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Imarhan, 27.5.2016, Palace, St. Gallen (CH)

Imarhan-4905Die Bekleidung der Tuareg – das weite, knöchellange Gewand und der in der Art eines Turbans gewickelten Gesichtsschleier – ist zweifellos prächtig und weckt bei vielen das Gefühl von 1000 und einer Nacht, von der Freiheit des nomadischen Lebens und vielleicht auch von Abenteuer. Auf der Bühne ist das vermeintliche Zeichen von Authentizität eigentlich nicht mehr als ein stimmungsvolles und daher keineswegs zwingend notwendiges Accessoire. Trotzdem präsentieren sich (nord)afrikanische Gruppen ebenso gerne folkloristisch wie bayerische Volksmusikgruppen. Daher ist es überaus angenehm, dass Imarhan mit dieser Regel – von einer kleinen Ausnahme abgesehen – brechen. Sie gehen im Outfit des Durchschnittsmenschen auf die Bühne, um ihre Musik sprechen zu lassen.
Bei den forcierten, etwas schnelleren Stücken geht das wenigstens halbwegs gut. Doch sobald das Quintett die Zügel anzieht, zerstört die zu hoch ausgesteuerte Rhythmus-Sektion jeglichen Versuch des gefühlvollen Spiels. Dann stört es noch viel mehr, dass der Bass übersteuert ist und dass jeder Schlag auf die Kalebasse wirkt, als ob man in Plastiktonne sitzt, die mit dem Schlegel bearbeitet wird.
Die Rechnung von Imarhan, die Musik für den Tanzboden einfach ein wenig knalliger zu machen, geht nicht auf. Denn dabei bleiben nicht nur die verhaltenen Stücke auf der Strecke. Auch den anderen wird der eigene Charakter abgeschliffen, übrig bleibt bloß noch eine durchschnittliche Tuareg-Band. Dafür hätten die Algerier nicht auf Folklore verzichten müssen – und wären immerhin prächtig anzusehen gewesen.

((Foto: TheNoise))

Savina Yannatou, 13.5.2016, Freudenhaus, Lustenau (A)

Yannatou-4300Die Lage war auch vor hundert Jahren nicht besser, nur kamen die Flüchtlinge aus anderen Ländern: Damals suchten Türken, Bulgaren und Mazedonier, Serben, Armenier und andere Schutz in Griechenland, machten Thessaloniki zum Schmelztiegel und ergänzten den heimischen Musikfundus.
Savina Yannatou und Primavera en Salonico präsentieren Stücke der Migranten, die während des Ersten Weltkriegs über das Schwarze Meer gekommen waren, und eines der irischen Soldaten, die im Zweiten in der griechischen Stadt stationiert waren. Diese ergänzt sie um einige Lieder der sephardischen Minderheit (Thessaloniki sei um 1940 als ‚Jerusalem des Balkans’ bezeichnet worden, erzählt Savina Yannatou) und um weitere aus dem Mittelmeerraum.
Die überwiegend getragenen Lieder wurden mit traditionellem Stilbewusstsein und einem großen Sinn für die Moderne arrangiert. Die Gruppe von Savina Yannatou bringt die Volksmusik nicht nur auf konzertantem Niveau, sondern spielt auch verschmitzt mit dem Material. Dann lässt Michalis Siganidis die Finger auf die Basssaiten prasseln wie Regentropfen, da unterlegt Kyriakos Gouventas die avantgardistische Lautmalerei von Savina Yannatou mit einer Caféhausgeige, und gelegentlich stacheln sich Geige und Akkordeon zu verspielten kleinen Duellen an.

Savina Yannatou und ihre Mitstreiter bieten so weit mehr als konzertante Volksmusik. Sie bringen die innere Kraft der Lieder zum Leuchten und verweben den Klang der traditionellen Instrumente – auch Ney, Kanun, Oud und hervorragend unaufdringlich akzentuierte (Rahmen-)Trommeln und Becken erklingen – mit modernen Stilmitteln. Das ist traditionell und modern, intim und welthaltig.

