Schlagwort: Rock

Die Nerven, 13.2.2014, Spielboden, Dornbirn (A)

Nerven-DSC_6960Das haben wir alles schon gehört: Grobe Rückkoppelungen, die weit weniger interessant sirren als noch bei Jimi Hendrix; hinausgeschriene oder sprechgesungene Texte, die vergleichsweise lange und simple Instrumentalpassagen nur kurz unterbrechen. Doch die Schwaben, der Name scheint Programm zu sein, treffen den Nerv und heben sich – wenn man das bei derart roher Musik sagen darf – wohltuend von den Indie-Rockern ab, deren Musik mehr vom Zeitgeist als vom musikalischen Selbstverständnis geprägt ist.
Dass ihre Texte kaum zu verstehen sind, der Bass nicht annähernd so schön knallt wie auf dem Album und auch sonst der Klang zu wünschen übrig lässt: Es tut dem Vergnügen keinen Abbruch. Wären Die Nerven Fotografen, so würden sie keine geleckten Bilder machen, sondern unscharfe und verwischte – atmosphärische Momentaufnahmen, die technisch mangelhaft sein mögen, aber umso mehr Ausstrahlung besitzen.
Das Trio geht kühl und doch engagiert zur Sache. Wenig Interaktion mit dem Publikum, wenig untereinander. Man freut sich eher im Stillen, wenn ein Übergang klappt oder der eher diffizile Abschluss eines Stückes.
Das von wem auch immer vergebene Attribut „Hipsterband für alte Szenesäcke“ führt das Trio auf ihrer Webseite als eine ihrer Lieblingsbezeichnungen auf. Tatsächlich erinnern Die Nerven an die Endsiebziger No-Future-Bands. „Was auch immer wir jetzt lernen, ist mit Sicherheit nicht wichtig/Was auch immer wir jetzt lernen, ist mit Sicherheit egal“, konstatieren sie nüchtern in ihrem Song „Albtraum“ und  dass sie nichts mehr erwarten. Dazu passen der rohe Klang und der immer wieder schwerfällige Rhythmus genauso wie ein Auftritt, der frei von Attitüden ist.
Noch hat sich offenbar nicht herumgesprochen, dass die Musik des Trios auf der von Bands wie Sonic Youth und Joy Division aufbaut. Es sind kaum „alte Szenesäcke“ da, für die ihre Musik sein soll. Das Publikum der Nerven ist überwiegend jung wie sie selbst. Doch bestehen können sie auch vor älteren Semestern – geht alle hin und hört.

Offizielle Homepage von Die Nerven und ihr Tourplan

(Foto: TheNoise)

Neko Case, Mojo Club, Hamburg, 29.11.2013

Neko Case & Kelly Hogan im Mojo Club, Hamburg (Foto: Helge Buttkereit)[caption id="attachment_2079" align="alignleft" width="219"]Neko Case & Kelly Hogan im Mojo Club, Hamburg (Foto: Helge Buttkereit) Neko Case & Kelly Hogan im Mojo Club, Hamburg (Foto: Helge Buttkereit)[/caption]

Sie wirkt zerbrechlich und etwas deplatziert, wenn sie auf der Bühne steht und singt. Denn Neko Case Haare sind zerzaust, sie trägt eine eher nach Freizeit aussehende Leggins und einen schlabbrigen Pullover. Neko Case steht nicht als abgeklärte Sängerin auf der Bühne des Hamburger Mojo Clubs an der Reeperbahn, als die sie nach 15 Jahren eigentlich zu erwarten wäre. Die mittlerweile 43-Jährige scheint an einem Scheitelpunkt ihrer Karriere angekommen zu sein, immerhin scheint sie die Depressionen überwunden zu haben, von denen sie in einem Interview mit dem Guardian erzählt hat. Case singt noch immer grandios, ihre Stimme schafft es weiterhin, die (zu wenigen) Zuschauer in ihren Bann zu ziehen und dabei dem Text einen ganz besonderen Ausdruck zu verleihen. Aber ist dies wirklich das Richtige für Neko Case? Hat ihr das jahrelange Leben auf der Bühne und auf der Tour nicht vielleicht doch so viel zugesetzt, wie man es in ihrem Gesicht zu erkennen glaubt, das eher nach Erschöpfung denn nach Freude aussieht? Viele Gedanken, die das immer zerbrechlich scheinende Äußere aufdrängt.

