder Punk–Rock-Band in Erscheinung trat, so etwa auf der 2011er Veröffentlichung „Leave Home“, wo sie es mal so richtig krachen ließen.

Man sollte gar nicht meinen, dass es sich um dieselbe Band handelt, wenn man ihr bislang fünftes Album „Tommorow’s Hits“ hört. Das entführt einen nämlich mit dem Eröffnungstitel „Dark Waltz“ gleich mal ins Jahr 1974. Wüsste man es nicht besser, würde man meinen, ein Tom-Petty-Cover zu hören: Gitarren und Lap-Steel-Gitarren, die unbeschwert losrocken, E-Piano, eine stimmungsvolle Mundharmonika, ein Drummer, der auf die Felle seiner Drums umstandslos eindrischt, leicht nasaler, melancholischer Gesang. Hört sich beinahe wie live an und tatsächlich: Angeblich wurden die acht Titel von „Tomorrow’s Hits“ auch nur während zweier Tage in den Strange Weather Studios in Brooklyn ohne Overdubs und ohne große nachträgliche Bearbeitung eingespielt. Immerhin war man nach eigenem Bekunden erstmals in einem „High Tech“-Studio, was dem auf CD gebannten Sound der Men  eine bislang nicht gekannte Klangqualität verleiht. Punk Rock, was immer das 2014 bedeuten könnte, kam dabei nicht heraus, sondern eher ein … räusper … ‚klassisches‘ Rock-Album mit stimmungsvollen Songs wie „Settle me down“, das abermals heftige Anklänge an Tom Petty aufweist oder dem etwas heftiger zur Sache gehenden „Pearly Gates“ mit seiner schneidenden, treibenden Leadgitarre im aufpolierten Surf-Sound: alles schon tausendmal gehört und trotzdem immer wieder gern genommen. Zwischen diesen Polen geschieht auf dem neuen Album der ‚Männer‘ noch einiges mehr. „Get what you Give“ scheint wie gemacht für FM-Radiostationen und das darauf folgende „Another Night“ mit Bläsern oder „Different Days“ gehen direkt und melodisch zur Sache und verführen unmittelbar zum Mitwippen.

Herausgekommen ist mit „Tomorrow’s Hits“ also nicht nur eine Referenz an die amerikanische – Rockmusik der siebziger bis achtziger Jahre, sondern ein Versuch, diese in die heutige Zeit zu transformieren. In jedem Punk steckt eben doch ein Rocker und eine Prise Nostalgie hilft in der rauhen Gegenwart über mancherlei Härte des Alltags hinweg.

Mag der Band mithin der kohärente künstlerische Entwurf oder musikalische Fokus ein wenig fehlen, so sind die rund vierzig Minuten von „Tomorrow’s Hits“ dennoch angenehm, kurzweilig und wesentlich unterhaltsamer und unangestrengter als der Noise-Rock, den die Band noch vor zwei Jahren ablieferte. Man kann natürlich trefflich über die Gründe für den radikalen Stilwechsel der Band spekulieren, man kann sich auch einfach zurücklehnen und das neue Album genießen.

Offizielles Blog von The Men
„Pearly Gates“ bei Youtube (weitere Songs von The Men im selben Channel)

(Cover: Sacred Bones Records)