Bisherige Rezensionen zu Savina Yannatou auf schallplattenmann.de

Offizielle Homepage von Savina Yannatou

(Foto: TheNoise)

Trio Da Kali, 9.4.2016, Spielboden, Dornbirn (A)

Trio_Da_Kali-3821Bereits nach wenigen Takten fühle ich mich nach Ségou in Mali versetzt – einer der entspanntesten Orte, an denen ich jemals gewesen bin. Draußen flirrt die Hitze, im schattigen Innenhof legt sich die zwischen träge und gemütlich plätschernde Musik wie ein kühlender Kokon um die matt plaudernde Gesellschaft. Es ist keine aufgeregte Feststimmung, die das Trio Da Kali verbreitet, nichts erinnert an eine ausgelassene Hochzeitsgesellschaft oder an die aufgekratzten Besucher eines Dorffestes, zu denen der angesehenste Griot der Region in oft suggestiv-monotonem Singsang die Genealogie der Gemeinschaft repetiert und die hohen Würdenträger preist.

Auch das Trio Da Kali beruft sich auf die Herkunft seiner Mitglieder – allesamt entstammen sie Griot-Familien. Und Sängerin Hawa Kasse Mady Diabaté, Tochter des mit der Gruppe Afrocubism Grammy-nominierten Sängers Kasse Mady Diabaté, soll ihr Geld nach wie vor überwiegend mit Auftritten auf Hochzeiten verdienen. Für den Balafon-Spieler Lassana Diabaté ist das nicht mehr denkbar. Er spielte neben Afrocubism in Toumani Diabatés Symmetric Orchestra und tourt mit verschiedenen Formationen durch die Welt.

Als Abkömmlinge von Griots möchte das Trio Da Kali die Tradition erhalten und weitergeben. Ihr Verhältnis dazu erklären sie nicht, aber es wird in ihrer Musik deutlich. Das Trio Da Kali strebt ganz offensichtlich nicht danach, die Asche zu hüten. Sie wollen das Feuer weitergeben und verschließen sich keineswegs modernen Einflüssen. Das erstaunt nicht. Denn Lassana Diabaté und Mamadou Kouyaté spielen seit Jahren in innovativen, modernen Gruppen.

Der gleichermaßen gefühlvolle wie virtuose Lassana Diabaté begeistert immer wieder mit jazzigen Einwürfen. Und der Hinweis, dass die von Mamadou Kouyaté gespielte Kurzhalslaute Ngoni seit fast zweitausend Jahren gespielt wird, verdeckt die zeitgenössische Komponente. Die Bass-Ngoni, die er spielt, ist eine noch recht junge Weiterentwicklung seines Vaters Basseko Kouyaté. Demnach hat sie in konservativ-traditioneller Musik gar keinen Platz. Mamadou Kouyaté gelingt es jedoch nicht, sich prägend einzubringen. Oft spielt er die Melodielinie eine Oktave tiefer, gelegentlich lässt er in Rock-Manier die Saiten gegen das Griffbrett schnalzen, und in seinen Soli variiert er meist nur seine Begleitung.

Die meisten Stücke des Trios haben den Charakter von Wiegenliedern. Sie sind jedoch oft rhythmisch reizvoll und daher alles andere als einschläfernd. Daher wäre es gar nicht notwendig, den Auftritt mit einem Mitsing-Spiel zu beenden – das noch dazu das Publikum mit einer einfältigen Ohrwurm-Melodie nach Hause schickt, die die anheimelnde Stimmung völlig übertüncht.

(Foto: TheNoise)

Madame Baheux, 13.11.2015, Spielboden, Dornbirn (A)