[caption id="attachment_2082" align="aligncenter" width="300"]Neko Case (Foto: Helge Buttkereit) Neko Case (Foto: Helge Buttkereit)[/caption]

Auf der anderen Seite wird sie von einer Band begleitet, die mit Case an der Gitarre sowohl ein grandioses Rock-Feuerwerk wie bei „Man“, dem Abschluss des regulären Sets, abliefern kann und die gleichzeitig die leisen Töne beherrscht. Dabei wird dann die Stimme von Neko Case besonderes in den Vordergrund gerückt. Ob „Maybe Sparrow“, „Set Out Running“ oder „The Tigers Have Spoken“ – die meist sanfteren Titel der vergangenen Alben spielen die Musiker um die langjährigen Weggefährten Jon Rauhouse (Gitarre, Steel Gutar und ein paar Töne Posaune) und Tom V. Ray (Bass) ebenso gekonnt wie die vielen Stücke des aktuellen Albums „The Worse Things Get, The Harder I Fight, The Harder I Fight, The More I Love You“. Ansagen und Scherze überlässt Case dabei Background-Sängerin Kelly Hogan, die ein wenig wie die Mutter der Kompanie wirkt und sicher auch eine gute Stütze für Neko Case ist. Sie lässt den Zuhörer und Zuschauer dann auch etwas beruhigter zurück, wenn das Konzert nach zu kurzer Zeit bereits zu Ende ist und auch die letzten nachhallenden Töne des Gesangs der Hauptdarstellerin verklungen sind. Für Neko Case scheint gesorgt und sie kündigt auch schon wieder weitere Konzerte an. Im Sommer komme sie zurück, sagt sie. Ein größeres Publikum sollte dann aber schon kommen, denn selbst wenn ein Neko-Case-Konzert nicht lange dauert. Es ist jede Minute wert.

Jimi Hendrix „Starting At Zero“

Starting at Zero von Jimi Hendrix[rating=4] ‚Posthume Autobiographie‘ mit überraschenden Einblicken

Inhalt ist die eine Seite, Posing die andere. Dass Jimi Hendrix seine Melodien mit den Zähnen gezupft, die Gitarre in Brand gesteckt und auf der Woodstock-Bühne die amerikanische Nationalhymne zersägt hat, galt immer als künstlerisches Statement. Mitnichten. Auf der Ochsentour als Mietmusiker hat er das „Hitparaden-R&B-Soul-Wohlfühlpaket“ heruntergenudelt, „komplett in Lackschuhen und mit ordentlicher Frisur“, und sozusagen von der Pike auf gelernt, wie man die Leute unterhält und dass es mitunter auch ein bisschen grober sein muss. Weil es so üblich gewesen sei, habe er in einem Kaff irgendwo in Tennessee angefangen, mit den Zähnen zu spielen. „Im Süden muss man das machen, wenn man nicht erschossen werden will“, erklärt er lakonisch. Dass er seine Gitarre geopfert habe, wenn er sie auf der Bühne verbrannte, wie er selbst erwähnte, war wohl auch höchstens die halbe Wahrheit – das Verbrennen war ein wohlkalkulierter Effekt. Er selbst sah sich durchaus als Entertainer und Showman.

