Schlagwort: Blues

Samba Touré „Wande“

[rating=4] Mali-Blues, zurückhaltend und fein

Die Lage der Welt macht nicht wirklich froh, und die jahrzehntelang immer wieder fragile Situation in Mali hat sich in den vergangenen Jahren noch weiter verschlechtert – ohne Aussicht auf Veränderung. Daher erstaunt es nicht, dass der malische Gitarrist und Songwriter mit „Wande“ ein äußerst melancholisches Album eingespielt hat. Selbst das seiner Frau gewidmete Liebeslied, mit dem das Album betitelt ist, wirkt schwermütig.

Trotzdem wirken die neuen Lieder von Samba Touré nicht durchweg so resigniert wie „Mana Yero Koy“, in dem er „die ganze Welt im Chaos“ sieht und beklagt, dass es „keinen sicheren Platz mehr gibt“. Er ergibt sich der Misere nicht apathisch, sondern regt an, erst einmal die persönliche Einstellung zu ändern und zusammenzustehen. Und wie Boubacar Traoré, der malische Chuck Berry, bereits in den 60er-Jahren forderte, ruft auch der um Jahrzehnte jüngere Musiker seine Landsleute dazu auf, das Glück nicht in der Emigration zu suchen, sondern die Heimat mitzugestalten.

Musikalisch steht Samba Touré in der besinnlichen Tradition des Mali-Blues, seine Lieder singt er alle in Songhai. Das extrem zurückhaltende „Wande“ erinnert Anfangs an die melancholischen Stücke von Boubacar Traoré, um bald und mit einer psychedelischen Note versehen in die Richtung seines Namensvetters Ali Farka Touré zu driften. Die Basis von „Yerfara“ („We are tired“) ist ein Lick, das den frühen Stones gut gestanden hätte, und bei „Mana Yero Koy“ („Where to go?“) zeigt der Gitarrist auf angenehme Weise, dass ihm auch tanzbare Musik nicht fremd ist.
Alle Stücke sind als harmonisches Ganzes arrangiert. Der Gitarrist bleibt prägnant, drängt sich jedoch nie in den Vordergrund, sondern fügt sich in sein stilvoll-gelassen agierendes Ensemble mit traditionellen Instrumenten wie Kalebasse, Ngoni und der einseitigen Geige Sokou ein.

Bisherige Rezensionen zu Samba Touré im Blog

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Offizielle Homepage von Samba Touré

(Foto: Glitterbeat)

Reverend Beat-Man „Blues Trash“

[rating=2] Trash, leicht gereinigt

Es ist eine kuriose Mischung: Reverend Beat-Man ist ausgewiesener Meister des Trash, seine Mitstreiter dagegen höheren künstlerischen Ansprüchen verpflichtet/mit akademischen Weihen ausgestattet: Julian Sartorius spielte als einer der angesagtesten Jungtrommler von Pop bis Jazz mit Sophie Hunger, Co Streiff und Bruno Spoerri. Der hier Gitarre spielende Akkordeonist Mario Batkovic hat schon vor seinem Musikstudium Hörbücher für Kinder vertont, mit Geoff Barrow von Portishead gespielt und auch Filmmusik geschrieben, von eigenen Projekten ganz abgesehen. Auch Resli Burri, knapp zehn Jahre älter als Reverend Beat-Man, hat als ehemaliges Mitglied von Patent Ochsner und Aufträgen für Film und Theater seine Meriten in der anerkannten, anspruchsvollen Pop-Unterhaltung und im Kunstbereich.

