Autor: Klaus Wenzel

Sternlumen „Norrebro Nights“

[rating=3] Getragen, ruhig, beschaulich

Sternlumen sind Thomas Kudela und sein Steinway-Flügel. Kudela ist im Ruhrgebiet aufgewachsen und lebt seit einigen Jahren in Kopenhagen. Genauer: im Stadtteil Norrebro. Mit der vorliegenden Hommage an sein Viertel legt Sternlumen sein zweites Album vor. Zu hören gibt es Solopiano und sonst nichts. Wer dabei an Keith Jarrett oder Chick Corea denkt, liegt nicht ganz falsch, obwohl Kudela einen eigenen Ansatz verfolgt.
Ähnlich wie bei den Genannten liegt liegt das Augenmerk auf Klang und Stimmung. Eingespielt wurden die Titel live in einem Kopenhagener Studio – unter hohen Qualitätsansprüchen, um den unvergleichlichen Klang des Flügels entsprechend einzufangen. Das ist gelungen. Damit enden die Vergleiche mit den ‚Göttern‘ des Solopianos aber auch beinahe. Kudela steht sicher in deren Tradition, was in diesem Genre gewissermaßen unausweichlich ist, markiert aber eigene Klangspuren. Die erinnern mal an Saties Pianostücke oder erzeugen eine romantische Stimmung wie bei Schumann. Trotzdem sollte man dem jungen Künstler kein Epigonentum vorwerfen. Seine Stücke sind getragen und, neben einigen dramatischen Momenten, im besten Sinne entschleunigt, aber nie temperamentlos.

Es verwundert nicht, daß auf dem Cover der CD steht: „Sternlumen is Thomas Kudela and a Piano“ – denn das Instrument ist ein unverzichtbarer Mitspieler.“Norrebro Nights“ mit seinen nur sechs Titeln wie „Red Wine Melancholia“, „Neon Lakes“ oder „Morgendämmerung“ eignet sich wunderbar dafür, dem alltäglichen Hamsterrad des Großstadtdaseins zu entfliehen. Weniger geeignet ist die Platte zum Nebenbeihören, obwohl man sich manchen Titel in Auszügen auch gut auf einem U-Bahnhof bei Morgenanbruch anhören könnte. Man wäre vermutlich nach wenigen Augenblicken der funktionellen Umgebung entrückt, sofern man der Musik Raum zur Entfaltung lässt.

Die getragenen, ruhigen und eine beschauliche Stimmung verströmende Musik von Thomas Kudela kann cinematographische Eindrücke hervorrufen – und so manches Ostinato transportiert die dunklen Herbststimmungen, der kommenden Tage.Hörenswert.

(Cover: Gateway Music)

Random Willson & Brokof „Brother Equal“

[rating=2] Hart am Rand der Klischees

Random Willson heißt im bürgerlichen Leben Greg Northrop und ist Sänger und Songwriter. Brokof sind Fabian Brokof und seine Band aus Berlin. Beide sind schon länger aktiv, aber diese Platte ist das erste Ergebnis ihrer Zusammenarbeit „East to West“, wie ein Songtitel lautet. Northrop aka Willsom pendelt zwischen New York City und Berlin, wo er seit 2010 lebt. Es geht in den musikalisch angenehm untermalten Texten um den Weg von Manhattan nach Berlin Mitte. Oder darum, daß man sich für wichtige Entscheidungen besser Zeit lassen sollte („Slow Down“). Um die vielen Zufälle, die das Leben bestimmen. Um das Leben insgesamt. Daher auch der Künstlername „Random“, also Zufall oder zufällig. „Willson“ wiederum soll für Herrn Jedermann, also uns alle, stehen.
Brokof haben bereits etliche Alben auf ihrem eigenen Label veröffenlicht, Willson hat eine EP von 2014 auf der Habenseite.

