Schlagwort: Americana

Random Willson & Brokof „Brother Equal“

[rating=2] Hart am Rand der Klischees

Random Willson heißt im bürgerlichen Leben Greg Northrop und ist Sänger und Songwriter. Brokof sind Fabian Brokof und seine Band aus Berlin. Beide sind schon länger aktiv, aber diese Platte ist das erste Ergebnis ihrer Zusammenarbeit „East to West“, wie ein Songtitel lautet. Northrop aka Willsom pendelt zwischen New York City und Berlin, wo er seit 2010 lebt. Es geht in den musikalisch angenehm untermalten Texten um den Weg von Manhattan nach Berlin Mitte. Oder darum, daß man sich für wichtige Entscheidungen besser Zeit lassen sollte („Slow Down“). Um die vielen Zufälle, die das Leben bestimmen. Um das Leben insgesamt. Daher auch der Künstlername „Random“, also Zufall oder zufällig. „Willson“ wiederum soll für Herrn Jedermann, also uns alle, stehen.
Brokof haben bereits etliche Alben auf ihrem eigenen Label veröffenlicht, Willson hat eine EP von 2014 auf der Habenseite.

Was gibt’s also zu hören? Eine musikalische Reise, die von Folkrock („Own Time“) bis zu ‚klassischem‘ amerikanischen Rock Marke Ryan Adams reicht („Green Girl“). Mit hymnischem Gesang, Chor, leicht beschleunigtem Shuffletempo und ein kleines bißchen psychedelisch. „First to Know“, die erste Singleauskopplung, ist durchaus radiotauglich – flott, kurz, knapp, direkt und mit einem eingängigen Refrain ausgestattet. „Amen“ könnte fast von Tom Petty eingespielt worden sein.
Eigene Akzente setzen Willson & Brokof in der Mischung der Genres, in den autobiographisch gefärbten Texten und dem naiven Wunsch nach Harmonie in der Welt („All Agree“). ‚Vielfalt‘ statt ‚Einheit‘ heissen die Stichworte, das Andere soll nicht als Bedrohung, sondern als Bereicherung verstanden werden.
Brokof zeigen sich in der Besetzung Fabian Brokof an der Gitarre, Rocco Weise am Bass, Puya Shoary, Schlagzeug, und Arne Bergner, Tasteninstrumente und Gitarre, als spielfreudige Mitakteure mit sichtlichem Spass an der Sache. Die meisten Titel stammen zwar aus Willsons Feder, aber das Ganze ist nicht als Veröffentlichung eines Sängers und seiner Begleitband gedacht, sondern als Gemeinschaftswerk.
Die Musik wirkt angenehm ‚handgemacht‘ und ein bißchen altmodisch, vermeidet aber nicht durchgängig den Verzicht auf leider allzu bekannte Versatzstücke aus dem Rock der Siebziger und Achtziger Jahre. „Guru“ schrammt beispielsweise hart am Rande der bekannten musikalischen und textlichen Klischees des Laid-Back-Westcoast-Sounds vergangener Zeiten entlang. Motto: Ich will kein Guru, aber auch kein Sklave sein, nur ein freier Mann. Das ist lobenswert, aber kein sonderlich origineller Wunsch. Alles in allem ist „Brother Equal“ jedoch ein sympathisches Album.

(Foto: Goldrausch Records)

Hamilton Leithauser + Rostam „I had a dream that you were mine“

leithauser[rating=4] Reminiszenz an die goldene Zeit des amerikanischen Pop

Der US-amerikanische Sänger Hamilton Leithauser dürfte dem einen oder anderen als Sänger der New Yorker Band The Walkmen bekannt sein, die in den Jahren nach 2000 mit kommerziellem Indie-Pop aktiv war. Die Band hat sich seit 2014 eine unbestimmte Auszeit verordnet. Nachdem er im gleichen Jahr sein erstes Solo-Album vorlegte, hat Leithauser nun ein neues Projekt. Dieses formte er mit dem Multiinstrumentalisten Rostam Bantaglij, ex-Vampire Weekend. Mit „I had a dream that you were mine“ legen die beiden ihr Debut vor. Der Sound der zehn Songs wirkt beim ersten Hörer durchaus nostalgisch oder, wie es heute so plakativ heisst: Retro oder Vintage-Sound. Einerseits ist dies dem analogen Equipment zu verdanken, wie es früher auch The Walkmen in ihrem eigenen  Studio eingesetzt haben, andererseits dem Songwriting von Leithauser + Rostam. Den beiden scheint es vor allem um den Spaß zu gehen, Musik aus der Vergangenheit intelligent in die Gegenwart zu transportieren. Sie denken dabei aber auch über Vergänglichkeit oder das voranschreitende Alter nach.

