Schlagwort: Chanson

Mathieu Almaric „Barbara“

Was ist wichtig, wenn man ein Leben erzählt? Was müssen wir wissen, über Herkunft oder Bildungsweg, welche Lebensdaten kennen, um eine Person zu erfassen, ihre Gedanken, Einstellungen und Sehnsüchte? Mathieu Amalric stellt das alles nicht in den Vordergrund. Er nähert sich „der schönsten Stimme Frankreichs“ atmosphärisch und skizziert die Lebensgeschichte von Barbara indirekt. Er erzählt, wie seine Protagonisten, der Regisseur Yves und die Schauspielerin Brigitte, der Ikone bei der Suche nach ihrem Wesen immer mehr verfallen.

Yves Zand, gespielt von Almaric selbst, dreht als obsessiver Verehrer einen Film über die französische Sängerin Barbara. Seine Darstellerin folgt ihm in die Obsession und findet aus ihrer Rolle nicht mehr heraus. Die Ebenen überlagern sich. Wann Barbara für den Dreh gespielt wird und wann Brigitte im Leben zu Barbara wird, ist oft nur schwer auseinanderzuhalten. Und das, obwohl der Regisseur durch Einstellungen und unterschiedliches Filmmaterial – die Szenen mit Barbara wirken historisch, alle anderen sind zeitgemäß brillant – durchaus Hilfestellungen gibt. Zudem werden auch Originalaufnahmen mit der ausdrucksstarken Sängerin geschickt eingebaut.

Almarics Herangehen kann man als verkopft abtun oder als besondere Referenz an die ausdrucksstarken poetischen Texte Barbaras interpretieren. Und die Obsession von Yves und Brigitte entspricht der Besessenheit Barbaras für ihre Lyrik und Musik.
Barbara war – glaubt man dem Film – eine Diva, schwierig und eigensinnig. Welche Lebenserfahrungen dem zugrunde liegt, eröffnet der Film nicht. Führt man sich die im Film rezitierten Texte von Barbara vor Augen, ist es jedoch gut und richtig, dass Mathieu Almaric ganz auf Poesie und Charisma setzt. Denn die unmittelbare psychologische Deutung ist in einer konventionellen Biographie besser aufgehoben. Das passende Schlusswort sagt Jeanne Balibar als Brigitte als Barbara: „Das ist fantastisch! Wie violetter Regen auf finsteren Bergen.“

„Barbara“ in der IMDB
Wikipedia-Eintrag der Chansonsängerin Barbara

(Foto: Diagonal)

Dead Brothers „Angst“

Struwwelpeterschauerliche Mischung

Die Lage der Nation ist eine Steilvorlage für die Dead Brothers. Obwohl die Statistiker in vielen Bereichen einen Aufwärtstrend feststellen und die Müllhalden ungebrochen wohlfahrtsstaatsmäßig anwachsen, ist Angst das bestimmende Lebensgefühl weiter Kreise. Das ist nicht nur ein guter Nährboden für Populisten, sondern auch für die Dead Brothers.
Die Genfer Gruppe ist mit ihrem achten Album unterwegs und sammelt diejenigen Moribunden ein, die den Untergang fröhlich zelebrieren möchten. Die Sensen der Schnitter-Brüder hören auf die Namen Tuba, Gitarre, Violine, Trommel, Akkordeon und Dudelsack. Und – natürlich – den Gesang lieben sie auch.

Dass die Dead Brothers musikalische Einflüsse ohne Stand und Ansehen mitnehmen und mit punkiger Attitüde so vermengen, dass man ihre Herkunft nicht mehr sicher heraushören kann, ist ein Grundprinzip. Da klingt der Auftakt eines Songs mal vage kubanisch oder nach Rembetiko, nur um bereits nach wenigen Takten schnöde mit einer anderen Spielart übertüncht zu werden. Mal klingt Balkanmusik an, mal scheinen die Dead Brothers von dem Lied „Wir sind die Moorsoldaten“ inspirieren worden zu sein. Und dass sie sich der heimischen Volksmusiktradition annehmen, ist typisch für die Dead Brothers und wird hier wiederum so vergnüglich wie originell inszeniert: Auf die Idee, beim Appenzeller Naturjodel die Stimmen nur schwer vernehmbar in den Hintergrund zu schieben, muss man erst einmal kommen.
Das klingt wie Theatermusik, und das ist kein Wunder, sind sie doch auf Theaterbühnen gerne gesehene Akteure, wie die Vertonung des Robert-Walser-Gedichts „Angst“ für eine Inszenierung am Stadttheater Hannover zeigt. Anders als Heinz Holliger, der es hoch artifiziell vertont hat (vor 20 Jahren in seinem Projekt „Beiseit“), bringen die Dead Brothers eine standesgemäße Struwwelpeter-Variante.