Was gibt’s also zu hören? Eine musikalische Reise, die von Folkrock („Own Time“) bis zu ‚klassischem‘ amerikanischen Rock Marke Ryan Adams reicht („Green Girl“). Mit hymnischem Gesang, Chor, leicht beschleunigtem Shuffletempo und ein kleines bißchen psychedelisch. „First to Know“, die erste Singleauskopplung, ist durchaus radiotauglich – flott, kurz, knapp, direkt und mit einem eingängigen Refrain ausgestattet. „Amen“ könnte fast von Tom Petty eingespielt worden sein.
Eigene Akzente setzen Willson & Brokof in der Mischung der Genres, in den autobiographisch gefärbten Texten und dem naiven Wunsch nach Harmonie in der Welt („All Agree“). ‚Vielfalt‘ statt ‚Einheit‘ heissen die Stichworte, das Andere soll nicht als Bedrohung, sondern als Bereicherung verstanden werden.
Brokof zeigen sich in der Besetzung Fabian Brokof an der Gitarre, Rocco Weise am Bass, Puya Shoary, Schlagzeug, und Arne Bergner, Tasteninstrumente und Gitarre, als spielfreudige Mitakteure mit sichtlichem Spass an der Sache. Die meisten Titel stammen zwar aus Willsons Feder, aber das Ganze ist nicht als Veröffentlichung eines Sängers und seiner Begleitband gedacht, sondern als Gemeinschaftswerk.
Die Musik wirkt angenehm ‚handgemacht‘ und ein bißchen altmodisch, vermeidet aber nicht durchgängig den Verzicht auf leider allzu bekannte Versatzstücke aus dem Rock der Siebziger und Achtziger Jahre. „Guru“ schrammt beispielsweise hart am Rande der bekannten musikalischen und textlichen Klischees des Laid-Back-Westcoast-Sounds vergangener Zeiten entlang. Motto: Ich will kein Guru, aber auch kein Sklave sein, nur ein freier Mann. Das ist lobenswert, aber kein sonderlich origineller Wunsch. Alles in allem ist „Brother Equal“ jedoch ein sympathisches Album.

(Foto: Goldrausch Records)

Bünger „Nie zu spät für eine glückliche Kindheit“

[rating=2] Ein Album für gewisse Stunden

Die Gemeinde Timmendorfer Strand in der Lübecker Bucht hatte in den Achtzigerjahren durchaus einen gewissen Einfluss auf die Hamburger Musikszene. So kam damals Schorsch Kamerun, seines Zeichens Sänger der Funpunker Die Goldenen Zitronen, zu erster öffentlicher Aufmerksamkeit. Auch Sven Bünger stammt aus jener Gegend und blickt nach eigenem Bekunden auf eine Jugend als Dorfpunk zurück. Das ist viele Jahre her. Kamerun ist heute anerkanntes Mitglied des etablierten Kunstbetriebs und Sven Bünger längst erfolgreicher Produzent in Hamburg, mit Klienten wie Johannes Oerding und Madsen.

Als Solokünstler ist Sven Bünger bislang nicht in Erscheinung getreten, was keineswegs verwundert. Denn Bünger reisst einen weder als Sänger noch als Gitarrist vom Stuhl. Seinen Sprechgesang muss man nicht mögen, seine deutschen Texte mit Titeln wie „Tut mir leid“, „Finde den Fehler“ oder „Ich brauche Nichts“ verströmen jedoch eine bisweilen leicht versoffene wirkende Lakonie, die von der knarzigen bluesrockigen Musik kongenial unterstützt wird.

Der Kern von Büngers Band, die gelegentlich von einem weiblichen Backgroundchor und Bläsern unterstützt wird, besteht aus einer zweiten Gitarre, Bass und Schlagzeug. Das klingt gut, wenn auch die Texte mitunter etwas deutschrockig sind oder wie aus der Zeit der Neuen Deutschen Welle wirken. Doch auch wenn Westernhagen und Co. grüßen lassen: Sven Bünger gibt dem Ganzen ein Update und eine eigene Note – so auch beim behutsam aufpolierten Trio-Cover „DaDaDa“. Freunde des deutschen Chansons wiederum kommen beim Titel „Verschwende“ auf ihre Kosten. Das seltsam unzeitgemäße „Maschinen“ hingegen erinnert an die Technikkritik einer zweitrangigen Neue-Deutsche-Welle-Band.