„You ain’t that young Kid“ beginnt mit einer typischen Dylan-Harmonika, die von Beatles-Gitarren begleitet wird. Schließlich singt süßlich ein Mädchen-Chor, eine Hammond-Orgel nimmt die Harmonien auf, ein Clavinet und noch Manches andere kommt hinzu. Aber über allem thront der heisere Tenor von Leithauser, der über eine verflossene Liebe singt. Leithauser zieht als Sänger etliche Register und gibt den Entertainer. Sei es, dass er ganz im Stil der züchtigen fünfziger Jahre davon träumt, daß die Angebetete ihm ganz allein gehören möge („I had a dream that you were mine“), sei es, indem er Szenen aus schäbigen Bars und dunklen Parkplätze entwirft („You ain’t that young  Kid“).

Die Arbeitsteilung scheint damit klar: hier der Sänger, dort der Arrangeur und Multiinstrumentalist Rostam, der als eine Art lebender Musikbox virtuos die Stile vergangener Epochen mixt. Doch so einfach ist es nicht, denn auch Leithauser ist als Bassist und Gitarrist sowie als Komponist und Arrangeur am Klangbild maßgeblich beteiligt. Dieses bietet Doo-Woop-Adaptionen, spanische Gitarren, Anklänge an George Martins Zaubereien bei den Beatles, Reminiszenzen an Leonhard Cohen, antike Synthies aus den Achtzigern, Vaudeville-Pianos, Saxofon-Soli, Celli … Wer möchte, kann das ganze Klangpuzzle wieder auseinandernehmen und in seine Bestandteile zerlegen. Aber bekanntlich ist das Ganze mehr als die Summe seiner Teile. Weil Leithauser und Rostam begabte und versierte Klangtüftler mit hörbarem Spass an der Sache sind, vermischen sie die unterschiedlichen Zutaten auf ihre Album zu einem angenehmen, durchgehenden Hörvergnügen voller Up-Beat-Nummern mit melancholischen Obertönen, die aber nie ins Lamoryante verfallen.

(Cover: Glassnote Rec.)

Swaying Wires „I Left a House Burning“

BATTLE046_72DPI[rating=3] Bekannte Mischung, aber gekonnt angerichtet. Macht Appetit auf mehr und vermag bis zum Frühjahr mit wohligen Klängen zu wärmen.

Es ist kalt. Was hilft da besser als verträumter Folkpop aus Finnland? Das mögen auch die Swaying Wires gedacht haben, als sie die Veröffentlichung ihres zweiten Albums in den Wintermonat Januar legten.
Zwei Jahre sind seit ihrem Debut vergangen, es gab einige Tourneen und Streitigkeiten, aber die Stimme von Sängerin Tina Karkinen klingt immer noch glasklar, hell, verträumt. Stellenweise ergänzt ein Hauch von Melancholie die zunächst sehr sanfte Atmosphäre des Albums. „Dead Bird“ beginnt verhalten, die akustischen Gitarren und die dezente Rhythmusgruppe bilden einen perfekten Klangteppich für Karkinen und ihre Texte. Mag man hier noch von der vermeintlichen Lagerfeuerromantik eingenommen sein, so zeigen sich doch subtil kleine Störungen: »I see the wing of a dead bird … a view for sore eyes«. Unversehends gesellen sich dunkle Schatten zum schönen Abend in der freien Natur. Bereits im nächsten Song, „Nowhere“, zieht das Tempo an und die elektrische Gitarren werden schon mal etwas lauter.
Man mag sich in „Tuesdays Bells“ an die zu Unrecht unbekannt gebliebene englische Band Whistler erinnert fühlen, die ähnliche Songs mit entsprechender Stimmung produzierte, aber das sind vage Reminiszenzen. Gehen wir mal davon aus, dass die Band sich fleissig durch den Katalog des Folkpop, der aktuelleren Psychedelia und anderes gehört hat. Entscheidend ist jedoch immer noch, was man aus all den Einflüssen macht.
Tina Karkinen singt ihre Songs als hätte sie nie etwas anderes gemacht. Sie beherrscht, bei aller Begrenzung ihrer Stimme, souverän die Register der Genres, in denen sich der musikalische Rahmen bewegt. Mehr noch: Die Welt ist – zumindest in musikalischer Hinsicht – klein geworden. „Surrender“ könnte ebenso gut in einem Studio irgendwo in Amerika aufgenommen worden sein, was als Kompliment gemeint ist. Auch die Produktion ist erstaunlich reif für eine noch junge Band. Alles wirkt wie aus einem Guss, alles passt.

