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Bassekou Kouyaté „Jama ko“

Bassekou Kouyaté - Jama Ko

Bassekou Kouyaté - Jama Ko[rating=3] Wenn man das Rad erfunden hat, kann man es noch immer verbessern – Bassekou Kouyaté tüftelt erfolgreich weiter

Vor einigen Jahren hat Bassekou Kouyaté ein eigentlich simples, aber trotzdem überaus originelles Konzept umgesetzt: ein Ngoni-Ensemble, vergleichbar einem Streichquartett, mit dem er eigene und traditionelle Liedern unterschiedlicher Ethnien interpretiert und damit auf Anhieb internationale Erfolge feierte. Seine Klänge und Kompositionen selbst sind nicht experimentell. Und in einer Zeit, in der selbst auf malischen Dorffesten die Musikanten mit elektrifizierten traditionellen Instrumenten spielen, ist auch Kouyatés Einsatz von Effektgeräten nicht mehr außergewöhnlich.

So ist es kaum verwunderlich, dass die interessanteste Weiterentwicklung von Bassekou Kouyaté nicht im musikalischen Bereich liegt. Hier steht er zwar nicht still, variiert aber doch ’nur‘ das bestehende Konzept. Auch die wiederholte Zusammenarbeit mit Taj Mahal, so nett das Ergebnis auch sein mag, führt nur einmal mehr zusammen, was schon öfters zusammengeführt wurde – den Blues und die afrikanische Musik, die von vielen als dessen Ursprung betrachtet wird.

Bemerkenswerter ist daher der persönliche Wandel, den die Ereignisse in Mali hervorgerufen haben. Sie hätten ihn politisiert, berichtet Kouyaté in einem Interview. Das Ergebnis ist hörbar: Er verurteilt den Putsch und hat als Aufruf  zu Frieden und Toleranz auf zur „Jama ko“ geladen, zur ‚großen Versammlung‘. Das Titelstück hat er mit Musikern aller Ethnien und Religionen eingespielt.

Das Album ist von treibenden Stücken geprägt. Kouyaté selbst zeigt sich wieder ungemein virtuos, und neben seiner Frau Amy Sacko singen Zoumana Tereta, Khaira Arby und Kassé Mady Diabaté. Seine Band – mittlerweile sind seine beiden Söhne Mamadou und Moustafa dabei – wird für fast jedes Stück um Gastmusiker erweitert, vor allem um einheimische Balafon- und Ngoni-Virtuosen, aber auch um die kanadischen Folkmusiker Andrew und Brad Barr.

„Jama ko“ zeigt, dass man das Rad nicht immer neu erfinden muss, aber in jeder Erfindung Entwicklungspotenzial steckt – Bassekou Kouyaté tüftelt erfolgreich weiter.

Bisherige Rezensionen zu Bassekou Kouyaté & Ngoni Ba auf schallplattenmann.de

Offizielle Homepage von Bassekou Kouyaté

(Foto: Outhere)

Samba Touré „Albala“

Samba Touré [rating=4] Desert Blues at its best

Er ist ein musikalischer Ziehsohn seines Namensvetters Ali Farka Touré und ein würdiger Verwalter von dessen Erbe. Die Musik von Samba Touré verströmt große Gelassenheit, ist jedoch sehr bestimmt und fern von jeglicher Afropop-Fröhlichkeit.

Der in der Region von Timbuktu geborene Samba Touré ging wegen der besseren Jobperspektiven schon als junger Mann nach Bamako. Dort lernte er das Gitarrespiel, gründete Bands und begeisterte sich für den Desert Blues von Ali Farka Touré. Der holte seinen Adepten 1997 in seine Tour-Band, was ihn offensichtlich nachhaltig prägte.

