Kategorie: Neu erschienen

Theodor Shitstorm „Sie werden dich lieben“

[rating=3] Selbstbewusst ins richtige Licht gesetzt

Aus Widrigkeiten Profit schlagen: Ihre hürdenreiche Anreise nach Belgrad, wo sie in der Wohnung von Freunden zwei Wochen lang Lieder schreiben wollten, haben die Liedermacherin Desiree Klaeukens und Dietrich Brüggemann, im Hauptberuf Regisseur und Drehbuchautor, gleich zu einem Stück verwurstet. Sie scheinen Spaß an allem zu haben, was schief gehen kann, und geben schon mit dem Auftakt („Getriebeschaden“) einen Hinweis darauf, dass Aufzählungen ihr beliebtes Stilmittel ist. Meist setzen sie es ganz originell ein.
Die Musik des Duos ist nicht vom Himmel gefallen: In „Kunst“, klingt Brüggemanns Stimme nach dem frühen Frank Spilker, die schwermütigen Refrains von „Nicht dein Typ“ und „Mama, schick mir die Platten von Reinhard Mey“ wirken wie von der Hamburger Band Die Heiterkeit geliehen.
Es ist leicht, das Duo in der deutschen Indie-Pop-Geschichte zu verorten, die sie um einige vergnügliche, mal flotte, mal getragene Songs bereichern. Diese könnten sie im Liedermacherstil inszenieren. Mit Golo Schultz (Bass) und Florian Holoubek (Schlagzeug) hat sich das Duo jedoch zwei Mitstreiter geholt, und damit es weniger nach Reinhard Mey im Duett mit Jenny Jürgens klingt die Chose mehr in Richtung Indie-Pop gedreht.

Das kommt ganz gut, auch wenn Schönheit in erster Linie im Auge des Betrachters liegt und in zweiter nach der richtigen Beleuchtung verlangt. „Ich sehe auch gut aus“, heißt es ganz selbstbewusst in „Nicht dein Typ“ – vor der selbsteinsichtigen Einschränkung: „es ist nur eine Frage des Lichts“. Das gilt ja, wenn man das Selbstbild nicht mit rosaroter Brille über das Zulässige hinaus korrigiert, für die meisten Menschen. Theodor Shitstorm wissen das – und als veritable Beleuchtungskünstler gelingt es ihnen immer wieder, dass man über den bescheuerten Namen hinwegsehen und sogar die Aufzählungsmarotte immer wieder originell finden kann.

Facebook-Seite von Theodor Shitstorm

(Foto: Staatsakt)

Get The Blessing „Bristopia“

[rating=4] Jazz – Jazz + Funk + Postrock + Trip-Hop + Electronics = Get The Bleesing.

Das Spannende an der aktuellen britischen Jazz-Szene ist, dass sie zu so vielen unterschiedlichen Ergebnissen kommt, die alle einen gemeinsamen Nenner haben: höchste musikalische Qualität. In Bristol, einst von Journalisten zur „Hauptstadt des Trip-Hop“ gekürt, gründete sich bereits 1999 das Quartett Get The Blessing. Ihre Musik fasst Elemente des Jazz, des Postrock und des Trip-Hop zusammen, vermischt akustische und elektronische Sounds und setzt dabei traditionelle Solo-Instrumente des Jazz, Trompete (Pete Judge) und Saxophon (Jake McMurchie) ein. Jim Barr am Bass und Clive Deamer an den Drums bereiten dafür das rhythmische Fundament. Die beiden sind keine Unbekannten: In derselben Funktion stehen sie auch mit Portishead auf der Bühne.

Get The Blessings siebtes Album „Bristopia“ zeigt das Quartett in Hochform. Die elf Tracks pulsieren energiegeladen und rhythmisch strukturiert, gleichzeitig mangelt es nicht an freien, improvisatorischen Sequenzen. Dabei wildern die vier selbstbewusst quer durch die Musikwelt. Es ist schon hauptsächlich Jazz, was sie auf dem Album bieten, aber mit der lässigen Attitüde einer Rockband und mit dem wohlüberlegten Einsatz von Sounds und Rhythmen aus verwandten und fernen Genres. Mitunter ist das Ergebnis sogar tanzbar (Huch!), es gibt aber auch immer wieder ruhige Momente. Für zusätzliche Akzente an der Gitarre sorgen Adrian Utley von Portishead und die Pedal-Steel-Gitarristin Margerethe Björklund.