Respekt. Die Swaying Wires lassen auf ihrer zweiten CD „I left a House Burning“ einen eigenen Klangkosmosentstehen, der den Hörer für eine Dreiviertelstunde auf eine Reise mitzunehmen vermag – obwohl es auch einige schwache Momente gibt. „Suddenly“ etwa klingt mit seinen Chören und dem Mellotron zu sehr nach Westcoast-US-Pop der schlimmeren Sorte. Zweifellos wäre es auch nicht schlecht gewesen, Karkinens zarter Mädchenstimme hin und wieder irgend etwas Biestiges entgegenzusetzen, eine sägende Gitarre etwa oder eine männliche Reibeisenstimme. Das dachte die Band wohl auch. So kommen in „Fear“ immerhin die E-Gitarren etwas stärker aus der Deckung und Karkinens Stimme wird eher wie ein Instrument eingesetzt. Obwohl der Song mit Glockenspiel-Klängen lieblich endet, läßt er durchaus Anklänge an Psychedelia erkennen. Doch wo Furcht ist, wächst auch die Hoffnung. Daher folgt auf „Fear“ das Stück „Hope“ – vielleicht eine Kostprobe finnischen Humors. Kurz vor Schluss wird es in „Ways to Remember“ mit Piano und dezenter Streicherbegleitung noch einmal balladesk. Und süß, fast zu süß.

Stephanie Nilles „Murder Ballads“

stephanie nilles[rating=3] Schauerliche Moritaten, mit schwarzem Humor gewürzt

Schreckliche Geschichten erzählt die Pianistin und Sängerin Stephanie Nilles – von Mord und Totschlag, von grassierender Waffengewalt in den USA („Open Season“), dem manchmal grausamen Schicksal namenloser Flüchtlinge („The Deportee“) oder auch schlicht vom „Slaughter Haus“.
Das alles kommt im LowFi-Sound daher, denn Ms. Nilles produziert und verlegt ihre Werke selbst. Hierbei greift sie nicht nur auf die obskure, wenn auch beliebte und langjährige Tradition der Moritaten zurück, die von Mord und Totschlag zumeist aus der Perspektive des Täters berichten, sondern zitiert gerne und häufig Barrelhouse und Traditional Jazz.
Aufgrund der ungeschliffenen Vortrags- und Produktionsweise wird Ms. Nilles gelegentlich in die Nähe des Punk gerückt. Hier zählen aber mehr  Geste und Produktionsweise als musikalische Einflüsse. Stephanie Nilles ist ausgebildete Konzertpianistin und gewann bereits als Teenager etliche Talentwettbewerbe. Sie verliess die klassische Konzertlaufbahn jedoch frühzeitig, um sich zunächst als Singer-Songwriter in New Yorker East Village zu versuchen. Schliesslich landete sie in New Orleans. Ausgedehnte Tourneen in den USA absolvierte sie – in ihrem Wagen nächtigend – auf eigene Faust. Mittlerweile hat sie es, wie sie verrät, zu einem Zelt gebracht. Solcherart gestählt, haut die Künstlerin munter in die Tasten und singt inbrünstig vom blutigen Handwerk. Genüßlich zelebriert sie dabei Cover von Jelly Roll Mortons „The Murder Ballad“ oder vom Blueser Blind Willy McTell, in dessen „A to Z Blues“ der eifersüchtige Liebhaber berichtet, wie er seiner Angebeten das Alphabet mit einem scharfen Messer in die geliebte Hautritzt – nur um ihr klar zu machen, was sie erwartet, wenn sie fremd gehen sollte.
Nilles interpretiert diese Rollenprosa fulminant, wenngleich ihr gesangliches Talent limitiert ist. Die Auswahl der Songs, eben Balladen und Moritaten über Mörder und ihre Opfer, erklärt sie so: “ Ich denke, dass alle Schauerballaden Geschichten über den Kampf zwischen Gut und Böse sind. (…) Und meistens gewinnt das Böse (…) Ich dachte, dieses Genre ist wunderbar geeignet, um über schillernde, verrückte Typen zu erzählen. (…) Als Songwriter muss man sich da gar nicht groß anstrengen. Die Geschichten sind an sich schon interessant.“ Das hat darüberhinaus den Vorteil, dass sie nicht viel von sich selbst preisgeben muss, denn „Bänkelsänger berichten ja nie von sich selbst, sondern aus dem Leben anderer“.
Und klar: Wer solche Songs hört und spielt, darf den schwarzen Humor nicht verachten. Darüber verfügt die 32-jährige Nilles sicherlich, wie ihre Website zeigt. Dort schaut sie uns Betrachter durch einen Strick an, zeigt Charlie Chaplin und bezeichnet sich selbst als böse Fee der amerikanischen Pseudo-Intellektuellen. Optisch sieht sie aus wie eine Kreuzung zwischen Sandy Denny, der allzu früh verstorbenen britischen Folksängerin, und Janis Joplin, der Heroine der 60er-Jahre.