Wie passt das zusammen? Schielt Reverend Beat-Man auf einen Scheck aus der Kunstwelt? Wollten die anderen einfach einmal die Sau rauslassen? Oder hatten sie bloß Zeit und haben das auf der Straße liegende Kleingeld mitgenommen?
Um wenigstens die erste Frage zu beantworten: Es passt ausgezeichnet zusammen. Die Kollegen spielen den Bildungsvorsprung nicht wirklich aus, daher bleibt musikalisch letztlich alles beim Alten. Reverend Beat-Man knurrt wie immer zu Liedern mit Schauerroman-Stimmung, etwa bei „Lass uns Liebe machen“, das einem Dead-Brothers-Stück zum Verwechseln ähnlich ist. „Love is Simply A Dream“ und „Then We All Gonna Die“ wiederum würden gut zu einem Western-Noir-Roman im Stil eines Bruce Holbert passen, dessen Sheriff Russel Strawl in „Einsame Tiere“ genauso Outcast ist wie die von ihm Gejagten. Und zwischendurch freut man sich, die angenehme Stimme von Nicole Izobel Garcia zu hören, seiner Partnerin bei Live-Auftritten – eine seltene und daher umso angenehmere Abwechslung von Düsternis und Missbehagen, die Reverend Beat-Man gekonnt verbreitet.

Reverend Beat-Man bleibt also Reverend Beat-Man und liefert wie gewohnt Shabby-Schick. Auch wenn seine Mitstreiter diesen Stil zumindest an den noch nicht ganz verrosteten Stellen etwas blankpoliert haben, ändert das nicht wirklich viel. Wobei das Ergebnis immer noch besser ist als die gleichnamigen Schrottmöbel – mit beidem möchte man sich nicht dauerhaft ausstatten.

Facebook-Seite von Reverend Beat-Man

(Foto: Voodoo Rhythm)

The Jon Spencer Blues Explosion, 4.3.2016, Rote Fabrik, Zürich (CH)

DSC_3242„Ladies and gentlemen, the Blues Explosion“, verkündet Jon Spencer wiederholt zwischen
den Stücken. Obwohl er sicher sein kann, dass jeder im Saal weiß, wer hier den Bulldozer mit veredeltem Trash durch die Menge schiebt, gibt er den altmodischen Entertainer. Das ist durchaus passend zu einer Musik, die bereits aus der Zeit gefallen scheint. Doch vielleicht zeigt gerade das, wie zeitlos The Jon Spencer Blues Explosion ist. Und auch wenn die Besetzung – zwei Gitarren und Schlagzeug – längst nicht mehr neu ist, fragt man sich einmal mehr, wofür andere Trios einen Bassisten brauchen.

The Jon Spencer Blues Explosion stehen kompakt auf der Bühne und lassen einen guten Teil
der Fläche ungenutzt – fast so, als ob sie sich spüren müssten. Tatsächlich scheinen sie
sich praktisch blind zu verstehen. Doch der gedrängte Aufbau versinnbildlicht, dass bei JSBE
nichts ausfranzt, dass die Songs ungemein dicht sind und straight ins Publikum gerotzt
werden. JSBE prügeln unerbittlich mit dem Rockbrett, knurren den Blues, zitieren
Sprechgesang und zeigen in einer ganz kurzen Anspielung, dass sie auch schon atonaler unterwegs waren als jetzt.
Das alles kommt wie eh und je direkt aus der Gosse – ramschige Fundstücke, die Jon Spencer, Judah Bauer und Russell Simins neu sortieren, zu Edeltrash aufhübschen und wuchtig in die Welt hinausdonnern. Im Hintergrund flimmern Filmausschnitte mit Aliens, Zombies und Dracula, tanzen Gogo-Girls und schüttelt ein Skelett rhythmisch seine Knochen. Auch das ist von gestern
– und verfehlt seine Wirkung trotzdem nicht. Es fügt sich stimmig in die ‚anything goes‘-Haltung, die JSBE mit ihrer Musik zelebrieren.

