Schlagwort: World

Okonkolo „Cantos“

[rating=4] Harmonische Vielfalt

Die Musik von Okonkolo ist ein lebhaftes Zeugnis für den seit Jahrhunderten bestehenden globalen Austausch. Die Santería-Religion – und damit auch ihre musikalische Ausprägung – kam mit den afrikanischen Sklaven nach Kuba. Sie verbreitete sich in der Karibik und wanderte weiter in die USA. Okonkolo-Bandleader Abraham „Aby“ Rodriguez, selbst Santería-Priester, veredelt die Musik der Naturreligion, indem er das zentrale Instrumentarium, Perkussion und Gesang, um Bläser, Gitarre, Bass oder auch Streicher erweitert und mit anderen musikalischen Einflüssen anreichert. Da wird zum Beispiel der Gesang mit Bläsersequenzen unterlegt, die aus David Byrnes „The Knee Plays“ stammen könnten. Dann wiederum wandelt sich eine getragene Melodie zum quirligen Highlife-Stück.
Die Wechsel im Lead-Gesang tragen zur Lebendigkeit bei: Die energiegeladenen Stimmen von Amma McKen, die sich der Bewahrung der Traditionen der nigerianischen Yoruba verschrieben hat, und der interdisziplinären Künstlerin und Sängerin Jadele McPherson kontrastieren die urtümlicher wirkende Stimme von Abraham Rodriguez.
Es ist eine harmonische Vielfalt, in der die überlieferten Rhythmen modern zelebriert werden und sich die zeitgenössischen Elemente in einem traditionellen Gewand zu einem neuen, mal erhaben wirkenden, dann wieder vibrierend-lebendigen Klang vereinen.

Facebook-Seite von Okonkolo

(Foto: Der Promotor)

Ammar 808 „Maghreb United“

Kein TR-808 kam für dieses Album zu Schaden, vermerkt Ammar 808 auf der Albumrückseite ironisch. Anders als dressierte Affen kann man das kultige Rhythmusgerät aus den 80er-Jahren ohnehin nicht quälen. Und das macht er auch mit den Hörorganen nicht. Denn auch wenn seine Musik dringlich und tranceverdächtig ist: Die treibenden Rhythmen, die der tunesische Musiker aus seinem TR-808 holt, klingen grummelig warm, die Stimme ist stimulierend und das kollektive Händeklatschen feuert zusätzlich an.
Ammar 808 verschwistert unterschiedliche Musik des Maghreb – algerischen Raï, Gnawa aus Marokko und tunesische Targ-Musik – mit dem TR-808. Mit dabei: die Sänger Mehdi Nassouli (Marokko), Sofiane Saidi (Algerien) and Cheb Hassen Tej (Tunesien) und traditionelle Instrumente wie die Kastenhalslaute Gumbri, Gasba-Flöten (die arabische Form der Ney) und der tunesische Zukra-Dudelsack.
Der Auftakt, „Degdega“, ist ein Versprechen – der Rest ist Erfüllung. Die Trennlinie zwischen Tradition und Moderne ist nicht offenkundig. Einerseits klingen die Stücke mit ihren traditionellen Elementen – dem Klang der Instrumente, auch wenn die Gumbri bereits elektrifiziert ist, oder dem Wechsel zwischen Hauptsänger und Chorgesang –, als seien sie bei einem riesigen Freudenfest in einem Gebirgsdorf hoch oben im Sahara-Atlas aufgenommen worden. Gleichzeitig ist die so natürlich wirkende Musik von Ammar 808 wie geschaffen für fiebrig durchtanzte Nächte in den Clubs der westlichen Metropolen.

(Foto: Glitterbeat)

Samba Touré „Wande“

[rating=4] Mali-Blues, zurückhaltend und fein

Die Lage der Welt macht nicht wirklich froh, und die jahrzehntelang immer wieder fragile Situation in Mali hat sich in den vergangenen Jahren noch weiter verschlechtert – ohne Aussicht auf Veränderung. Daher erstaunt es nicht, dass der malische Gitarrist und Songwriter mit „Wande“ ein äußerst melancholisches Album eingespielt hat. Selbst das seiner Frau gewidmete Liebeslied, mit dem das Album betitelt ist, wirkt schwermütig.