Peter Neal, der 1967 den ersten Hendrix-Film „Experience“ drehte, hat die ‚Autobiographie‘ aus Notizen, Tagebucheinträgen, Schriften, Entwürfen sowie verbürgten Äußerungen montiert. Er beginnt mit der Geburt – Hendrix gibt vor, sich sogar noch an die Entbindungsschwester erinnern zu können – zeichnet seine schwierige Jugend nach, seinen freiwilligen Einsatz als Fallschirmspringer bei der Armee. Er lässt Hendrix aufführen, welche Musiker ihn beeinflusst haben und von seinen ersten Jahren als Sideman berichten.
Die Texte zeigen nicht nur, wie Hendrix seine Projekte vorantrieb, sondern geben auch überraschende Einblicke. Erwartungsgemäß durchgeknallte Statements wie „Die Sonne ist die Wahrheit, die auf uns herabscheint – an einem klaren Tag kann man bis in die Unendlichkeit sehen“ – zeigen seine zunehmende Spiritualität, seine Auseinandersetzung mit klassischer Musik offenbart wiederum, dass seine musikalische Wissbegierde kaum Grenzen kannte. Jimi Hendrix, der einerseits meinte, mit seinen abstehenden Haare Schwingungen empfangen zu können, andererseits Märchen von Hans-Christian Andersen oder A. A. Milnes „Pu der Bär“ las und gerne die Sterne beobachtete, war wohl wesentlich widersprüchlicher als er bislang gezeichnet wurde.

Die hier zusammengestellten Texte, in die immer wieder Liedtexte montiert sind, helfen mit, der tatsächlichen Person ein wenig näher zu kommen.

Bisherige Rezensionen zu Jimi Hendrix auf schallplattenmann.de

Offizielle Homepage von Jimi Hendrix

(Foto: Hörverlag)

Van Morrison „Moondance“ (Expanded Edition)

Van Morrison "Moondance" (Deluxe)

[amazon_image id=“B00DZJ82TY“ link=“true“ target=“_blank“ size=“medium“ class=“alignleft“]Van Morrison „Moondance (Expanded Edition)“[/amazon_image][rating=5] Ein echter Klassiker, neu poliert und  umfangreich ergänzt.

Mit den Begriffen ‚Rocklegende‘ und ‚Klassiker‘ ist man heute schnell zur Hand, gerade wenn man (wie ich) zu einer Generation gehört, die mit einiger Berechtigung glaubt, dass sie die besten Zeiten der Rockmusik miterlebt hat. Van Morrisons „Moondance“ ist allerdings tatsächlich eines jener Alben, das ohne jeden Zweifel die Bezeichnung Klassiker verdient, denn was die nordirische Rocklegende (jawohl, auch hier ist’s keine journalistische Übertreibung) Van Morrison im Februar 1970 mit einem guten Dutzend Musiker einspielte, war eine wahre Sternstunde der Rockmusik: Country, Rock, Rhythm & Blues und (hie und da) Jazz verschmelzten zu einer energiegeladenen und gleichzeitig entspannten Mischung, wie man sie zuvor noch nie gehört hatte.

Nun liegt das Album (endlich!) in sorgfältig remasterter Soundqualität vor – und mehr noch: Die „Expanded Edition“ bietet auf einer Bonus-CD elf weitere bisher unveröffentlichte Tracks, die während der Moondance-Sessions aufgenommen wurden: Diese Alternative Takes, Mono-Mixe und Outtakes zeichnen, gemeinsam mit den Originaltracks, ein präziseres Bild jener denkwürdigen Sessions nach und machen die außergewöhnliche Kreativität jener Tage greifbar. „Moondance“ hätte auch aus einer Fülle von Alternativen ganz anders klingen können – und dennoch wäre die Genialität dabei nicht verloren gegangen. Das Songmaterial, der ‚Sound‘ der Band, die Stimmung, die seinerzeit im Studio eingefangen wurden: All das führte offenbar geradezu zwangsläufig zu außergewöhnlich gutem Material, ein Highlight der Rockmusik aus Zeiten, bei denen Genre-Grenzen fließend und nicht trennend waren.

