Schlagwort: Singer/Songwriter

Kristoffer and the Harbour Heads „EX/EX“

kristoffer_and_the_harbour_heads_ex_ex_album_cover_150dpi[rating=3] Nicht die Zukunft des Rock’n’Roll, aber ein gut hörbares Album

Das schwedische Trio um den Sänger, Songwriter und Multiinstrumentalisten Kristoffer Ragnstam aus Göteborg ist seit 2010 aktiv. „EX/EX“ ist ihre dritte und bislang ausgereifteste Veröffentlichung. Eingespielt wurde das Album laut eigener Mitteilung in nur vier Tagen in einem Studio in Los Angeles und anschließend  in den berühmten Muscle Shoals Studios in Alabama gemixt. Man könnte bei dieser direkten Herangehensweise natürlich an einfachen, eingängigen Rock denken, aber das Trio bietet verspielten Indie-Pop mit elektronischen Helferlein wie Drum-Computer und Synthesizer. Allerdings ging der rasanten Produktion nach Angaben der Band ein intensives Jahr der gemeinsamen Vorbereitung und Songwritings voraus. Und bei der Produktion im Studio half Bruce Salter, ein Mann, der auch schon mit ‚Boss‘ Bruce Springsteen zusammengearbeitet hat.

Die Songs haben bisweilen etwas Kollagenhaftes und nehmen gerne Anleihen beim Psychedelic-Pop der Sechzigerjahre. Kristoffer und die Harbour Heads (Bassist und Gitarrist Joel Lundberg und Emil Rindstad an Keyboards und Schlagzeug) haben sich fleißig durch den Katalog der englischen und amerikanischen Pop-Psychedelia gehört, setzen ihre Hörerlebnisse jedoch charmant, clever und zeitgemäß um, und keineswegs als reines Retro-Projekt. Die vorab veröffentlichte Single „When you say stay“ widmet sich dem Thema der Migaration nach Europa, im dazu gehörenden Video tauchen ein nun in Deutschland lebendes Mädchen aus dem Libanon sowie ein Zebra auf. Ragnstam war vor seiner Zeit bei den Harbour Heads als Singer/Songwriter tätig. Das brachte ihm den zweifelhaften Spitznamen ‚der schwedische Beck‘ ein. Gemeint ist damit nicht der schwedische Kommissar des Autorenduos Maj Sjöwall und Per Walhöö, sondern der amerikanische Musiker Beck Hansen. Aus dieser Singer/Songwriter-Phase erklärt sich dann wohl auch, dass Kristoffer Ragnstam nicht vor ernsteren Themen zurückschreckt. Übergeordnetes Thema seiner Songs seien Beziehungen, die in die Brüche gegangen sind. Auch bei „When you say stay“ geht es in einem weiteren Sinn um menschliche Beziehungen. Wie man weiss, sind die Begegnungen zwischen Einheimischen und  den Fremden nicht immer einfach oder konfliktfrei.

Ragnstam ist als Sänger zwar weder besonders markant, noch unverwechselbar, und die Songs wirken durch die Anleihen beim Sechziger-Pop als ob man sie bereits gehört hätte. Trotzdem verbreitet „EX/EX“  mit seinen neun Songs eine entspannte Athmosphäre. Es ragen weniger einzelne Titel heraus, vielmehr entsteht eine Art Klangteppich, der mit durchaus neuen Mustern – hier abschnittsweise Harmonien und Sounds aus der klassischen Rockära, dort moderne elektronische Umsetzung und aktuelle Songthemen – durchaus gefällt. Kristoffer and the Harbour Heads bringen uns nicht die Zukunft des Rock’n’Roll, haben aber ein gut hörbares Album abgeliefert.

(Cover: Pop-Up Records)

Milow „Modern Heart“

milow[rating=3]Der Belgier Milow scheint ein Optimist zu sein, oder aber zumindest ein moderner, aufgeklärter Mann.