Wer dennoch zum Album „Nie zu spät für eine glückliche Kindheit“ greift, bekommt überwiegend Musik, die man gut live bei einem Bier in einem kleinen Club hören kann. Zu Hause kann man sie natürlich auch beim Bier hören, dann jedoch stellen sich rasch gewisse Abnutzungserscheinungen ein. Büngers stimmliche Möglichkeiten sind eben limitiert und sein nordischer Humor auch nicht jedermanns Sache. Aber eine Platte für gewisse Stunden ist „Nie zu spät für eine glückliche Kindheit“ trotzdem geworden.

(Cover: Chefrecords Ratekau)

Diagrams „Dorothy“

Kann in andere Sphären tragen [rating=4]

Die Diagrams sind weniger eine richtige Band als vielmehr ein Projekt von Sam Genders. Jener ist wiederum seit Jahren in der englischen Musikszene mit obskuren Bands wie Tunng, The Accidental oder Throws aktiv. „Dorothy“ ist das dritte Album der Diagrams seit 2012. Entstanden ist es mit Hilfe von Crowdfunding und gefördert wurde es von Institutionen des britischen Kulturbetriebs. Genders war bislang in musikalischen Nischen unterwegs wie Electronic Folk oder Folktronic. „Dorothy“ bleibt diesem hybriden Genre treu, erweitert aber den Horizont durch die Zusammenarbeit mit Dorothy Trogden, einer neunzigjährigen amerikanischen (Hobby-)Dichterin und ehemaligen Architektin. Sie hat die Texte aller neun Titel des Mini-Albums (Spieldauer 29 Minuten) verfaßt. Deren Horizont reicht von „Everything“ über das „Motherboard“ bis zu „Under the Graphite Sky“. Der letztgenannte Text eröffnet das Album „Dorothy“ als Song und beschließt es als von Trogden rezitiertes Gedicht.
Dorothy Trogdens Texte sind versponnene, verträumte Beobachtungen über Beziehungen, das Leben, die Wissenschaft oder den Wechsel der Jahreszeiten, die von Sam Genders und seinen Mitstreitern kongenial vertont werden. Text und Musik sind leicht entrückt und schaffen – trotz der Kürze des Albums – einen eigenen, nahezu vollständigen Kosmos, eine athmosphärische Parallelwelt, die verzaubert.
Obwohl Genders Stimme in ihren Ausdrucksformen und Möglichkeiten limitiert ist, gereicht dies den kurzen Songs nicht zum Nachteil. „It’s only Light“ fängt ganz schlicht mit einer akustischen Gitarre und Genders Stimme an und wird dann behutsam mit Bläsern, Streichern und elektronische Effekte angereichert. Hinzu kommen eingefangene Geräusche aus der Umgebung von Orcas Island, Trogdens Wohnort in Washington State. Dies zeigt die Vielschichtigkeit der Produktion. Es entsteht dabei keine Soundcollage, sondern ein homogener Klang. Das Ergebnis ist wichtig, nicht die Zutaten. „I tell Myself“ erinnert zu Beginn ein wenig an die frühe Laurie Anderson, „Dorothy“ hingegen entfernt an englische Singer/Songwriter. Solche Reminiszenzen dauern aber nur Augenblicke, dann sind Genders und seine Mitstreiter wieder ganz bei sich. Ein Besuch dort lohnt.

(Cover: Rough Trade)