„Moondance“ ist in der Originalfassung ein immergrüner Glücksfall der Rockmusik. Durch das Bonusmaterial auf der „Expanded Edition“ wird das Album noch einmal aufgewertet und in einen größeren Kontext gesetzt oder, um es griffiger zu formulieren: Der Mond über „Moondance“ strahlt heller denn je.

Das Album erscheint nicht nur in der „Expanded Edition“, sondern auch in einer noch umfangreicheren „Deluxe Edition“ (4 CD/1 BluRay) und – für die Puristen – in der „Standard Edition“ als einfache CD mit dem remasterten Originalmaterial, ohne Bonustracks.

Promo-Video zur „Moondance: Deluxe Edition“ auf Youtube

Bisherige Rezensionen zu Van Morrison auf schallplattenmann.de

Offizielle Homepage von Van Morrison

Wikipedia-Artikel zu „Moondance“

(Bild: Networking Media)

Baptist Generals „Jackleg Devotional to the Heart“

[amazon_image id=“B00C3JU4KM“ link=“true“ target=“_blank“ size=“medium“ class=“alignleft“]Baptist Generals „Jackleg Devotional to the Heart“[/amazon_image][rating=2] Sperriger Titel, sperrige Musik, seltsame Band.

The Baptist Generals sind eine sechsköpfige Band aus Denton, Texas, die seit 1998 existiert und in dieser Zeit neben zwei EPs 2003 eine CD auf dem Label Sub Pop veröffentlichten. Danach herrschte für zehn Jahre Funkstille. Das hört sich nach einer Band für Eingeweihte an – und genau das sind sie auch.

Das wird sich mit dem neuen Album nicht ändern, denn  „Jackleg Devotional to the Heart“ bietet jede Menge verschrobene Musik und dazu Texte, die alles andere als eingängig oder direkt sind. Fast könnte man von einem „Konzeptalbum“ sprechen, denn ‚des Tölpels Andacht ans Herz‘, wie der Albumtitel frei übersetzt lautet, handelt von der Liebe und ihren Irrungen und Wirrungen. Natürlich nicht in der handelsüblichen Weise von »Uh, I love you, baby«, eher schon in der Art von »You won’t answer my call« („Dog that bit you“). Aber keine Sorge: Flemmons und seine Truppe haben hintergründigen Humor und neigen deshalb nicht zum Selbstmitleid, sondern loten das Thema auf ihre eigene Art aus. Da nölt der Sänger, dass ’sie‘ genauso lügt wie seine Mutter oder dass er aus nicht aus dem Pub kann, weil keine Seife da ist und es erklingen mal folkige, mal rockige Töne, doch schon bei „Thunders and Overpasses“ oder „Broken Glass“ wird der Hörer für Augenblicke an Kraftwerks „Autobahn“ erinnert. Kein Wunder bei einer Truppe, die sich nicht alleine amerikanischem Folk-Rock, sondern ebenso dem Experiment verbunden fühlt und genauso über „3 Bromide“ singt wie über „Broken Glasses“.

Sofern möglich, wird’s beim zweiten Teil des Albums („Type B“ genannt) noch schräger. Der Folk macht Pause und filgrane Streicherarrangements treffen auf Geräusche. Konstant bleibt Flemmons nasale Stimme, die auf Dauer etwas anstrengend ist: Nein, dies ist definitv nicht die x-te Version einer ‚Indie-Rock-Band‘.

Hat sich das Warten also gelohnt? Wartete überhaupt jemand? Egal, wer Lust hat, mal etwas Unerwartetes zu hören (und Spaß daran, verrätselte Texte zu entschlüsseln), findet mit „Jacklegs Devotional to the Heart“ das Passende.