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Das Album erscheint als CD, als Download und als limitierte LP auf orangefarbenem Vinyl, eine Augenweide und klanglich ebenso erhaben wie die digitalen Formate. Leider hat man bei der Vinyl-Ausgabe auf einen Download-Code verzichtet. Den erhält man allerdings, wenn man das Album auf der Bandcamp-Seite des Quartetts bestellt.

→ Get The Blessing Homepage

Get The Blessing auf bandcamp.com (mit Streaming- und Bestellmöglichkeit)

(Coverbild: Get The Blessing auf bandcamp.com; Vinyl-Bilder: Salvatore Pichireddu)

Okonkolo „Cantos“

[rating=4] Harmonische Vielfalt

Die Musik von Okonkolo ist ein lebhaftes Zeugnis für den seit Jahrhunderten bestehenden globalen Austausch. Die Santería-Religion – und damit auch ihre musikalische Ausprägung – kam mit den afrikanischen Sklaven nach Kuba. Sie verbreitete sich in der Karibik und wanderte weiter in die USA. Okonkolo-Bandleader Abraham „Aby“ Rodriguez, selbst Santería-Priester, veredelt die Musik der Naturreligion, indem er das zentrale Instrumentarium, Perkussion und Gesang, um Bläser, Gitarre, Bass oder auch Streicher erweitert und mit anderen musikalischen Einflüssen anreichert. Da wird zum Beispiel der Gesang mit Bläsersequenzen unterlegt, die aus David Byrnes „The Knee Plays“ stammen könnten. Dann wiederum wandelt sich eine getragene Melodie zum quirligen Highlife-Stück.
Die Wechsel im Lead-Gesang tragen zur Lebendigkeit bei: Die energiegeladenen Stimmen von Amma McKen, die sich der Bewahrung der Traditionen der nigerianischen Yoruba verschrieben hat, und der interdisziplinären Künstlerin und Sängerin Jadele McPherson kontrastieren die urtümlicher wirkende Stimme von Abraham Rodriguez.
Es ist eine harmonische Vielfalt, in der die überlieferten Rhythmen modern zelebriert werden und sich die zeitgenössischen Elemente in einem traditionellen Gewand zu einem neuen, mal erhaben wirkenden, dann wieder vibrierend-lebendigen Klang vereinen.

Facebook-Seite von Okonkolo

(Foto: Der Promotor)

C.A.R. „Look Behind You“

[rating=4] Jazz – Jazz is not dead, it just moved to Europe.

Richtig guter Jazz gedeiht manchmal im Verborgenen. So liegen die Zentren des europäischen Jazz heute zwar eher in London, Zürich, Oslo und Stockholm denn in Köln, allerdings verfügt die Domstadt über eine breit gefächerte, junge, neugierige und experimentierfreudige Jazz-Szene, die sich zumindest lokal auf eine treue Gefolgschaft verlassen kann. Das Kölner Quartett C.A.R. ist einer der vielversprechendsten Geheimtipps aus der Rheinmetropole. Gleichzeitig ist die Kategorie „Jazz“ nur eine sehr vage Beschreibung dessen, was die vier Musiker erschaffen: Mit „Kraut-Jazz“, „Psychedelic Jazz“ und „Trip Music“ versuchen sie selbst das Spannungsfeld ihrer Musik zu umschreiben. Und selbst das ist noch lückenhaft.

Ihr zweites Album „Look Behind You“ (nach dem Debütalbum „Beyond The Zero“ (2014) und der „ Interlude EP“ (2017) beginnt mit psychedelisch verfremdeten Arpeggi, die der Minimal Music entliehen scheinen, wandelt dann bald in trippige Gefilden, zitiert den pinkfloydischen Artrock der 1970er, flackert mit modernen, urbanen Grooves (ein ausdrückliches Lob für die exzellente Rhythmus-Sektion Kenn Hartwig am Bass und Johannes Klingebiel an den Drums), verlangsamt zu impressionistischen Ambient-Sequenzen und nimmt danach wieder Tempo auf. Die Stücke sind stringent aufgebaut, ohne unnütze Längen. Analoge Keyboards und ein E-Piano (geschmackvoll bedient von Christian Lorenzen) sowie Saxophon (betörend gespielt von Leonhard Huhn) übernehmen die Melodie-Führung und die meisten Soloparts, wobei der Sound immer angenehm, niemals aber oberflächig ist. C.A.R. stehen nicht für verkopften, hyper-virtuosen Jazz sondern für einen fein ausbalancierten und groovenden Gesamtklang, in dem das Kollektiv mehr ist, als die Summe der einzelnen Solisten. „Look Behind You“ bietet Musik, die man sowohl hoch konzentriert anhören als auch einfach nur im Hintergrund laufen lassen kann. Und das kann man nur von den allerwenigsten Alben sagen.

