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John Wolf Brennan, Aarkady Shilkloper & Klanglabor updaten das Sennen-Ave, 9.10.2014, Tak, Schaan (FL)

Sennen-Ave-3956Wir sind nicht auf der Alm und es ist kein Senn da, der seinen allabendlichen Schutzruf für Vieh und Gesinde in die vier Himmelsrichtungen psalmodieren könnte. Auch Christian Zehnder, der krankheitshalber fehlt, kann nicht aushelfen. So kommt der Alpsegen von der Konserve – und weder ein prächtiger Blick in das Tal noch Naturgeräusch unterstützt die Erhabenheit, die im Akt des Betrufs steckt.

Spät setzt dann die Musik ein, langsam und leise plätschernd – produziert nach dem Konzept der experimentellen Musik, das sich besonders in den 80er-Jahren verbreitet hat: Alltägliche Produkte wie eine Kuchenform werden zur Klangerzeugung eingesetzt oder die Instrumente mit nicht für sie vorgesehenen Gegenständen bearbeitet. Beim Klanglabor wird einmal mehr die Gitarre mit einem Geigenbogen gespielt.

Als sich John Wolf Brennan und Arkady Shilkloper dazugesellen, wird die Arbeitsteilung klar: hier die Ruhe, dort die Kraft. Das Klanglabor wird weiterhin für den ruhigen Untergrund sorgen, während Brennan und Shilkloper solistisch brillieren. Auch Brennan macht das nach einem bekannten Konzept – dem präparierten Klavier. Doch wenn er die Klaviersaiten mit einem Faden zum Streichinstrument macht oder sie mit Schlägeln bearbeitet, geht es um die Klangerweiterung des Instruments und nicht um den Einsatz möglichst kurioser Klangerzeuger. Und er beweist damit – wie immer wieder auch Arkady Shilkloper –, dass man auch ohne ausgefallene Hilfsmittel virtuos und originell sein kann.

Der Alpsegen braucht kein Update. Man darf seine Aktualisierung genauso überflüssig finden wie so manches neue Feature eines Computerprogramms. Doch wenn Arkady Shilkloper bei der Zugabe die Melodie des noch einmal von Konserve eingespielten Sennen-Aves aufgreift und den Sprechgesang umspielt, kann man sich auch für das Nicht-Notwendige begeistern.

Bisherige Rezensionen zu Zehnder-Shilkloper-Brennan sowie zu Christian Zehnder im Blog und auf schallplattenmann.de

Offizielle Homepage von Arkady Shilkloper

Offizielle Homepage von John Wolf Brennan

Offizielle Homepage des leider verhinderten Christian Zehnder

Offizielle Homepage von Klanglabor

(Foto: TheNoise)

Alma, Freudenhaus, 12.9.2014, Lustenau (A)

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Begeisterung für den hohen Norden in eine eigene Komposition fließen und adaptieren Matthias Claudius‘ „Abendlied“ (in der Vertonung von Max Reger) genauso selbstverständlich wie den Jazzklassiker „Fly Me To The Moon“.

Der wilde Mix von geographischer Herkunft der Stücke und unterschiedlichen Stilen ist inzwischen üblich geworden. Das Quintett ist erfolgreich dabei, seine eigene Spielart zu entwickeln – zeigt aber auch, dass es erst am Anfang steht. Das Stilprinzip, tanzbare Stücke aus einem eher sperrigen Intro heraus zu entwickeln, wird ein wenig zu oft eingesetzt, redundante Instrumentalpassagen wirken nur gelegentlich suggestiv und immer wieder auch etwas langatmig, und solistischen Elementen dürften Alma auch mehr Platz einräumen.
Doch auch wenn Alma keineswegs so elegant swingen mögen wie Frank Sinatra und weniger mitreißend aufspielen als die Teufelsgeiger vom Balkan – ihre Bühnenpräsenz ist sympathisch und ihr Programm unterhaltsam. Ihre für eine Blaskapelle komponierte „Endholzner Feuerwehrtuschpolka“ bringen sie mit einer derartigen Verve, dass man keinen Blechbläser vermisst, und für die Umsetzung von Getratsche im Park lassen sie ihre Geigen lebendig zwitschern. Ein fast durchweg kurz gestrichener Bass vermittelt ebenso heimisches Volksmusikflair wie die Vokaleinlagen.