Planeausters „Humboldt Park“

Planeausters_Cover_Believe[rating=3] Erstaunlich Reifes aus der Provinz

Was bedeutet Rockmusik heute? Ein gigantisches Geschäft, Konzertarenen, in denen man für viel zu viel Geld die Band des Abends auf grobkörnigen Videoleinwänden sehen kann. Oder wahlweise Mehrzweckhallen mit mieser Akustik und überhöhten Getränkepreisen. Irgendwo in weiter Ferne stehen alte Männer auf der Bühne und spielen die Songs unserer Jugend. Das ist alles recht traurig, erfüllt aber offenbar seinen Zweck.
Dann kommt wieder eine Platte wie „Humboldt Park“ ins Haus, von einer deutschen Band namens Planeausters. Aus Ravensburg! Hier ist das Ergebnis umgekehrt zum abgeschmackten Rockzirkus: Man erwartet wenig und wird aufs Angenehmste überrascht. Nicht, dass die Planeausters die Zukunft des Rock’n’Roll verkörperten oder mit ungehörten Ideen aufwarteten. Die drei Jungs machen es so wie viele andere junge Bands. Sie erzählen ihre eigenen Geschichten, sie spielen ihre Songs, und beide nehmen eine mit auf eine Reise. Sänger und Gitarrist Michael Moravek hat sich durch den goßen Fundus amerikanischer Singer-Songwriter gehört und kann bei Bedarf auch den jungen Dylan zu neuem Leben erwecken – wie etwa in „Stranger in a Stranger’s Clothes“, das beinahe klingt wie His Bobness 1969. Der Song „Never Forget“ erinnert dagegen an amerikanischen Desert-Rock; er funktioniert prächtig und wirkt weit weniger epigonal als man zunächst denkt.

Moravek und seinen beiden Mitmusikern gelingt mit „Humboldt Park“ das Kunststück, Altes und Bekanntes mit Neuem zu einem eigenständigen Klang zu vermischen. Das liegt unter anderem daran, dass der Mann überzeugend Geschichten erzählen kann. Hinzu kommt, wie in „Wouldn’t say it’s over“ oder „The Golden Days of Missing you are over“, ein gewisser lakonischer Humor. Dazu sind Gesang und Musik angenehme unaufgeregt. Sicher, Moraveks Gesang zeigt ab und an noch zu sehr seine Bewunderung für Mike Scott von den Waterboys. Und mitunter weisen nicht nur Gitarrensound, Bass und Drums, sonder auch Melodien und Songaufbau deutliche Anklänge an große Vorbilder auf. Trotzdem: Für die relativ junge Band aus Ravensburg ist das mehr als respektabel.