Trotzdem wirken die neuen Lieder von Samba Touré nicht durchweg so resigniert wie „Mana Yero Koy“, in dem er „die ganze Welt im Chaos“ sieht und beklagt, dass es „keinen sicheren Platz mehr gibt“. Er ergibt sich der Misere nicht apathisch, sondern regt an, erst einmal die persönliche Einstellung zu ändern und zusammenzustehen. Und wie Boubacar Traoré, der malische Chuck Berry, bereits in den 60er-Jahren forderte, ruft auch der um Jahrzehnte jüngere Musiker seine Landsleute dazu auf, das Glück nicht in der Emigration zu suchen, sondern die Heimat mitzugestalten.

Musikalisch steht Samba Touré in der besinnlichen Tradition des Mali-Blues, seine Lieder singt er alle in Songhai. Das extrem zurückhaltende „Wande“ erinnert Anfangs an die melancholischen Stücke von Boubacar Traoré, um bald und mit einer psychedelischen Note versehen in die Richtung seines Namensvetters Ali Farka Touré zu driften. Die Basis von „Yerfara“ („We are tired“) ist ein Lick, das den frühen Stones gut gestanden hätte, und bei „Mana Yero Koy“ („Where to go?“) zeigt der Gitarrist auf angenehme Weise, dass ihm auch tanzbare Musik nicht fremd ist.
Alle Stücke sind als harmonisches Ganzes arrangiert. Der Gitarrist bleibt prägnant, drängt sich jedoch nie in den Vordergrund, sondern fügt sich in sein stilvoll-gelassen agierendes Ensemble mit traditionellen Instrumenten wie Kalebasse, Ngoni und der einseitigen Geige Sokou ein.

Bisherige Rezensionen zu Samba Touré im Blog

Bisherige Rezensionen zu Boubacar Traoré auf schallplattenmann.de

Bisherige Rezensionen zu Ali Farka Touré auf schallplattenmann.de

Offizielle Homepage von Samba Touré

(Foto: Glitterbeat)

Cristina Branco „Branco“

[rating=3] Universal schön, jedoch wie Kino ohne Leinwand

Weint sie einer verflossenen Liebe nach? Trauert sie um Flüchtlinge, die jedes Jahr zu Hunderten im Meer ertrinken? Oder beklagt sie den Tod ihres Hamsters? Künden die luftigeren Töne der Guitarra Portugues, die in „Namora Comigo“ auf die von Cristina Branco mit kummervoller Solostimme gesungene erste Strophe folgen, schon vom Grund des Umschwungs oder sind sie nur der Ausdruck erster Hoffnung, die sich rasch zerschlägt?
Die Texte sind Cristina Branco so wichtig wie die Musik. Deshalb hat sie junge Songwriter gebeten, welche für sie zu schreiben – eine Information, die kaum ein Rezensent seinen Lesern vorenthält. Doch was diese neue Künstlergeneration bewegt und wie sie mit Worten umgeht, erfahren wir nicht. Denn die Texte gibt es nur in Portugiesisch, an der Übersetzung wurde gespart. Selbst signifikante Textauszüge fehlen. Egal ob aus Nachlässigkeit oder weil ein Gros der Hörer wahrscheinlich gar nicht in die Tiefe gehen mag – es wirkt wie ein Zeichen der Geringschätzung anderssprachiger Hörer und zeigt den Unwillen, dem hohen Anspruch der Künstlerin zu entsprechen.

Auch wenn man sich für Cristina Brancos Stimme, die geschmackvollen Arrangements und die versierte Begleitung auch ohne Textverständnis begeistern kann, wird das ihrem Gesang und ihren Musikern nicht gerecht.
Ursprünglich vom Fado kommend, hat die Portugiesin den portugiesischen Musikstil mit anderen Einflüssen gekreuzt und sich so weiterentwickelt. Gelandet ist sie letztlich bei einer Besetzung, in der das Klavier eine wesentliche Rolle spielt. Der verhalten schmissige und melancholische Duktus ihrer Lieder wie auch der gewitzte Klang der portugiesischen Gitarre wirken wie ein angenehmer Nachhall des Fado. Dadurch und durch die Sprache sind ihre universal klingenden Lieder in Portugal geerdet. Ob deren lyrische Kraft auch der Musik entspricht (und umgekehrt) bleibt leider im Dunklen. Cristina Brancos emotional vorgetragene Lieder zu hören, ohne die Texte nachvollziehen zu können, ist wie Kino ohne Leinwand.