Offizielle Website der Baptist Generals

Album beim Label Sub Pop mit Klangbeispielen

Sallie Ford & The Sound Outside, 14.6.2013, Molotow, Hamburg

Sallie FordSallie Ford und ihre Band traten am Freitagabend im abrißbedrohten, angeblich einsturzgefährdeten „Molotow“ auf der Hamburger Reeperbahn auf. Honi soit qui mal y pense: Seit bayerische Investoren ihre Hände auf die ebenso schmuddeligen, wie markanten „Esso“-Häuser gelegt haben, ist auch das „Molotow“ akut gefährdet.

Sallie Ford aus Portland, Oregon und ihre Männer wissen vermutlich nichts darüber, obwohl Mrs. Ford mit zarten 17 bereits Hamburg bereiste und vergeblich das ‚Sex Museum‘ suchte, wie sie im Verlaufe des Konzertes wissen ließ. Nach einem etwas verhaltenen Anfang wurde Sallie Ford, die immer noch aussieht wie Tante Ingrid 1965 mit Schmollmund, Schmetterlingsbrille und Lockenkopf, zusehends lockerer. Analog dazu stiegen die Temperaturen im Kellerclub. Ihr fantastischer Gitarrist Jeff Munger brachte die 100 bis 150 Zuschauer mit seinen Künsten ebenso in Stimmung wie Sallie Ford mit ihrer kraftvollen Stimme. Der Rock’n’Roll mit Titeln wie „I’m addicted“ oder „Bad Boys“ fährt eben direkt ins Bein. Dazu flackerte die Disco-Kugel im liebevoll und sorgfältig heruntergekommenen Ambiente.

Obwohl sie und ihre Band wie eine brave, schüchterne Studententruppe aussehen, behauptet Sallie Ford von sich, sie sei ein „Untamed Beast“ (so der Titel ihres aktuellen Albums, Anm. d. Red.), was wir mal so stehen lassen wollen. Jedenfalls fand sie den Kontakt zum Hamburger Publikum: Sie sang, tanzte ein wenig, bearbeitete ihre Gitarre und spielte mit den Zuschauern. Ihre Stimme wurde mit jedem Song selbstbewusster und druckvoller.

Der Sound war anfangs gut ausgesteuert, mit zunehmender Lautstärke (die allerdings niemals gesundheitsgefährdend war) wurde er leider ‚breiiger‘: Der Funke sprang dennoch über. Selbst zaghafte Ansätze von ‚Stage-Diving‘ von Ms. Ford und Mr. Munger, die im Mittelpunkt der Show stehen, wurden gesichtet: Da stiegen Sallie Ford und Jeff Munger einfach mal ein, zwei Schritte von der kleinen Bühne herunter und mischen sich unters Fan-Volk. Dazu gab es für zwei Titel „Wunschkonzert“. Die Band bot eine angerauhte Version von Blondies „Heart of Glass“ und „Fist City“ von Loretta Lynn. Bei einem kleinen Singalong darf das gut gelaunte Publikum den Chor mimen und – na klar – Sallie Ford »loves Hamburg«.

Schnell vergehen so 60 Minuten. Auf und vor der Bühne nuckelt man genüsslich am Flaschenbier und bewegt, je nach Temperament, das Spielbein oder zelebriert den Freistiltanz zu den gefälligen Klängen. Es war voll aber es blieb Bewegungsfreiheit im kleinen „Molotow“ und alle hatten eine gute Zeit.

Als eine von zwei Zugaben erklang dann Bob Dylans „Walking down the Line“, einem Song aus dem Jahre 1962, der als Beleg dafür herhalten mag, dass Sallie Ford und ihre Jungs Geschmack haben und die Rock’n’Roll-Geschichte mit Gewinn studiert haben. Also keineswegs „Fuck that“ wie ein etwas herberer Titel des Konzertes hieß, sondern eher „It’s only Rock’n’Roll, but I like it“. Mehr davon, bitte!