Auch Samba Tourés Gitarrenspiel ist von der Art inspiriert, in der traditionelle Instrumente wie die N’Goni gespielt werden. Das ist nach wie vor – und gerade im Zusammenspiel mit der N’goni, die auf allen Stücken dieses Albums zu hören ist – überaus reizvoll. Immer wieder gibt es gesprochene Passagen und den für malische Musik typischen Chorgesang. Bei Samba Touré sind es jedoch nicht die gewohnten, hellen Frauenstimmen, sondern ein dunklerer Männerchor, der hier den Ton angibt und sich letztlich vom traditionellen Vokaleinsatz deutlich abhebt. Touré hat alle Stimmen selbst eingesungen sowie die meisten Gitarren und teilweise die Percussions eingespielt. Für ein wenig Underground-Grummeln sorgt übrigens Hugo Race, schon früh ausgeschiedenes Gründungsmitglied von Nick Caves Bad Seeds und aktuell Mitglied von Dirtmusic, dessen anderes Mitglied, Chris Eckman von den Walkabouts, das Album produziert hat.

Samba Touré ist ein politischer Liedermacher und kommentiert die aktuelle, prekäre Situation in Mali. Damit steht er – soweit man das aus der englischen Übersetzung herauslesen kann – durchaus in der Tradition afrikanischer Musik. Allerdings appelliert er kaum direkt an seine Mitbürger, sondern formuliert seine Anliegen meist indirekt. (Ausnahmen wie „Al Barka“, in dem er zum sorgsamen Umgang mit Wasser auffordert, bestätigen die Regel.) Der düstere Ton, der manche seiner aktuellen Texte kennzeichnet, spiegelt sich in der Musik wider, die nicht von ausgelassener, sondern vielmehr von Sorgen umwölkter Ruhe geprägt ist. Es werden nur wenige Instrumente eingesetzt, diese jedoch umso bewusster. Die einseitige Fiedel Sokou beispielsweise, mit der Zoumana Tereta in drei Stücken für eigenwillige Akzente sorgt, findet man in kaum einer afrikanischen Pop-Produktion.

Dass die Musik von Samba Touré gelegentlich wie ein Nachhall von Ali Farka Touré klingt, ist weder überraschend noch zu kritisieren. Samba Touré trägt das Erbe des Grammy-Gewinners nämlich nicht weiter, indem er den 2010 verstorbenen Gitarristen plagiiert, sondern indem er sie mit eigenen Ideen und aktuellen Bezügen weiterführt.

Offizielle Homepage von Samba Touré

(Foto: Glitterbeat)

Attwenger „Clubs“

Attwenger - Clubs[rating=3] Höllenritt im Attwenger-Autodrom

Seit mehr als zwanzig Jahren zieht das Duo Attwenger durch die Clubs – vor allem in den deutschsprachigen Ländern, aber auch in den USA oder Asien. Im Gepäck haben sie kaum mehr als Schlagzeug und Steirische Harmonika, aber auch originelle Weltbetrachtung und dadaistischen Witz. Ihre Kompositionen sind überwiegend von suggestiver minimalistischer Redundanz, die eigentlich Zeit braucht, um zu wirken. Dass sie jedoch auch zersplittert nichts von ihrer Kraft einbüßen, zeigen die Schnipsel, die Markus Binder und Hans-Peter Falkner auf „Clubs“ zu einem knallbunten, sich fortwährend drehenden Kaleidoskop arrangieren. Wie im Cut-up-Roman reihen sie Songfragmente, Ansagen und Statements in harten Schnitten aneinander. Ein Album wie eine Boxautofahrt – kaum eine ruhige Sekunde, nicht vorhersehbar und durchgängig spaßig.

„Clubs“ versammelt Live-Mitschnitte – zum Teil mit Gästen wie den Gitarristen Harri Stojka und Fred Frith, Wolfgang Schlögl von den Sofa Surfers und, in einem allerdings schwachen Beitrag, Sigi Maron –, unveröffentlichte Stücke und Skurriles wie den Live-Mitschnitt einer TV-Übertragung, in der ein Fußballer namens Attwenger ein Tor schießt. Auch das passt, weil es wie eine unfreiwillige Parodie wirkt.
Dieser wilde Mix wird von einer DVD mit zwei selbstgebastelten, während zweier Tourneen mit dem Mobiltelefon aufgenommenen Roadmovies begleitet, die man vor dreißig Jahren mit der Etikette ‚punkig dillettantig‘ erfolgreich vermarktet hätte. Alles in allem: Ein vergnüglicher Höllenritt im Attwenger-Autodrom.