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Facebook-Seite von Cristina Branco

(Foto: Qrious)

Dobet Gnahoré „Miziki“

[rating=4] tanzbar, luftig, elektronisch – und nachdenklich auch

Ihr Auftreten im Domina-Dress führt in die Irre. Denn nach dem poppigen, aber keineswegs herrischem Start schlägt die seit mehr als zwanzig Jahren in Frankreich lebende Dobet Gnahoré aus Côte d’Ivoire durchaus auch sanftere Töne an. Dafür steht das Energiebündel, das sie auf der Bühne darstellt, bislang nicht. Ebenso wenig für die elektronischen Klänge, die das Album prägen. Beides lässt man sich nur zu gerne gefallen. Denn Produzent Nicolas Repac sorgt für die angenehme Verschmelzung von Elektronik mit akustischen Instrumenten wie Gitarre und Balafon.
Mit ihrem neuen Album „Miziki“ (in ihrer Muttersprache Bété heißt das schlichtweg Musik) zeigt Dobet Gnahoré, dass sie der Heimat verbunden, aber schon lang genug in Europa ist, um musikalische Einflüsse beider Regionen überzeugend zu verbinden.
Die neuen Stücke sind mal tanzbar („Djoli“, „Miziki“), mal von angenehm nervöser Fiebrigkeit („Education“). Sie sind aber auch äußerst besinnlich („Afrika“, „Love“) oder schlichtweg schön („Détenon“, „Le Monde“), mit sanften Melodien und eingängigem Chorgesang. Aber es sind nicht nur die unterschiedlichen Charaktere der Songs, die das Album abwechslungsreich machen. So mancher Song bietet eine eigene Volte, die Arrangements sind durchweg äußerst geschmackvoll und gesanglich zeigt sich Dobet Gnahoré gleichermaßen einfühlsam und kraftvoll.

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(Foto: Indigo)

Shirin Neshat „Auf der Suche nach Oum Kulthum“

[rating=1] Verrannt: das Drehbuch als Prophezeiung

Den Einstieg kann man noch spannend finden: Die erwachsene Oum Kulthum (Naijia Skalli), auf dem Höhepunkt ihrer Beliebtheit, steigt die Treppe hoch, gefolgt von der iranischen Regisseurin Mitra (Neda Rahmanian), die einen Film über sie drehen möchte. In einem der oberen Räume trifft Oum Kulthum auf sich selbst als Kind (Nour Kamar). Als die Kleine durch das zwischen den Gardinen hindurchstrahlende gleißende Licht steigt, folgt ihr Mitra in die Zeit von Oum Kulthums Kindheit – sinnfällig umgesetzt in romantisierenden Szenen und Schwarzweißaufnahmen, vielleicht als Erinnerung, dass es den Farbfilm zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch nicht gab.

Mitra – die als Alter Ego der iranischstämmigen Shirin Neshat gesehen werden darf – vergaloppiert sich, weil sie ihre eigenen Probleme in ihre Protagonistin projiziert. Die Hinweise ihrer beiden Hauptdarsteller Ghada (Yasmin Raeis, die Oum Kulthum im Film des Films verkörpert) und Ahmad (Kais Nashif), der deswegen den Job hinschmeißt und das Set verlässt, ignoriert Mitra. Als sie endlich merkt, wie sehr sie sich verrannt hat, steuert sie mit Wucht in die Gegenrichtung – die plötzlichen Änderungen erbosen ihren Produzenten und am Ende ist alles noch schlimmer.

Das Drehbuch wirkt wie eine Prophezeiung: Shirin Neshat scheitert genauso wie die Regisseurin in ihrem Film. Außer ein paar spärlich gesäten eindrucksvollen Bildern und Szenen begeistern in „Auf der Suche nach Oum Kulthum“ nur die Passagen, in denen die Kunst der „ägyptischen Callas“ zelebriert wird. Für diese Momente ungeteilter Freude muss man jedoch lange Durststrecken in Kauf nehmen.

Offizielle Homepage des Films

(Foto: Cineworx)

Yonatan Gat „Universalists“

[rating=3] Anmutige Destruktion

Man kann den Anspruch haben, dass Musiker ein tiefes Verständnis der indigenen Kultur oder der Musik anderer Kulturen mitbringen müssen, wenn sie diese für ihre eigene Musik fruchtbar machen möchten. Doch gemeinsame Arbeiten von Michael Brook und Nusrat Fateh Ali Khan oder von Christy Doran mit Boris Kalchak oder auch kurzfristig anberaumte gemeinsame Auftritte von Künstlern unterschiedlicher Provenienz zeigen, dass dies keine zwingende Voraussetzung für musikalische Höhenflüge ist.