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Offizielle Homepage von The Jon Spencer Blues Explosion

(Foto: TheNoise)

Stephanie Nilles „Murder Ballads“

stephanie nilles[rating=3] Schauerliche Moritaten, mit schwarzem Humor gewürzt

Schreckliche Geschichten erzählt die Pianistin und Sängerin Stephanie Nilles – von Mord und Totschlag, von grassierender Waffengewalt in den USA („Open Season“), dem manchmal grausamen Schicksal namenloser Flüchtlinge („The Deportee“) oder auch schlicht vom „Slaughter Haus“.
Das alles kommt im LowFi-Sound daher, denn Ms. Nilles produziert und verlegt ihre Werke selbst. Hierbei greift sie nicht nur auf die obskure, wenn auch beliebte und langjährige Tradition der Moritaten zurück, die von Mord und Totschlag zumeist aus der Perspektive des Täters berichten, sondern zitiert gerne und häufig Barrelhouse und Traditional Jazz.
Aufgrund der ungeschliffenen Vortrags- und Produktionsweise wird Ms. Nilles gelegentlich in die Nähe des Punk gerückt. Hier zählen aber mehr  Geste und Produktionsweise als musikalische Einflüsse. Stephanie Nilles ist ausgebildete Konzertpianistin und gewann bereits als Teenager etliche Talentwettbewerbe. Sie verliess die klassische Konzertlaufbahn jedoch frühzeitig, um sich zunächst als Singer-Songwriter in New Yorker East Village zu versuchen. Schliesslich landete sie in New Orleans. Ausgedehnte Tourneen in den USA absolvierte sie – in ihrem Wagen nächtigend – auf eigene Faust. Mittlerweile hat sie es, wie sie verrät, zu einem Zelt gebracht. Solcherart gestählt, haut die Künstlerin munter in die Tasten und singt inbrünstig vom blutigen Handwerk. Genüßlich zelebriert sie dabei Cover von Jelly Roll Mortons „The Murder Ballad“ oder vom Blueser Blind Willy McTell, in dessen „A to Z Blues“ der eifersüchtige Liebhaber berichtet, wie er seiner Angebeten das Alphabet mit einem scharfen Messer in die geliebte Hautritzt – nur um ihr klar zu machen, was sie erwartet, wenn sie fremd gehen sollte.
Nilles interpretiert diese Rollenprosa fulminant, wenngleich ihr gesangliches Talent limitiert ist. Die Auswahl der Songs, eben Balladen und Moritaten über Mörder und ihre Opfer, erklärt sie so: “ Ich denke, dass alle Schauerballaden Geschichten über den Kampf zwischen Gut und Böse sind. (…) Und meistens gewinnt das Böse (…) Ich dachte, dieses Genre ist wunderbar geeignet, um über schillernde, verrückte Typen zu erzählen. (…) Als Songwriter muss man sich da gar nicht groß anstrengen. Die Geschichten sind an sich schon interessant.“ Das hat darüberhinaus den Vorteil, dass sie nicht viel von sich selbst preisgeben muss, denn „Bänkelsänger berichten ja nie von sich selbst, sondern aus dem Leben anderer“.
Und klar: Wer solche Songs hört und spielt, darf den schwarzen Humor nicht verachten. Darüber verfügt die 32-jährige Nilles sicherlich, wie ihre Website zeigt. Dort schaut sie uns Betrachter durch einen Strick an, zeigt Charlie Chaplin und bezeichnet sich selbst als böse Fee der amerikanischen Pseudo-Intellektuellen. Optisch sieht sie aus wie eine Kreuzung zwischen Sandy Denny, der allzu früh verstorbenen britischen Folksängerin, und Janis Joplin, der Heroine der 60er-Jahre.