Milow denkt sich vermutlich nichts dabei, seine nunmehr fünfte Platte am Freitag, den 13. zu veröffentlichen. Das Dunkle, Mystische war ohnehin nie sein Thema, auch wenn es in „Howling at the Moon“ auf den ersten Blick so scheint. Dabei geht es in dem Song um „mehr Licht“, wie Milow erläutert: es sei „ein total einfacher Folksong mit sommerlichem Flair“. Stimmt, man kann den Titel gut an einem sommerlichen Tag hören, vielleicht in einem Café am Wasser. Trotzdem ziehen die Songs nicht einfach vorüber wie ein laues Lüftchen, und inhaltlich geht es auch weniger um Girls, Eiscreme oder den endlosen Sommer. Dafür ist Milow denn doch zu erwachsen und ernsthaft.
So finden sich in seinen neuen Liedern durchaus Themen wie soziale Vereinsamung trotz steter Online-Verfügbarkeit („Lonely One“), oder – wie in „The Fast Lane“ – auch um Reminiszenzen an die eigene Kindheit in einer belgischen Kleinstadt: „I’m from a town where nothing ever takes you by surprise (…) I know that’s why I pushed so hard to get out of there“. Einen „Soundtrack für Sorgen, Zweifel und Träume“, den Milow nach seinem Bekunden mit „Modern Heart“ schaffen wollte, hören da jedoch höchstens notorisch Depressive heraus. Denn das Rastlose, Zweifelnde mancher Textzeile wird in der Regel von einer eher fröhlichen Melodie wieder in die Schranken verwiesen.
Gleiches gilt stilistisch: Milow sagt, er habe etwas Neues ausprobieren, sich weiter entwickeln und aktuelle Klänge adaptieren wollen. Die Vielzahl der beteiligten bekannten Produzenten und Songschreiber bleibt aber glücklicherweise überwiegend unaufdringlich. Im Vordergrund stehen, wie gewohnt, Milows Stimme und seine akustische Gitarre. Daran ändern auch orchestrale Elemente, Elektronika oder Drumbeats nichts, und das ist auch ganz gut so. Allzu groß sind die Unterschiede zu den vier vorigen Alben also nicht. Aber man trifft auf von dem Sänger so bislang nicht gehörte Elemente. Sie erweitern und ergänzen das bekannte Klangspektrum Milows, ersetzen es jedoch nicht.
Milow operiert wie gewohnt im Singer-, Songwriter-Genre und macht das auf seine eigene Art auch ganz gut. Fröhliche Melodien und durchaus nachdenkliche Texte sind bei ihm kein Widerspruch, aber der Weltverbesserergestus vieler Folkies fehlt ihm. Gut acht Jahre nach seinem bislang größten Erfolg mit dem 50-Cent-Cover „Ayo Technology“ bietet „Modern Heart“ also den vorsichtigen Versuch einer Modernisierung seiner Musik. Insgesamt ein angenehmes Album für den Sommer, das man auch im Herbst noch hören kann.

Ashia Bison Rouge „Oder“

Ashia_Bison_Rouge_Oder[rating=4] Vielstimmig und intensiv

Erst sorgte es in der populären Musik bei einzelnen Stücken für die bestimmende Klangfarbe, später wurde es bei Gruppen wie Rasputina und Apocalyptica zum zentralen Instrument: Das Cello hat in der Popmusik seit Jahrzehnten seinen festen Platz. Auch beim neuen Album von Ashia Grzesik steht es im Mittelpunkt. Die Cellistin und Sängerin hat sich ihrer Begleitmusiker entledigt, sich deren Namen Bison Rouge einverleibt und spielt – bis auf wenige Ausnahmen – solo und trotzdem vielstimmig. Sie loopt einzelne Sequenzen, schichtet die Spuren übereinander. Zum Teil schickt die in den USA aufgewachsene Polin die Töne auch durch Effektgeräte. Das Prinzip ist bekannt – der Schweizer Bassist Mich Gerber setzt es schon seit den 90er-Jahren ein –, doch Ashia Bison Rouge fügt eine weitere, tolle Facette hinzu.

Das Cello scheint ein für dieses Prinzip ideales Instrument zu sein. Es deckt den Bereich der männlichen Stimme ab. Ashia Bison Rouge, kann ihre kräftige Stimme mit einem ordentlichen Bass unterlegen oder ihren Stücke mit einer Art Streichquartett einen klassischen Touch geben. Und gezupft wird das Cello auch zu einer kleinen Rhythmusmaschine. Wenn Ashia Grzesik höhere Töne braucht, holt sie sich eine Geige dazu, mitunter ist auch eine Ukulele zu hören.

