Schlagwort: Folk

Hannes Wader „Macht’s gut“

[rating=3] Typisch Wader – als Kompliment gemeint

Er sei die lange Zeit seiner Karriere ein „aufrechter Künstler“ gewesen, der „wichtige, hinreißende, herzöffnende Lieder“ geschrieben habe, lobt sein Bruder im Geiste, der nur wenige Jahre jüngere Konstantin Wecker, Hannes Wader bei seinem Abschied von der Bühne. Die beiden haben – auch gemeinsam mit der dritten deutschen Liedermacherinstanz dieser Generation, Reinhard Mey – oft zusammen auf der Bühne gestanden. Doch bei seiner letzten Tournee präsentierte sich Hannes Wader wie in seinen Anfängen alleine dem Publikum. Und man kann es sich nicht anders vorstellen, als dass jedes Konzert ein Heimspiel gewesen ist.

„Meine Lieder klingen nicht mehr so wie damals, frei und leicht“, singt Wader gleich im zweiten Stück seiner Abschiedstournee („Damals“) und mag damit recht haben. Es ist kein Wunder, dass der 75-Jährige nicht mehr über die strahlende Stimme des Mittzwanzigers verfügt. Aber auch heute noch ist sie unverkennbar, klingt immer noch angenehm weich und – ja, überraschend jung. Und auch die Gitarre zupft er immer noch ansprechend.

So treu sich Wader als Person geblieben sein mag und so einheitlich sein musikalisches Schaffen wirkt: Die Bandbreite seiner Lieder ist beträchtlich – von dezidiert sozialkritischen über schräg-humoristische und poetische bis hin zu Volksliedern. Der Liedermacher bringt erwartungsgemäß von allem etwas und kann damit wohl die meisten Fans glücklich machen. Und gleichzeitig wird den meisten mehr als ein Lied fehlen – er hat schlicht zu viele gute geschrieben oder adaptiert, um sie in einem Konzert unterzubringen.

Bisherige Rezensionen zu Hannes Wader auf schallplattenmann.de und im Blog.

Offizielle Homepage von Hannes Wader

(Foto: Qrious)

Random Willson & Brokof „Brother Equal“

[rating=2] Hart am Rand der Klischees

Random Willson heißt im bürgerlichen Leben Greg Northrop und ist Sänger und Songwriter. Brokof sind Fabian Brokof und seine Band aus Berlin. Beide sind schon länger aktiv, aber diese Platte ist das erste Ergebnis ihrer Zusammenarbeit „East to West“, wie ein Songtitel lautet. Northrop aka Willsom pendelt zwischen New York City und Berlin, wo er seit 2010 lebt. Es geht in den musikalisch angenehm untermalten Texten um den Weg von Manhattan nach Berlin Mitte. Oder darum, daß man sich für wichtige Entscheidungen besser Zeit lassen sollte („Slow Down“). Um die vielen Zufälle, die das Leben bestimmen. Um das Leben insgesamt. Daher auch der Künstlername „Random“, also Zufall oder zufällig. „Willson“ wiederum soll für Herrn Jedermann, also uns alle, stehen.
Brokof haben bereits etliche Alben auf ihrem eigenen Label veröffenlicht, Willson hat eine EP von 2014 auf der Habenseite.