Bros. Landreth „Let it Lie“

Bros_Landreth_cd[rating=2] Von US-amerikanischen Vorbildern unüberhörbar geprägt

Das Verhältnis Kanadas zu den „Lower 48 States“, also den unteren nordamerikanischen Staaten, mit denen man sich den Kontinent teilt, ist seit jeher delikat. Der übermächtig erscheinende Nachbar ist eine Herausforderung für das kanadische Selbstverständnis, das daher von Zeit zu Zeit einer Selbstvergewisserung oder Abgrenzung von den USA bedarf. Was hat dies mit dem Debüt der vier Rocker, darunter die beiden Brüder David und Joey Landreth, aus Winnipeg, Manitoba, zu tun? Eine Menge.
Beim ersten Hören meint man nämlich, Zeuge einer Renaissance oder zumindest Reminiszenz des ‚klassischen‘ US-Rock zu werden. Bluesige Gitarrenwände, eine warme Hammond-B-3-Orgel, Stimme und Stimmung schaffen einen Sound, den wir ohne weiteres mit namhaften US-Bands und Solisten aus der Rock-History (vor allem der 70er- und 80er-Jahre) verbinden. Auf der eigenen Homepage nennt die Band zwar ausgiebig Namen und Vorbilder, betont jedoch, natürlich, gleichzeitig eine gewisse Eigenständigkeit. Verständlich, denn das reine Epigonentum wäre ein Armutszeugnis.
Hier kann von bloßem Nachspielem aber keine Rede sein, selbst wenn den Kompositionen der Landreth-Brüder noch eine eigene Handschrift fehlt. Ob sie diese jedoch entwickeln werden, bleibt ungewiss. Für meinen Geschmack zielen Bros. Landreth mit „Let it Lie“ noch zu sehr auf breite Zustimmung beim Publikum. Nach dem Motto »etwas für jeden Geschmack» wechseln sich radiokompatible Songs wie „Made up my Mind“ mit Mid-Tempo-Rockern wie „Let it Lie“ und country-seligen Schunkelliedern ab. Das wirkt etwas kalkuliert und marktstategisch orientiert.
Herausragend sind jedenfalls der dreistimmige Harmoniegesang und die solide Gitarrenarbeit. Das alles ist nicht neu, ebensowenig die Texte. Diese schwanken zwischen vertontem Liebeskummer und der Begegnung mit der nächsten Dame. Solange man nicht die Zukunft des Rock’n’Roll erwartet, stört das nicht. Immerhin bekommt man solide musikalische und stimmliche Kost geboten. Für meinen Geschmack hätten es jedoch durchaus mehr krachende Rocker und weniger langsame Songs wie „Tappin‘ on Glass“ sein dürfen. Diese klingen doch zu sehr danach, als ob Bros. Landreth direkt bei amerikanischen Radiostationen im Nachmittagsprogramm Stammgast werden wollten – also ziemlich routiniert für eine junge Band. Da die Landreth-Brüder aber einige Jahre Erfahrung als Sidemen und Sessionmusiker haben und mithin ausgebuffte Profis sein dürften, verwundert dies nicht wirklich.
Mit der eigenen, kanadischen, musikalischen Handschrift hat es also noch nicht geklappt, dafür sind die Anleihen beim ‚klassischen‘ US-amerikanischen Rock zu ausgiebig. Aber das muss uns Europäer nicht stören.

Etran Finatawa, 19.4.2015, Spielboden, Dornbirn (A)

DSC_1512Singen sie eigentlich vom Wüstenwind oder von Freiheit und Frieden, singen sie von korrupten Eliten oder sind es doch romantische Liebeslieder? Es kommt nicht darauf an. Und auch nicht darauf, zu welchen Anlässen die Musiker von Etran Finatawa sonst die prächtigen Kleider tragen, mit denen sie auf der Bühne stehen.