Der Albumtitel „Oder“ verweist auf den Strom, der Polen und Deutschland trennt. Beide Länder spielen in der Biographie der Künstlerin, die derzeit in Berlin, lebt eine Rolle. Die Stücke sind auch eine Auseinandersetzung mit ihrer Herkunft, der Song „Dig In Our Roots“ kündigt das schon im Titel an. Ihre – mit Ausnahme des auf Polnisch gesungenen Titelstücks „Oder“ –überwiegend stimmungsvollen und gelegentlich melancholischen Stücke singt Ashia Bsion Rouge in Englisch. Die Melodie des romantischen „Hold and Fall“ erinnert an Gershwins „Summertime“. Die durch repetitive Loops zwangsläufig redundanten Passagen mancher Stücke bringen sie in die Nähe der Minimal-Music, auch wenn sie keineswegs die suggestive Kraft der Kompositionen eines Philip Glass ausstrahlen. Dafür hat Ashia Bison Rouge ihre kraftvolle Stimme, die sie nicht nur akzentuiert und energisch, sondern durchaus auch subtil einsetzt.

Offizielle Homepage von Ashia Bison Rouge

(Foto: Jaro)

Jochen Distelmeyer „Songs from the Bottom Vol. 1“

distelmeyer[rating=3] Teils erstaunlich, teils langweilig

Jochen Distelmeyer, vormals Vordenker von Blumfeld und nummehr Teilzeit arbeitender Schriftsteller, gönnt sich eine kreative Pause. Er veröffentlicht ein Cover-Album mit gut abgelagerten Songs von Joni Mitchell, Al Green und sogar Pete Seegers „Turn, turn, turn“, das die meisten wohl von den Byrds kennen. Das klingt ganz gut, auch wenn die Welt sicher weder auf die folkpopige Version von Lana del Reys „Video Games“ gewartet hat noch auf die x-te Fassung des Seeger-Songs. Zwar gibt es viele Interpretationen fremder Songs, die das Original um Längen schlagen. Wer denkt bei „All along the Watchtower“ an Bob Dylan? Nicht der Songwriter, sondern Jimi Hendrix hat den Song berühmt gemacht. Ganz so kongenial ist Jochen Distelmeyer nicht. Ihm gelingt jedoch ein unaufgeregtes, von intellektuellem Ballast weitgehend befreitetes Album.
Wobei: So ganz ohne intellektuellen Überbau geht es bei einem Protagonisten der Hamburger Popschule natürlich nicht. Im bekannten anspielungsreichen und diskursverliebtem Jargon der Hamburger Schule lässt uns Jochen Distelmeyer einiges wissen: Den Titel des Albums verdankt er einem Kevin Ayers-Song. Die Songs spielte er während der Lesungen seines Romandebuts „Otis“. Die Titelauswahl hängt mit den Themen zusammen, die er darin verarbeitet hat – Hadesfahrten, Löcher, Leaks, Sexual Politics der Antike, Flüchtlinge und Kriegsheimkehrer – kurz: „Gesänge aus Basements, Backyards und tieferen Schichten“, so Jochen Distelmeyer.
Das klingt nach einem großen, wenn nicht gar großspurigen Versprechen. Er kommt ihm nicht immer nach. Distelmeyer hat eine angenehme Stimme, die Begleitung bleibt zurückhaltend. Bei der Songauswahl – darunter auch Britney Spears „Toxic“ und „Bittersweet Symphony“ von Verve – zeigt er eine schöne stilistische Spannweite, die durch den Gesang und die reduzierten Arrangements erstaunlich homogen klingt. Und Jochen Distelmeyer zeigt, dass er auch richtig gut sein kann – zum Beispiel beim Avici-Dancefloor-Knaller „I could be the One“. Perlende Klavierakkorde, Hall, akustische Gitarre, sparsame Synthiarrangements, gepflegte Melancholie – hier passt alles wunderbar. Womit wieder einmal bewiesen wäre, dass vermeintlich seelenlose Musik für den Massenmarkt und intellektuelle Musiker sich im Pop-Universum durchaus bestens vertragen können.
Fazit: nicht die Zukunft des Pop, aber zumindest ein gutes Album.