Die Dead Brothers schwingen die Sense nicht immer treffsicher. Doch selbst wenn sie dann wie eine weniger eloquente, ländliche Kopie des frühen Tom Waits klingen, sind sie immer noch vergnüglich.

Offizielle Homepage der Dead Brothers

(Foto: Voodoo Rhythm)

Schönholzer & Rüdisüli „Sozialplan“

[rating=4] liebevoll hintersinnig, kritisch, bissig, charmant

Schweizer Expats haben es schwer, ihren deutschen Freunden die heimische populäre Musik nahezubringen. Annähernd massenkompatible Klassiker wie Züri West und Patent Ochsner oder der noch jüngere Michael von der Heide sind musikalisch zu kommun, sodass dann doch oft Mani Matter als Beispiel für Originalität und Eigenständigkeit herhalten muss. Dessen durchweg kurze Stücke sind sogar leicht verständlich oder zumindest schnell übersetzt.

Markus Schönholzer hat einen ebenso verschmitzten Witz und spielt wie Mani Matter virtuos mit der Sprache. Seine Lieder sind hintersinnig, kritisch und bissig, und trotz unverhohlener Traurigkeit wirken viele seiner Beobachtungen überaus liebevoll. Da freut sich der Sänger über die liebliche Vogelstimme („s Lied vo de Liebi“), deren Klang ihm so vertraut ist – und erst als sie näherkommt und seinen Namen ruft, merkt er, dass es seine Frau ist, die das Lied von der Liebe singt. Markus Schönholzer lässt es nicht bei einem einfachen Liebeslied bewenden, sondern spinnt aus der Idee die Beschreibung der Rollenverhältnisse einer Beziehung. Seine Geschichten scheinen einfach, doch sie sind komplex. Wenn er über das Heimkommen sinniert („I bi wider dehei“), beschreibt er anhand scheinbar nebensächlicher Beispiele an, was sich seit dem Weggehen verändert hat und deutet wie nebenbei an, wie sich in die Heimatgefühle solche der Fremdheit mischen. Für die Beschreibung des Altwerdens („Vatter“) reichen ihm sechs kurze Zeilen mit nicht mehr als 40 Silben. Doch egal wie ernsthaft ein Thema sein mag – Schönholzer widmet sich ihm immer mit Humor.
Darüber hinaus begeistern Schönholzer & Rüdisüli mit leichtfüßig-raffinierten Arrangements, in denen schelmische Pop-Zitate – beispielsweise „Lucy in the Sky“ von den Beatles – ebenso souverän eingesetzt werden wie Ravels „Bolero“.

Auf „Sozialplan“ wird gezupft (Banjo und Gitarre), Blech geblasen und Zieharmonika gespielt. Einen wichtigen Anteil am Charme der Musik hat denn auch der Akkordeonist Robi Rüdisüli. Der langjährige musikalische Wegbegleiter von Markus Schönholzer pendelt – zurückhaltend, aber wirkungsvoll – zwischen Musette und Volkslied und komplettiert so den Wortwitz seines Compagnons mit subtil platziertem Spielwitz – das, was ein charmantes Chanson braucht.

Bisherige Rezensionen zu Markus Schönholzer auf schallplattenmann.de

Offizielle Homepage von Markus Schönholzer

→ Schönholzers Musik den Künstler unterstützend herunterladen

(Foto: Schönholzer)

Mick Harvey Delirium Tremens

MickHarvey_DeliriumTremens_Packshot[rating=3]Dicht am Original: Serge Gainsbourgh-Cover-Album, dritter Akt.