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Drei der fünf Musikerinnen von Madame Baheux repräsentieren den neuen österreichischen Vielvölkerstaat, dessen Bewohner traditionellerweise aus den Balkanstaaten kommen. Dank ihnen schreiben Madame Baheux die heimatlichen Folklore mit ihren eigenen Mitteln fort – und diese sind durchaus stattlich. Denn in der Gruppe treffen nicht nur unterschiedliche Charaktere aufeinander, sondern auch musikalische Expertise und Erfahrung.
Schon der Name der Gruppe signalisiert, dass sich die Musikerinnen nicht nur damenhaft benehmen, sondern auch einen ganz schönen Wirbel (Wienerisch: Bahö) veranstalten können. Trotzdem braucht das Quintett eine ganze Weile, um auf Touren zu kommen. Dass die erst akademisch klingende Balkan-Hausmannskost mit jazzigen Zutaten dann doch noch mitreißend wird, liegt vor allem an der Sängerin und Violinistin Jelena Popržan. Diese führt nicht nur eigenwillig durch das Programm und begeistert besonders, wenn sie im Stil der bulgarischen Vokaltradition singt und wie beim Jodeln zwischen Brust- und Falsettstimme wechselt.
Madame Baheux interpretieren ihre Volksmusik nicht nur auf ihre eigene Art, diese ist auch der Ausgangspunkt zu eigenen Stücken. Und um ihren Integrationsgrad zu beweisen, wie Jelena Popržan einem Stück verschmitzt vorwegschickt, singen sie beispielsweise auch ein Lied in einem Wiener Fantasiedialekt. Dass dieser naturgemäß kaum zu verstehen ist, tut dem Vergnügen keinen Abbruch. Dieses wird sogar noch gesteigert, weil sie unüberhörbar die ausländerfeindliche Politik aufs Korn nehmen. So glänzen sie immer wieder mit der Verve, die man bei manchen, etwas verkopft erscheinenden Stücken vermisst. Andererseits: Humpta-Balkanbands gibt es ohnehin schon genügend.

Offizielle Homepage von Madame Baheux

(Foto: TheNoise)

Carminho, 26.09.2015, Freudenhaus, Lustenau (A)

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2011 wurde der Fado zum Weltkulturerbe ernannt. Dass er jetzt museal verstaubt, ist ebenso wenig zu erwarten wie sein Ausverkauf. Neue Klangfarben – Einflüsse aus Jazz und lateinamerikanische Rhythmen etwa – und zumindest annähernd ungewöhnliche Besetzungen gehören schon lange zum zeitgenössischen Fado. Bei Carminho ist es der Perkussionist, der vor allem den forscheren Stücken Dampf machen soll, mit denen die ausdrucksstarke Sängerin ihre beiden Sets auflockert. Der Rest der exzellenten Truppe entspricht dem traditionellen Fado-Inventar.

Carminho, Tochter einer Fadista, findet die richtige Balance von Tradition und Moderne. Andere Einflüsse werden subtil eingewebt. Mal schimmert ein lateinamerikanischer Rhythmus hervor, dann schwebt ihre Band vom originell akzentuierten Reggae-Intro ganz zwanglos in die Saudade – von der sie weiß, dass die Zuhörer außerhalb ihres Heimatlands nicht zu viel davon vertragen. Doch die eingebauten Up-Tempo-Stücke geraten durchweg etwas zu forciert, mitunter sind sie auch etwas zu sehr aufs Mitklatschen getrimmt.
Carminho besticht vor allem bei einfühlsamen und kunstvollen Kompositionen, etwa Vinícius de Moraes‘ „Saudades do Brasil em Portugal‘. Dann akzentuiert auch Perkussionist André Silva subtiler, und die Feinheiten des Bassisten Marino de Freitas kommen besser zur Geltung. Rhythmusgitarrist Diego Clemente nutzt die seltenen Gelegenheiten, sein Talent aufblitzen zu lassen. Dafür zeigt sich Luis Guerreiro an der Portugiesischen Gitarre, er spielte auch schon für Mariza und Mísia, als Mann für jede Stimmungslage – ob gefühlvoll oder virtuos, sein Spiel lässt kaum zu wünschen übrig.