Swaying Wires „I Left a House Burning“

BATTLE046_72DPI[rating=3] Bekannte Mischung, aber gekonnt angerichtet. Macht Appetit auf mehr und vermag bis zum Frühjahr mit wohligen Klängen zu wärmen.

Es ist kalt. Was hilft da besser als verträumter Folkpop aus Finnland? Das mögen auch die Swaying Wires gedacht haben, als sie die Veröffentlichung ihres zweiten Albums in den Wintermonat Januar legten.
Zwei Jahre sind seit ihrem Debut vergangen, es gab einige Tourneen und Streitigkeiten, aber die Stimme von Sängerin Tina Karkinen klingt immer noch glasklar, hell, verträumt. Stellenweise ergänzt ein Hauch von Melancholie die zunächst sehr sanfte Atmosphäre des Albums. „Dead Bird“ beginnt verhalten, die akustischen Gitarren und die dezente Rhythmusgruppe bilden einen perfekten Klangteppich für Karkinen und ihre Texte. Mag man hier noch von der vermeintlichen Lagerfeuerromantik eingenommen sein, so zeigen sich doch subtil kleine Störungen: »I see the wing of a dead bird … a view for sore eyes«. Unversehends gesellen sich dunkle Schatten zum schönen Abend in der freien Natur. Bereits im nächsten Song, „Nowhere“, zieht das Tempo an und die elektrische Gitarren werden schon mal etwas lauter.
Man mag sich in „Tuesdays Bells“ an die zu Unrecht unbekannt gebliebene englische Band Whistler erinnert fühlen, die ähnliche Songs mit entsprechender Stimmung produzierte, aber das sind vage Reminiszenzen. Gehen wir mal davon aus, dass die Band sich fleissig durch den Katalog des Folkpop, der aktuelleren Psychedelia und anderes gehört hat. Entscheidend ist jedoch immer noch, was man aus all den Einflüssen macht.
Tina Karkinen singt ihre Songs als hätte sie nie etwas anderes gemacht. Sie beherrscht, bei aller Begrenzung ihrer Stimme, souverän die Register der Genres, in denen sich der musikalische Rahmen bewegt. Mehr noch: Die Welt ist – zumindest in musikalischer Hinsicht – klein geworden. „Surrender“ könnte ebenso gut in einem Studio irgendwo in Amerika aufgenommen worden sein, was als Kompliment gemeint ist. Auch die Produktion ist erstaunlich reif für eine noch junge Band. Alles wirkt wie aus einem Guss, alles passt.

Respekt. Die Swaying Wires lassen auf ihrer zweiten CD „I left a House Burning“ einen eigenen Klangkosmosentstehen, der den Hörer für eine Dreiviertelstunde auf eine Reise mitzunehmen vermag – obwohl es auch einige schwache Momente gibt. „Suddenly“ etwa klingt mit seinen Chören und dem Mellotron zu sehr nach Westcoast-US-Pop der schlimmeren Sorte. Zweifellos wäre es auch nicht schlecht gewesen, Karkinens zarter Mädchenstimme hin und wieder irgend etwas Biestiges entgegenzusetzen, eine sägende Gitarre etwa oder eine männliche Reibeisenstimme. Das dachte die Band wohl auch. So kommen in „Fear“ immerhin die E-Gitarren etwas stärker aus der Deckung und Karkinens Stimme wird eher wie ein Instrument eingesetzt. Obwohl der Song mit Glockenspiel-Klängen lieblich endet, läßt er durchaus Anklänge an Psychedelia erkennen. Doch wo Furcht ist, wächst auch die Hoffnung. Daher folgt auf „Fear“ das Stück „Hope“ – vielleicht eine Kostprobe finnischen Humors. Kurz vor Schluss wird es in „Ways to Remember“ mit Piano und dezenter Streicherbegleitung noch einmal balladesk. Und süß, fast zu süß.