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Offizielle Homepage von Attwenger

(Foto: Trikont)

Emel Matlouthi, 19.4.2013, Seelax, Bregenz (A)

Emel MathloutiDas Leben, die Liebe – ein Lamento

Nach der Ankündigung von Nirvanas „Smells Like Teen Spirit“ ist das Entsetzen im Publikum förmlich spürbar. Man möchte zwar die ‚Stimme der tunesischen Revolution‘ hören, aber die Kritik lieber in der gefälligen Getragenheit erleben, die das Konzert durchweg bestimmt, und nicht im aufsässig-aggressiven Duktus der Grunge-Band. Das explosive Stück passt  auf den erst Blick gar nicht zu den durchweg klagenden Liedern der tunesischen Sängerin. Trotzdem ist es weder inhaltlich noch musikalisch ein Fremdkörper in ihrem Programm. Denn schon zuvor hat Emel Mathlouthi den Rap-Song eines Freundes in ein mit Arabesken geschmücktes Chanson transformiert. Mit ihrer enorm reduzierten Version von „Smells Like Teen Spirit“, gibt sie auch diesem Stück einen ganz anderen Charakter – es wird zu einer fast resignativen Forderung.

Emel Mathlouthi, zu deren Vorbildern westliche Protestsänger wie Joan Baez und Bob Dylan ebenso zählen wie Björk oder der bereits in den 90er-Jahren verstorbene ägyptische politische Liedermacher Cheikh Imam, ist eine zeitgenössische Liedermacherin. Sie vermischt westliche und arabische Einflüsse und verwendet die moderne Technik mit Loops und elektronischen Klängen ebenso wie akustische Instrumente. Ihr Auftritt im Trio mit Gitarre und Violine ist reduziert. Die Möglichkeiten, die auch diese Formation bietet, schöpft sie bei weitem nicht aus. Der Einsatz von Loops bleibt gewöhnlich, der wenig originelle Gitarrist wirkt durchweg uninspiriert. Dem Trio gelingt es nicht, die fehlenden perkussiven Elemente mit ihren Mitteln zu erzeugen. Nur Violinist Zied Zouari setzt gelegentlich Akzente in einem Konzert, das durchweg von Emel Mathlouthi bestimmt bleibt. Diese wirkt zwar bis zum Schluss seltsam gehemmt, lässt aber immer wieder aufblitzen, wie lebendig sie sein kann. Das mag zum einen daran liegen, dass das Set, beim dem selbst Liebeslieder zum Lamento werden und weder Fröhlichkeit noch Zuversicht verbreiten, zu monoton konzipiert ist. Erst beim letzten Stück geht Mathlouthi etwas aus sich heraus und zeigt deutlicher als vorher, dass sie nicht nur eine ausdrucksstarke Interpretin ist, sondern auch mitreißend sein kann.

Offizielle Homepage von Emel Mathlouthi.

(Foto: TheNoise)

Rokia Traoré „Beautiful Africa“

Rokia Traoré [rating=3] Von gefühlvoll bis ausgelassen – Afropop mit rockiger Note

Man kann es Rokia Traoré nicht verdenken, dass ihr neues Album ein Stück weit eingängiger klingt als frühere. Denn auch wenn sie im Titelstück explizit auf die aktuellen gewaltsamen Auseinandersetzungen in verschiedenen afrikanischen Ländern verweist und ihre Mitmenschen zum verständnisvollen Dialog aufruft, befinden sich ihr Publikum und die Käufer ihrer CD überwiegend in Europa. Als Diplomatentochter ist sie nicht nur mit der heimischen Musik eines Sori Kandia Kouyaté aufgewachsen, sondern hat genauso selbstverständlich die Chansons von Joe Dassin, Janis Joplin und die Dire Straits gehört.