C.A.R. brechen bald für das Goethe-Institut zu einer China-Tournee auf. Vorher sind sie noch bei zwei Terminen in Deutschland zu sehen.

02.10.2018, Köln, Theater Urania

22.11.2018, Hildesheim, Klangstärke°18 Festival

 

→ C.A.R. Homepage

C.A.R. auf bandcamp.com (mit Streaming- und Bestellmöglichkeit)

(Coverbild: C.A.R. auf bandcamp.com)

Fauré Quartett „Pictures at an Exhibition“

[rating=4] Kammermusik – Die „Bilder einer Ausstellung“ und die „Études­Tableaux“ in Bearbeitungen für Klavierquartett.

Der Zyklus „Bilder einer Ausstellung“ von Modest Mussorgsky (1839–1881) gehört heute zu den meistgespielten Werken der Musikliteratur. Außer der populären Originalfassung für Klavier und der noch berühmteren Orchestrierung von Maurice Ravel gibt es, neben zahlreichen anderen „klassischen“ Transkriptionen, auch Bearbeitungen im Jazz (Allyn Ferguson), in der elektronischen Musik (Isao Tomita), im Progressive Rock (Emerson, Lake & Palmer) und sogar im Metal (Mekong Delta). Mussorgskys Werk scheint eine ungebrochene Faszination auf die Hörer auszuüben, ungeachtet der jeweils gewählten Instrumentierung.

Eine neue Bearbeitung kommt von Grigorij Gruzman und Dirk Mommertz, Letzterer ist Pianist des Fauré Quartett. Zusammen mit seinen Mitstreitern legt er nun die Ersteinspielung der gelungenen Fassung für Klavierquartett vor. Sie verbindet die Intensität und Klarheit des Originals mit den psychedelisch-düsteren Effekten der Ravel-Bearbeitung. Die Kammerfassung ist klarer in den Streicherparts, weniger transzendent als Ravels Impressionismus, wenn man es so nennen will. Gleichzeitig behält die Quartett-Fassung die virtuosen, typisch russischen Klangeffekte des Klavier-Originals bei. Das ist im Ergebnis stellenweise geradezu berauschend und lässt das wohlbekannte Werk in einem neuen Licht erscheinen. Genauso gelungen: die Bearbeitung der „Études­Tableaux“ von Sergei Rachmaninoff (1873–1943), die ebenfalls zum ersten Mal in einer Fassung für Klavierquartett erklingen.

Das Album erscheint als Download, als CD und als Vinyl-Ausgabe. Bei letzterer hat man sich etwas Besonderes einfallen lassen: Während die „Bilder einer Ausstellung“ auf der Haupt-LP zu finden sind, wurden die „Études­Tableaux“ auf eine zusätzliche 10-Inch-Schallplatte „ausgelagert“. Nur schade, dass man bei der Vinyl-Ausgabe auf einen Downloadcode verzichtet hat. Das Artwork mit dem Pop-Art-Klavier verspricht ein ungewöhnliches Hörerlebnis, die auch klanglich makellose Aufnahme des Fauré Quartett löst das Versprechen ein.