Yonatan Gat integriert guinesischen Trallalero-Gesang, den Alan Lomax vor Jahrzehnten aufgenommen hat („Cue The Machines“), und balinesische Gamelan-Perkussion („Cockfight“), oder spielt ein Stück gleich direkt mit der indianischen Trommel-Gruppe Eastern Medicine Singers ein. Er gräbt vermutlich nicht tief in der Musik anderer Kulturen. Und das muss er auch nicht, denn es kann bei seinen Ausflügen in unterschiedliche andere Kulturen nicht darum gehen, deren traditionelle Musiken für die Nachwelt erhalten.
Der israelische Gitarrist mit Wahlheimat New York nutzt ihre Energie, um seine eigene, kraftvolle Klangwelt zu kreieren. Seine Methode: konstruktive Destruktion, wie man sie auch von Noise und No Wave kennt. Dabei setzt er jedoch nicht auf das reine Geräusch und verzichtet auch keineswegs auf Melodien. Aber er zerstört gerne die Strukturen – weil das Feuer schön ist, das Zusammenkrachen und das Neue, das aus der Asche entsteht.
Dabei ist seine Gitarre keineswegs lärmig. Nach einer kurzen Einführung reduziert und verfremdet er den Trallalero-Gesang zum rhythmischen Akzent, Schlagzeuger Gal Lazer baut das Stück mit mächtigem Getrommel zu einem wild treibenden Rockstück aus, über das Yonatan Gat seine unverzerrten Gitarrenklänge legt („Cue The Machines“). Natürlich kann Gat auch ordentlich auf die Pauke hauen, wie er beim krachigen „Cockfight“ zeigt. Doch noch öfter zeigt er, dass sich seine Intensität nicht im Lärm erschöpft. Und mit Stücken wie „Post-World“ – einer Improvisation zur Stimme der von Alan Lomax aufgenommenen spanischen Sängerin Catalina Mateu – und „Fading Casino“ zeigt der Gitarrist und Pianist, dass er nicht nur wilde Träume hat.

Offizielle Homepage von Yonatan Gat

(Foto: Glitterbeat)

Barcelona Gipsy Balkan Orchestra „Avo Kanto“

[rating=4] Quicklebendige Melancholie, anheimelnde Fröhlichkeit

Das Interesse an der Musik des Balkans ist kein neues Phänomen. Der rumänische Panflötist Gheorghe Zamfir und der eindrückliche bulgarische Chorgesang wurde schon in den 70er-Jahren vom Schweizer Volksmusikforscher Marcel Cellier für das westliche Publikum entdeckt. Cellier selbst spielte damals als Organist ein Album mit dem rumänischen Taragot-Spieler Dumitru Farcas ein. In den 90er-Jahren traten vor allem Party-Bands wie Taraf de Haïdouks und schrille Blasmusik-Gruppen wie Fanfare Ciocărlia aus Rumänien oder das Boban Marković Orchestra aus Serbien in den Vordergrund. Und wer auf sich hielt, pilgerte schon eine ganze Weile bevor Shantel mit seinem Bukovina Club den Balkan-Pop hoffähig machte, zum Guča Trumpet Festival gut 150 Kilometer südlich von Belgrad.

Wenn nun ein siebenköpfige Band aus Spanien die Musik des Ostens entdeckt, lässt das Schlimmes befürchten – die Verbindung von balkanischem Lärm mit dem exaltierten Rasseln der Flamenco-Kastagnetten.
Doch weit gefehlt: Die Musiker aus Spanien, Italien, Frankreich, Serbien, Griechenland und der Ukraine haben sich der ruhigeren Tradition der Musik des Balkans verschrieben, leben gewissermaßen die multiethnische Herkunft der Musik dieser Region. Ihre Interpretationen sind trotz der mitunter schwermütigen Melodien quickfidel – aber ohne die oft übertrieben schrille Fröhlichkeit des Balkan-Pop. Durch die Arrangements und den oft schmelzenden Klang der Klarinette sind Klezmer-Einflüsse tonangebend, „Csi Lav Tu“ und „Galla rojo, galla negro“ bieten eine flotte Gipsy-Swing-Gitarre, und wer möchte, erkennt die spanische Herkunft und Anklänge an den Mittelmeerraum.

Das Barcelona Gipsy Balkan Orchestra übertreibt es nicht mit aufgesetzt wirkender Fröhlichkeit, sondern bringt beseelt interpretierte Lieder für die gepflegte Unterhaltung – und wenn neben den von der Wochenendstimmung aufgekratzten Besuchern einer melancholisch in sein Glas schaut, finden sie auch für ihn das richtige Lied.
Schade nur, dass man gleich mehrere osteuropäische Sprachen sprechen muss, um zu verstehen, mit welchen Worten man vom Barcelona Gipsy Balkan Orchestra getröstet wird – denn im Booklet sind die Texte ausschließlich in Originalsprache abgedruckt.

