Was für ein Abend voller Anekdoten, Erzählungen, launiger Geschichten – und vor allem voller guter Musik! Martin Stephenson und sein Mitstreiter aus alten Tagen, John Steel, zaubern an einem kalten Donnerstagabend im März bereits mit dem ersten Song Rhythmus in die Beine und ein Lächeln ins Gesicht der überschaubaren Anzahl zumeist älterer Zuhörer. Anders als von Jethro Tull in den 70er-Jahren beschrieben, ist heute niemand mehr „Too Old To Rock’n’Roll“; Rockmusik heute ist Musik für ‚Best Ager‘ und noch ältere Zeitgenossen.
Martin Stephenson, seit nummehr auch schon 30 Jahren sowohl mit Band als auch solo unterwegs und zuletzt 2003 in Deutschland, gab jedoch von Beginn an nicht den Revoluzzer. Er war immer ein Storyteller, fast ein Busker, ein Folkie mit Punk und Reggae-Wurzeln. Nicht die große Geste ist sein Metier. Vielmehr skizziert Stephenson liebevoll bis boshaft menschliche Schwächen wie Heuchelei und Eitelkeit, die er in „Crocodile Cryer“, einem Klassiker der Daintees, aufs Korn nimmt, oder beschreibt die Liebe im reiferen Alter. Stephensons kongenialer Begleiter John Steel, Mitglied der ersten Daintees-Besetzung, ist nach langer Zeit wieder dabei. „Ich wurde von Ausserirdischen entführt“, begründet er seine Abwesenheit zwischen Songs wie „Wholly Humble Heart“ oder „Coleen“ und „Little Red Bottle“ vom längst zum Klassiker gewordenen 1986er-Debüt „Boat to Bolivia“. Auch „Tribute to the Late Rev. Gary Davis“ fehlt nicht. Die Setlist, von Stephenson scherzhaft als Gedächtnisstütze bezeichnet, ist ellenlang. Alte und neue Songs wie „Slow Love“ werden mit zahlreichen Anekdoten garniert, etwa jener über Peter, Paul and Mary die den Blueser Gary Davis derart verehrt hätten, dass sie ihm in den späten Sechzigern ein Haus in Queens schenkten.
Im Laufe des langen Abends, bei dem die angejahrten Zuhörer vor den Musikern zu ermatten schienen, erzählt Stephenson auch von durchzechten Nächten mit Allan Hull, der wie Stephenson aus Newcastle stammte und mit „Lindisfarne“ in den 70er-Jahren zu einigem Ruhm gekommen war, von einer Begegnung mit dem knurrigen Doc Watson, von den Arbeitsbedingungen der mexikanischen Arbeiterinnnen, welche die Fender-Gitarren zusammenbauten, vom grantigen Roadie Lone Wolfe aus „Wolvesburg“, von seiner Gitarre aus dem Jahr 1946 und nicht zuletzt auch von Buddah und Gott. Mal erzählt er mit Augenzwinkern, wenn er vom realen Vorbild für seinen „Crocodile Cryer“ erzählt, mal ernsthaft, wenn es um die Suche nach Sinn und Frieden im Leben geht.
Erst nach fast drei Stunden gehen die Lichter wieder an, und wer nicht dabei war, hat definitiv etwas verpaßt. Beschwingt treten wir den Heimweg durch die Kälte an, während „Solomon“ und „Salutation Road“ noch in unseren Ohren nachklingen.