Was gibt’s also zu hören? Eine musikalische Reise, die von Folkrock („Own Time“) bis zu ‚klassischem‘ amerikanischen Rock Marke Ryan Adams reicht („Green Girl“). Mit hymnischem Gesang, Chor, leicht beschleunigtem Shuffletempo und ein kleines bißchen psychedelisch. „First to Know“, die erste Singleauskopplung, ist durchaus radiotauglich – flott, kurz, knapp, direkt und mit einem eingängigen Refrain ausgestattet. „Amen“ könnte fast von Tom Petty eingespielt worden sein.
Eigene Akzente setzen Willson & Brokof in der Mischung der Genres, in den autobiographisch gefärbten Texten und dem naiven Wunsch nach Harmonie in der Welt („All Agree“). ‚Vielfalt‘ statt ‚Einheit‘ heissen die Stichworte, das Andere soll nicht als Bedrohung, sondern als Bereicherung verstanden werden.
Brokof zeigen sich in der Besetzung Fabian Brokof an der Gitarre, Rocco Weise am Bass, Puya Shoary, Schlagzeug, und Arne Bergner, Tasteninstrumente und Gitarre, als spielfreudige Mitakteure mit sichtlichem Spass an der Sache. Die meisten Titel stammen zwar aus Willsons Feder, aber das Ganze ist nicht als Veröffentlichung eines Sängers und seiner Begleitband gedacht, sondern als Gemeinschaftswerk.
Die Musik wirkt angenehm ‚handgemacht‘ und ein bißchen altmodisch, vermeidet aber nicht durchgängig den Verzicht auf leider allzu bekannte Versatzstücke aus dem Rock der Siebziger und Achtziger Jahre. „Guru“ schrammt beispielsweise hart am Rande der bekannten musikalischen und textlichen Klischees des Laid-Back-Westcoast-Sounds vergangener Zeiten entlang. Motto: Ich will kein Guru, aber auch kein Sklave sein, nur ein freier Mann. Das ist lobenswert, aber kein sonderlich origineller Wunsch. Alles in allem ist „Brother Equal“ jedoch ein sympathisches Album.

(Foto: Goldrausch Records)

Diagrams „Dorothy“

Kann in andere Sphären tragen [rating=4]

Die Diagrams sind weniger eine richtige Band als vielmehr ein Projekt von Sam Genders. Jener ist wiederum seit Jahren in der englischen Musikszene mit obskuren Bands wie Tunng, The Accidental oder Throws aktiv. „Dorothy“ ist das dritte Album der Diagrams seit 2012. Entstanden ist es mit Hilfe von Crowdfunding und gefördert wurde es von Institutionen des britischen Kulturbetriebs. Genders war bislang in musikalischen Nischen unterwegs wie Electronic Folk oder Folktronic. „Dorothy“ bleibt diesem hybriden Genre treu, erweitert aber den Horizont durch die Zusammenarbeit mit Dorothy Trogden, einer neunzigjährigen amerikanischen (Hobby-)Dichterin und ehemaligen Architektin. Sie hat die Texte aller neun Titel des Mini-Albums (Spieldauer 29 Minuten) verfaßt. Deren Horizont reicht von „Everything“ über das „Motherboard“ bis zu „Under the Graphite Sky“. Der letztgenannte Text eröffnet das Album „Dorothy“ als Song und beschließt es als von Trogden rezitiertes Gedicht.
Dorothy Trogdens Texte sind versponnene, verträumte Beobachtungen über Beziehungen, das Leben, die Wissenschaft oder den Wechsel der Jahreszeiten, die von Sam Genders und seinen Mitstreitern kongenial vertont werden. Text und Musik sind leicht entrückt und schaffen – trotz der Kürze des Albums – einen eigenen, nahezu vollständigen Kosmos, eine athmosphärische Parallelwelt, die verzaubert.
Obwohl Genders Stimme in ihren Ausdrucksformen und Möglichkeiten limitiert ist, gereicht dies den kurzen Songs nicht zum Nachteil. „It’s only Light“ fängt ganz schlicht mit einer akustischen Gitarre und Genders Stimme an und wird dann behutsam mit Bläsern, Streichern und elektronische Effekte angereichert. Hinzu kommen eingefangene Geräusche aus der Umgebung von Orcas Island, Trogdens Wohnort in Washington State. Dies zeigt die Vielschichtigkeit der Produktion. Es entsteht dabei keine Soundcollage, sondern ein homogener Klang. Das Ergebnis ist wichtig, nicht die Zutaten. „I tell Myself“ erinnert zu Beginn ein wenig an die frühe Laurie Anderson, „Dorothy“ hingegen entfernt an englische Singer/Songwriter. Solche Reminiszenzen dauern aber nur Augenblicke, dann sind Genders und seine Mitstreiter wieder ganz bei sich. Ein Besuch dort lohnt.

