Schlagwort: Mundart

Franui „Ständchen der Dinge“

[rating=3] Schöner Überblick über 25 Jahre Bandgeschichte

Die einen feiern ihren Abschied, die anderen stoßen auf die nächsten 25 Jahre an. Mit ihrem umfangreichen „Ständchen der Dinge“, das die Osttiroler Band auf ein Vierteljahrhundert in nahezu unveränderter Besetzung darbringt, stellt sie gleichzeitig die Frage nach der Zukunft: „Geht es immer so weiter?“, fragen Franui im Untertitel ihrer Rückschau. Man darf ein beherztes Ja vermuten, die Neugierde auf Kommendes zurückstellen und in dieser Sammlung nach Vergessenem und Übersehenen stöbern.

Schon das erste Stück ist symptomatisch für die Herangehensweise von Franui: „Creampuffs from Vienna“ aus dem Jahr 2009 beginnt als Trauermarsch und endet auf dem Tanzboden. Das macht die Gruppe gerne, wie sie wenig später bei Schuberts „Trockne Blumen“ zeigt.
Franui lassen sich von Mahler inspirieren, unterlegen ein Gedicht von Ernst Jandl mit einem Gemisch aus Brahms-Duetten, verquirlen Schubert, Bartok und Ligeti zu einem flatterhaft-huschigen Stück und vertonen Lyrik von Hans Magnus Enzensberger und William Shakespeare, bis einem die Bläser fast zu dominant werden.
Aber so ist es eben mit der Blasmusik. Wenn man das Blech weglässt, ist sie ja auch nichts. Und kaum hat man das gedacht, kommt Franz Schuberts behutsam getragenes „Du bist die Ruh“ mit Hackbrett und Kunstpfeifer. Nicht nur daran merkt man, dass die zehnköpfige Gruppe über genügend Personal und Ideen für ein abwechslungsreiches Programm verfügt.

Das letzte Stück des Albums, der gemäß Franui immer als Zugabe gespielte „schönste Trauermarsch“, ist auch eine indirekte Antwort auf die Frage, wie es weitergeht. Nämlich mit neuen Ideen – wie dem auf diesem Album nicht berücksichtigten Georg-Kreisler-Projekt – und neuer Musik in altbewährter Verballhornungslust. Und das wird wohl so lange andauern, bis sie selbst einen Trauermarsch gespielt bekommen. Lang sollen sie leben – und spielen.

Offizielle Homepage von Franui

(Foto: Col legno)

Jütz „Hin & Über“

[rating=3] Neue Klangästhetik für alte Lieder – unpolitisch und mit reduziertem Kunstverständnis, was dem Hörvergnügen jedoch nicht schadet.

Sie tummeln sich im abgegrasten Genre der neuen Volksmusik und wollen zudem in die übergroßen Fußstapfen des unkonventionellen „Zappa von Tirol“ und „ordentlichen Anarchisten“ Werner Pirchner treten. Dieser fiel nicht nur als unerhörter Musiker auf, sondern hielt auch mit seiner von der Mehrheit abweichenden Einstellung nicht hinter dem Berg.
Jütz dagegen machen es sich leichter. Sie beginnen mit dem ins Tirolerische übersetzten „Luegid vo Bärg und Tal“, einem Schweizer Kinderlied-Gassenhauer aus dem 19. Jahrhundert. Das kann man als etwas eigenartigen Hinweis auf die Herkunft des Trios aus zwei Tirolern und einem Berner verstehen. Der Autor des Liedes, Josef Anton Henne, versuchte nämlich im berndeutschen Dialekt zu schreiben, obwohl er aus dem Kanton St. Gallen stammte. Vielleicht sind Jütz nur der einfachen Melodie erlegen, vielleicht wollen sie mit dem lauwarmen Aufwärmprogramm auch bloss die lange Tradition der bis heute ungebrochenen Begeisterung für den berndeutschen Dialekt zeigen.
Jütz vertonen gerne überlieferte Texte, die sie bunt durcheinandermischen und basteln daraus auch schon mal leichten Volksmusikpop mit angejazztem Akkordeon („Das kennst du wohl“). Doch sie können auch anders: Der „Postfeldwalzer“ und die „Bergaufpolka“ sind humorige Instrumentalstücke (das zweite mit Spracheinspielungen von Werner Pirchner), „Schleuniger Tempo Dampfl“ ist ein originelles Spoken-Word-Stück und mit dem entschleunigten Jodler „Der Schweinsbeuschler“ nähern sie sich sehr vergnüglich der Tradition.