Mick Harvey, der australische Gitarrist und Weggefährte von Düstermann Nick Cave, legt sein seit 1985 drittes Album mit Kompositionen des französischen Sängers Serge Gainsbourgh vor. Was reizt einen wie Harvey an diesen Titeln? Zunächst vermutlich der Gegensatz zum Rockgenre. Harvey merkt an, dass in seiner australischen Heimat seinerzeit selbst amerikanische Musik schwer zu bekommen war; französische Neo-Chansons von Serge Gainsbourgh vermutlich noch viel mehr. Bekannt waren dort nur, ähnlich wie in Deutschland, der Song „Je t’aime“, das Duett mit seiner damaligen Lebensgefährtin Jane Birkin. Jenes Opus fehlte seinerzeit bei keiner Pubertierenden-Party, wenn sich nach Mitternacht die Paare fanden und verschmolzen. Bekanntlich hat Serge Gainsbourgh viel mehr Musik gemacht. Diese fand jedoch außerhalb der französischen Landesgrenzen nur wenig Interesse.

Bei „Delirium Tremens“ handelt es sich um ein Liebhaberwerk, was bei Harvey nicht kritiklose Hingabe, sondern kongeniale Neuinterpretation bedeutet. „SS C’est Bon“, von Gainsbourgh ursprünglich als Provakation gegen jene Landsleute gedacht, die dem Vichy-Regime von Hitlers Gnaden und der späteren deutschen Besatzung durchaus positive Züge abgewinnen konnten, kommt hier als Mischung aus Bad-Seeds-Krach und schwarzem, zynischen jüdischen Humor daher, garniert mit Elementen der deutschen Nationalhymne. Harvey hat sich die Mühe gemacht und die französischen Texte allesamt ins Englische übersetzt, wobei er an den Übersetzungen teils schon seit den Achtziger-Jahren feilte.
Wie bei seinen ersten Alben mit Gainsbourghs Songs, „Intoxicated Man“ und „Pink Elephants“ wurden bereits 2014 als Doppelpack wiederveröffentlicht, interpretiert Mick Harvey Titel aus den verschiedenen Schaffensperioden des Chansonniers. Das erwähnte „SS C’est Bon“ entstammt dem skandalträchtigen Album „Rock around the Bunker“ von 1975, „Coffee Colour“, dagegen, eine Hommage an Mädchen mit dunklem Teint, aus den frühen Sechzigern. Gainsbourgh zog als Musiker und Sänger alle Register, während Mr. Harvey die Songs in beinahe stoischem Ton herunterbrummt. Das macht er aber so, dass es schon wieder Spass macht. Musikalisch erlaubt der Mann sich ebenfalls kaum Extravaganzen, sondern bleibt dicht beim Original. Hin und wieder bearbeitet Mick Harvey die Songs und lässt auch mal teutonische Rhythmik á la Rammstein einfliessen. Die Duette jedoch – unter anderem mit Gattin Katy Beale („The Decadance“) – wirken fast, als ob die Ehrfurcht die Oberhand behält. Dies führt dazu, daß an den Neuinterpretationen nur der wirklich Spass hat, dem Gainsbourgh und seine Musik gefallen. Noch mehr Spass hat vermutlich der, welcher die Originale kennt und vergleichen kann.
Das Album ist dennoch keine elitäre Sache für Eingeweihte, sondern bietet die Gelegenheit, das Werk des kontroversen französischen Dandys und Musikers zu entdecken. Harvey und seine Band machen ihre Sache dabei überwiegend recht gut. Anders als der übermäßige Genuß von zuviel Alkohol hat „Delirium Tremens“ praktisch keine schädlichen Nebenwirkungen – ausser einigen Momenten gepflegter Langeweile.

(Cover: Mute Records)

 

Femme Schmidt „Raw“

index[rating=1] Pop-Noir? Überproduzierter Girlpop!

Es fällt zunächst nicht schwer, Femme Schmidt in die Rubrik ‚hübsches Mädchen in den Fängen abgezockter Produzenten‘ einzuordnen. So produzierte der umtriebige Guy Chambers, bekannt aus der Zusammenarbeit mit Robbie Williams, ihr Debüt 2011. Dieses Mal war der Londoner Glen Scott (James Morrison, Mary J. Blige, James Blunt, u.a.) an den Reglern, unterstützt von zwei Kollegen, die neben etlichen weiteren Kollegen tatkräftig beim Songwriting mitwirkten. Auch der Künstlername der gebürtigen Elisa Schmidt aus Koblenz weist in die Richtung ‚Girl-Pop mit internationalem Anspruch‘.  Der erste Titel, „The Edge“, beginnt bombastisch mit Anklängen an Adele und James-Bond-Soundtracks und rauscht vorbei. Nicht unangenehm, aber auch nichts, was sich in den Gehörgängen festsetzen würde. Die Dame hat eine angenehme Stimme, die jedoch gegen die üppigen Arrangements und die leichtgewichtigen Kompositionen einen schweren Stand hat.