(Cover: Rough Trade)

Tim Vantol „Burning Desires“

[rating=2]Konventionell, aber unterhaltsam

Tim Vantol ist ein Singer/Songwriter und Gitarrist aus Amsterdam, aber seine gut gelaunte Mischung aus Country und Folk könnte ebenso aus Amerika stammen. Seine Musik ist massentauglich und passt problemlos ins nachmittägliche Radioprogramm. Tim Vantol erfindet das Genre also nicht neu, geht aber unbekümmert an die Sache und startet seine dritte CD, „Burning Desires“, direkt mit eingängigen Melodien und ungekünsteltem Gesang. Zwar seien ihm, wie er selbst sagt, mehr als genügend andere Musiker in Sachen Technik und Stimmbeherrschung überlegen. Er mache jedoch einfach die Musik, wie er sie vermöge und weil es ihm Spass mache.
Das erinnert entfernt an die Haltung der Punk-Bewegung. Und tatsächlich hat Vantol kurz bei Antiintellectual gespielt, einer holländischen, von Punk beeinflussten Band. Jenes Erbe ist auf „Burning Desires“ am ehesten im geradlinigen, bisweilen etwas lauten und heiseren Gesang von Tim Vantol und in den einfachen Rhythmen zu entdecken. Aber auch der Song „The Hardway“ mit seinen drei Akkorden und dem ‚Fussballchorus‘ erinnert in mancherlei Hinsicht daran. „Follow your Heart“ lautet dessen Refrain, was auch Vantols musikalischen und sprachlichen Kosmos umreißt. Er hat das Herz auf dem rechten Fleck und singt gerne über das Leben an und für sich, über das Reisen und Nachhausekommen und über die Erlebnisse auf dem Weg dazwischen. Die Freiheit und die Sehnsucht, nie zu altern, besingt er in „We’re not gonna make it“, und „I’m restless, but I’m satisfied“, bekennt er in „Restless“.
Im Abschlusstitel, „’67 in Broken White“, beschränkt sich Tim Vantol auf seinen heiseren Gesang zur akustischen  Gitarre. „I wish, I could take your for a ride on those breezy summer Nights“, singt er dort und formuliert damit seine Version der Singer/Songwriter-Romantik.

Die Songs und ihre Interpretation gefallen, auch wenn man alles schon einmal gehört hat. Zum Nachteil gereicht Tim Vantol am ehesten, dass die Rolle des rauen, aber liebenswerten Barden, der uns von seinem Wanderleben musikalisch erzählt, schon recht häufig prominent besetzt war. Dass er auch mit seinem dritten Album nicht versucht, die doch recht breit ausgetretenen Wege des umherschweifenden Troubadours mit Klampfe zu verlassen, kann durchaus enttäuschen. Aber hey: Er bietet immerhin unterhaltsame 40 Minuten Musik, nicht überproduziert und handgemacht.

→ [Offizielle Homepage](http://www.timvantol.com) von Tim Vantol

(Cover: Odyssey Music)

Nick and June „My November My“

[rating=3] Im musikalischen und zeitlichen Zwischenreich

Wer Ende März eine Platte mit dem Titel „My November My“ herausbringt, hinkt entweder der Zeit hinterher oder ist ihr voraus. Im Falle der zweiten Veröffentlichung der Nürnberger Band Nick and June stehen die Dinge nicht ganz so einfach, sondern Band und Hörer scheinen sich eher in einer Art musikalischem und zeitlichen Zwischenreich zu begegnen. Ursprünglich begann der Sänger und Songwriter Nick Wolf 2011 als Solist, 2012 kam Julia Kalass hinzu, zunächst nur als Unterstützung für die ersten Aufnahmen. Mittlerweile hat man sich mit Bass und Schlagzeug zum Quartett entwickelt. Dominant bleiben aber die ausgefeilten Vokalarrangements. Nick Wolfs heiser-rauchiger Gesang und die helle Stimme von Julia Kalass geben Ton und Takt vor. Eine Vielzahl von Instrumenten ordnet sich dem unter und begleitet zart. Die verträumt-versponnenen Kompositionen unterstützen die stimmliche Dominanz und geben ihr Raum zur Entfaltung.