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auf Youtube

Homepage des Fauré Quartett

Rezension zu Fauré Quartett „W. A. Mozart: Piano Quartets auf schallplattenmann.de

Rezensionen zu verschiedenen „Pictures at an Exhibition“-Aufnahmen auf schallplattenmann.de

(Coverbild: Büro für Künstler; Vinyl-Bilder: Salvatore Pichireddu)

 

Ammar 808 „Maghreb United“

Kein TR-808 kam für dieses Album zu Schaden, vermerkt Ammar 808 auf der Albumrückseite ironisch. Anders als dressierte Affen kann man das kultige Rhythmusgerät aus den 80er-Jahren ohnehin nicht quälen. Und das macht er auch mit den Hörorganen nicht. Denn auch wenn seine Musik dringlich und tranceverdächtig ist: Die treibenden Rhythmen, die der tunesische Musiker aus seinem TR-808 holt, klingen grummelig warm, die Stimme ist stimulierend und das kollektive Händeklatschen feuert zusätzlich an.
Ammar 808 verschwistert unterschiedliche Musik des Maghreb – algerischen Raï, Gnawa aus Marokko und tunesische Targ-Musik – mit dem TR-808. Mit dabei: die Sänger Mehdi Nassouli (Marokko), Sofiane Saidi (Algerien) and Cheb Hassen Tej (Tunesien) und traditionelle Instrumente wie die Kastenhalslaute Gumbri, Gasba-Flöten (die arabische Form der Ney) und der tunesische Zukra-Dudelsack.
Der Auftakt, „Degdega“, ist ein Versprechen – der Rest ist Erfüllung. Die Trennlinie zwischen Tradition und Moderne ist nicht offenkundig. Einerseits klingen die Stücke mit ihren traditionellen Elementen – dem Klang der Instrumente, auch wenn die Gumbri bereits elektrifiziert ist, oder dem Wechsel zwischen Hauptsänger und Chorgesang –, als seien sie bei einem riesigen Freudenfest in einem Gebirgsdorf hoch oben im Sahara-Atlas aufgenommen worden. Gleichzeitig ist die so natürlich wirkende Musik von Ammar 808 wie geschaffen für fiebrig durchtanzte Nächte in den Clubs der westlichen Metropolen.

(Foto: Glitterbeat)

Iveta Apkalna „Light & Dark“

[rating=3] Orgelmusik – Die ersten Solo-Orgelaufnahmen aus der Hamburger Elbphiharmonie.

Mit der Marke „Elbphilharmonie“ lässt sich werben. Das architektonisch spektakuläre Gebäude und sein Ruf als fabelhaftes Akustikwunder haben Hamburg binnen kürzester Zeit zu einem Zentrum der deutschen Musikwelt gemacht: Die Elphi ist „the place to be“. Und der Glanz der Philharmonie strahlt selbstredend auch auf die von Philipp Klais erbauten Orgel des Hauses ab.

Die Lettin Iveta Apkalna legt mit „Light & Dark“ die erste Solo-Orgelaufnahme aus der Elbphilharmonie vor. Erklärtes Ziel des Albums ist es, die Extreme des Instruments („Hell und dunkel“, „Kraft und Zärtlichkeit“ usw.) in seinen klanglichen Möglichkeiten bestmöglich abzubilden. Dazu wählte die Titularorganistin der Elbphilharmonie erfreulicherweise nicht die üblichen Orgel-Gassenhauer (sic!) von Bach, sondern modernere Werke von Schostakowitsch, Kalējs, Escaich, Gubaidulina, Janáček, Ligeti und Garūta. Das Programm erweist sich als klug gewählt und zusammengestellt: Es beginnt düster, wird dann introvertiert, dann expressiv, kontrastreich, Pathos-geladen, die Extreme auslotend und zuletzt leise und meditativ. Kein Zweifel: Mit der werbewirksamen Elbphilharmonie wird hier ein anspruchsvolles Programm an eine vermutlich breitere Käuferschicht gebracht. Das Instrument ist dabei der Star. Die gute Klangregie der Aufnahme lässt die Musik nah und gleichzeitig räumlich vernehmen.

So komplex die Musik, so aufwendig ist die Gestaltung der CD-Ausgabe (die Vinyl-Version lag mir leider nicht vor): Das edel gestaltete Digipak kommt mit einem Miniposter mit präzisen Angaben zum Orgelregister und einem 46-seitigen Booklet. Dieses enthält zahlreiche Bilder und ausführliche Informationen zur Musik, zur Künstlerin und zum Instrument.

