Zwanzig Jahre gepflegte Melancholie.
Zwanzig Jahre nach Veröffentlichung des Debüt-Albums der Tindersticks hier nun der neueste Streich der zwischenzeitlich arg dezimierten Band.
Seit 2012 ist man wieder zu fünft, was aber nicht zu grundsätzlicher stilistischer Neuausrichtung führte. Jedoch ist die aktuelle CD „Across Six Leap Years“ auch nicht der geeignete Gradmesser eines möglichen künstlerischen Neuentwurfes. Ganz im Gegenteil, denn alle zehn Songs sind bereits von früheren Veröffentlichungen der Band bekannt. Für die Buchhalter unter uns Fans: drei Titel vom 1995er Album, keines vom Debüt, ansonsten ein ausgewogener Rückblick auf das bisherige Werk mit neuen Sichtweisen, den die Band hier abliefert. Jedoch wirkt der Sound irgendwie lebendiger als früher: Die Haltung ist zwar noch grundsätzlich dieselbe – bei den Tindersticks dringt der Sonnenschein eher nicht durch die zugezogenen schwarzen Gardinen im elegant-verwohnten Salon – aber ein bisserl Tempo, sowie ein Quantum Soul und Jazz haben die Herren zugelegt, und das bekommt ihrer Musik ausgezeichnet.
Wo andere Bands zwei Songs im Repertoire haben, den schnellen und den langsamen, haben die Tindersticks folgerichtig anderthalb zu bieten, den langsamen, klar, und den etwas beschleunigten, bisweilen und beinahe gar einen schnelleren, wobei ihnen zu lauschen immer auch eine Reise in ein musikalisches Universum der Entschleunigung bedeutet. Was einst unter dem Stichwort „Kammerpop“ subsumiert wurde und zweifelsohne dem ausgiebigen Einsatz „klassischer“ Instrumente zu verdanken war, tendiert seit geraumer Zeit zu einem breiteren musikalischen Spektrum. Sänger Staples bleibt dennoch bei seinem angenehmen Bariton und brummelt eher schwer verständliche Texte.
Anscheinend liegt das Verfahren des Song-Recyclings der Tindersticks sogar im Trend, denn auch andere Bands greifen auf aktuellen Alben auf eigene Entwürfe und Songs zurück (etwa The Wire). Die Popmusik schafft ein „selbstreferentielles Zeichensystem“ wie es so schön heißt. Und warum soll man auch nicht eigene, frühere Arbeiten einer neuen Betrachtung unterziehen? Für Tindersticks-Kenner ergibt sich daraus sicherlich eine interessante Vergleichsarbeit, für den Rest der Hörerschaft ist „Across Six Leap Years“ als Einstieg oder für die Wiederentdeckung bestens geeignet. Musik passend zur Jahreszeit.
→ Bisherige Rezensionen zu den Tindersticks auf schallplattenmann.de
→ Offizielle Homepage der Tindersticks
(Foto: tindersticks.co.uk)