Zart, beinahe hingehuscht, beginnt die CD mit dem „Intro“, das Athmosphäre und Stimmung vorgibt. „November Boy“ greift den folkigen Indie-Sound auf, und im dritten Titel, „Tiger“, wird es kurz mal etwas lauter. Fans von handgemachtem Folk müssen jedoch keine Angst haben: Das Tempo bleibt verhalten, der Gesang reduziert und die Melodien zart, auch wenn dazu hin und wieder die Trommel etwas lauter geschlagen wird. Klaviere, Synthies und Gitarren ergänzen das Klangsprektrum, aber alles ist zurückhaltend bis reduziert arrangiert. Das passt ganz gut zum nachdenklich-traurig dreinschauenden Nick Wolf und der wie ein Hippiemädchen aussehenden Julia Kalass.
Für ambitionierte Proseminaristen gibt es verrätselte Texte um Wollen und Werden des „November Boy“ und Anspielungen auf Texte und Songs anderer Interpreten. Ein Konzeptalbum soll es also sein. Gut gefallen hat „London City, Boy, It’s killing me“ mit seinem fröhlichen Rhythmus, der irgendwie ’nostalgischen‘ Instrumentierung und dem sphärischen Gesang von Julia Kalass.

Ein Händchen für Melodien hat die Band obendrein. Aus dem Rahmen fällt ein wenig „Once in a Life“, wo man doch etwas zu sehr ins Indie-Rock-Klischee abdriftet, aber richtig schlecht ist auch das nicht. „Feels like Home“ wechselt dann wieder in den verträumt-verschlurften langsameren Modus. Darin fühlt die Band sich sichtlich am wohlsten. Vielleicht hätte man auf ein, zwei Songs verzichten können, aber so ist das halt mit jungen Bands, die sich und anderen zeigen wollen, wieviele Ideen man hat. Eins noch: beim nächsten Mal ein paar Kanten einbauen, ein wenig hat das Quartett damit bereits im letzten Titel „I & Love & …“, angefangen, in dem die zarte Stimmung auch mal mit Krach gestört wird.

Die junge Band hat ein Album vorgelegt, das dem Hörer Geduld und mithin Zeit abverlangt. Wer also filigranen, ausgefeilten Gesang schätzt, den Kompositionen Zeit gibt, sich zu entfalten, und Melancholie auch im Frühling nicht ganz abschüttelt, wird mit „My November My“ durchaus zufrieden sein.

 

Kristoffer Aström „Göteborg String Sessions“

astroem_goeteborg[rating=3] angenehm und berührend

Der 1974 geborene Gitarrist und Sänger Kristoffer Aström ist in seiner schwedischen Heimat seit langem kein Unbekannter mehr. Bereits neben seinen Anfängen als wilder Rocker – mit Fireside in den frühen Neunziger-Jahren – arbeitet er fast gleichzeitig als Solokünstler. Doch anders als mit seiner Band ist er solo eher im Country- oder Folk-Rock-Genre unterwegs. Das bereits vor einiger Zeit mit Mitgliedern des Göteborger Symphonie-Orchesters live eingespielte Album dokumentiert diese Facette seines Schaffens eindrucksvoll. Geigen oder ganze Orchester werden von Rockmusikern gerne eingesetzt, wenn es etwas ‚feierlicher‘ zugehen soll. Allerdings kann auch ein versiertes symphonisches Klanggebilde aus einem schlechten Song keinen guten machen – umgekehrt schon eher. Doch Aströms zumeist persönlich geprägte Songs über die „Queen of Sorrows“ oder „All Lovers Hell“ vertragen die Arrangements gut. Der Schwede hat nicht die beste Stimme aller Zeiten, und seine Künste auf der akustischen Gitarre sind mit dem Prädikat „ganz ordentlich“ hinreichend beschrieben. In den „Göteborg String Sessions“ geht es daher nicht um Virtuosität. Aber die Songs verströmen durchweg eine sanfte, introvertierte, warme und eher melancholische Stimmung. Sie entfalten  einen sehr eigenen, berührenden Reiz. Dabei bleibt sowohl für den Solisten als auch für das Orchester genügend Raum zur Entfaltung. Aström ist in seinen Kompositionen durchaus dem amerikanischen Country- oder Folkrock verpflichtet. Das heißt jedoch nicht, dass er keinen eigenen Ausdruck und Stil sucht. Dieser findet sich am Ende weniger in den Themen der Songs, die um Alkohol, Einsamkeit mit und ohne Frauen oder gebrochene Herzen junger Männer kreisen, sondern in der Art seines Vortrags. Und auch wenn dieser nicht unverwechselbar sein mag, liefert Kristoffer Aström mit seinen „String Sessions“ ein ordentliches Album ab, das im kalten Herbst und Winter sehr angenehm und berührend wärmt.