Dreamcar „Dreamcar“

[rating=2] Unterhaltsam

Erinnert sich noch jemand an No Doubt, die Combo um die sehr blonde Sängerin Gwen Stefani? Hier sind drei ihrer Mitstreiter mit neuem Sänger: Tom Dumont an der Gitarre, Tony Kanal an Keyboards und Bass, Adrian Young am Schlagzeug – also drei Viertel von No Doubt  – und als Sänger Davey Havok, der als Punker bei den hierzulande eher unbekannten Bands AFI und Blakq Audio gesungen hat. Jetzt sieht er ein wenig aus wie Russel Mael von den Sparks. Schnurrbärte sind schon länger wieder salonfähig, jetzt  anscheinend auch die Achtzigerjahre. Soviel 80er-Sound in einer brandneuen Produktion war selten. Wer „Kill for Candy“ hört, meint sofort, dass wir wieder 1981 haben. Handelt es sich hierbei um Ironie oder um eine Art historisch-kritischer Aneignung des britischen New Wave mit Bands wie ABC, Culture Club, Duran Duran oder A Flock of Seagulls? Eher nicht.
Dreamcar meinen das anscheinend ernst. So bekennt Tony Kanal sich in einem Interview mit dem Rolling Stone zwar einerseits zu den deutlich hörbaren musikalischen Einflüssen, behauptet jedoch gleichzeitig tapfer, man habe etwas Neues geschaffen. Davon kann über weite Strecken des Debütalbums zwar keine Rede sein, aber weil die vier Musiker und ihre Helfer Profis sind, legen sie eine sorgfältig eingespielte und produzierte Platte vor. Diese ist durchaus eingängig und unterhaltsam, wobei für ältere Hörer noch ein gewisser Déjà-vu-Effekt hinzukommt. Man kennt die verschatteten, durch Echo-Effekte gejagten Gitarren, die Power-Drums, den Slapping-Bass und die üppigen Keyboards noch von den oben genannten Bands. Deren oft vorwärts treibenden Rhythmus hat man passenderweise gleich mit übernommen. Sänger Davey Havok hat seine Punk-Vergangenheit nicht nur optisch hinter sich gelassen, sondern beherrscht auch den Gesangsstil eines Martin Fry von ABC. Er setzt aber wenig eigenständige Akzente und fügt sich somit nahtlos ins Sound-Konzept von Dreamcar.
Wer aber braucht so etwas? Ältere mögen sich nostalgisch an ihre musikalische Früherziehung erinnern, für jüngere mögen Dreamcar gar neuartig wirken. Amerikanische Musikmagazine wie Billboard und  Rolling Stone raunen von einer Supergroup, aber das kann man getrost unter Marketing-Geklingel verbuchen. Für ein New Wave-Revival wird es vermutlich nicht reichen, aber ganz unterhaltsam ist das Debut von Dreamcar schon geworden.

(Cover: Sony Music)

Tim Vantol „Burning Desires“

[rating=2]Konventionell, aber unterhaltsam

Tim Vantol ist ein Singer/Songwriter und Gitarrist aus Amsterdam, aber seine gut gelaunte Mischung aus Country und Folk könnte ebenso aus Amerika stammen. Seine Musik ist massentauglich und passt problemlos ins nachmittägliche Radioprogramm. Tim Vantol erfindet das Genre also nicht neu, geht aber unbekümmert an die Sache und startet seine dritte CD, „Burning Desires“, direkt mit eingängigen Melodien und ungekünsteltem Gesang. Zwar seien ihm, wie er selbst sagt, mehr als genügend andere Musiker in Sachen Technik und Stimmbeherrschung überlegen. Er mache jedoch einfach die Musik, wie er sie vermöge und weil es ihm Spass mache.
Das erinnert entfernt an die Haltung der Punk-Bewegung. Und tatsächlich hat Vantol kurz bei Antiintellectual gespielt, einer holländischen, von Punk beeinflussten Band. Jenes Erbe ist auf „Burning Desires“ am ehesten im geradlinigen, bisweilen etwas lauten und heiseren Gesang von Tim Vantol und in den einfachen Rhythmen zu entdecken. Aber auch der Song „The Hardway“ mit seinen drei Akkorden und dem ‚Fussballchorus‘ erinnert in mancherlei Hinsicht daran. „Follow your Heart“ lautet dessen Refrain, was auch Vantols musikalischen und sprachlichen Kosmos umreißt. Er hat das Herz auf dem rechten Fleck und singt gerne über das Leben an und für sich, über das Reisen und Nachhausekommen und über die Erlebnisse auf dem Weg dazwischen. Die Freiheit und die Sehnsucht, nie zu altern, besingt er in „We’re not gonna make it“, und „I’m restless, but I’m satisfied“, bekennt er in „Restless“.
Im Abschlusstitel, „’67 in Broken White“, beschränkt sich Tim Vantol auf seinen heiseren Gesang zur akustischen  Gitarre. „I wish, I could take your for a ride on those breezy summer Nights“, singt er dort und formuliert damit seine Version der Singer/Songwriter-Romantik.