Eingespielt wurde „Humboldt Park“ in Chicago, in einem Studio, das sich in der Nähe des Humboldt Parks befindet – einem jener Orte, die man bei Einbruch der Dunkelheit dem Vernehmen nach meiden sollte. Die Themen der Planeausters sind trotzdem weniger urbane Gewalt oder die Hektik der Großstadt. Ihre Musik folgt eher dem Kompass der Sehnsucht nach Freiheit und Weite, also uramerikanischen Mythen. Und ihre Texte thematisieren die ewige junge Erfahrung von Liebe und Enttäuschung, drehen sich also um das große Ganze, das sie mit einer angenehmen Mischung aus Humor und Melancholie präsentieren.
Die Arrangements sind allerdings überwiegend sparsam: Hier spielen überwiegend drei Typen Gitarre, Bass, und Schlagzeug, und einer singt. Und auch wenn man gelegentlich eine Mundharmonika, eine Orgel und auch mal eine Trompete hört, wirkt nichts überfrachtet.

Bros. Landreth „Let it Lie“

Bros_Landreth_cd[rating=2] Von US-amerikanischen Vorbildern unüberhörbar geprägt

Das Verhältnis Kanadas zu den „Lower 48 States“, also den unteren nordamerikanischen Staaten, mit denen man sich den Kontinent teilt, ist seit jeher delikat. Der übermächtig erscheinende Nachbar ist eine Herausforderung für das kanadische Selbstverständnis, das daher von Zeit zu Zeit einer Selbstvergewisserung oder Abgrenzung von den USA bedarf. Was hat dies mit dem Debüt der vier Rocker, darunter die beiden Brüder David und Joey Landreth, aus Winnipeg, Manitoba, zu tun? Eine Menge.
Beim ersten Hören meint man nämlich, Zeuge einer Renaissance oder zumindest Reminiszenz des ‚klassischen‘ US-Rock zu werden. Bluesige Gitarrenwände, eine warme Hammond-B-3-Orgel, Stimme und Stimmung schaffen einen Sound, den wir ohne weiteres mit namhaften US-Bands und Solisten aus der Rock-History (vor allem der 70er- und 80er-Jahre) verbinden. Auf der eigenen Homepage nennt die Band zwar ausgiebig Namen und Vorbilder, betont jedoch, natürlich, gleichzeitig eine gewisse Eigenständigkeit. Verständlich, denn das reine Epigonentum wäre ein Armutszeugnis.
Hier kann von bloßem Nachspielem aber keine Rede sein, selbst wenn den Kompositionen der Landreth-Brüder noch eine eigene Handschrift fehlt. Ob sie diese jedoch entwickeln werden, bleibt ungewiss. Für meinen Geschmack zielen Bros. Landreth mit „Let it Lie“ noch zu sehr auf breite Zustimmung beim Publikum. Nach dem Motto »etwas für jeden Geschmack» wechseln sich radiokompatible Songs wie „Made up my Mind“ mit Mid-Tempo-Rockern wie „Let it Lie“ und country-seligen Schunkelliedern ab. Das wirkt etwas kalkuliert und marktstategisch orientiert.
Herausragend sind jedenfalls der dreistimmige Harmoniegesang und die solide Gitarrenarbeit. Das alles ist nicht neu, ebensowenig die Texte. Diese schwanken zwischen vertontem Liebeskummer und der Begegnung mit der nächsten Dame. Solange man nicht die Zukunft des Rock’n’Roll erwartet, stört das nicht. Immerhin bekommt man solide musikalische und stimmliche Kost geboten. Für meinen Geschmack hätten es jedoch durchaus mehr krachende Rocker und weniger langsame Songs wie „Tappin‘ on Glass“ sein dürfen. Diese klingen doch zu sehr danach, als ob Bros. Landreth direkt bei amerikanischen Radiostationen im Nachmittagsprogramm Stammgast werden wollten – also ziemlich routiniert für eine junge Band. Da die Landreth-Brüder aber einige Jahre Erfahrung als Sidemen und Sessionmusiker haben und mithin ausgebuffte Profis sein dürften, verwundert dies nicht wirklich.
Mit der eigenen, kanadischen, musikalischen Handschrift hat es also noch nicht geklappt, dafür sind die Anleihen beim ‚klassischen‘ US-amerikanischen Rock zu ausgiebig. Aber das muss uns Europäer nicht stören.