Noch leben Alma auch vom Charme der Jugend, der sich etwa in gelegentlich holprigen – aber gerade dadurch natürlich und authentisch wirkenden – Ansagen ausdrückt. Ein weiteres Album, das bald aufgenommen werden soll, wird die nächsten Schritte zeigen.

Offizielle Homepage von Alma

(Foto: TheNoise)

Hazmat Modine „Live“

[amazon_image id=“B00JW3R66C“ link=“true“ target=“_blank“ size=“medium“ class=“alignleft“]Hazmat Modine „Live“[/amazon_image][rating=3] Faszinierendes Gebräu aus Blues, Jazz, Klezmer, Balkanbläsern und Rockmusik

Hazmat Modine sind eine locker zusammengefügte Band aus New York, die sich um den Sänger und Harmonikaspieler Wade Schuman gruppiert. Der exotisch klingende Bandname hat eine einfache Bedeutung, die man allerdings auch leicht behämmert finden kann: Hazmat ist ein Akronym aus ‚Hazardous Material‘, also Gefahrgut, und Modine ist der Name eines Herstellers von Heizlüftern. Weil die Band gerne und oft Instrumente wie Saxophon, Sousaphon und Trompete einsetzt und diese nach Ansicht Schumans eine Menge ‚heiße Luft‘ produzieren ist der Bandname durchaus sinnfällig.

„Live“ ist die dritte Veröffentlichung der Amerikaner. Wer ein Faible für musikalische Vielfalt hat, den erwartet unter anderem eine Version von „Baby please don’t go“, die geeignet ist, eine Gänsehautentzündung (das Copyright darauf gebührt Mehmet Scholl) zu produzieren. Ganz große Klasse, wie Schuman und Co. diesen Delta-Blues-Klassiker von Big Joe Williams aus dem Jahr 1935 elektrifizieren, entstauben und neu interpretieren.

Die stilistische Bandbreite von Hazmat Modine ist verblüffend. Hört man eben noch eine postmoderne Band, die mit allen Wassern gewaschen ist und den gesamten Katalog des Blues und seiner Interpretationsmöglichkeiten von den Zwanzigern über den Chicago Blues der Fünziger und Sechziger bis in die Gegenwart präsent zu haben scheint, erklingt im nächsten Augenblick „Walking Stick“ von Irving Berlin. Unmittelbar nach Anklängen an John Mayalls Mundharmonikaspiel oder an einen Rockjazz-Bläsersatz tritt eine Querflöte aus dem Cool-Jazz auf den Plan, um im nächsten Augenblick von einem Song im Reggae-Rhythmus abgelöst zu werden.

Die verbindende Klammer ist Wade Schumans Stimme, die mal an die Bluesshouter vom Schlage eines Howlin‘ Wolf oder Big Joe Williams gemahnt, aber auch gekonnt Klezmer-Songs, Eigenkomposititonen oder Klassiker der amerikanischen Unterhaltungsmusik interpretiert. Die Band hat sichtlich Spaß daran, von einem Genre ins nächste zu wechseln und spielt, als ob der Teufel hinter ihr her wäre. Eine weitere wichtige Basis sind die vielfältigen musikalischen Interessen der beteiligten Musiker, darunter versierte Session- und Studioprofis sowie die durchaus ungewöhnliche Instrumentierung mit dem Sousaphon als Bassersatz, Mundharmonika, Tuba, Steelgitarre und anderem.
Hazmat Modine sind sozusagen eine zeitgenössische Variante des kulturellen amerikanischen ‚melting pot‘ der verschiedenen Musikstile – wilde Mischung, aber sie gefällt.

 

Coconami „San“

Coconami "San"

Coconami [rating=3] Ein bayerisch-japanischer Ukulele-Culture-Clash

Die beiden Musiker von Coconami haben ihr drittes Album „San“ betitelt. Wir sind noch da, oder wir sind immer noch da, könnte man als Bayer da etwas frotzelig heraushören. „San“ bedeutet aber auf japanisch schlicht und einfach ‚drei‘.