Das Trio beschäftige sich nicht mit der politischen Dimension von Kunst, zitieren etwa die Wiener Stadtzeitung Falter und die Salzburger Nachrichten die Multiinstrumentalistin und Sängerin Isa Kurz. Das Trio wolle mit seiner Klangästhetik dem Publikum den unvoreingenommenen Zugang zur traditionellen Musik ermöglichen. Wenn Jütz dann aber in „Mantua“ das Andreas-Hofer-Lied aufgreifen, das einen regionalen Widerstandskämpfer zum gesamtdeutschen Helden stilisiert, wirkt diese Einstellung mehr als naiv – vor allem nach dem ausdrücklichen Bezug zum eher anarchistisch eingestellten Werner Pirchner. Und dies ausgerechnet in einer Zeit enormer, auch mit kriegerischen Mitteln herbeigerufenen Umwälzungen, die auch unsere politische Landschaft enorm verändert hat.

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(Foto: Bauer Studios)

Schönholzer & Rüdisüli „Sozialplan“

[rating=4] liebevoll hintersinnig, kritisch, bissig, charmant

Schweizer Expats haben es schwer, ihren deutschen Freunden die heimische populäre Musik nahezubringen. Annähernd massenkompatible Klassiker wie Züri West und Patent Ochsner oder der noch jüngere Michael von der Heide sind musikalisch zu kommun, sodass dann doch oft Mani Matter als Beispiel für Originalität und Eigenständigkeit herhalten muss. Dessen durchweg kurze Stücke sind sogar leicht verständlich oder zumindest schnell übersetzt.

Markus Schönholzer hat einen ebenso verschmitzten Witz und spielt wie Mani Matter virtuos mit der Sprache. Seine Lieder sind hintersinnig, kritisch und bissig, und trotz unverhohlener Traurigkeit wirken viele seiner Beobachtungen überaus liebevoll. Da freut sich der Sänger über die liebliche Vogelstimme („s Lied vo de Liebi“), deren Klang ihm so vertraut ist – und erst als sie näherkommt und seinen Namen ruft, merkt er, dass es seine Frau ist, die das Lied von der Liebe singt. Markus Schönholzer lässt es nicht bei einem einfachen Liebeslied bewenden, sondern spinnt aus der Idee die Beschreibung der Rollenverhältnisse einer Beziehung. Seine Geschichten scheinen einfach, doch sie sind komplex. Wenn er über das Heimkommen sinniert („I bi wider dehei“), beschreibt er anhand scheinbar nebensächlicher Beispiele an, was sich seit dem Weggehen verändert hat und deutet wie nebenbei an, wie sich in die Heimatgefühle solche der Fremdheit mischen. Für die Beschreibung des Altwerdens („Vatter“) reichen ihm sechs kurze Zeilen mit nicht mehr als 40 Silben. Doch egal wie ernsthaft ein Thema sein mag – Schönholzer widmet sich ihm immer mit Humor.
Darüber hinaus begeistern Schönholzer & Rüdisüli mit leichtfüßig-raffinierten Arrangements, in denen schelmische Pop-Zitate – beispielsweise „Lucy in the Sky“ von den Beatles – ebenso souverän eingesetzt werden wie Ravels „Bolero“.

Auf „Sozialplan“ wird gezupft (Banjo und Gitarre), Blech geblasen und Zieharmonika gespielt. Einen wichtigen Anteil am Charme der Musik hat denn auch der Akkordeonist Robi Rüdisüli. Der langjährige musikalische Wegbegleiter von Markus Schönholzer pendelt – zurückhaltend, aber wirkungsvoll – zwischen Musette und Volkslied und komplettiert so den Wortwitz seines Compagnons mit subtil platziertem Spielwitz – das, was ein charmantes Chanson braucht.

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(Foto: Schönholzer)

Attwenger „Clubs“

Attwenger - Clubs[rating=3] Höllenritt im Attwenger-Autodrom

Seit mehr als zwanzig Jahren zieht das Duo Attwenger durch die Clubs – vor allem in den deutschsprachigen Ländern, aber auch in den USA oder Asien. Im Gepäck haben sie kaum mehr als Schlagzeug und Steirische Harmonika, aber auch originelle Weltbetrachtung und dadaistischen Witz. Ihre Kompositionen sind überwiegend von suggestiver minimalistischer Redundanz, die eigentlich Zeit braucht, um zu wirken. Dass sie jedoch auch zersplittert nichts von ihrer Kraft einbüßen, zeigen die Schnipsel, die Markus Binder und Hans-Peter Falkner auf „Clubs“ zu einem knallbunten, sich fortwährend drehenden Kaleidoskop arrangieren. Wie im Cut-up-Roman reihen sie Songfragmente, Ansagen und Statements in harten Schnitten aneinander. Ein Album wie eine Boxautofahrt – kaum eine ruhige Sekunde, nicht vorhersehbar und durchgängig spaßig.