Foto: TheNoise

El Zitheracchi „Modernes Raubzithertum“

Zitheracchi[rating=3] Feinfühlig, traditionell-modern

Raubzithertum – das klingt martialisch und evoziert die Rechtlosigkeit und Brutalität eines Thomas von Absberg, dem an der Seite des Götz von Berlichingen kämpfenden ‚Schrecken Frankens’. Doch El Zitheracchi ist weniger Haudegen an der Zither als Minnesänger. Und auch wenn der Künstlername wirkt, als habe er zu viele Spaghetti-Western gesehen, spielt El Zitheracchi keineswegs schneller als sein Schatten. Im Gegenteil: Er glänzt nicht durch Virtuosität, sondern durch die feinfühlige Interpretation seiner durchweg ruhigen und melodiösen Kompositionen.
Der Musiker, der sich gerne manieriert hinter der breiten Hutkrempe versteckt, spielt weltoffen, aber nicht folkloristisch. Er integriert unterschiedliche Einflüsse, ist aber auch dann kein plumper Nachahmer anderer Stile, wenn er explizit eine mittelamerikanische Volksweise zupft. Er spielt sich mit dem kontemplativen, siebeneinhalbminütigen „Bavarindi“ in Trance, lädt mit der kurzen „Zitheracchi-Suite“ zum Tanz, und mit „Schön voran“ gelingt ihm ein gefälliger Ohrwurm. Bei den meisten Stücken lässt er sich von einem Musiker begleiten; dann sorgen entweder Bass, Saxofon, Tabla, Djembé und einmal auch ein Hang für eine zusätzliche Klangfarbe, die den jeweiligen Stücken gut tut.

Offizielle Homepage von El Zitheracchi

(Foto: Galileo)

Orquesta Buena Vista Social Club, 28.4.2015, Seelax, Bregenz (A)

Papi_Oviedo-1579»Den Alfred Böhm«, sagt meine Mutter gelegentlich, wenn sie sich an alte Zeiten erinnert, »den hätte man in seinem Alter nicht mehr im Fernsehen auftreten lassen dürfen. Und den Heesters auch nicht, die waren ja schon peinlich.« Andererseits habe ich vor Jahren den von seiner Krankheit gezeichneten Muhammed Ali gesehen – und war von seiner Präsenz beeindruckt. Omara Portuondo, die letzte Überlebende der alten Garde des Buena Vista Social Club (Eliades Ochoa ist zwar mittlerweile auch 69, aber als jüngster der ursprünglichen Truppe immerhin noch 16 Jahre jünger als seine singende Kollegin) liegt irgendwo dazwischen. Ohne Hilfe schafft es die 85-jährige nicht mehr auf die Bühne und Tanzschritte kann sie gerade noch andeuten. Aber wenn sie ihre Stimme in den mittleren Lagen erhebt, dann erlebt man auch heute noch ausdrucksstarke Momente.

Auch wenn mit Manuel ‚Guajiro‘ Mirabal und Barbarito Torres noch zwei Mitglieder aus der Frühzeit des Buena Vista Social Club dabei sind, ist Omara Portuondo das unbestrittene Zugpferd der Gruppe. Das Publikum muss einige Stücke lang auf ihr Set warten und wird während dieser Zeit gediegen unterhalten – mit Ausreißern nach oben, wenn etwa der auch schon betagte Papi Oviedo zu einem Tres-Solo ansetzt. Wie auch der junge Jazzpianist Rolando Luna zeigt der Oldie, dass die Musik der alten kubanischen Orchester stark vom Jazz beeinflusst war und mehr als einlullende Unterhaltung bot. Immer wieder erinnern digitale Bilderschauen an die verstorbenen Mitglieder, an Größen wie Ibrahim Ferrer, Compay Segundo, Rubén González und Orlando ‚Cachaíto‘ López, an die kaum einer der Musiker heranreicht, die hier auf der Bühne stehen – oder vielleicht nicht heranreichen darf.

Omara Portuondo, die schon in den fünfziger Jahren mit Nat King Cole durch die USA tourte, wird vor allem für ihr Lebenswerk gefeiert und dafür, dass sie überhaupt noch da ist. Obwohl sie die hohen Töne ohne Anlauf nur noch schwer erreicht, bedankt sie sich für die ’standing ovations‘ mit charaktervollen Interpretationen. Und sie beweist mit zwei ruhigen Stücken, zu denen sie nur von Rolando Luna begleitet wird, dass sie dafür trotz der körperlichen Gebrechlichkeit nicht die Stütze eines Duettpartners benötigt und kein opulentes Orchester, das ihre Schwächen übertüncht.