Als eine Art japanisch-bayerischer Ukulele-Culture-Clash begleitet uns die Band nun schon seit einigen Jahren; nun wurden wieder einige bekannte Ohrwürmer und ein paar Traditionals ukulelisiert bzw. coconamisiert.
„Ghost Riders In The Sky“ ist nun ziemlich stark abgespeckt, „Azzurro“ von Paolo Conte (bzw. von Adriano Celentano, der es bekannt gemacht hat. Anm. d. Red.) wird sogar gesprochen. Dieses Konzept funktioniert wieder erstaunlich gut, den manchmal etwas ausgelutschten Originalen wird so frischer Wind eingeblasen. Ein paar Eigenkompositionen fügen sich nahtlos ein.

Mein persönliches Highlight heißt „Dicke Bäckerfrau“ und wird vom Gastmusiker Ken Hatada vorgetragen. Das Lied handelt von der hiesigen (Un-) Freundlichkeit der Dienstleister: »Schau mich nie wieder so an, wenn ich Dir Dein Brot abkauf‘« heißt es in der ersten Zeile.

„Gut, dass es Euch noch gibt“ (Ferdl Schuster ist auch wieder dabei) möchte man am Ende des Albums sagen und „So weit sind Bayern und Japan dann doch nicht auseinander“.

(Cover: Trikont)

Huun-Huur-Tu, 28.5.2014, Tak, Schaan (FL)

Huun-Huur-Tu-DSC_9745Es würde nicht verwundern, zu hören, dass man Huun-Huur-Tu in ihrer Heimat, dem sibirischen Tuwa, Tümelei und Rückwärtsgewandtheit vorwirft. Die Lieder des Quartetts – egal ob überlieferte oder selbstkomponierte – drehen sich vor allem um Pferde und die Liebe, dann um die Liebe und die Pferde und danach noch um Heimat, um die Tradition und um die Macht der Natur.
Dass sie einen musikalisch ungewöhnlichen Ansatz verfolgen, wissen nur Eingeweihte. Huun-Huur-Tu bringen den üblicherweise solo gesungenen Kehlkopfgesang im Bandkontext, mit traditionellen Instrumenten wie der Igil (eine zweiseitige Pferdekopfgeige), der ebenfalls mit dem Bogen gestrichenen Byzaanchi, der Holzflöte Shoor oder dem Banjo-ähnlichen dreiseitigen Zupfinstrument Doshpuluur. Und auch das ist nicht mehr neu – allerdings dank Huun-Huur-Tu, sie machen diese Art Musik seit ihrer Gründung vor gut zwanzig Jahren.
Dennoch besticht ihre Musik auch heute noch. Dabei ist es egal ob sie ihre langgezogenen, von gutturalen Klängen bestimmten Lieder singen, ob sie gefälligere Melodien im Galopp durch den Saal treiben oder ob sie düster-atmosphärische Stücke wie das an der Grenze zum Psychedelischen liegende „Orphan’s Lament“ intonieren. Das Quartett erhält die Spannung nicht nur durch den Wechsel zwischen langsamen und treibenden Stücken aufrecht, sondern variiert auch die Klangfarben, indem es die unterschiedlichen Stimmen – jeder Musiker singt nicht nur im Chor, sondern übernimmt immer wieder die Leadstimme – beziehungsweise Arten des Obertons in den Vordergrund stellt. Der Ansatz, im zweiten Teil des Konzerts die Klangfarbe mit einer klassischen Gitarre zu erweitern, fällt größtenteils der Technik zum Opfer: Die sanft gezupfte Gitarre ist kaum zu hören.
Doch auch dermaßen unfreiwillig reduziert überzeugen Huun-Huur-Tu. Der unterschwelligen Kraft ihrer Musik kann auch mangelhafte Abmischung nicht viel anhaben.

Bisherige Rezensionen zu Huun-Huur-Tu auf schallplattenmann.de

Offizielle Homepage von Huun-Huur-Tu

Nächstes Konzert: Fr., 4.7.2014, Montafoner Sommer, Schruns (A)

(Foto: TheNoise)

Various „Ayku: Songs of Gastarbeiter Vol. 1“

[amazon_image id=“B00FP45R5O“ link=“true“ target=“_blank“ size=“medium“ class=“alignleft“]Various „Ayku: Songs of Gastarbeiter Vol. 1″[/amazon_image][rating=2] Songs türkischstämmiger Musiker in Deutschland von den frühen 1970ern bis in die 1990er Jahre.