Rockmusik, hat die malische Musikerin gesagt, habe sie dazu bewogen, Gitarre zu lernen. Und jetzt rockt auch sie, wobei die verzerrte Gitarre zwar immer wieder hervorsticht, sich aber gleichermaßen an ihre Songs schmiegt. Doch auch wenn Rokia Traoré rockige Klänge in mehr als homöopathischen Dosen verabreicht, macht das „Beautiful Africa“ noch lange nicht zum Rockalbum. Den Auftakt macht ein treibend-simpler Blues („Mala“), der in Mali längst in seiner eigenen Spielart beheimatet ist. Das von einer gefühlvoll gespielten Ngoni begleitet „N’Teri“ und das teilweise in Englisch gesungene „Sarama“ sind berührende Balladen, und mit den leicht funkigen Up-Tempo-Stücken „Tuit Tuit“ und „Beautiful Africa“ zeigt Rokia Traoré ihre ausgelassene Seite. Dass sie mit letzteren in die Fußstapfen von Sängerinnen wie Angelique Kidjo tritt, schadet dem Vergnügen keineswegs.

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(Foto: Outhere)

 

Mansour Seck, 10.4.2013, Spielboden, Dornbirn (A)

Mansour SeckObwohl Mansour Seck seit Jahrzehnten auf der Bühne steht und auch einige Solo-Alben herausgebracht hat, ist er immer im Schatten seines Jugendfreunds Baaba Maal geblieben, in dessen Band er schon seit Langem spielt. Dass der senegalesische Gitarrist und Sänger, dessen letztes Album „Yelayo“ bereits vor mehr als 15 Jahren erschienen ist, jetzt ohne neues Material tourt, ist überraschend – und erfreulich.

Die repetitive Struktur, der dem Talking Blues ähnliche Sprechgesang und die ausufernde Länge seiner Lieder verweisen deutlicher auf die Ursprünge der afrikanischen Musik als die aktuellen, für das westliche Publikum geglätteten Afropop-Produktionen. Traditionell ist die Musik von Mansour Seck trotzdem nicht, was schon die Besetzung mit zwei Gitarren und E-Bass zeigt. Er verzichtet auf Perkussion und den in der westafrikanischen Musik beliebten Chorgesang. Die Grundlage seiner Lieder bilden das fließend-rhythmische, gezupfte Gitarrenspiel, das er meist dem entspannt spielenden Mama Gaye überlässt, und die flirrende Ngoni von Cire Sall. Für das Fundament sorgt der stets im Hintergrund bleibende, aber immer wieder prägnant spielende Bassist Mbara Cissé.

Die Musik fließt ruhig und mächtig dahin wie der Senegalstrom – monoton und doch nicht eintönig, äußerlich sanft, aber unterschwellig recht kraftvoll. Mansour Seck ignoriert schon bald die Gitarre; vielleicht auch, weil es mit dem Umstimmen für die wechselnden Tonarten nicht so klappen möchte. Ohne Instrument kann er auch im Stehen singen, was ihm zu gefallen scheint. Seine Blindheit beeinträchtigt ihn sichtlich, trotzdem drängt es ihn mitunter bis knapp an den Bühnenrand. Doch seine besorgten Mitspieler holen ihn, ohne dass es ihr Spiel beeinträchtigen würde, noch rechtzeitig zurück. Die rund zwei Stunden Musik, für die Mansour Seck mit begeistertem Applaus belohnt wird, erinnern an die frühe Zeit der afrikanischen Popmusik, als Westafrika noch nicht von ausgebrannten westlichen Musikern überrannt wurde, die nun schon seit mehr als einem Jahrzehnt in der Exotik und der vermeintlichen Urtümlichkeit der Musik der Wolof, Bambara und Peul neue Inspiration suchen. Das mag ein bisschen altmodisch sein, doch so, wie Mansour Seck es auf die Bühne bringt, wirkt es durchaus zeitlos.

Weitere Termine: 12.04. Salzburg (A), 13.04 Bleiburg (A), 14.04. St. Pölten (A)

Daniel Kahn & The Painted Bird „Bad Old Songs“

Daniel Kahn [rating=3] Daniel Kahn bringt seine übliche Mischung aus jiddischen, deutschen und englischen Liedern. Doch dieses Mal pflegt er das melancholische Grau – durchaus stimmungsvoll, aber stellenweise auch eintönig.