Jack Savoretti „Sleep No More“

jack-savoretti[rating=2]von Mainstream bis glanzvoll

Jack Savoretti hat eine markante Stimme, die sicherlich nicht nur seine Hörerinnen zum Träumen bringt, sondern auch Männer erfreuen kann. Seine zehnjährige Laufbahn hatte letztes Jahr mit seinem Album „Written in Scars“ deutlich an Fahrt gewonnen. Es war das erste Album, mit dem Jack Savoretti Chart-Platzierungen schaffte.
Was lag also näher, als diesen Lauf fortzuführen? Insbesondere der Auftakt des Albums, die Singleauskopplung „When We Were Lovers“, klingt, als ob Savoretti und seine Produzenten zu sehr auf den schnellen Chart-Erfolg schielten. Es ist eine nette, aber letzlich seichte und austauschbare Midtempo-Softrock-Nummer.
Mehr zu sich selbst kommt der Sänger immer dann, wenn die üppige Instrumentierung und „Oh, oh“-Girl-Chöre zurückgefahren werden, wenn etwa wie in „I’m Yours“ die Folk-Rock-Wurzeln Savorettis kurz an die Oberfläche dürfen. Im Großen und Ganzen gelingt es dem Musiker und den Produzenten jedoch, sein Faible für Folk, Soft-Rock und Pop in einer gewissen Balance zu halten. Deutlich wird dies in „We are Bound“, das nach einem reduzierten Intro aber schnell wieder mit Geigen und Chöre angereichert wird.

Jack Savoretti schlägt sich wacker in seinem Bemühen, die eigene musikalische Identität nicht dem Kommerz zu opfern. „Sleep No More“ soll ein „Liebesbrief an seine Frau“ sein, meint der Künstler, zwölf Songs über „Dinge, die dich nachts wach bleiben und nicht mehr schlafen lassen“. Das kann der mit seinen Refrains clever gemachte Song über „Troubled Souls“ sein. Das Stück beschwingt und hat das Zeug zum Ohrwurm.
Überhaupt haben Savoretti und seine Komponisten und Produzenten ein feines Händchen für eingängige Melodien und gut gesetzte musikalische Einfälle. So besticht „Sleep No More“, der Titelsong, mit toller Phrasierung Savorettis, sparsamen Effekten – etwa eine gepfiffene Melodie – und dem transparentem Sound. „Any Other Way“ ist dagegen nicht mehr als Mainstreamradio, und „Start Living in the Moment“ variiert das Rezept nur ein weiteres Mal. Den glanzvollen Schlußpunkt setzt „Lullaby Loving“, bei dem sich der Folk-Rocker Savoretti fast aus dem goldenen Hitparaden- und Produzentenkäfig befreit.
So gesehen bleibt die musikalische Zukunft des Mannes ein wenig offen. Vielleicht macht er weiter mit den chartkompatiblen Liedern. Oder er bringt doch irgendwann ein sparsam instrumentiertes Folk-Rock-Album heraus. Wir werden sehen und hören.

