Schlagwort: Harmoniegesang

Sufjan Stevens „Carrie & Lowell“

a2231815864_2[rating=3] Betörend, stellenweise berührend und autobiographisch

„This is not my art project, this is my Life“, sagt Sufjan Stevens über „Carrie & Lowell“. Das Cover ziert ein altes, vergilbtes und beschädigtes Polaroid-Foto, das seine 2012 an Magenkrebs verstorbene Mutter und seinen Stiefvater zeigt. Eine musikalische Reise in die eigene Vergangenheit mithin, die mit „Death with Dignity“ den Reigen der elf Songs bedeutungsschwanger eröffnet. Wer nun einzig Düsternis und Schwermut erwartet, liegt richtig und falsch zugleich. Die Texte handeln von Leben und Tod, von Liebe und Verlust, von Kindheit und Pubertät – doch musikalisch erlebt der Hörer die Wiederkehr männlichen Harmoniegesangs aus den sonnigen sechziger Jahren und einen aufs Wesentliche reduzierten ‚Wall of Sound‘ in der Tradition Phil Spectors. Stevens setzt dabei jedoch nicht auf Retrosound, sondern erzeugt  einen ganz heutigen, modernen Klang. Er ist ein versierter Wanderer zwischen den musikalischen Welten und verbindet Folk, Indiepop, Electronica, orchestrale Arrangements und mehrstimmigen Gesang zu einer eigenen Mischung. Diese ist allerdings aufgrund der vielen Zutaten bisweilen schwer verdaulich. Manches Projekt seiner jüngsten Vergangenheit, etwa „Sevens Swans“ mit seinen biblischen Themen, wirkte überambitioniert, mancher Auftritt mit exaltierter Bühnenshow und einer Vielzahl von Mitstreitern abgeschmackt und neben der Spur.

Auf „Carrie & Lowell“ erscheint Sufjan Stevens nunmehr gleichzeitig gereifter und reduzierter. Beinahe intim in seinen Erinnerungen an Kindheitsszenen, in denen die von Drogen und Psychosen gebeutelte, meist abwesende Mutter eine wichtige Rolle spielt. „Death and Dignity“ beginnt mit einfachen Akkorden einer akustischen Gitarre, dann setzt Stevens‘ Falsett-Stimme ein, gerne auch – wie in „All of me wants all of you“ schön hörbar – mit sich selbst im Chor und in reiner Harmonie. Diesen wesentlichen Zutaten wird hier und da ein Klavier hinzugefügt, weibliche Background-Stimmen, und elektronische Instrumente und Effekte beenden die Songs zumeist mit einem leichten Anklang an Ambient-Sounds.
Dadurch ist „Carrie & Lowell“  weder eine reine Rückbesinnung auf Stevens Folk-Anfänge, noch Ambient-Folk, falls es sowas gibt, sondern eine Art Synthese aus seinem bisherigen Schaffen mit interessanten Ausblicken auf eine mögliche Zukunft seiner Musik.

Lily and Madeleine „Fumes“

Lily and Madeleine Fumes Cover[rating=2]Netter Folk-Pop mit geringem Tiefgang.

Lily and Madeleine fahren Boot – beziehungsweise: Sie liegen verträumt in einem Ruderboot, das auf ruhigen Gewässern treibt. Schön anzusehen, die sich räkelnden jungen Damen.
Keine Spur von ‚giftigen Dämpfen‘ („Fumes“), nirgends, nicht ein Hauch von Gefahr. Stattdessen dominieren wie schon beim letztjährigen Debüt der beiden Schwestern zuckersüße Harmoniegesänge. Tolle Stimmen, keine Frage, wenn auch mit typisch amerikanischem Zungenschlag, was die Art und Weise des Gesangs anbelangt. Das können die beiden.
Im Ergebnis bekommt der Hörer eine Mischung aus radiokompatiblem Pop und Folk-Pop light, teils opulente Ararrangements, stimmlichen Wohlklang und eher harmlose Texte, die problemlos auch auf Radiostationen des mittleren Westens gut ankommen dürften. Auch eine verhallte Prise Lana del Rey fehlt nicht. Ist das nicht ein bißchen viel?

Schon der Karrierstart der siebzehn und neunzehn Jahre alten Damen aus Indianapolis mutet an wie am Reißbrett von einem cleveren Produzenten erdacht. Der Legende nach stellten Lily und Madeleine selbst produzierte Videos bei Youtube ein, die – Überraschung! – nicht nur sehr gut waren, sondern auch massenhaft angeklickt worden sein sollen. Danach kam es, wie es kommen musste: Ein lokaler Produzent – Paul Mahern, der unter anderem für John Mellencamp gearbeitet hat – wurde auf sie aufmerksam. Mit Hilfe des Songwriters Kenny Childers, ebenfalls in Bloomington, Indiana ansässig, entstanden etliche Songs und bald folgte das Debutalbum.
Auch wenn „Fumes“ ohne diese beiden und ohne die Mitwirkung ungenannter, versierter Studiomusiker nicht denkbar wäre, sind Lily and Madeleine wohl keine Marionetten in Händen abgezockter Manager und Produzenten. Dafür stehen sie in den zehn Songs des Albums doch zu sehr im Mittelpunkt. Jedoch offenbart das Cover vielleicht unfreiwillig, daß andere die Ruder in der Hand zu halten scheinen, während ‚Lil and Mad‘ versonnen übers tiefe Wasser gleiten. Hoffentlich zieht kein Sturm auf …

Auch wenn ihrer Musik (noch) die unverwechselbare Handschrift fehlt – Ecken und Kanten leider ebenso –, versöhnen der stimmliche Wohlklang und die entspannte, leicht wehmütige Stimmung des Albums. Das ist für Herbsttage, golden oder regnerisch und stürmisch, ganz nett.