Als die Lichter nach ungefähr 75 Minuten wieder angingen, waren Band und Publikum gleichermaßen zufrieden und man stieg aus den Katakomben der Rockmusik hinauf zur Reeperbahn, wo die trunkenen Massen lautstark ihre ‚Paadie‘ feierten …

Offizielle Homepage von Sallie Ford

(Foto: Klaus Wenzel)

Anouk „Sad Singalong Songs“

Anouk "Sad Singalong Songs"

Anouk [rating=4] Wie der Titel schon sagt: Traurige Lieder zum Mitsingen

Ich gebe zu, ich habe seit vielen Jahren eine morbide Schwäche für die große Trash-Veranstaltung, die allgemein unter dem Namen „Eurovision Song Contest“ bekannt ist. Jahr für Jahr kann ich mich der schaurig-schönen Faszination der bombastischen Knalleffekte, der gewagt-geschmacklosen Outfits und der missglückten Choreographien von mehrheitlich mindertalentierten One-Hit-Sternchen nicht entziehen. Praktisch: Mit der Musik braucht man sich üblicherweise nicht weiter zu beschäftigen: Da hört man schon vier Wochen nach dem Klamauk den Sieger-Titel  nur noch mit ganz viel Pech im Radio (von allen anderen ganz zu schweigen) …

Manchmal, aber wirklich nur manchmal, landen bei ESC aber auch Künstler, die da eigentlich nichts zu suchen haben. In der Regel gehen sie im allgemeinen Geschrei, Getanze, Gehupse und Popo-Gewackel unter. Mit der niederländischen Sängerin Anouk hätte zumindest ich niemals auf so einer Show-Veranstaltung gerechnet. Ihr überzeugender, aber schmuckloser Auftritt in Malmö landete zwar im vorderen Teil der Endabrechnung, wirkte aber mit seiner bescheidenen Zurückhaltung letzten Endes auf verlorenem Posten.

Anouk? Moment einmal: War das nicht diese blondgemähnte Powerfrau, die in den Neunzigern sich und allen anderen versprach niemandes Ehefrau („Nobody’s Wife“) zu sein? Well, das ist lange her. Mittlerweile ist Anouk zur echten Charaktersängerin gereift. Mit jedem Album entfernt sie sich ein Stück vom Rockröhren-Image, das weder zur vierfachen Mutter (und Ex-Ehefrau), noch zu ihren stimmlichen Möglichkeiten passt. Denn Anouk, die »beste Sängerin der Niederlande«, kann deutlich mehr als sich durch rockige und soulige Power-Nummern zu blöken.

Mit „Sad Singalong Songs“ legt sie nun ein Album vor auf dem man, wie der Titel schon suggeriert, schön traurige Lieder zum Mitsingen findet. Kleine, trübselige Ohrwürmer, die von Anouks samtig-weichem, dunklen Timbre veredelt werden: Schicksalhafte Momente im Leben einer Frau, in ehrliche Worte gefasst und mit bittersüßen Melodien veredelt. Neben dem ESC-Song „Birds“ bestechen auch der Opener „The Rules“, „Pretending As Always“, „The Good Life“, „Kill“ und „I Don’t Know Nothing“, letzterer erinnert mich an die bezaubernde Carly Simon in ihren besten Zeiten.
Überhaupt ist es bemerkenswert, wie viel Mut zum Altmodischen, nein, zur Zeitlosigkeit Anouk und ihr Produktions- und Musikerteam auf dem Album bewiesen haben. Die aus Den Haag stammende Sängerin singt die Töne ganz einfach (und ganz lange) aus, keine Tricks, kein Auto-Tune, keine dramatisch-affektierten Endlos-Modulationen (sprich: kein Gejodel), keine rauchige Reibeisen-Stimme und keine Uptempo-Nummern fürs Radio, einfach nur Sad Singalong Songs.

Eine besondere Erwähnung verdienen die hinreißenden Arrangements für Streicher (und Chor), die Keyboarder und Co-Komponist Martin Gjerstad geschrieben hat und die das Album (neben Anouks Stimme) so hörenswert machen. Wie groß sein Anteil am Gesamtsound von „Sad Singalong Songs“ ist, kann man erahnen, wenn man feststellt, dass der einzige Song an dem er nicht mitschrieb, nämlich „Only A Mother“, auch gleichzeitig die einzig schwache Nummer auf diesem ansonsten wirklich bemerkenswerten Output ist. Insgesamt aber gilt: Ein Album zum Durchhören und Genießen.