Bisherige Rezensionen zum bulgarischen Chorgesang, den
Taraf de Haïdouks und Fanfare Ciocărlia auf schallplattenmann.de

Offizielle Homepage des Barcelona Gipsy Balkan Orchestra

(Foto: Galileo)

Mehmet Polat Trio „Ask your heart“

[rating=4] Kontemplativ

Die Kompositionen von Mehmet Pollat sind wie eine unauffällige Landschaft, deren mannigfaltige Reize man erst entdeckt, wenn man in ihr aufgeht und sich den Details widmet. Vordergründig sind es kontemplative Stücke, aus denen Polats Oud-Soli und der klagende Ton der Ney hervorstechen. Während die Melodien des ebenfalls türkischstämmigen Ney-Spielers Sinan Arat durchweg getragen bleiben, schwingt sich der Bandleader auch zu quirligen Improvisationen auf, die – etwa bei „Everything is in you“ – auch mal in die Tiefe führen: Polat hat seine Oud um zwei Bass-Saiten erweitert.
Mehmet Polat setzt diesen Effekt wohldosiert ein und zwingt so den Hörer auch dann zur Ruhe, wenn er ihn mit neuen Höranreizen anregt. Und selbst wenn das Trio während einer kurzen Passage in „Simorgh“ anklingen lässt, dass es sogar rocken könnte, stört das die Ruhe nicht.

Die bedächtigen Kompositionen von Mehmet Polat begünstigen die melancholische Stimmung. Maßgeblich forciert wird diese durch die traurige Wehmut, die meistens im Ton der Nay mitschwingt. Selbst wenn sie ihre Freude hinausspielen, machen es die drei Musiker nicht himmelhoch jauchzend, sondern mit angenehm verhaltener Fröhlichkeit.

Offizielle Homepage von Mehmet Polat

(Foto: Qrious)

Imarhan „Temet“

Schöne, sanft-rockige Spielart des Tuareg-Blues

Sie schießen nicht gerade wie die Pilze aus dem Boden, aber seit zu Beginn des Jahrtausends der Tuareg-Blues durch die medienwirksame Aura von Tinariwen als Freiheitskämpfer geschickt vermarktet wurde, ist die Zahl der Protagonisten stetig gewachsen.

Imarhan beginnen feurig wie ein 60er-Jahre-Rocksong, über den sie nach wenigen Takten eine entspannte, für den Tuareg-Blues typische Melodie legen. Der weibliche Hintergrundchor beim zweiten Stück „Tamudre“ ist ein weiteres charakteristisches Element, das seine Wirkung nicht verfehlt. Obwohl das Quintett eher auf forcierte Stücke setzt, versteht es sich auch auf sanft-bluesige Töne und einfühlsame Stimmungen – erwartungsgemäß bevorzugt für Liebeslieder wie „Tarha-Nam“ und „Zinizjumegh“.

Mit den antreibenden Liedern möchten die fünf Musiker nicht nur zum Tanzen animieren. Sie stellen sich damit auch in die kämpferische Tradition ihres noch immer um Selbstbestimmung ringenden Volkes. „Meine Brüder, hört nie auf zu kämpfen“, singen sie in „Azzaman“, und Kapitulation gilt ihnen als Schande („Tamudre“). Dabei fordern sie, die Schuld für die oft miserable Situation der Tuareg auch bei sich selbst und nicht nur bei anderen zu suchen und rufen zur Einigkeit auf. Denn: „Eine Hand kann niemals alleine applaudieren“ („Imuagh“).
Ihre Texte sind – vertraut man der Übersetzung – in einfachen Worten gehalten, aber keineswegs belanglos und oberflächlich. Und obwohl oft sehr eindeutig formuliert, verfügen auch ihre mehrheitlich appellierenden Texte über poetische Passagen.

Auch mit ihrem zweiten Album bringen Imarhan eine rockigere Interpretation des Tuareg-Blues. Das Quintett bietet lässige Gitarrensoli, eloquente Bassläufe und einnehmende Melodielinien und wirkt insgesamt viel freudestrahlender, als die doch oft ernsthaften Texte vermuten lassen.

Bisherige Rezensionen zu Imarhan

Offizielle Homepage von Imarhan

(Foto: Irascible)