Was erfreut den aufrecht linken Lehrer, die evangelische Gemeinde mit angeschlossenem dritten Welt-Laden und die politisch interessierte Studentin gleichermaßen? Den Soundtrack zur korrekten Gesinnung – und den bietet der unermüdlich engagierte Trikont-Verlag mit „Songs of Gastarbeiter Vol. 1“.

‚Kleine‘ Einschränkung: ‚Gastarbeiter‘ bedeutet hier ausschließlich Türkei. Lediglich türkischstämmige Künstler und ihre in Deutschland entstandene Lieder wurden hier zusammengefasst (mit einer skurrilen Ausnahme, s. unten). Der thematische Kontext der Zusammenstellung bewegt sich vom agitatorisch-kämpferischen „Deutsche Freunde“ von Ozan Ata Canani aus den Siebzigern bis zu zaghaften World-Music-Anklängen aus den Neunzigern.

Bezeichnend, dass zumeist ‚typisch türkische‘, arabeske, Instrumente wie die Saz und entsprechende Klänge den ‚exotischen Sound‘ dominieren, aber auch Synthies und Drumcomputer zum Einsatz kommen, die den Songs etwas konventionelles, pop- oder schlagerhaftes verleihen. Das wirkt dann ein wenig wie eine politisch aufgeladene und bisweilen etwas amateurhaft produzierte Lesart der Popmusik.

Es gibt aber auch musikalische Aufnahmen: Asik Metin Türköz etwa, der zu sehr reduzierten Klängen zweisprachig singt oder Mahmut Erdal, der jenseits der Rhythmen und Klänge der Popmusik agiert. Gülcan Opel singt ihren Titel gleich in ihrer Heimatsprache, ebenso Yüksel Özkasap, den zahlreichen türkischen Fans als überaus erfolgreiche ‚Nachtigall von Köln‘ bekannt, dem deutschen Publikum bis heute eine Unbekannte. Ein Kuriosum der CD kommt von einem Künstler namens Yusuf, der davon singt, dass er als »Türkisch Mann nur türkisch leben kann«. Hört man genauer hin, entlarvt man die Masche: Ein unüberhörbar schlecht imitierter türkischer Akzent ‚mit angeklebtem Schnurrbart‘ von einem mäßig begabten (vermutlich deutschen) Sänger, 1977 von Decca (!) aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen veröffentlicht. Aus heutiger Sicht bestenfalls ein hilfloser Versuch, die Realität der ‚Gastarbeiter‘ in witzige, radiotaugliche Musik zu transportieren. Das Ergebnis ist im höchsten Maße rassistisch, wie man in einem Youtube-Video nachhören kann (das wir aus urheberrechtlichen Gründen an dieser Stelle nicht verlinken dürfen).

Echte Begegnungen sind auf der Zusammenstellung eher die Ausnahme: Gurbetci Riza adaptiert mit „Dir, Dir“ (etwa ‚Bla, Bla‘) ironisch-kritische Muster, die an die Rai-Musik französischer Herkunft erinnern, doch mit zunehmender Dauer des Aufenthaltes ‚in der Fremde‘ verlieren die Titel ihre kämpferischen Intentionen oder melancholischen Obertöne und orientieren sich zusehends professioneller an internationalen Standards der Weltmusik, was sie etwas austauschbar macht.

Fazit: Wer sich darauf einlässt, kann bei dieser durch den Berliner Autor Imran Ayata und den Münchner Schauspieler Bülent Kukkukcu (=Ayku) zusammengestellten Sammlung eine musikalische Reise durch einen Ausschnitt aus der Geschichte der Musik der türkischen ‚Gastarbeiter‘ in Deutschland bis zur türkischen Popmusik ‚Made in Almanya‘ – eine Stück Zeitgeschichte, die der deutschen Mehrheit nahezu unbekannt ist. Sozusagen Geschichtsunterricht mit Augenzwinkern und wippendem Fuß.