Dass die Adios-Tour mit ihrem Abschied von der Bühne zusammenhängt, ist kein Zufall. Die alte Garde gibt es nicht mehr und auch keinen Anlass, die Musik auf die gleiche Art weiterzupflegen, die bei ihrer Entdeckung in den 90er-Jahren eine verstorbene Zeit heraufbeschwor. Es ist sicher wichtig, dass sie der Buena Vista Social Club hat wiederaufleben lassen und damit junge Musiker zur Auseinandersetzung mit dem Erbe angeregt hat. Jetzt sollen sie die Flamme auf ihre Weise in die Zukunft tragen.

Nächste Konzerte: 2.5. Ludwigsburg, 1.7. München, 2.7. Straubing, 8.7. Mainz, 10.7. Hamburg

Bisherige Rezensionen zum Buena Vista Social Club und zu Omara Portuondo auf schallplattenmann.de

Offizielle Homepage des Orquesta Buena Vista Social Club

(Foto: TheNoise)

Max Lässer und das Überlandorchester „1:1“

Max_Laesser_cover_1zu1[rating=4] Weltoffenes aus der Schweiz: Max Lässer holt die Welt zu sich und formt seine eigene alpine Weltmusik

Noch in den 90er-Jahren wurde es als unerhört empfunden, traditionelle Volksmusik mit modernen Elementen anzureichern. Heute ist das so selbstverständlich, dass man das reine Original – so es das denn überhaupt gibt – suchen muss. Doch auch wenn man es in
Volksmusikkreisen lange nicht wahrhaben wollte: Musik hat sich immer verändert und weiterentwickelt. Und einer, der schon lange daran arbeitet, ist Max Lässer. In den 80er-Jahren spielte er alte Schweizer Tänze ein, bevor er sich dem Folk und dem Austausch mit afrikanischen Musikern widmete.
Nun ist er schon seit rund 15 Jahren konsequent dabei, mit seinem Überlandorchester seine eigene Spielart universaler Volksmusik mit Schweizer Wurzeln zu entwickeln – mit Gitarre, Dobro und Mandoline, Schwyzerörgeli, Hackbrett und Kontrabass. Das Orchester ist zum Quartett geschrumpft – oder, um bei der Volksmusik zu bleiben, auf Stubete-Größe – die Musik ist nach wie vor grossartig. Das Album „1:1“ bringt lauter Live-Mitschnitte, allerdings nicht von bereits bekannten, sondern von neun durchweg neuen Stücken.
Da werden anrührend-heftiger Blues („Bibere Musik“), Folk („Luna“) und Volksmelodien aus dem 19. Jahrhundert verschmolzen. Die Musik des Quartetts kommt besonders bei jazzigen Ansätzen in Fahrt oder wenn die Musiker zu bluesen beginnen. Sie bringen jedoch keine „lüpfige“ Tanzbodenmusik, sondern spielen überwiegend mit einer gewissen akademischen Förmlichkeit auf.

Max Lässer spielt mit seinem Überlandorchester keine Volksmusik. Aber er schöpft aus ihr genauso wie aus der Musik von Cream oder den Rolling Stones, mit der er aufgewachsen ist.
Das Heimatliche in der Musik dient Max Lässer nicht dazu, sich gegen den Rest der Welt abzuschotten, um den Raum kleiner und überschaubarer zu machen. Für ihn ist Heimat vielmehr ein Punkt, von dem aus er die Welt betrachtet, auf sie zugeht und sie zu sich holt.

Bisherige Rezensionen zu Max Lässer auf schallplattenmann.de

Offizielle Homepage von Max Lässer

(Foto: Phonag)

Ana Moura, 7.3.2015, SAL, Schaan (FL)