Schallplattenmann-Leser können jetzt Anouks „Sad Singalong Songs“ gewinnen. Zwei Ausgaben des Albums stehen zur Verlosung bereit. Wie das geht, steht → hier.

Bisherige Rezensionen zu Anouk auf schallplattenmann.de

Offizielle Homepage von Anouk

(Bild: MCS)

Treetop Flyers „The Mountain Moves“

Treetop Flyers [rating=2] Aus dem regnerischen London des Jahres 2013 ins sonnige Kalifornien des Jahres 1973.

Die Treetop-Flyers bitten zum musikalischen Rundflug über die sonnigen Gefilde Kaliforniens. Ihre kleine Sound-Maschine hat, man staune, die Qualitäten eines Star-Trek-Kreuzers und führt die Hörer per Zeitreise unvermittelt zurück in die späten sechziger und frühen siebziger Jahre.

„Things will change“ versprechen sie auf dem ersten Titel ihrer Debüt-CD, aber bereits nach den ersten Takten meint man, eine Art zellregenerierte Version von Crosby, Stills, Nash & Young zu hören. Immerhin, dem Stephen-Stills-Song „Treetop Flyer“ verdankt die Band den Namen. Sanfter Westcoast-Sound also, und warum auch nicht? Ob du aus Süd-London, wie die Band, oder Südkalifornien kommst, ist bekanntlich ’sowas von egal‘ – zumindest solange das Ergebnis stimmt. Und das tut es, auch wenn ältere Hörer immer wieder die Originale durchklingen hören. Die Jungen freut es, denn Spielchen wie ‚Finde das Vorbild‘ und ‚Finde den Unterschied‘ sind stets aktuell. Damit der Klang ganz authentisch wirkt, begab die Band sich nach Übersee ins amerikanische Studio. Angeblich flogen draußen die Adler vorbei, während drinnen die Songs eingespielt wurden.

So nett wie diese Anekdote ist das ganze Debüt der Band. Das ist handwerklich schon mal gut gemacht, aber die eigene Handschrift darf noch  deutlicher werden. Anders als bei den Vorbildern aus den ‚old days‘ fehlen nämlich hier und da noch Ecken und Kanten. Von Dämonen wird keiner geplagt: alles im grünen Bereich, sozusagen.

Weil es von düsteren Songs aber ohnehin genug gibt und der Sommer dieses Jahr wieder nicht in unsere Gefilde zu kommen plant, erscheint das Album der Treetop Flyers genau zur rechten Zeit. Und, nicht zu verachten: Der Harmoniegesang ist besser als bei CSN&Y, die Gitarren sind gut gestimmt und der Sound klar – die Jungs haben Potential. „Is it all worth it“, fragt der letzte Titel zweifelnd und wir antworten: „geht durch“. Und: das liebevoll gestaltete Cover ist ein kleiner Extrabonbon.

Offizielle Homepage von Treetop Flyers

Treetop Flyers „The Mountain Moves“ in voller Länge auf soundcloud.com streamen

Kassette „Far“

Kassette [rating=2] Von schön wuchtig bis überwiegend kunstgewerblich

»Who needs Boys, when Girls got Guitars«, fragten einst die Voodoo Queens und droschen auf selbige ein – egal, ob Jungs oder Klampfen. Das ist eine Weile her, aber das Bedürfnis junger Frauen, Stromgitarren zu spielen, hat sich damit selbstverständlich nicht erledigt. Gut so!