(Foto: Trikont)

Nadja Räss meets Madagaskar, 30.11.2013, Tak, Schaan (FL)

Räss-DSC_5968Stocksteif stehen sie auf der Bühne, die 17 Männer des Jodelclubs Thurtal, im traditionellen Gewand mit dem weißen, kurzärmeligen Hemd unter dem roten Gilet, die Hände in den Hosentaschen vergraben. Dann beginnt Nadja Räss aus dem Off hinter dem Zuschauerraum und demonstriert mit dem simplen, oft verwendeten Stilmittel unvermittelt die Kraft, die im Naturjodel steckt, und die sich mit dem Einfall der Männerstimmen noch einmal ungemein verstärkt.

Die Frage, ob diese Musik im «natürlichen» Umfeld – in den Bergen oder im Stall – anders wirkt, stellt sich nicht. Denn kaum einer der Sänger wird die Sommer auf der Alp verbringen. Längst sind es Zimmerleute und Elektromonteure, Lehrer, Bank- und Versicherungsfachleute, die das Brauchtum lebendig halten. Ohnehin kommt zumindest beim Naturjodel niemand in Versuchung, die „gute alte Zeit“ heraufzubeschwören. Er beruht auf Silben und wird von Nadja Räss und den Thurtaler Sängern ungemein ausdrucksstark vorgetragen.

Talilema-DSC_5976Geografisch liegen Madagaskar und die Schweiz weit auseinander, doch musikalisch sind sie sich ganz nah. Hier wie dort gehört Jodeln zum Brauchtum – und die Jodeltechnik des Inselstaates wirkt noch elaborierter als sie in unseren Breitengraden gepflegt wird.

Die gleichen Mittel führen beim Duo Talilema zudem zu einem gänzlich anderen Ergebnis. Nicht geerdet und von sakral anmutender Feierlichkeit ist die Musik des virtuosen Duos, sondern von treibender Lebensfreude. Kelemi, Multiinstrumentalist und Sänger, legt mit traditionellen Zithern – der kastenförmigen Marovany und der Valiha aus Bambusrohr – oder der kleinen, rechteckige Gitarre Kabosy den Boden für die eingängigen Melodien und die vokalakrobatischen Überschläge von Gellé Talike. Um die eingängigen Melodien und Refrains ihrer Lieder – durchweg Ohrwürmer – dürfte sie so mancher Popmusiker beneiden.

Räss-DSC_6003Durchmischt mit Solo-Stücken, in denen Nadja Räss zeigt, wie man den Naturjodel gleichermaßen respektvoll und gewitzt erneuern kann, ergibt das ein Programm, das die Gemeinsamkeiten der „Sprache Musik“ zeigt – und es doch nicht schafft, sie über die Kontinente hinweg zu verbinden. Als beim Abschlusslied alle Sängerinnen und Sänger gemeinsam auf der Bühne stehen wird zwar die Freude an der Musik des Gegenübers deutlich, doch die Vermischung bleibt aus. Und sie kommt auch später nicht zustande, als – lange nach dem Konzert – Nadja Räss und die Thurtaler Jodler im Theater-Café ihre Stimmen erheben. Kelemi und Gellé Talike fallen nicht ein, um den getragenen Naturjodel in ein quirliges Regenwald-Potpourri zu verzaubern. Sie bringen ein eigenes Stück, zu dem wiederum kein Toggenburger die Stimme erhebt. Vielleicht wird die Vereinigung im Sommer gelingen – wenn sich beim Naturstimmen-Klangfestival Anfang Juni wieder Gruppen und Solisten aus aller Welt mit Schweizer Musikern auf Klangspurensuche begeben.

Offizielle Homepage des Naturstimmen-Klangfestivals

Offizielle Homepage von Talilema

(Foto: TheNoise)

Dawanggang „Wild Tune Stray Rhythm“

DaWangGang [rating=3] Widerborstige Weltmusik aus China.

Weltmusik aus China, aber keine Angst: Hier treten nicht farbenfroh gekleidete Künstler mit fürs internationale Pop-Publikum glatt gebürsteten ‚exotischen‘ Melodien aus dem Synthie und ‚lieblichen‘ Sängerinnen auf, hier erwartet den Hörer etwas wahrhaft Ungewohntes: eine widerborstige Mixtur aus diversen Saiteninstrumenten, Samples, Elektronik, Pferdekopfgeige, Maultrommel, Perkussion, Obertongesang und anderen Instrumenten. Das hört sich sonderbar an und das ist es auch, gleich wenn Titel wie „Meeting Two Wizzards on the Mountain Road“ mit ihrer ausgeprägten Metaphorik möglicherweise Klischees des alten China heraufbeschwören könnten. Zwar finden sich in der faszinierenden Klangmixtur, die Dawanggang heraufbeschwören natürlich Anklänge an die reiche Musiktradition Chinas oder der Mongolei, aber diese werden durchweg gegen den Strich gebürstet und mit europäischen Einflüssen aus Rock und Avantgarde gekreuzt.