Jochen Distelmeyer „Songs from the Bottom Vol. 1“

distelmeyer[rating=3] Teils erstaunlich, teils langweilig

Jochen Distelmeyer, vormals Vordenker von Blumfeld und nummehr Teilzeit arbeitender Schriftsteller, gönnt sich eine kreative Pause. Er veröffentlicht ein Cover-Album mit gut abgelagerten Songs von Joni Mitchell, Al Green und sogar Pete Seegers „Turn, turn, turn“, das die meisten wohl von den Byrds kennen. Das klingt ganz gut, auch wenn die Welt sicher weder auf die folkpopige Version von Lana del Reys „Video Games“ gewartet hat noch auf die x-te Fassung des Seeger-Songs. Zwar gibt es viele Interpretationen fremder Songs, die das Original um Längen schlagen. Wer denkt bei „All along the Watchtower“ an Bob Dylan? Nicht der Songwriter, sondern Jimi Hendrix hat den Song berühmt gemacht. Ganz so kongenial ist Jochen Distelmeyer nicht. Ihm gelingt jedoch ein unaufgeregtes, von intellektuellem Ballast weitgehend befreitetes Album.
Wobei: So ganz ohne intellektuellen Überbau geht es bei einem Protagonisten der Hamburger Popschule natürlich nicht. Im bekannten anspielungsreichen und diskursverliebtem Jargon der Hamburger Schule lässt uns Jochen Distelmeyer einiges wissen: Den Titel des Albums verdankt er einem Kevin Ayers-Song. Die Songs spielte er während der Lesungen seines Romandebuts „Otis“. Die Titelauswahl hängt mit den Themen zusammen, die er darin verarbeitet hat – Hadesfahrten, Löcher, Leaks, Sexual Politics der Antike, Flüchtlinge und Kriegsheimkehrer – kurz: „Gesänge aus Basements, Backyards und tieferen Schichten“, so Jochen Distelmeyer.
Das klingt nach einem großen, wenn nicht gar großspurigen Versprechen. Er kommt ihm nicht immer nach. Distelmeyer hat eine angenehme Stimme, die Begleitung bleibt zurückhaltend. Bei der Songauswahl – darunter auch Britney Spears „Toxic“ und „Bittersweet Symphony“ von Verve – zeigt er eine schöne stilistische Spannweite, die durch den Gesang und die reduzierten Arrangements erstaunlich homogen klingt. Und Jochen Distelmeyer zeigt, dass er auch richtig gut sein kann – zum Beispiel beim Avici-Dancefloor-Knaller „I could be the One“. Perlende Klavierakkorde, Hall, akustische Gitarre, sparsame Synthiarrangements, gepflegte Melancholie – hier passt alles wunderbar. Womit wieder einmal bewiesen wäre, dass vermeintlich seelenlose Musik für den Massenmarkt und intellektuelle Musiker sich im Pop-Universum durchaus bestens vertragen können.
Fazit: nicht die Zukunft des Pop, aber zumindest ein gutes Album.

Jonathan Jeremiah „Oh Desire“

[rating=3] Ein durchweg gutes Album
Der britische Sänger und Gitarrist Jonathan Jermiah legt mit „Oh Desire“ ein hörenswertes neues Album vor. Stilistisch durchaus uneinheitlich, wie man es von Jeremiahs bisherigen Veröffentlichungen kennt, pendelt auch dieses zwischen Folk-Jazz, Jazz, Pop und Soul. Deutliche Reminiszenzen an Otis Reddings unzerstörbaren Klassiker „Sitting on the Dock of the Bay“ liefert etwa sein „Smiling“, und bei „Walking on Air“ stellte sich die leise Erinnerung an „Solid Air“ von John Martyn ein. Jeremiah steht also auf den Schultern großer Musiker der sechziger und siebziger Jahre, was zusätzlich durch die analogen 16-Spur-Aufnahmen, mit denen die Titel aufgenommen wurden, akzentuiert wird.
Bleibt da Raum für eigenes? Sein Debüt 2011, „A Solitary Man“, wirkte bei aller Qualität seiner angenehmen Bariton-Stimme teils glatt und zerfahren, und mit dem Himmel voller Geigen, der beinahe in jedem Song dräute, auch überproduziert. Die etwas eigenwillige musikalische Mischung aus Big-Band-Jazz, Folk, Soft-Rock und seinem Aussehen, das wie eine Kreuzung aus Cat Stevens und modernem Hipstertum wirkt, schienen ihn nur bedingt zum Posterboy sensibler junger Menschen zu prädestinieren, die am virtuellen Lagerfeuer neben dem CD-Player Wärme suchten. Allein, der Erfolg wirkte bestätigend. Nun, einige Jahre später, sind die Big-Band-Anklänge weitgehend verschwunden, und die Geigen schluchzen ebenfalls dezenter. Nur im kurzen Eröffnungstitel und in „Rosario“ dominieren sie noch.
Geblieben ist die Liebe Jeremiahs zum klassischen Soul, zu Folk-Jazz und Soft-Pop, zur angejazzten Ballade. Hinzugekommen ist zudem eine feste Band, die bei der Umsetzung der vielfältigen musikalischen Ideen den Ton trifft. Und dieses Mal produzierte der Künstler selbst. Herausgekommen sind 13 Songs, die jedoch nicht alle im musikalischen Gedächtnis haften bleiben. Aber „Oh Desire“ ist, etlichen überraschenden Wechseln in der musikalischen Farbe zum Trotz, ein durchweg gutes Album geworden. Dem Thema Verlangen verhaftet, erzählt Jeremiah mit seiner angenehm tiefen Stimme Geschichten vom Tod der Eltern, Mythen der irischen Heimat („The Devils Hillside“), wie er diese Mythen aus den Erzählungen der Mutter als Kind kennen lernte oder vom hektischen, lauten Großstadtleben in London und der Sehnsucht nach dem vermeintlich einfachen Leben in der Natur. In „Rising Up“ räsonniert er darüber, daß – anders als in seiner Jugend – Bildung und Fleiß jungen Leuten keineswegs den Aufstieg ermöglichen oder auch nur erleichtern. Die sozialen Barrieren seien so hoch wie nie.
In der Summe seiner Musik und Texte bleibt sich Jonathan Jeremiah mit „Oh Desire“ treu, wenngleich einige behutsame, gleichwohl hörbare, Änderungen die neue Veröffentlichung prägen.   