Fazit: Eine anspruchsvolles und edles Debüt einer beeindruckenden Orgel in exzellenter Akustik mit einer technisch souveränen Solistin.

auf Youtube

Homepage von Iveta Apkalna

Homepage der Elbphilharmonie Hamburg

(Bild: Büro für Künstler)

Sväng „Sväng plays Tango“

[rating=3] Nostalgisch

Der Markt für Gruppen wie Sväng ist nicht groß. Doch als vermutlich weltweit einziges Mundharmonika-Quartett hat es die finnische Gruppe weit gebracht. Nachdem sie im vergangenen Jahr mit dem Überblicksalbum „Hauptbahnhof“ ihr bereits 14-jähriges Bestehen haben Revue passieren lassen, widmen sich Sväng nun der heimischen Tango-Tradition.
Das klingt weniger befremdlich, als man vermuten mag. Der durch Metall-Lamellen erzeugte Klang der Mundharmonika ist dem Klang des Bandoneons durchaus verwandt – in den Höhen etwas schriller, während die Bass-Mundharmonika mit ihrem angenehm warmen Klang die dem finnischen Tango innewohnende Melancholie angenehm unterstreicht.

Die vier Musiker spielen den Tango rund und weich, man fühlt sich zum Fünf-Uhr-Tee ins altmodische Tanzcafé versetzt, in dem ein paar ältere Herren ihre Partnerinnen sanft in Schwung bringen. Dass es in „Syyspihlajan Alla“ („Unter dem Vogelbeerbaum im Herbst“) um den Kummer über die eingezogenen Lieben und das vergossene Blut des zweiten Weltkriegs geht , vermittelt sich dem unbedarften Hörer nicht. Den 1942 geschriebenen Tango könnte man aus der Distanz auch als verhalten-kecke Auftaktmelodie eines Kinderfilms taxieren.
Doch das Begleitheft korrigiert die Einschätzung und erklärt, dass die roten Früchte des Zierstrauchs für das Blutvergießen stehen.
Melancholie ist eine Grundstimmung des finnischen Tangos. Dadurch wirkt er selbst in einer exaltierteren Variante, wie sie Sväng mit „Hugolle“ spielen, noch ein wenig zurückgenommen. Das Stück ist eine der vier Eigenkompositionen, mit denen Sväng den Tango auf ihre eigene Art interpretieren. Auch der „Tango Humiko“, ein Gruß an ihre japanischen Fans, zählt dazu.

Warm, weich und trotzdem immer wieder akzentuiert – auch wenn dem finnischen Tango mehr Gemütlichkeit als Hang zur Dramatik innewohnt, legen Sväng eine überraschende und ungeahnte Verwandtschaft des finnischen Tango zur portugiesischen Saudade nahe. Vielleicht haben sie nur zu viel Cristina Branco gehört. Möglicherweise sind sich aber auch Nord und Süd viel näher, als der Blick auf den Globus nahelegt. Auf nach Norden.

Offizielle Homepage von Sväng

→ Der finnische Tango bei Wikipedia erklärt

(Foto: Galileo)

Werner Aeschbacher „Atchafalaya“

[rating=4] Heimisch und welthaltig, unaufgeregt-ruhig und trotzdem anregend

Das Album beginnt mit einem Seufzer, aus dem der bedächtige „La Valse de Marcel“ entsteht. Es ist eines der für Werner Aeschbacher typischen Stücke, bei dem man sich nichts anderes vorstellen kann, als dass er erst eben sein schweres Werkzeug weggelegt hat und mit eigentlich für grobe Arbeiten gemachten Fingern zum Örgeli greift und die Welt um ihn herum beruhigt. Die Vögel hören auf, sich am Futterhäuschen um die Körner zu streiten, die Katze lässt das Mausen sein und die Nachbarin hört auf, mit dem Geschirr zu klappern, und setzt sich auf die Hausbank neben die feuerroten Lilien.