Die Songs und ihre Interpretation gefallen, auch wenn man alles schon einmal gehört hat. Zum Nachteil gereicht Tim Vantol am ehesten, dass die Rolle des rauen, aber liebenswerten Barden, der uns von seinem Wanderleben musikalisch erzählt, schon recht häufig prominent besetzt war. Dass er auch mit seinem dritten Album nicht versucht, die doch recht breit ausgetretenen Wege des umherschweifenden Troubadours mit Klampfe zu verlassen, kann durchaus enttäuschen. Aber hey: Er bietet immerhin unterhaltsame 40 Minuten Musik, nicht überproduziert und handgemacht.

→ [Offizielle Homepage](http://www.timvantol.com) von Tim Vantol

(Cover: Odyssey Music)

Parov Stelar „The Burning Spider“

[rating=2] Geschmackvolle Song-Auswahl, jedoch nicht dauerhaft reizvoll

Marcus Füreder alias Parov Stelar ist ein umtriebiger Mann. Seit Anfang der 2000er-Jahre  gelingt es ihm, seine Version des Samplings als DJ, Musiker und Produzent unter die Leute zu bringen. Geholfen hat dabei sicherlich die Auswahl der Sounds und Songs, die Füreder be- oder verarbeitet. So auch im aktuellen Album „The Burning Spider“.
Das gleichnamige Auftaktstück lebt wesentlich von der ‚mojo hand‘ des Bluesers Lightnin‘ Hopkins, der hier mit allerlei elektronischen Arrangements, Bläsern und anderen Zutaten aus der Trickkiste des modernen Produzenten zeitgemäß aufgearbeitet wird. Puristen kann so etwas zwar nicht gefallen, aber die greifen ohnehin nicht zu den CDs von Parov Stelar.
Zwischenfazit: Man kann einen guten Song kaum kaputt machen, und als Basis eines Samples ist dieser nicht zu ersetzen. Schlimmstenfalls erscheinen – wie hier – die neuen Zutaten überflüssig, aber Parov Stelar beweist immerhin Geschmack.
Irritierend erscheint dagegen der Stimmungswechsel im zweiten Titel, „Step Too“. Auch hier mischt, wie bei fast allen Stücken, Parov Stellar den Gesang von Interpreten wie Anduze, Muddy Waters, Stuff Smith und Mildred Bailey mit neuen Sounds ab. „Step Too“ – mit Lilja Bloom – wird so zu einer Art tanzbarer Eurodisco.

Betrachten wir das Vorgehen Füreders als Arbeit eines DJ, der eine bestimmte Klanglandschaft erzeugen möchte, macht die Sache dennoch Sinn. Insofern wirkt „The Burning Spider“ wie der Mitschnitt eines DJ-Sets aus einem angesagten Club im urbanen Irgendwo, den der Käufer nach Hause nehmen kann. Zwischen einem Häppchen Blues hier, Disco dort, einem bisschen Jazz, Karibik-Feeling, Gypsy-Swing und Soul-Stimmen soll sich eine Art globaler, tanzbarer Sound entfalten.
Ich erinnere mich an einen Besuch in einem Prager Café in der Altstadt am frühen Abend, wo uns ein freundlicher Hipster eine gute Tasse des schwarzen Goldes servierte. Draussen tummelten sich wie in Euro-Disney-Land zahllose gut gelaunte junge Leute von Überallher, drinnen sassen wir und trübten das Bild ein bisschen. Auf dem Monitor lief ein Video. Es war von Parov Stellar und zeigte alte Schwarz-weiß-Aufnahmen tanzender Paare, zu hören gab es Electro-Swing.
Das umschreibt den Klangkosmos und den sozialen Background dieser Musik ganz gut. Authentizität ist hier völlig deplaziert, alles mischt sich potentiell mit allem, 50er-Jahre-Electric-Blues aus Chicago mit Gypsy-Klängen und elektronischen Soundeffekten. Hört man „The Burning Spider“ wie ein etwas kurioses Radioprogramm ohne klares Format, kann die Platte – wenn auch nicht allzu oft – durchaus ihre Reize entfalten. Und die Auswahl der Songs und Interpreten spricht durchaus für guten Geschmack.