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Dass in einem derart kleinen Land wie Liechtenstein so viele Portugiesen wohnen, ist die erste Überraschung des Abends. Geschätzt die Hälfte der Besucher im fast ausverkauften SAL wollen von Ana Moura ihre Sehnsucht nach der Heimat gestillt bekommen. Das passt – denn Sehnsucht ist eines der Grundthemen des Fados, und das andere die Saudade, eine besondere Art der Traurigkeit oder Wehmut. Ana Moura, deren letztes Album „Desfado“ an die Spitze der portugiesischen Verkaufscharts stieg und sich wochenlang in den Top Ten hielt, sollte diesem Verlangen leicht gerecht werden können.
Mit ihrem 2012 erschienenen Album wurde Ana Moura von ihrem Produzenten Larry Klein ein wenig vom Fado weggeholt – das drückt sich auch im Albumtitel „Desfado“ aus, was etwa als Nicht-Fado übersetzt werden kann –, indem er ihrer Musik eine jazzige Komponente verpasste. Dementsprechend ergänzt sie auch im Konzert das traditionelle Fado-Trio (Guitarre Portugues, klassische Gitarre und Bass) um Schlagzeug und Keyboard. Doch auch wenn der Schlagzeuger und Perkussionist Mário Costa variantenreich klöppelt und Keyboarder João Gomes sein E-Piano für ein Solo auch mal das Register für die Klangfarbe Hammondorgel zieht, vermitteln sich weder Saudade noch Originalität und Eigenständigkeit.
Der Grund dafür mag auch technischer Natur sein: Die Stimme von Ana Moura wirkt durchweg wie durch einen Kompressor geschleift. Das drückt sie zwar nach vorne, lässt sie aber auch eindimensional wirken. Und die subtilen Stellen werden so auch nicht gefühlvoller. Die Band wiederum klingt nicht deswegen druckvoll, weil sie so forciert spielt, sondern weil sie der Verstärker pusht.
Dass Ana Moura bei jedem Stück im Zweivierteltakt zum heftigen Mitklatschen einlädt und so der Show praktisch von Beginn an eine Komponente billiger Unterhaltung verleiht, macht die Sache nicht besser. Wenn Ângelo Freire an der Portugiesischen Gitarre am Ende des letzten Stückes den Refrain des mittlerweile zum Gassenhauer gewordene „Guantanamera“ einflicht, verdeutlicht er nur zu gut den Geist des Abends. Denn dass das eng mit der amerikanischen Gewerkschaftsbewegung verbundene Lied aus politischem Impetus platziert worden sein soll, ist kaum zu glauben.

(Foto: TheNoise)

Albin Bruhns Nah Quartett „Wegmarken“

Albin Bruhns Nah Quartett "Wegmarken"

Albin Bruhns Nah Quartett [rating=3] Die Wurzeln im Boden, den Kopf im Wind

Es vergeht kaum eine Woche, in der nicht eine neue Gruppe vorgestellt wird, die die heimische Volksmusik neu interpretiert und die – Überraschung, Überraschung – mit ethnischer Musik anderer Länder kreuzt. Albin Brun ist keiner, der mit seiner Melange noch schnell auf den Zug aufgesprungen ist. Er wandelt schon lange zwischen Jazz und Neuer Volksmusik und mischt mit der Interkantonalen Blasabfuhr schon seit den 90er-Jahren Freejazz und Marschmusik. Vor wenigen Jahren verschmolz er die Musik seines Nah-Quartetts mit den Klängen eines weißrussischen Frauentrios.

Jetzt legt er seine „Wegmarken“ vor. Diese findet er erwartungsgemäß nicht nur in der Heimat, sondern auf dem Balkan ebenso wie im arabischen Raum, in Frankreich, Brasilien oder im südlichen Afrika. Albin Brun geht es jedoch nicht darum, möglichst viele Stile aufzugreifen. Es geht ihm also nicht um oberflächliche Originalität, sondern um Empfindungen – und das spürt man durchweg. Albin Brun interpretiert nicht fremdländische Musik, sondern eignet sich einzelne Elemente an, um Stimmungen zu kreieren, um seine Gefühle und Impressionen auszudrücken. „Die Wurzeln im Boden, den Kopf im Wind“, beschreibt er es selbst.

Hinter jedem Stück steht eine persönliche Erinnerung. Dass er diese erklärt, ermöglicht einen kurzen Blick auf die Person. Das ist schön, aber letztlich von geringer Bedeutung. Denn die Kompositionen sprechen für sich selbst. Sie sind von stiller Schönheit und selbst dann noch unaufgeregt, wenn es ausgelassen oder jazzig wird.

Offizielle Homepage von Albin Brun

(Foto: Doublemoon)