„Clubs“ versammelt Live-Mitschnitte – zum Teil mit Gästen wie den Gitarristen Harri Stojka und Fred Frith, Wolfgang Schlögl von den Sofa Surfers und, in einem allerdings schwachen Beitrag, Sigi Maron –, unveröffentlichte Stücke und Skurriles wie den Live-Mitschnitt einer TV-Übertragung, in der ein Fußballer namens Attwenger ein Tor schießt. Auch das passt, weil es wie eine unfreiwillige Parodie wirkt.
Dieser wilde Mix wird von einer DVD mit zwei selbstgebastelten, während zweier Tourneen mit dem Mobiltelefon aufgenommenen Roadmovies begleitet, die man vor dreißig Jahren mit der Etikette ‚punkig dillettantig‘ erfolgreich vermarktet hätte. Alles in allem: Ein vergnüglicher Höllenritt im Attwenger-Autodrom.

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(Foto: Trikont)

Stiller Has „Böses Alter“

Stiller_Has_Böses_Alter[rating=3] Immer wieder vergnüglich: amüsante und kritische Geschichten zu Rhythm and Blues

Er wird von seinem Schatten angesprochen, fährt im falschen Zug in den Norden statt in den Süden und wundert sich, dass er durch noch nie gesehene Bahnhöfe kommt. Er sehnt sich nach seiner ersten Liebe und weil ihm als aus der Zeit gefallenen die Welt mit Facebook neuen Medien die kalte Schulter zeigt, gibt er den widerspenstigen Alten. Einmal mehr zeigt Endo Anaconda, dass er aus und praktisch mit nichts Geschichten erzählen kann. Dann drückt er seine Verzweiflung über die Schlaflosigkeit aus, indem er die Schafe nicht zählt, sondern schlachtet. Oder er nimmt sich die Märchenhelden vor, die genau das Gegenteil von dem machen, was in Grimms Märchensammlung steht: Hans im Glück hat Depressionen, der Goldesel scheißt Defizite. Diese simple Umkehrung, in der auch der Papst (ein Kommunist), Romeo (schwul) und Julia, Winnetou, Bambi und der Kleine Prinz (er hat seine Doktorarbeit gefälscht) Platz haben, ist nicht nur nett, sondern auch Gesellschaftskritik. Wenn Endo Anaconda auf diesem Weg fragt, warum wir die Märchen der Politiker denn noch glauben, ist er ganz der Alte.

Endo Anacondas bekannte Mischung aus persönlich wirkenden und gesellschaftskritischen Liedern unterlegt die Begleitband mit dem gewohnten Rhythm and Blues. Schifer Schafer prägt die Musik mit seinem so akzentuiertem wie entspannten Gitarrenspiel, der Rest der Truppe wird nur gebraucht, um das Klangbild voller zu machen. Auch hier alles beim Alten – längst nicht mehr innovativ, aber immer wieder vergnüglich.

Stiller Has ist eine der wenigen Schweizer Mundartgruppen, die zumindest für ein Insider-Publikum, den Sprung über die Sprachgrenze geschafft haben. Ihren deutschen Anhängern erleichtern sie das Verständnis mit Übersetzungen der im Begleitheft vollständig abgedruckten Texte.

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(Foto: Soundservice)

Hubert von Goisern, 10.10.2012, SAL, Schaan (FL)

Hubert von Goisern im SAL (Foto: TheNoise)

Hubert von Goisern steht zwar nicht so oft auf dem Siegerpodest wie der Spitzensurfer Kelly Slater, aber auf der Alpenrock-Welle hält sich der österreichische Musiker wie kein Zweiter. Jetzt befindet er sich wieder einmal auf dem perfekten Ritt: Mit „Brenna tuat’s guat“ hat er einen Nummer-eins-Hit – und toppt damit seinen bislang größten Erfolg, den er vor fast zwanzig Jahren mit seiner Debütsingle „Koa Hiatamadl“ erreichte.