Planeausters „Humboldt Park“

Planeausters_Cover_Believe[rating=3] Erstaunlich Reifes aus der Provinz

Was bedeutet Rockmusik heute? Ein gigantisches Geschäft, Konzertarenen, in denen man für viel zu viel Geld die Band des Abends auf grobkörnigen Videoleinwänden sehen kann. Oder wahlweise Mehrzweckhallen mit mieser Akustik und überhöhten Getränkepreisen. Irgendwo in weiter Ferne stehen alte Männer auf der Bühne und spielen die Songs unserer Jugend. Das ist alles recht traurig, erfüllt aber offenbar seinen Zweck.
Dann kommt wieder eine Platte wie „Humboldt Park“ ins Haus, von einer deutschen Band namens Planeausters. Aus Ravensburg! Hier ist das Ergebnis umgekehrt zum abgeschmackten Rockzirkus: Man erwartet wenig und wird aufs Angenehmste überrascht. Nicht, dass die Planeausters die Zukunft des Rock’n’Roll verkörperten oder mit ungehörten Ideen aufwarteten. Die drei Jungs machen es so wie viele andere junge Bands. Sie erzählen ihre eigenen Geschichten, sie spielen ihre Songs, und beide nehmen eine mit auf eine Reise. Sänger und Gitarrist Michael Moravek hat sich durch den goßen Fundus amerikanischer Singer-Songwriter gehört und kann bei Bedarf auch den jungen Dylan zu neuem Leben erwecken – wie etwa in „Stranger in a Stranger’s Clothes“, das beinahe klingt wie His Bobness 1969. Der Song „Never Forget“ erinnert dagegen an amerikanischen Desert-Rock; er funktioniert prächtig und wirkt weit weniger epigonal als man zunächst denkt.

Moravek und seinen beiden Mitmusikern gelingt mit „Humboldt Park“ das Kunststück, Altes und Bekanntes mit Neuem zu einem eigenständigen Klang zu vermischen. Das liegt unter anderem daran, dass der Mann überzeugend Geschichten erzählen kann. Hinzu kommt, wie in „Wouldn’t say it’s over“ oder „The Golden Days of Missing you are over“, ein gewisser lakonischer Humor. Dazu sind Gesang und Musik angenehme unaufgeregt. Sicher, Moraveks Gesang zeigt ab und an noch zu sehr seine Bewunderung für Mike Scott von den Waterboys. Und mitunter weisen nicht nur Gitarrensound, Bass und Drums, sonder auch Melodien und Songaufbau deutliche Anklänge an große Vorbilder auf. Trotzdem: Für die relativ junge Band aus Ravensburg ist das mehr als respektabel.

Eingespielt wurde „Humboldt Park“ in Chicago, in einem Studio, das sich in der Nähe des Humboldt Parks befindet – einem jener Orte, die man bei Einbruch der Dunkelheit dem Vernehmen nach meiden sollte. Die Themen der Planeausters sind trotzdem weniger urbane Gewalt oder die Hektik der Großstadt. Ihre Musik folgt eher dem Kompass der Sehnsucht nach Freiheit und Weite, also uramerikanischen Mythen. Und ihre Texte thematisieren die ewige junge Erfahrung von Liebe und Enttäuschung, drehen sich also um das große Ganze, das sie mit einer angenehmen Mischung aus Humor und Melancholie präsentieren.
Die Arrangements sind allerdings überwiegend sparsam: Hier spielen überwiegend drei Typen Gitarre, Bass, und Schlagzeug, und einer singt. Und auch wenn man gelegentlich eine Mundharmonika, eine Orgel und auch mal eine Trompete hört, wirkt nichts überfrachtet.

Jack Savoretti „Written in Scars“

Jack _Savoretti_Albumcover_800(1)[rating=2] Erwachsener, eigenständiger, erdverbundener