Etran Finatawa haben ein anderes Alleinstellungsmerkmal als andere Tuareg-Bands gewählt: Im vor gut zehn Jahren gegründeten Quartett finden sich zwei Volksgruppen – die in ihrem traditionellen weiten Übergewand und Gesichtsschleier auftretenden Tuareg Alhousseini Mohammed Anivolla (Leadgitarre, Gesang) und Gouma Abdoul Jamil (Perkussion und Rhythmusgitarre) und die beiden Wodaabe, Bammo Agonla (Gesang) und Mamane Tankari (Wasserkalebasse) in auffälligen, wohl rituellen Kleidern. Auf die beiden Wodaabe gehen die mehrstimmigen, oft im ‚call and response‘-Stil gehaltenen Passagen zurück.
Im europäischen Kontext ist das Outfit nur Folklore. Doch die Musik wirkt auch dann, wenn man den traditionellen Hintergrund nicht versteht. Man muss nicht wissen, von welchem Volk die Lieder sind und ob eines von ihnen auch beim Geerewol gespielt wird, dem traditionellen „Brautschaufestival“, das Werner Herzog Ende der 1980er-Jahre in seinem Film „Die Hirten der Sonne“ vorgestellt hat. Der durchweg langsame Rhythmus, der vielen Liedern eine eigentümlich melancholische Stimmung verleiht, der oft mehrstimmige Gesang und die redundante Struktur versetzen in eine einlullende Trance, die gleichzeitig die Sinne zu schärfen scheint.
Dabei agieren Etran Finatawa im ersten, kürzeren Set abwechslungsreicher, während im zweiten Teil, der keine neuen Aspekte des Tuareg-Blues mehr bringt, die suggestive Monotonie im Vordergrund steht.

Etran Finatawa hüllen sich nicht in die Aura des Rebellentums, die Bands wie Tinariwen und Toumast pflegen, und sie scheinen bis auf die Tatsache, dass die Musiker unterschiedlichen, traditionell nomadisierenden Ethnien angehören, keine Ambitionen zu haben, den Wüstenblues um neue, ungewohnte Facetten oder Klangfarben zu bereichern. Das müssen sie auch nicht. Denn was im Konzert zu hören ist, reicht völlig, um nach zwei Stunden vergnügt nach Hause zu gehen.

James Blood Ulmer, 29.1.2015, Spielboden, Dornbirn (A)

James Blood Ulmer-6244Während Weggefährten wie Sonny Sharrock längst tot sind, verbreitet der in diesen Tagen seinen 75. Geburtstag feiernden James Blood Ulmer seine Altersweisheit auf der aktuellen Revelation-Tour. Auch wenn er dabei nichts verkündet, was man nicht ohnehin von ihm kennt und erwartet, bietet der Gitarrist immer wieder eindrückliche Momente – gewohnt sperrige, artifizielle Läufe ebenso wie berührend einfache Melodien; Letzteres allerdings nur so gelegentlich, wie er auch den einfachen Blues aufblitzen lässt, den er dann aber rasch wieder destruiert, während Calvin Jones den Walking Bass weiterzupft.
Calvin Jones (Bass) und Aubrey Dayle (Schlagzeug), der in einigen Formationen Ulmers spielt, begleiten den Altmeister in seinem zweistündigen Programm dezent und subtil. Sie liefern den anheimelnden Untergrund, auf den Ulmer seine spröden Gebilde setzt. Ulmer gesteht seinen beiden Mitstreitern das obligatorische Solo-Stück zu, das beide in gefühlvollem Kontrast zu den Kompositionen von James Blood Ulmer setzen. Gemeinsam mit den kurzen melodiösen Ausflügen Ulmers gewinnt dadurch der Abend an Spannung.

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Offizielle Homepage von James Blood Ulmer

(Foto: TheNoise)

Yellow Teeth „Night Birds“

yellow_teeth_night_birds_cover_jpeg[rating=3] Einfach und gut oder einfach gut. Anhören und ins Träumen kommen.