Bisherige Rezensionen zu Parov Stelar auf schallplattenmann.de

Offizielle Homepage von Parov Stelar

 

(Cover: Warner Music)

Nick and June „My November My“

[rating=3] Im musikalischen und zeitlichen Zwischenreich

Wer Ende März eine Platte mit dem Titel „My November My“ herausbringt, hinkt entweder der Zeit hinterher oder ist ihr voraus. Im Falle der zweiten Veröffentlichung der Nürnberger Band Nick and June stehen die Dinge nicht ganz so einfach, sondern Band und Hörer scheinen sich eher in einer Art musikalischem und zeitlichen Zwischenreich zu begegnen. Ursprünglich begann der Sänger und Songwriter Nick Wolf 2011 als Solist, 2012 kam Julia Kalass hinzu, zunächst nur als Unterstützung für die ersten Aufnahmen. Mittlerweile hat man sich mit Bass und Schlagzeug zum Quartett entwickelt. Dominant bleiben aber die ausgefeilten Vokalarrangements. Nick Wolfs heiser-rauchiger Gesang und die helle Stimme von Julia Kalass geben Ton und Takt vor. Eine Vielzahl von Instrumenten ordnet sich dem unter und begleitet zart. Die verträumt-versponnenen Kompositionen unterstützen die stimmliche Dominanz und geben ihr Raum zur Entfaltung.

Zart, beinahe hingehuscht, beginnt die CD mit dem „Intro“, das Athmosphäre und Stimmung vorgibt. „November Boy“ greift den folkigen Indie-Sound auf, und im dritten Titel, „Tiger“, wird es kurz mal etwas lauter. Fans von handgemachtem Folk müssen jedoch keine Angst haben: Das Tempo bleibt verhalten, der Gesang reduziert und die Melodien zart, auch wenn dazu hin und wieder die Trommel etwas lauter geschlagen wird. Klaviere, Synthies und Gitarren ergänzen das Klangsprektrum, aber alles ist zurückhaltend bis reduziert arrangiert. Das passt ganz gut zum nachdenklich-traurig dreinschauenden Nick Wolf und der wie ein Hippiemädchen aussehenden Julia Kalass.
Für ambitionierte Proseminaristen gibt es verrätselte Texte um Wollen und Werden des „November Boy“ und Anspielungen auf Texte und Songs anderer Interpreten. Ein Konzeptalbum soll es also sein. Gut gefallen hat „London City, Boy, It’s killing me“ mit seinem fröhlichen Rhythmus, der irgendwie ’nostalgischen‘ Instrumentierung und dem sphärischen Gesang von Julia Kalass.

Ein Händchen für Melodien hat die Band obendrein. Aus dem Rahmen fällt ein wenig „Once in a Life“, wo man doch etwas zu sehr ins Indie-Rock-Klischee abdriftet, aber richtig schlecht ist auch das nicht. „Feels like Home“ wechselt dann wieder in den verträumt-verschlurften langsameren Modus. Darin fühlt die Band sich sichtlich am wohlsten. Vielleicht hätte man auf ein, zwei Songs verzichten können, aber so ist das halt mit jungen Bands, die sich und anderen zeigen wollen, wieviele Ideen man hat. Eins noch: beim nächsten Mal ein paar Kanten einbauen, ein wenig hat das Quartett damit bereits im letzten Titel „I & Love & …“, angefangen, in dem die zarte Stimmung auch mal mit Krach gestört wird.

Die junge Band hat ein Album vorgelegt, das dem Hörer Geduld und mithin Zeit abverlangt. Wer also filigranen, ausgefeilten Gesang schätzt, den Kompositionen Zeit gibt, sich zu entfalten, und Melancholie auch im Frühling nicht ganz abschüttelt, wird mit „My November My“ durchaus zufrieden sein.