Dawanggang ist ein chinesisch-europäisches Projekt des Multiinstrumentalisten Song Yuzhe. Der Titel des Albums greift einen Begriff der Pekingoper auf; wie uns die Website der Band informiert, handelt es sich dabei um eine Art „Katzenmusik“. Humor hat die Truppe also. Manchmal wirken die Titel jedoch etwas überambitioniert, die Musik zu angestrengt um Originalität und um die Vermengung von Modernität und Tradition bemüht. Gelegentlich beschleicht einen beim Hören das Gefühl, Anspielungen oder Zitate aus der europäischen Avantgarde- und Rockszene der vergangenen Jahrzehnte zu hören. Auch der Gesang kann bisweilen anstrengen, wie auch die Assoziationen zur Peking-Oper. Zum Nebenbeihören ist „Wild Tune Stray Rhythm“ wirklich nicht geeignet. Die fünf Musiker und ihre Gäste wollen die ganze Aufmerksamkeit. Können Sie haben, aber nicht allzu oft, denn dafür sind die erzeugten Klangwelten dann wieder zu ‚kunstvoll‘, obwohl Titel wie „Talking about Birds“ oder „For Children“ das nicht unbedingt nahe zulegen scheinen.

Im Gesamteindruck ergibt sich eine aufregende, wenn auch mitunter anstrengende Klangreise für die Ohren, während der Rest unserer Hülle bequem auf dem Sofa ruht und hin und wieder von den schrillen Klängen der Pferdekopfgeige aufgeschreckt wird. Gut so! Zu viel Ruhe ist auch der deutschen Eiche und dem deutschen Michel nicht bekömmlich und der Bambus biegt sich sowieso im geschmeidig im Wind.

Offizielle Website von Dawanggang
→ Dawanggang bei Soundcloud

(Bild: Jaro)

Red Baraat „Shruggy Ji“

Red Baraat [rating=3] vital und ausgelassen

Früher sorgte der Kolonialismus für den Kulturaustausch – zum Beispiel indem die Briten die Blasmusik nach Indien brachten. Das veränderte die nordindische Musikkultur, in der es längst üblich sein soll, die Braut am Hochzeitstag auf ihrem Weg zum Haus der Bräutigams mit fröhlich-treibender Blasmusik zu begleiten. Mit ihrer von der Baraat-Zeremonie inspirierten Spielart bringen Red Baarat die Blasmusik auf friedlichem Weg wieder zurück. Und obwohl es weder in ihrer Heimat, noch in Europa einen Mangel an quirligen Blasmusikgruppen gibt, wurde die Musik von Red Baraat begeistert aufgenommen.

Wie auf dem erste Album („Chaal Baby“, 2012) bringt die achtköpfige Band auch auf „Shruggy Ji“ fröhlich-schrille Tanzmusik, die sich mit ausgelassenen Marching-Bands ebenso locker messen kann wie mit furiosen Balkan-Bläsern. Die in New York beheimatete Gruppe um Dhol-Spieler Sunny Jain verschmilzt den vitalen Bhangra-Rhythmus mit Funk, Latin und Jazz, garniert mit ausgelassenen Gesängen und fetzigen Soli.

Bisherige Rezensionen zu Red Baraat auf schallplattenmann.de

Offizielle Homepage von Red Baraat

(Foto: Jaro)

Socalled „Sleepover“

Socalled - Sleepover

Socalled [rating=3] Pralinenschachtel der Sorte ‚Wild-feiner Stilmix‘

»Das Leben ist wie eine Pralinenschachtel: Man weiß nie, was als Nächstes kommt«, so eine Lebensweisheit von Forrest Gumps Mutter. Hört man „Sleepover“, den neuesten Streich des Kanadiers Josh Dolgin aka Socalled, kommt einem die Maxime von Mama Gump automatisch in den Sinn. ‚Kindergeburtstag‘ wäre eine andere passende Assoziation. Bunt und kurzweilig wirken die Songs auf „Sleepover“, die Mr. Socalled teilweise schon länger im Repertoire führt.