»Folk Songs and Hard Working Blues« versprechen Yellow Teeth auf ihrem soeben erschienenen Erstling, und genau das trifft es. Man meint zunächst, einen von schier endlosen Highways, von zuviel Whiskey and Women gegerbten amerikanischen Singer-Songwriter mit ganz viel Lebenserfahrung zu hören. Aber, Überraschung: Es ist ein junger Typ, der aussieht wie John Fogerty um1970, und der uns dieses wunderbare Album voller skurriler Geschichten und staubtrockener Klänge  präsentiert. Eine erstaunlich reife Stimme, gerne auch im Duett mit einer Sängerin, eine gezupfte akustische Gitarre, eine Mundharmonika, die klingt, als ob wir uns im Jahre 1962 befänden und einem jungen Großmaul aus Dulluth, Minnesota im Greenwich Village lauschten. Dazu gute Songs und Stories. Mehr braucht es nicht und daher ist es auch für uns Hörer letztlich immer noch ’so was von egal‘, ob Tiziano Zandonella und seine Mitstreiter aus dem Kanton Wallis, aus Minnesota, Memphis oder Maschen, wie Truck Stop sangen, kommen. Klar, manche Textzeile wie die hinlänglich bekannte »All the Troubles I’ve seen« nehmen wir mal als nicht ganz so originelles Zitat, denn soviele ‚Troubles‘ werden es schon nicht gewesen sein, die sie im Wallis erlebt haben. Und sicher: Wer will, hört sogleich die übergroßen Vorbilder wie Neil Young, Bonnie ‚Prince‘ Billy, Townes van Zandt, His Bobness und so fort heraus (die allesamt auch Vorbilder hatten). Aber „Night Birds“ zieht einen praktisch vom ersten Takt an in seinen Bann. Denn die künstlerische Darbietung wirkt in sich stimmig und die Musik ist gut gespielt.
Das ganze Album ist durchdacht und verbreitet eine ganz eigene Atmosphäre, die sich nicht im Beschwören bekannter Bilder amerikanischer Weite erschöpft, sondern auch die eigene Innenwelt des Sängers gekonnt auslotet. Also: anhören und geniessen.

Yellow Teeth haben mit „Night Birds“ eine tolle Platte geschaffen, der man ganz viele Hörer wünscht.

Fink (UK) „Hard Believer“

[amazon_image id=“B00J5LHKHG“ link=“true“ target=“_blank“ size=“medium“ class=“alignleft“]Fink „Hard Believer“[/amazon_image][rating=2]Reizvoll, aber auch beliebig

Fink, das Trio aus England um Sänger, Songwriter und Hauptakteur Finian Greenall, setzen mit „Hard Believer“, ihrem fünften Studioalbum, den eingeschlagenen Weg fort. Dieser besteht im Wesentlichen aus einem stellenweise recht reizvollen, wenn auch mittlerweile den Fink-Hörern hinlänglich bekannten Mix aus Countryblues mit Akustikgitarre und Greenalls rauer, dunkler Stimme, sowie Elementen aus Dancehall, Electronica, den verschleppten Rythmen des Triphop und Folkelementen, die versiert mit Hilfe moderner Studiotechnik verschmolzen werden. Das funktioniert dann gut, wenn das Gerüst, also das Songwriting, Substanz hat. Und es wird dann schnell beliebig, wenn die Songidee eher dürftig bleibt. Der Titelsong „Hard Believer“ eröffnet das Album ganz verheißungsvoll, aber schon „White Flag“ mit den bekannten, verhallten Dub-Effekten aus Dancehall und den schleppenden Drums des guten, alten Trip-Hop der Neunziger, schwächelt ein wenig. Das hat man alles schon einmal gehört – selbst von „Fink“ stellenweise erheblich besser.
„Pilgrim“ dagegen baut wieder gehörig Dramatik und Spannung auf. „Two Days Later“ oder „Too Late“ könnten hingegen in beinahe jedem beliebigen Formatradio geschmeidig durchgehen. Hier wird es mit dem stark zuckeraustauschhaltigen Radiopop – sehr süß, macht aber nicht dick und satt – etwas übertrieben. Immerhin ist Greenalls Stimme auch in diesen Liedchen noch ein Anker. „Shakespeare“ wiederum liebäugelt mit seinem gefälligem Text über den englischen Dichterfürsten und den Streicherarrangements aus dem Synthesizer eher mit Adult Orientated Pop, gefällt aber dennoch. „Looking Too Closely“ und die abschließende Liveaufnahme „Keep Falling“ sind solide Kost – nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Fazit: „Hard Believer“ ist ein Album, das man nicht unbedingt braucht von einer Band, die nicht so recht zu wissen scheint, wohin die weitere Reise gehen soll.