 

Jenn Grant „Paradise“

[rating=2] Unverhohlen auf Radiotauglichkeit getrimmt

Mit „Paradise“ legt die kanadische Sängerin und Musikerin Jenn Grant ihr nunmehr sechstes Album vor. Zumindest in unseren Breiten blieb die Dame bislang eher unbeachtet, wenngleich sie auch in Europa fleißig tourte. Ob sie mit ihrem neuen Album größere Aufmerksamkeit erlangen wird, ist ungewiss. „Paradise“ entstand in intensiver Zusammenarbeit mit ihrem Ehemann und Produzenten in ländlicher kanadischer Abgeschiedenheit. Allerdings hören wir hier keine folkloristische Versponnenheit fernab der Klänge der Metropolen, sondern eine durchaus gefällige Mischung aus verträumten Popsongs, Balladen und im weiteren Sinne Singer/Songwriter-Werken. Grant äußert zwar tapfer, dass sie mit ihrem neuen Opus in bislang unbekannte klangliche ‚galaktische Gefilde‘ vorstoßen möchte, aber das dürfen wir getrost unter Marketing-Geklingel verbuchen. Auch wenn sie, scheinbar selbstkritisch und zufrieden zugleich, bekennt, dass sie nun endlich ihrer eigenen stimmlichen Möglichkeiten gewahr werde, muss das niemand erschrecken. Die elf zumeist im Mid-Tempo gehaltenen Songs schielen unverhohlen auf Radiotauglichkeit – und das klappt auch. Jenn Grant ist gut bei Stimme. Doch diese ist nicht unverwechselbar. So oder ähnlich hat man schon etliche Sängerinnen gehört. Die Musik fällt auch nicht aus dem Rahmen, sondern bedient sich der handelsüblichen Zutaten mit einer Prise Synthies und Geigen hier, elektrischem Klavier dort und zu allem hübsche Melodien. Das ist ganz gut gemacht und dringt in die Gehörgänge, setzt sich dort aber nicht wirklich fest.
Fazit: Für Jenn Grant mag „Paradise“ ein Meilenstein ihrer musikalischen Entwicklung sein. Für den Hörer ist es eine weitere, gut gemachte Pop-Platte, die beim Hören durchaus ihre Wirkung zu entfalten vermag.

Offizielle Homepage von Jenn Grant

(Cover: Star House)

Kristoffer Aström „Göteborg String Sessions“

astroem_goeteborg[rating=3] angenehm und berührend

Der 1974 geborene Gitarrist und Sänger Kristoffer Aström ist in seiner schwedischen Heimat seit langem kein Unbekannter mehr. Bereits neben seinen Anfängen als wilder Rocker – mit Fireside in den frühen Neunziger-Jahren – arbeitet er fast gleichzeitig als Solokünstler. Doch anders als mit seiner Band ist er solo eher im Country- oder Folk-Rock-Genre unterwegs. Das bereits vor einiger Zeit mit Mitgliedern des Göteborger Symphonie-Orchesters live eingespielte Album dokumentiert diese Facette seines Schaffens eindrucksvoll. Geigen oder ganze Orchester werden von Rockmusikern gerne eingesetzt, wenn es etwas ‚feierlicher‘ zugehen soll. Allerdings kann auch ein versiertes symphonisches Klanggebilde aus einem schlechten Song keinen guten machen – umgekehrt schon eher. Doch Aströms zumeist persönlich geprägte Songs über die „Queen of Sorrows“ oder „All Lovers Hell“ vertragen die Arrangements gut. Der Schwede hat nicht die beste Stimme aller Zeiten, und seine Künste auf der akustischen Gitarre sind mit dem Prädikat „ganz ordentlich“ hinreichend beschrieben. In den „Göteborg String Sessions“ geht es daher nicht um Virtuosität. Aber die Songs verströmen durchweg eine sanfte, introvertierte, warme und eher melancholische Stimmung. Sie entfalten  einen sehr eigenen, berührenden Reiz. Dabei bleibt sowohl für den Solisten als auch für das Orchester genügend Raum zur Entfaltung. Aström ist in seinen Kompositionen durchaus dem amerikanischen Country- oder Folkrock verpflichtet. Das heißt jedoch nicht, dass er keinen eigenen Ausdruck und Stil sucht. Dieser findet sich am Ende weniger in den Themen der Songs, die um Alkohol, Einsamkeit mit und ohne Frauen oder gebrochene Herzen junger Männer kreisen, sondern in der Art seines Vortrags. Und auch wenn dieser nicht unverwechselbar sein mag, liefert Kristoffer Aström mit seinen „String Sessions“ ein ordentliches Album ab, das im kalten Herbst und Winter sehr angenehm und berührend wärmt.