Daniel Kahn ist wie ein Theatermacher, der in alten Stücken den Bezug zum Hier und Jetzt zeigt. Der in Berlin lebende amerikanische Musiker gräbt gerne alte Lieder aus. Viele davon stammen aus dem jüdischen Kulturkreis, aber er vertont auch immer wieder Gedichte von Heinrich Heine und Kurt Tucholsky. Auf seinem letzten Album hat er sogar das arg diskreditierte „Lili Marleen“ interpretiert. Das alles macht es leicht, Daniel Kahn als politischen Musiker in der Tradition von Tucholsky und Brecht zu verorten.

Auf seinem neuen Album – es ist das dritte mit seinen ‚Painted Birds‘ – spielt er neben eigenen Stücken auch das aus dem 19. Jahrhundert überlieferte jüdische Volkslied „A Meydl From Berlin“ und das dem Album den Titel gebende Stück, das von Robert Schumann vertonte Heinrich-Heine-Gedicht „Die alten bösen Lieder“. Er singt aber auch nicht ganz so alte Lieder – von Franz Josef Degenhardt, Leonard Cohen und vom griechischen Liedermacher Dionysis Savvopoulos.

Während er mit seinen energiegeladenen, rumpelig-rohen Interpretationen bislang den „Tanz auf dem Vulkan“ evozierte, der die Kabarett-Szene zwischen den beiden Weltkriegen auszeichnete, bringt er jetzt überwiegend düstere Lieder – dabei geraten ihm die wenigsten so eindringlich wie die teilweise zornige, dann aber stimmungsvoll ausklingende Heine-Vertonung von „Die alten bösen Lieder“. Die Kastanien aus dem Feuer holt der Liedermacher vor allem mit seiner eindrücklichen, dreisprachigen Version, die er von Degenhardts „Die alten Lieder“ gemacht hat, sowie mit dem einzigen wirklich flotten Stück des Albums: In seinem schwelgerischen Lied „Good Old Days“ stellt der politische Liedermacher überaus humorvoll das Leben unter dem DDR-Regime und die aktuelle Lebenswelt gegenüber und kritisiert dabei den revisionistischen Rückblick auf die DDR genauso wie den heutigen Lebensentwurf, der sich zwar der revolutionären Klischees bedient, sein Aufbegehren aber nicht durch selbstbewussten Widerstand zeigt, sondern durch das Tragen von Accessoires, die Hammer und Sichel zeigen. So macht Daniel Kahn doch noch einiges wieder wett.

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Offizielle Homepage von Daniel Kahn

(Cover: Oriente Musik)

Dobet Gnahoré, Kareyce Fotso, Manou Gallo, 10.3.2013, SAL, Schaan (FL)

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Es geht schon hinter der Bühne los: Bereits im Off beginnend, spazieren Dobet Gnahoré, Kareyce Fotso und Manou Gallo – wie drei Frauen auf dem Weg zur Feldarbeit – singend auf die Bühne. Es ist die erste Demonstration von zwei großartigen Stimmen. Die Sängerinnen Dobet Gnahoré und Kareyce Fotso stehen zu Recht im Rampenlicht, während die Bassistin und Gelegenheitsvokalistin Manou Gallo überwiegend im Hintergrund bleibt.

Es sind drei völlig unterschiedliche Charaktere, die sich auf der Bühne treffen. Kareyce Fotso gibt die Diva mit künstlichem Lächeln und Hochsteckfrisur, die exaltierte Dobet Gnahoré wirbelt wie ein wild gewordener Dschinn über die Bühne, und die energische Manou Gallo wirkt wie die moderne energische Geschäftsfrau im europäischen Stil. Diese unterschiedlichen Charaktere scheinen Vielfalt zu versprechen, wird im Konzert allerdings nicht durchweg geboten wird. Aber man kann sich an den unterschiedlichen Temperamenten auch während der wenigen eher gleichförmig-flotten Passagen erfreuen.

Angetrieben wird die Musik der drei Frauen von einem exzellenten Balafon-Spieler, einem gediegenen Schlagzeuger und einem gediegenen Rhythmusgitarristen, der sich seiner Aufgabe als Solist nur mäßig gewachsen zeigt.
Besonders eindrücklich gerät „Mayole“, eines der beiden ruhigsten Stücke des Abends, zu denen sich Kareyce Fotso mit einer simpel gezupften Gitarre begleitet. Nach einigen Strophen steigen ihre Mitmusiker ein und treiben das melancholische Lied über Naturzerstörung bis zur kontrollierten Ekstase – und aus der lächelnden Diva wird eine entrückte Schamanin, die völlig in der mitreißenden Musik aufgeht.