Drei Jahre sind vergangen, seit Jack Savoretti sein letztes Album veröffentlicht hat. Zwischenzeitlich hatte er nach eigenem Bekunden mit dem Gedanken gespielt, die Musik an den Nagel zu hängen. Die Gründe, die er dafür anführt, kommen einem bekannt vor: Ärger mit Managern und Plattenfirmen, Karrierepläne, die nicht aufgehen, die wirtschaftlich unsichere Existenz als Künstler. Den Sinneswandel, der ihn dazu bewogen habe, es nochmals zu versuchen, begründet er so: Seine Entscheidung, die professionelle Musikerlaufbahn aufzugeben, habe den Erfolgsdruck von ihm genommen. Die so gewonnene neue Freiheit habe zu einem Kreativitätsschub geführt. Mit anderen Worten: Savoretti komponierte fleißig und traf in der Zwischenzeit die für ihn richtigen Leute: Etliche Songs auf „Written in Scars“, etwa der erste Titel „Back to Me“, entstanden in Zusammenarbeit mit Samuel Dixon, der auch mit Adele arbeitet. Diese Songwriting-Partnerschaft wirkte sich fruchtvoll auf Savoretti aus, denn er änderte seine Arbeitsweise. Am Anfang habe dieses Mal der Rhythmus und der Sound gestanden, erst danach seien Strukturen entstanden.

Das ist sicherlich keine gewöhnliche Herangehensweise für einen Singer-Songwriter, und sie führte denn auch zu einem hörbar anderen Klangbild. Klang Savoretti am Anfang seiner Karriere noch ein wenig wie eine Art Quersumme des romantischen Troubadours, so wirken Stimme und Kompositionen nunmehr erwachsener, eigenständiger, erdverbundener. Die unverwechselbare warme, kratzige Stimme hat er behalten. Aber auch diese scheint nunmehr gereifter, wenngleich immer noch mädchenschwarm-tauglich.
Musikalisch geht Savoretti mit der neuen Platte trotzdem keine wirklichen Risiken ein. Eingängige Popmelodien paaren sich mit Country und Soul-Elementen in mitunter etwas forciertem Rhythmus. Das sei von Profis clever ür die junge weibliche Zielgruppe hergestellt, könnte man spotten. Natürlich singt Savoretti von unerfüllter Sehnsucht und vom Wunsch, die Geliebte möge nach Hause kommen, und er singt auch vom Freiheitswillen jedes Individuums oder von der großen Kraft der Liebe. Dazu lässt der Produzent an passender Stelle ein paar Geigen schmelzen oder er bringt einen gefühlvollen Chor im HIntergrund.

Ist das zuviel der Romanze? Vielleicht, aber der Mann tritt ja nicht an als der zornige Prophet aus dem brennenden Dornbusch. Und: ja, auch männliche Hörer werden dabei ganz gut unterhalten, solange sie keine komplexen Arrangements oder Soundtüfteleien erwarten. Das ist gut gemachter Pop – nicht mehr, nicht weniger. Jack Savoretti müsste also gar nicht so traurig in die Zukunft blicken, wie er das auf dem Cover von „Written in Scars“ macht.