Sufjan Stevens „Carrie & Lowell“

a2231815864_2[rating=3] Betörend, stellenweise berührend und autobiographisch

„This is not my art project, this is my Life“, sagt Sufjan Stevens über „Carrie & Lowell“. Das Cover ziert ein altes, vergilbtes und beschädigtes Polaroid-Foto, das seine 2012 an Magenkrebs verstorbene Mutter und seinen Stiefvater zeigt. Eine musikalische Reise in die eigene Vergangenheit mithin, die mit „Death with Dignity“ den Reigen der elf Songs bedeutungsschwanger eröffnet. Wer nun einzig Düsternis und Schwermut erwartet, liegt richtig und falsch zugleich. Die Texte handeln von Leben und Tod, von Liebe und Verlust, von Kindheit und Pubertät – doch musikalisch erlebt der Hörer die Wiederkehr männlichen Harmoniegesangs aus den sonnigen sechziger Jahren und einen aufs Wesentliche reduzierten ‚Wall of Sound‘ in der Tradition Phil Spectors. Stevens setzt dabei jedoch nicht auf Retrosound, sondern erzeugt  einen ganz heutigen, modernen Klang. Er ist ein versierter Wanderer zwischen den musikalischen Welten und verbindet Folk, Indiepop, Electronica, orchestrale Arrangements und mehrstimmigen Gesang zu einer eigenen Mischung. Diese ist allerdings aufgrund der vielen Zutaten bisweilen schwer verdaulich. Manches Projekt seiner jüngsten Vergangenheit, etwa „Sevens Swans“ mit seinen biblischen Themen, wirkte überambitioniert, mancher Auftritt mit exaltierter Bühnenshow und einer Vielzahl von Mitstreitern abgeschmackt und neben der Spur.

Auf „Carrie & Lowell“ erscheint Sufjan Stevens nunmehr gleichzeitig gereifter und reduzierter. Beinahe intim in seinen Erinnerungen an Kindheitsszenen, in denen die von Drogen und Psychosen gebeutelte, meist abwesende Mutter eine wichtige Rolle spielt. „Death and Dignity“ beginnt mit einfachen Akkorden einer akustischen Gitarre, dann setzt Stevens‘ Falsett-Stimme ein, gerne auch – wie in „All of me wants all of you“ schön hörbar – mit sich selbst im Chor und in reiner Harmonie. Diesen wesentlichen Zutaten wird hier und da ein Klavier hinzugefügt, weibliche Background-Stimmen, und elektronische Instrumente und Effekte beenden die Songs zumeist mit einem leichten Anklang an Ambient-Sounds.
Dadurch ist „Carrie & Lowell“  weder eine reine Rückbesinnung auf Stevens Folk-Anfänge, noch Ambient-Folk, falls es sowas gibt, sondern eine Art Synthese aus seinem bisherigen Schaffen mit interessanten Ausblicken auf eine mögliche Zukunft seiner Musik.

Lily and Madeleine „Fumes“

Lily and Madeleine Fumes Cover[rating=2]Netter Folk-Pop mit geringem Tiefgang.

Lily and Madeleine fahren Boot – beziehungsweise: Sie liegen verträumt in einem Ruderboot, das auf ruhigen Gewässern treibt. Schön anzusehen, die sich räkelnden jungen Damen.
Keine Spur von ‚giftigen Dämpfen‘ („Fumes“), nirgends, nicht ein Hauch von Gefahr. Stattdessen dominieren wie schon beim letztjährigen Debüt der beiden Schwestern zuckersüße Harmoniegesänge. Tolle Stimmen, keine Frage, wenn auch mit typisch amerikanischem Zungenschlag, was die Art und Weise des Gesangs anbelangt. Das können die beiden.
Im Ergebnis bekommt der Hörer eine Mischung aus radiokompatiblem Pop und Folk-Pop light, teils opulente Ararrangements, stimmlichen Wohlklang und eher harmlose Texte, die problemlos auch auf Radiostationen des mittleren Westens gut ankommen dürften. Auch eine verhallte Prise Lana del Rey fehlt nicht. Ist das nicht ein bißchen viel?