Obwohl Manou Gallo als Bassistin meist im Hintergrund bleibt, trägt sie maßgeblich zur Abwechslung bei: Dass sie aus live eingespielten Tönen Loops macht und diese übereinander schichtet, ist an sich nicht neu. Doch sie bastelt sich ihre eigenen Ein-Ton-Flöten. Dafür leert sie Mini-Schnapsflaschen so lange Schluck um Schluck, bis die Tonhöhe stimmt. Ihre Human Beatbox macht das verblüffende Klangwerk komplett. Sie verweist damit auch darauf, dass zeitgenössische afrikanische Musik längst mehr ist als die Grammy-verdächtige Mischung aus traditioneller Musik mit Pop, sondern dass von Abidjan bis Yaoundé alle Spielarten der Musik gepflegt werden, die nicht beinahe zwangsläufig Assoziationen rückständiger Agrarwirtschaft wecken. Nur dass diese Musik fast ausschließlich für heimisches Publikum gespielt und produziert wird. Dafür ist das Afropop-Angebot schon längst so groß, dass man daraus auch Multipacks schnüren kann.

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(Foto: TheNoise)

Hamid Motebassem, Sepideh Raissadat und Ensemble Mezrab, 27.1.2013, Völkerkundemuseum München

Hamid Motebassem und Sepideh RaissadatIn seinem Ensemble Mezrab stellt der Komponist und Tar-Spieler Hamid Motebassem sein Hauptinstrument in den Vordergrund. Neben ihm, der auch die kleine Se-Tar spielt, besteht die Besetzung aus zwei weiteren Tar-Spielern (einer davon spielt die tiefer gestimmte Bam-Tar). Mit weiteren Instrumenten der klassischen persischen Musik, der Kurzhalslaute Barbat sowie die Perkussonsinstrumente Daf und Tombak, rundet er den Klang des Ensembles ab. Auf Streichinstrumente wie die oft eingesetzte Kamanche verzichtet Motebassem.

Der vielversprechende Abend begann mit einem kleinen Dämpfer: Sepideh Raissadat sei erkältet, verkündete Hamid Motebassem gleich zu Beginn des Konzerts, sie werde entsprechend zurückhaltend singen. Raissadats Stimme integrierte sich in die vollen Arrangements des ersten Sets. Dabei ging sie keineswegs unter, aber die eher verhaltenen Modulierungen machten sie nicht zu viel mehr als zu einer weiteren, jedoch sicher nicht verzichtbaren Stimme im Tutti. In dunklen, zurückgenommenen Tönen zelebrierte Sepideh Raissadat die überwiegend elegischen Melodien der durchweg von klassischer Strenge gekennzeichneten Kompositionen.

Die Zurückhaltung der Sängerin ließ die Instrumente stärker in den Vordergrund treten, was beim überaus wohltemperierten Spiel der Gruppe gewiss kein Nachteil war. Besonders überraschte die Perkussionistin – und das nicht nur, weil die Bedienung des Schlagwerks üblicherweise Männerarbeit ist. Nagmeh Farahmand spielte ihre Daf und Tonbak so sanft wie kaum ein anderer Perkussionist. Sie sorgte für ein zugleich festes und flauschiges Fundament und umhüllte mit ihren sanften Schlägen die Töne ihrer Mitspieler.

In seinem Programm bringt das Ensemble Mezrab nicht die immer beliebten Vertonungen von Hafis- oder Saadi-Gedichten, sondern die von zeitgenössischen Lyrikern wie Mohammad Reza Shafii Kadkano und auch Akhavan Sales. Als unvermeidbares politisches Statement – nicht nur die Musiker leben im Exil, auch das Publikum besteht fast ausschliesslich aus Exilanten – bringt das Ensemble Mezrab «O Du Gärtner!» von Akhavan Sales, eine Hommage an Mohammed Mossadegh. Dass der iranische Ministerpräsident in den 50er-Jahren mit Unterstützung westlicher Geheimdienste weggeputscht wurde, damit das Erdöl weiterhin nach den alten Regeln fließen kann, war ein politischer Eingriff, der bis heute nachwirkt. Er verhinderte eine Demokratisierung des seit Jahrhunderten fremdbestimmten Landes, was bis heute viele Iraner dazu veranlasst, ihr Land zu verlassen.