Jonathan Jeremiah „Oh Desire“

[rating=3] Ein durchweg gutes Album
Der britische Sänger und Gitarrist Jonathan Jermiah legt mit „Oh Desire“ ein hörenswertes neues Album vor. Stilistisch durchaus uneinheitlich, wie man es von Jeremiahs bisherigen Veröffentlichungen kennt, pendelt auch dieses zwischen Folk-Jazz, Jazz, Pop und Soul. Deutliche Reminiszenzen an Otis Reddings unzerstörbaren Klassiker „Sitting on the Dock of the Bay“ liefert etwa sein „Smiling“, und bei „Walking on Air“ stellte sich die leise Erinnerung an „Solid Air“ von John Martyn ein. Jeremiah steht also auf den Schultern großer Musiker der sechziger und siebziger Jahre, was zusätzlich durch die analogen 16-Spur-Aufnahmen, mit denen die Titel aufgenommen wurden, akzentuiert wird.
Bleibt da Raum für eigenes? Sein Debüt 2011, „A Solitary Man“, wirkte bei aller Qualität seiner angenehmen Bariton-Stimme teils glatt und zerfahren, und mit dem Himmel voller Geigen, der beinahe in jedem Song dräute, auch überproduziert. Die etwas eigenwillige musikalische Mischung aus Big-Band-Jazz, Folk, Soft-Rock und seinem Aussehen, das wie eine Kreuzung aus Cat Stevens und modernem Hipstertum wirkt, schienen ihn nur bedingt zum Posterboy sensibler junger Menschen zu prädestinieren, die am virtuellen Lagerfeuer neben dem CD-Player Wärme suchten. Allein, der Erfolg wirkte bestätigend. Nun, einige Jahre später, sind die Big-Band-Anklänge weitgehend verschwunden, und die Geigen schluchzen ebenfalls dezenter. Nur im kurzen Eröffnungstitel und in „Rosario“ dominieren sie noch.
Geblieben ist die Liebe Jeremiahs zum klassischen Soul, zu Folk-Jazz und Soft-Pop, zur angejazzten Ballade. Hinzugekommen ist zudem eine feste Band, die bei der Umsetzung der vielfältigen musikalischen Ideen den Ton trifft. Und dieses Mal produzierte der Künstler selbst. Herausgekommen sind 13 Songs, die jedoch nicht alle im musikalischen Gedächtnis haften bleiben. Aber „Oh Desire“ ist, etlichen überraschenden Wechseln in der musikalischen Farbe zum Trotz, ein durchweg gutes Album geworden. Dem Thema Verlangen verhaftet, erzählt Jeremiah mit seiner angenehm tiefen Stimme Geschichten vom Tod der Eltern, Mythen der irischen Heimat („The Devils Hillside“), wie er diese Mythen aus den Erzählungen der Mutter als Kind kennen lernte oder vom hektischen, lauten Großstadtleben in London und der Sehnsucht nach dem vermeintlich einfachen Leben in der Natur. In „Rising Up“ räsonniert er darüber, daß – anders als in seiner Jugend – Bildung und Fleiß jungen Leuten keineswegs den Aufstieg ermöglichen oder auch nur erleichtern. Die sozialen Barrieren seien so hoch wie nie.
In der Summe seiner Musik und Texte bleibt sich Jonathan Jeremiah mit „Oh Desire“ treu, wenngleich einige behutsame, gleichwohl hörbare, Änderungen die neue Veröffentlichung prägen.   

Sufjan Stevens „Carrie & Lowell“

a2231815864_2[rating=3] Betörend, stellenweise berührend und autobiographisch

„This is not my art project, this is my Life“, sagt Sufjan Stevens über „Carrie & Lowell“. Das Cover ziert ein altes, vergilbtes und beschädigtes Polaroid-Foto, das seine 2012 an Magenkrebs verstorbene Mutter und seinen Stiefvater zeigt. Eine musikalische Reise in die eigene Vergangenheit mithin, die mit „Death with Dignity“ den Reigen der elf Songs bedeutungsschwanger eröffnet. Wer nun einzig Düsternis und Schwermut erwartet, liegt richtig und falsch zugleich. Die Texte handeln von Leben und Tod, von Liebe und Verlust, von Kindheit und Pubertät – doch musikalisch erlebt der Hörer die Wiederkehr männlichen Harmoniegesangs aus den sonnigen sechziger Jahren und einen aufs Wesentliche reduzierten ‚Wall of Sound‘ in der Tradition Phil Spectors. Stevens setzt dabei jedoch nicht auf Retrosound, sondern erzeugt  einen ganz heutigen, modernen Klang. Er ist ein versierter Wanderer zwischen den musikalischen Welten und verbindet Folk, Indiepop, Electronica, orchestrale Arrangements und mehrstimmigen Gesang zu einer eigenen Mischung. Diese ist allerdings aufgrund der vielen Zutaten bisweilen schwer verdaulich. Manches Projekt seiner jüngsten Vergangenheit, etwa „Sevens Swans“ mit seinen biblischen Themen, wirkte überambitioniert, mancher Auftritt mit exaltierter Bühnenshow und einer Vielzahl von Mitstreitern abgeschmackt und neben der Spur.