Sufjan Stevens „Carrie & Lowell“

a2231815864_2[rating=3] Betörend, stellenweise berührend und autobiographisch

„This is not my art project, this is my Life“, sagt Sufjan Stevens über „Carrie & Lowell“. Das Cover ziert ein altes, vergilbtes und beschädigtes Polaroid-Foto, das seine 2012 an Magenkrebs verstorbene Mutter und seinen Stiefvater zeigt. Eine musikalische Reise in die eigene Vergangenheit mithin, die mit „Death with Dignity“ den Reigen der elf Songs bedeutungsschwanger eröffnet. Wer nun einzig Düsternis und Schwermut erwartet, liegt richtig und falsch zugleich. Die Texte handeln von Leben und Tod, von Liebe und Verlust, von Kindheit und Pubertät – doch musikalisch erlebt der Hörer die Wiederkehr männlichen Harmoniegesangs aus den sonnigen sechziger Jahren und einen aufs Wesentliche reduzierten ‚Wall of Sound‘ in der Tradition Phil Spectors. Stevens setzt dabei jedoch nicht auf Retrosound, sondern erzeugt  einen ganz heutigen, modernen Klang. Er ist ein versierter Wanderer zwischen den musikalischen Welten und verbindet Folk, Indiepop, Electronica, orchestrale Arrangements und mehrstimmigen Gesang zu einer eigenen Mischung. Diese ist allerdings aufgrund der vielen Zutaten bisweilen schwer verdaulich. Manches Projekt seiner jüngsten Vergangenheit, etwa „Sevens Swans“ mit seinen biblischen Themen, wirkte überambitioniert, mancher Auftritt mit exaltierter Bühnenshow und einer Vielzahl von Mitstreitern abgeschmackt und neben der Spur.

Auf „Carrie & Lowell“ erscheint Sufjan Stevens nunmehr gleichzeitig gereifter und reduzierter. Beinahe intim in seinen Erinnerungen an Kindheitsszenen, in denen die von Drogen und Psychosen gebeutelte, meist abwesende Mutter eine wichtige Rolle spielt. „Death and Dignity“ beginnt mit einfachen Akkorden einer akustischen Gitarre, dann setzt Stevens‘ Falsett-Stimme ein, gerne auch – wie in „All of me wants all of you“ schön hörbar – mit sich selbst im Chor und in reiner Harmonie. Diesen wesentlichen Zutaten wird hier und da ein Klavier hinzugefügt, weibliche Background-Stimmen, und elektronische Instrumente und Effekte beenden die Songs zumeist mit einem leichten Anklang an Ambient-Sounds.
Dadurch ist „Carrie & Lowell“  weder eine reine Rückbesinnung auf Stevens Folk-Anfänge, noch Ambient-Folk, falls es sowas gibt, sondern eine Art Synthese aus seinem bisherigen Schaffen mit interessanten Ausblicken auf eine mögliche Zukunft seiner Musik.