Aeschbachers Musik mag ihre Wurzeln im Alpenraum haben. Aber die Zweige sind in die Welt gewachsen. Man spürt, dass sie in Finnland und Rumänien, in Südfrankreich und auch in den Südstaaten der USA den gleichen Effekt hervorruft.
Schon ab dem zweiten Stück – der „Steve Riley Stomp“ ist nicht dem Schlagzeuger der Hardrockband L.A. Guns gewidmet, sondern eine Komposition des gleichnamigen Cajun-Akkordeonisten – beginnt es ein wenig fremdländisch zu klingen, ohne dass einen Aeschbacher in gänzlich unvertrautes Gelände führt.
Seine eigenen Kompositionen wirken einfach und oft auf Anhieb so vertraut wie Volkslieder. Das gelingt ihm auch auf seinem neuen Album „Atchafalaya“, auf dem er seinen Aufenthalt in Louisiana (USA) verarbeitet und die meisten Stücke auf dem dort erworbenen Akkordeon spielt. Aber vielleicht sind sich Cajun- und Schweizer Akkordeonmusik ja viel ähnlicher, als wir wahrhaben wollen. Ein Indiz dafür könnte die Knopfharmonika aus Louisiana sein: Diese klingt ähnlich wie das Langnauer Örgeli, das der Akkordeonsammler schon seit Kindheit spielt.

Werner Aeschbachers Musik ist beschaulich, aber ohne billige Zerstreuung, traditionsbewusst, aber nicht rückwärtsgewandt, unaufgeregt-ruhig und trotzdem anregend. Seine immer kurzen Stücke sind nicht mit überflüssigen Verzierungen überfrachtet und man hört ihnen die Mühe nicht an, die es für die selbstverständliche Einfachheit braucht, die diese Kompositionen ausstrahlten. Ob Walzer, Swing oder Tango: Seine Stücke klingen immer leicht und klar und Aeschbachers Spiel wie selbstvergessen – als ob es ihm völlig egal ist, ob die Vögel zanken, ihm die Katze miauend eine Maus zu Füßen legt und die Nachbarin mit Tellerklappern seinen Rhythmus torpediert. Wahrscheinlich ist es das ja auch.

Bisherige Rezensionen zu Werner Aeschbacher auf schallplattenmann.de

Offizielle Homepage von Werner Aeschbacher

(Foto: Narrenschiff)

Fatima Dunn „Birds and Bones“

[rating=4] Anrührende Lieder einer originellen Alleinunterhalterin

Sie habe kein Geld, singt sie frohgemut wie ein unbekümmert in die Welt hinauswandernder Hans Guck-in-die-Luft, dafür aber einen Garten mit tausend Blumen und ebenso vielen Bienen, einen Wald mit tausend Bäumen, einen Himmel voller Wolken und – vor allem – tausend Lieder, die sie zu den Leuten trage. Das ist wohl am meisten wert, denn „denen mit Musik gehört die Welt“.

Wenn man das Stück hört, „Kei Gäld“, weiß man längst, dass die irisch-schweizerische Sängerin aus wenig viel machen kann. Es ist der letzte Song auf dem neuen Album der Cellistin und Sängerin, die sich etwas großsprecherisch ‚One Women Orchestra‘ nennt. Für die Mehrstimmigkeit muss Fatima Dunn das Rad nicht neu erfinden, sondern wie andere zuvor ihr Instrument bloß mit Loops vervielfachen und mit kleinen Effekten akzentuieren. Das ist leicht gesagt. Doch mit zupfen, streichen und gelegentlich rhythmisch auf den Korpus klopfen sind ihre Möglichkeiten auch trotz elektronischer Unterstützung beschränkt.

Aber wer braucht mehr, wenn der wahre Reichtum ohnehin die Lieder sind? Die von Fatima Dunn sind anrührend und werden von ihr seelenvoll interpretiert. Sie hat eine anmutige Stimme, die sie für anmutige Melodien auch gerne übereinanderschichtet. Ihre Songs sind von schlichter Schönheit und doch nicht ohne Raffinesse, ruhig und trotzdem eindringlich, und immer wieder auch temperamentvoll, jedoch ganz ohne aufgeregte Pop-Attitüde. Kurz: Sie sind einfach einnehmend und schön – schön geschrieben, schön gesungen und schön arrangiert –, und das, ohne belanglos zu sein. Und wenn man ganz am Ende die in ihrem Wohnort aufgenommenen Gesänge der Stare vor dem Abflug in den Süden hört, denkt man, dass Fatima Dunn mit ihren Liedern gar nicht selbst um die Welt reisen muss. Ziemlich sicher werden die Stare sie von Südeuropa bis Nordwestafrika singen. Anderswohin kann das Album fliegen – und an manche Orte kommt die Sängerin selbst zu Besuch. Das ist wahrscheinlich am schönsten.

Offizielle Homepage von Fatima Dunn

(Foto: Tourbo Music)