Auf „Carrie & Lowell“ erscheint Sufjan Stevens nunmehr gleichzeitig gereifter und reduzierter. Beinahe intim in seinen Erinnerungen an Kindheitsszenen, in denen die von Drogen und Psychosen gebeutelte, meist abwesende Mutter eine wichtige Rolle spielt. „Death and Dignity“ beginnt mit einfachen Akkorden einer akustischen Gitarre, dann setzt Stevens‘ Falsett-Stimme ein, gerne auch – wie in „All of me wants all of you“ schön hörbar – mit sich selbst im Chor und in reiner Harmonie. Diesen wesentlichen Zutaten wird hier und da ein Klavier hinzugefügt, weibliche Background-Stimmen, und elektronische Instrumente und Effekte beenden die Songs zumeist mit einem leichten Anklang an Ambient-Sounds.
Dadurch ist „Carrie & Lowell“  weder eine reine Rückbesinnung auf Stevens Folk-Anfänge, noch Ambient-Folk, falls es sowas gibt, sondern eine Art Synthese aus seinem bisherigen Schaffen mit interessanten Ausblicken auf eine mögliche Zukunft seiner Musik.

Martin Stephenson und John Steel, 19. März 2015, Music Star, Norderstedt

Stephenson_Hull-2_PS5Was für ein Abend voller Anekdoten, Erzählungen, launiger Geschichten – und vor allem voller guter Musik! Martin Stephenson und sein Mitstreiter aus alten Tagen, John Steel, zaubern an einem kalten Donnerstagabend im März bereits mit dem ersten Song Rhythmus in die Beine und ein Lächeln ins Gesicht der überschaubaren Anzahl zumeist älterer Zuhörer. Anders als von Jethro Tull in den 70er-Jahren beschrieben, ist heute niemand mehr „Too Old To Rock’n’Roll“; Rockmusik heute ist Musik für ‚Best Ager‘ und noch ältere Zeitgenossen.

Martin Stephenson, seit nummehr auch schon 30 Jahren sowohl mit Band als auch solo unterwegs und zuletzt 2003 in Deutschland, gab jedoch von Beginn an nicht den Revoluzzer. Er war immer ein Storyteller, fast ein Busker, ein Folkie mit Punk und Reggae-Wurzeln. Nicht die große Geste ist sein Metier. Vielmehr skizziert Stephenson liebevoll bis boshaft menschliche Schwächen wie Heuchelei und Eitelkeit, die er in „Crocodile Cryer“, einem Klassiker der Daintees, aufs Korn nimmt, oder beschreibt die Liebe im reiferen Alter. Stephensons kongenialer Begleiter John Steel, Mitglied der ersten Daintees-Besetzung, ist nach langer Zeit wieder dabei. „Ich wurde von Ausserirdischen entführt“, begründet er seine Abwesenheit zwischen Songs wie „Wholly Humble Heart“ oder „Coleen“ und „Little Red Bottle“ vom längst zum Klassiker gewordenen 1986er-Debüt „Boat to Bolivia“. Auch „Tribute to the Late Rev. Gary Davis“ fehlt nicht. Die Setlist, von Stephenson scherzhaft als Gedächtnisstütze bezeichnet, ist ellenlang. Alte und neue Songs wie „Slow Love“ werden mit zahlreichen Anekdoten garniert, etwa jener über Peter, Paul and Mary die den Blueser Gary Davis derart verehrt hätten, dass sie ihm in den späten Sechzigern ein Haus in Queens schenkten.

Im Laufe des langen Abends, bei dem die angejahrten Zuhörer vor den Musikern zu ermatten schienen, erzählt Stephenson auch von durchzechten Nächten mit Allan Hull, der wie Stephenson aus Newcastle stammte und mit „Lindisfarne“ in den 70er-Jahren zu einigem Ruhm gekommen war, von einer Begegnung mit dem knurrigen Doc Watson, von den Arbeitsbedingungen der mexikanischen Arbeiterinnnen, welche die Fender-Gitarren zusammenbauten, vom grantigen Roadie Lone Wolfe aus „Wolvesburg“, von seiner Gitarre aus dem Jahr 1946 und nicht zuletzt auch von Buddah und Gott. Mal erzählt er mit Augenzwinkern, wenn er vom realen Vorbild für seinen „Crocodile Cryer“ erzählt, mal ernsthaft, wenn es um die Suche nach Sinn und Frieden im Leben geht.

Erst nach fast drei Stunden gehen die Lichter wieder an, und wer nicht dabei war, hat definitiv etwas verpaßt. Beschwingt treten wir den Heimweg durch die Kälte an, während „Solomon“ und „Salutation Road“ noch in unseren Ohren nachklingen.