Das Album ist bereits zwei Jahre alt, wurde aber erst jetzt hierzulande veröffentlicht. Da rappelt die Beatbox, Funk-Bläser fallen ein und Socalled und seine Freunde erzählen seltsame Geschichten. Der Titelsong handelt davon, dass ein Durchschnittstyp mit Hornbrille und Flanellpyjama nachts unsanft von einer Horde feierwütiger Puppen aus dem Schlaf gerissen wird. Die Folge: eine Hausparty der anderen Art.

„Unlvd“ klingt dagegen wie eine Art Hybrid-Version des 1970er- und 1980er Jahre Funk – Prince lässt grüßen. Kein Wunder, denn Fred Wesley, Boban Markovic, The Mighty Sparrow oder Roxanne Shanté spielen auch alle mit und bieten mit dieser Mischung den einen oder anderen Aha- und gleichzeitigen Verfremdungseffekt. Eine  Vorgehensweise, mit der auch Bands wie Animal Collective, das LCD Soundsystem oder Popstars wie Kanye West und Madonna stilistische Anleihen aus jeder Richtung beziehen.

Damit soll nicht Beliebigkeit oder Schielen nach dem Angesagten unterstellt werden, wohl aber programmatische Absicht. Eklektizistisch ist die passende Bezeichnung für diesen Mix aus schwarzer Tanzmusik, Balkan-Bläsern, französischen Rap-Einlagen, Soul, Elektro-Funk und als ‚Topping‘ schräger Humor: eine interessante Mischung bekannter Zutaten.

Josh Dolgin hat ein Händchen für Melodien, allerdings taugen seine Songs wegen des wilden Stilgemischs eher nicht zum Ohrwurm. Trotzdem setzen sich Melodiefragmente, Textzeilen, hier ein Klarinettensolo, dort eine Fiddle oder ein Funk-Bass beim wiederholten Hören immer fester in den Gehörgängen fest, bis man sich irgendwann erstaunt dabei ertappt, dass man eine seiner Melodien vergnügt vor sich hinbrummt, über „Gummi Bears“ sinniert oder den fröhlichen Rhythmus von „Sleepover“, der ein wenig an Bläser-Bands vom Balkan erinnert, in den zwei linken Beinen spürt. Hat man gerade verstanden, dass „Work with what you got“ eine Einladung zum fröhlichen Anders- oder Man-Selbst-Sein ist, folgt mit „Springhill Mine Desaster“ ein Coversong der Dubliners und damit der Sprung zu folkloristisch angehauchten Canadiana-Klängen, die allerdings mit zurückhaltender Elektronik und Piano-Sounds angereichert sind.

„Sleepover“ ist nichts für die Liebhaber von musikalischem ‚Schniposa‘ (Schnitzel, Pommes, Salat), sondern für entdeckungslustige Hörer, die beim wiederholten Hören immer neue Details entdecken wollen. So entsteht eine Art musikalisches Gesamtkunstwerk aus einer Vielzahl von Zutaten unter reger Beteiligung guter Musiker. Josh Dolgin als Mastermind drängt sich dabei nicht in den Vordergrund, sondern fügt sich in sein Ensemble ein. Das Ergebnis ist moderne Weltmusik. Kurioserweise liefert das Album mit den Titeln 11 bis 17 selbst Remixe der ersten 10 Songs, davon gleich drei teils recht bizarre Versionen des Titelstücks und eine rasant beschleunigte Version von „Unlvd“, die einen atemlos zurücklässt.

Auf den ersten 10 Titeln von „Sleepover“ lädt er zur Pyjama-Party mit Chips, Gummibärchen und Soda, dann schmeißt er kurz die gut geölte Tanzmaschine an. „Sleepover“ ist also tatsächlich eine Art Pralinenschachtel, wobei die Mischung  nicht die ‚Feine Auslese‘ ist, sondern eine  Entdeckungsreise in Neuland. Wer sich darauf einlässt, wird mit Überraschungen musikalischer Art gut bedient.

Offizielle Homepage von Socalled