Darunter sind viele Musiker, die vornehmlich im Westen ihr Auskommen suchen, etwa die in Kanada lebende Musikerin und Musikwissenschaftlerin Sepideh Raissadat oder der nach Deutschland emigrierte Hamid Motebassem.

Im etwas ruhigeren zweiten Set des Konzerts brachte das Ensemble Mezzrab etwas reduziertere, aber noch gefühlvollere Arrangements. So kam auch die Stimme von Sepideh Raissadat ein wenig mehr in den Vordergrund. Die abschließenden Ovationen waren verdient.

Die Musik des Ensemble Mezrab mag nicht so einfach konsumierbar sein wie die poppigen Songs afrikanischer Musiker. Die besonderen Klangfarben der persischen Musik, ihre Poesie und der durchweg überaus beseelte Vortrag, der auch dieses Konzert prägte, vermitteln einen eigenen Reiz. Umso bedauerlicher, dass die klassische persische Musik nicht öfter auf die Bühne gebracht wird. Es gäbe auch neben den anderen Ensembles von Hamid Motebassem noch vieles zu entdecken.

→ Website von [Hamid Motebassem] (http://mezrab.eu)

((Foto: TheNoise))

 

Norbert Wiedmer/Enrique Ros „El Encuentro – Ein Film für Bandoneon und Cello“

 Norbert Wiedmer/Enrique Ros “El Encuentro – Ein Film für Bandoneon und Cello”Gegensätze ziehen sich an: Die Cellistin Anja Lechner, 1961 in Kassel geboren, sucht die musikalische Begegnung und arbeitet vor allem mit Partnern aus anderen Ländern. Sie spielt im Tarkovsky Quartet des französischen Pianisten François Couturier, interpretiert in Jerewan Kompositionen des armenischen Komponisten Tigran Mansurjan, spielt mit den Russen Misha Alperin und Arkady Shilkloper und seit einigen Jahren mit dem bald 80-jährigen argentinischen Bandoneonspieler Dino Saluzzi, Jahrgang 1935. Der wiederum bewegt sich gerne im vertrauten Kreis und kommt – obwohl er seit vielen Jahren mit Musikern wie dem vor kurzem verstorbenen Schweizer Jazzpianist George Gruntz zusammenspielt – immer wieder an den Ausgangspunkt seiner musikalischen Reise, die Provinz Salta im Nordwesten Argentiniens, zurück.

„El Encuentro“ ist Anja Lechner und Dino Saluzzi gewidmet, die 2007 ihr erstes gemeinsames Album „Ojos Negros“ veröffentlicht haben. Die Klänge von Bandoneon, insbesondere dessen tiefe Register, und Cello würden ungemein gut zusammenpassen, sagt Dino Saluzzi im Film: Gleich und gleich gesellt sich aller Unterschiede zum Trotz recht gern.
Die Filmemacher Norbert Wiedmer und Enrique Ros demonstrieren sowohl den individuellen Hintergrund als auch die gemeinsame Arbeit. Sie folgen den beiden Musikern erst getrennt, etwa Anja Lechner nach Armenien und Dino Saluzzi in die Schweiz, um sie dann bei ihrer gemeinsame Arbeit in Argentinien zu zeigen. Der Film stellt die beiden bei den Proben und in Konzerten vor, mit musikalischen Partnern wie dem Komponisten Tigran Mansurian oder dem Saxophonisten Felix Saluzzi, er bietet Interviewpassagen und auch private Momente. „El Encuentro“ ist ein konventioneller, aber gut gemachter Dokumentarfilm, der nachzeichnet, wie zwei so unterschiedliche Protagonisten einen gemeinsamen musikalischen Ausdruck finden.

Bisherige Rezensionen zu Anja Lechner auf schallplattenmann.de und im Schallplattenmann-Blog

Bisherige Rezensionen zu Dino Saluzzi auf schallplattenmann.de

(Foto: ECM)