[rating=3] Schauerliche Moritaten, mit schwarzem Humor gewürzt
Schreckliche Geschichten erzählt die Pianistin und Sängerin Stephanie Nilles – von Mord und Totschlag, von grassierender Waffengewalt in den USA („Open Season“), dem manchmal grausamen Schicksal namenloser Flüchtlinge („The Deportee“) oder auch schlicht vom „Slaughter Haus“.
Das alles kommt im LowFi-Sound daher, denn Ms. Nilles produziert und verlegt ihre Werke selbst. Hierbei greift sie nicht nur auf die obskure, wenn auch beliebte und langjährige Tradition der Moritaten zurück, die von Mord und Totschlag zumeist aus der Perspektive des Täters berichten, sondern zitiert gerne und häufig Barrelhouse und Traditional Jazz.
Aufgrund der ungeschliffenen Vortrags- und Produktionsweise wird Ms. Nilles gelegentlich in die Nähe des Punk gerückt. Hier zählen aber mehr Geste und Produktionsweise als musikalische Einflüsse. Stephanie Nilles ist ausgebildete Konzertpianistin und gewann bereits als Teenager etliche Talentwettbewerbe. Sie verliess die klassische Konzertlaufbahn jedoch frühzeitig, um sich zunächst als Singer-Songwriter in New Yorker East Village zu versuchen. Schliesslich landete sie in New Orleans. Ausgedehnte Tourneen in den USA absolvierte sie – in ihrem Wagen nächtigend – auf eigene Faust. Mittlerweile hat sie es, wie sie verrät, zu einem Zelt gebracht. Solcherart gestählt, haut die Künstlerin munter in die Tasten und singt inbrünstig vom blutigen Handwerk. Genüßlich zelebriert sie dabei Cover von Jelly Roll Mortons „The Murder Ballad“ oder vom Blueser Blind Willy McTell, in dessen „A to Z Blues“ der eifersüchtige Liebhaber berichtet, wie er seiner Angebeten das Alphabet mit einem scharfen Messer in die geliebte Hautritzt – nur um ihr klar zu machen, was sie erwartet, wenn sie fremd gehen sollte.
Nilles interpretiert diese Rollenprosa fulminant, wenngleich ihr gesangliches Talent limitiert ist. Die Auswahl der Songs, eben Balladen und Moritaten über Mörder und ihre Opfer, erklärt sie so: “ Ich denke, dass alle Schauerballaden Geschichten über den Kampf zwischen Gut und Böse sind. (…) Und meistens gewinnt das Böse (…) Ich dachte, dieses Genre ist wunderbar geeignet, um über schillernde, verrückte Typen zu erzählen. (…) Als Songwriter muss man sich da gar nicht groß anstrengen. Die Geschichten sind an sich schon interessant.“ Das hat darüberhinaus den Vorteil, dass sie nicht viel von sich selbst preisgeben muss, denn „Bänkelsänger berichten ja nie von sich selbst, sondern aus dem Leben anderer“.
Und klar: Wer solche Songs hört und spielt, darf den schwarzen Humor nicht verachten. Darüber verfügt die 32-jährige Nilles sicherlich, wie ihre Website zeigt. Dort schaut sie uns Betrachter durch einen Strick an, zeigt Charlie Chaplin und bezeichnet sich selbst als böse Fee der amerikanischen Pseudo-Intellektuellen. Optisch sieht sie aus wie eine Kreuzung zwischen Sandy Denny, der allzu früh verstorbenen britischen Folksängerin, und Janis Joplin, der Heroine der 60er-Jahre.