 

Hazmat Modine „Live“

[amazon_image id=“B00JW3R66C“ link=“true“ target=“_blank“ size=“medium“ class=“alignleft“]Hazmat Modine „Live“[/amazon_image][rating=3] Faszinierendes Gebräu aus Blues, Jazz, Klezmer, Balkanbläsern und Rockmusik

Hazmat Modine sind eine locker zusammengefügte Band aus New York, die sich um den Sänger und Harmonikaspieler Wade Schuman gruppiert. Der exotisch klingende Bandname hat eine einfache Bedeutung, die man allerdings auch leicht behämmert finden kann: Hazmat ist ein Akronym aus ‚Hazardous Material‘, also Gefahrgut, und Modine ist der Name eines Herstellers von Heizlüftern. Weil die Band gerne und oft Instrumente wie Saxophon, Sousaphon und Trompete einsetzt und diese nach Ansicht Schumans eine Menge ‚heiße Luft‘ produzieren ist der Bandname durchaus sinnfällig.

„Live“ ist die dritte Veröffentlichung der Amerikaner. Wer ein Faible für musikalische Vielfalt hat, den erwartet unter anderem eine Version von „Baby please don’t go“, die geeignet ist, eine Gänsehautentzündung (das Copyright darauf gebührt Mehmet Scholl) zu produzieren. Ganz große Klasse, wie Schuman und Co. diesen Delta-Blues-Klassiker von Big Joe Williams aus dem Jahr 1935 elektrifizieren, entstauben und neu interpretieren.

Die stilistische Bandbreite von Hazmat Modine ist verblüffend. Hört man eben noch eine postmoderne Band, die mit allen Wassern gewaschen ist und den gesamten Katalog des Blues und seiner Interpretationsmöglichkeiten von den Zwanzigern über den Chicago Blues der Fünziger und Sechziger bis in die Gegenwart präsent zu haben scheint, erklingt im nächsten Augenblick „Walking Stick“ von Irving Berlin. Unmittelbar nach Anklängen an John Mayalls Mundharmonikaspiel oder an einen Rockjazz-Bläsersatz tritt eine Querflöte aus dem Cool-Jazz auf den Plan, um im nächsten Augenblick von einem Song im Reggae-Rhythmus abgelöst zu werden.

Die verbindende Klammer ist Wade Schumans Stimme, die mal an die Bluesshouter vom Schlage eines Howlin‘ Wolf oder Big Joe Williams gemahnt, aber auch gekonnt Klezmer-Songs, Eigenkomposititonen oder Klassiker der amerikanischen Unterhaltungsmusik interpretiert. Die Band hat sichtlich Spaß daran, von einem Genre ins nächste zu wechseln und spielt, als ob der Teufel hinter ihr her wäre. Eine weitere wichtige Basis sind die vielfältigen musikalischen Interessen der beteiligten Musiker, darunter versierte Session- und Studioprofis sowie die durchaus ungewöhnliche Instrumentierung mit dem Sousaphon als Bassersatz, Mundharmonika, Tuba, Steelgitarre und anderem.
Hazmat Modine sind sozusagen eine zeitgenössische Variante des kulturellen amerikanischen ‚melting pot‘ der verschiedenen Musikstile – wilde Mischung, aber sie gefällt.