Schon der Karrierstart der siebzehn und neunzehn Jahre alten Damen aus Indianapolis mutet an wie am Reißbrett von einem cleveren Produzenten erdacht. Der Legende nach stellten Lily und Madeleine selbst produzierte Videos bei Youtube ein, die – Überraschung! – nicht nur sehr gut waren, sondern auch massenhaft angeklickt worden sein sollen. Danach kam es, wie es kommen musste: Ein lokaler Produzent – Paul Mahern, der unter anderem für John Mellencamp gearbeitet hat – wurde auf sie aufmerksam. Mit Hilfe des Songwriters Kenny Childers, ebenfalls in Bloomington, Indiana ansässig, entstanden etliche Songs und bald folgte das Debutalbum.
Auch wenn „Fumes“ ohne diese beiden und ohne die Mitwirkung ungenannter, versierter Studiomusiker nicht denkbar wäre, sind Lily and Madeleine wohl keine Marionetten in Händen abgezockter Manager und Produzenten. Dafür stehen sie in den zehn Songs des Albums doch zu sehr im Mittelpunkt. Jedoch offenbart das Cover vielleicht unfreiwillig, daß andere die Ruder in der Hand zu halten scheinen, während ‚Lil and Mad‘ versonnen übers tiefe Wasser gleiten. Hoffentlich zieht kein Sturm auf …

Auch wenn ihrer Musik (noch) die unverwechselbare Handschrift fehlt – Ecken und Kanten leider ebenso –, versöhnen der stimmliche Wohlklang und die entspannte, leicht wehmütige Stimmung des Albums. Das ist für Herbsttage, golden oder regnerisch und stürmisch, ganz nett.

Yellow Teeth „Night Birds“

yellow_teeth_night_birds_cover_jpeg[rating=3] Einfach und gut oder einfach gut. Anhören und ins Träumen kommen.

»Folk Songs and Hard Working Blues« versprechen Yellow Teeth auf ihrem soeben erschienenen Erstling, und genau das trifft es. Man meint zunächst, einen von schier endlosen Highways, von zuviel Whiskey and Women gegerbten amerikanischen Singer-Songwriter mit ganz viel Lebenserfahrung zu hören. Aber, Überraschung: Es ist ein junger Typ, der aussieht wie John Fogerty um1970, und der uns dieses wunderbare Album voller skurriler Geschichten und staubtrockener Klänge  präsentiert. Eine erstaunlich reife Stimme, gerne auch im Duett mit einer Sängerin, eine gezupfte akustische Gitarre, eine Mundharmonika, die klingt, als ob wir uns im Jahre 1962 befänden und einem jungen Großmaul aus Dulluth, Minnesota im Greenwich Village lauschten. Dazu gute Songs und Stories. Mehr braucht es nicht und daher ist es auch für uns Hörer letztlich immer noch ’so was von egal‘, ob Tiziano Zandonella und seine Mitstreiter aus dem Kanton Wallis, aus Minnesota, Memphis oder Maschen, wie Truck Stop sangen, kommen. Klar, manche Textzeile wie die hinlänglich bekannte »All the Troubles I’ve seen« nehmen wir mal als nicht ganz so originelles Zitat, denn soviele ‚Troubles‘ werden es schon nicht gewesen sein, die sie im Wallis erlebt haben. Und sicher: Wer will, hört sogleich die übergroßen Vorbilder wie Neil Young, Bonnie ‚Prince‘ Billy, Townes van Zandt, His Bobness und so fort heraus (die allesamt auch Vorbilder hatten). Aber „Night Birds“ zieht einen praktisch vom ersten Takt an in seinen Bann. Denn die künstlerische Darbietung wirkt in sich stimmig und die Musik ist gut gespielt.
Das ganze Album ist durchdacht und verbreitet eine ganz eigene Atmosphäre, die sich nicht im Beschwören bekannter Bilder amerikanischer Weite erschöpft, sondern auch die eigene Innenwelt des Sängers gekonnt auslotet. Also: anhören und geniessen.

Yellow Teeth haben mit „Night Birds“ eine tolle Platte geschaffen, der man ganz viele Hörer wünscht.