Laure Betris, Mise en Scene bei Kassette, legt ihr drittes Album „Far“ vor. Was hören wir dort? Laute, sehr laute Gitarren und etwas eindimensionalen Gesang, der bei weitem nicht an die stimmlichen Möglichkeiten ihrer Landsfrau Sarah Palin heranreicht. Das macht jedoch nichts – oder zumindest nicht allzu viel. Man kann bei Laura Betris Gesang durchaus an Laurie Anderson denken, aber man könnte auch Mazzy Star heranziehen, wobei deren Sängerin weitaus statischer war. Die Klangassoziationen sind noch vielfältiger und reichen von den Stooges bis hin zur neuesten, handelsüblichen Indie-Gitarrenband.
„Lost Hills“, der Eingangssong, spielt ganz hübsch mit Laut- und Leise-Effekten und das folgende „Dream Again“ hat einen halligen, verwehten Sound, der vor allem dann gut mit dem Gesang harmoniert, wenn die Gitarrenwand die Stimme überlagert. Laut hören! Ebenso „Questioning“. Dann kommt der ‚poetische‘ Zug im Wesen der jungen Künstlerin zum Vorschein, was leicht ambitioniert – und etwa im Titelsong „Far“ – kunstgewerblich wirkt, und der Spannungsbogen sackt ab.

Gegen die Wiederholung der Ideen helfen dann die aufgedrehten Verstärker leider nicht. Immerhin: Auch die großen, britischen Vorbilder kochen nur mit Wasser. Und der direkte Sound gefällt. Er klingt, als ob Kassette die Songs teilweise live im Studio eingespielt hätten.

Auch wenn es zum zum großen, unverwechselbaren Wurf noch fehlt: ‚Sound and Vision‘ sind durchaus erkennbar. Live fegen Laure Betris und Kassette bestimmt das Bierglas vom Tisch, und für die CD gibt’s die Skip-Taste.

Offizielle Homepage von Kassette

(Foto: Irascible)

Rokia Traoré „Beautiful Africa“

Rokia Traoré [rating=3] Von gefühlvoll bis ausgelassen – Afropop mit rockiger Note

Man kann es Rokia Traoré nicht verdenken, dass ihr neues Album ein Stück weit eingängiger klingt als frühere. Denn auch wenn sie im Titelstück explizit auf die aktuellen gewaltsamen Auseinandersetzungen in verschiedenen afrikanischen Ländern verweist und ihre Mitmenschen zum verständnisvollen Dialog aufruft, befinden sich ihr Publikum und die Käufer ihrer CD überwiegend in Europa. Als Diplomatentochter ist sie nicht nur mit der heimischen Musik eines Sori Kandia Kouyaté aufgewachsen, sondern hat genauso selbstverständlich die Chansons von Joe Dassin, Janis Joplin und die Dire Straits gehört.

Rockmusik, hat die malische Musikerin gesagt, habe sie dazu bewogen, Gitarre zu lernen. Und jetzt rockt auch sie, wobei die verzerrte Gitarre zwar immer wieder hervorsticht, sich aber gleichermaßen an ihre Songs schmiegt. Doch auch wenn Rokia Traoré rockige Klänge in mehr als homöopathischen Dosen verabreicht, macht das „Beautiful Africa“ noch lange nicht zum Rockalbum. Den Auftakt macht ein treibend-simpler Blues („Mala“), der in Mali längst in seiner eigenen Spielart beheimatet ist. Das von einer gefühlvoll gespielten Ngoni begleitet „N’Teri“ und das teilweise in Englisch gesungene „Sarama“ sind berührende Balladen, und mit den leicht funkigen Up-Tempo-Stücken „Tuit Tuit“ und „Beautiful Africa“ zeigt Rokia Traoré ihre ausgelassene Seite. Dass sie mit letzteren in die Fußstapfen von Sängerinnen wie Angelique Kidjo tritt, schadet dem Vergnügen keineswegs.

Bisherige Rezensionen zu Rokia Traoré auf schallplattenmann.de

Offizielle Homepage von Rokia Traoré

(Foto: Outhere)