‚Pop-Noir‘ soll das sein, aber es gibt weder Stilbruch noch Aufbegehren gegen Konventionen und Klischees. An diesem Album ist nichts rauh oder gar schmutzig, unkonventionell ist ihre Musik auch nicht. Dafür müsste Femme Schmidt zunächst einmal einen eigenen Stil entwickeln und nicht nach dem Erfolg von Adele und anderen schielen. Vielleicht sollte sie ihre Produzenten feuern. Möglicherweise sollte sie mit einer kleinen Band eigene Songs einspielen, die ihre Stimme zur Geltung kommen lassen. Dazu müsste sie eine musikalische Persönlichkeit entwickeln, die nicht wie ein Abziehbild aus den Sechzigern und dem ‚Besten von heute‘ daherkommt, und Texte schreiben mit Dingen, die sie selbst bewegen.

Denn das bestehende Konzept geht trotz durchaus guter Ansätze nicht auf. Das aus altbekannten Zutaten fabrizierte „Surround me with your Love“ – ist der Song passt gut als Begleitung des Jahrmarkts der Eitelkeiten in der frühabendlichen Cocktailbar – vermag immerhin durch die Melodie, den gehauchten Gesang und die Atmosphäre zu punkten. Auch der Torch-Song „Loving Forces“ über die verflossene Liebe bietet schöne Momente, wenngleich man Femme Schmidt den bitteren Liebes- oder Trennungsschmerz nicht völlig abnimmt. Aber auch zwei mehr als nur nett anzuhörende Titel würden die restlichen nicht ungeschehen machen. Daher bleibt zu hoffen, dass Femme Schmidt sich auf ihre Stärken besinnt und die Klischees abstreift.

Offizielle Homepage von Femme Schmidt

(Foto: Warner)

Stephanie Nilles „Murder Ballads“

stephanie nilles[rating=3] Schauerliche Moritaten, mit schwarzem Humor gewürzt

Schreckliche Geschichten erzählt die Pianistin und Sängerin Stephanie Nilles – von Mord und Totschlag, von grassierender Waffengewalt in den USA („Open Season“), dem manchmal grausamen Schicksal namenloser Flüchtlinge („The Deportee“) oder auch schlicht vom „Slaughter Haus“.
Das alles kommt im LowFi-Sound daher, denn Ms. Nilles produziert und verlegt ihre Werke selbst. Hierbei greift sie nicht nur auf die obskure, wenn auch beliebte und langjährige Tradition der Moritaten zurück, die von Mord und Totschlag zumeist aus der Perspektive des Täters berichten, sondern zitiert gerne und häufig Barrelhouse und Traditional Jazz.
Aufgrund der ungeschliffenen Vortrags- und Produktionsweise wird Ms. Nilles gelegentlich in die Nähe des Punk gerückt. Hier zählen aber mehr  Geste und Produktionsweise als musikalische Einflüsse. Stephanie Nilles ist ausgebildete Konzertpianistin und gewann bereits als Teenager etliche Talentwettbewerbe. Sie verliess die klassische Konzertlaufbahn jedoch frühzeitig, um sich zunächst als Singer-Songwriter in New Yorker East Village zu versuchen. Schliesslich landete sie in New Orleans. Ausgedehnte Tourneen in den USA absolvierte sie – in ihrem Wagen nächtigend – auf eigene Faust. Mittlerweile hat sie es, wie sie verrät, zu einem Zelt gebracht. Solcherart gestählt, haut die Künstlerin munter in die Tasten und singt inbrünstig vom blutigen Handwerk. Genüßlich zelebriert sie dabei Cover von Jelly Roll Mortons „The Murder Ballad“ oder vom Blueser Blind Willy McTell, in dessen „A to Z Blues“ der eifersüchtige Liebhaber berichtet, wie er seiner Angebeten das Alphabet mit einem scharfen Messer in die geliebte Hautritzt – nur um ihr klar zu machen, was sie erwartet, wenn sie fremd gehen sollte.
Nilles interpretiert diese Rollenprosa fulminant, wenngleich ihr gesangliches Talent limitiert ist. Die Auswahl der Songs, eben Balladen und Moritaten über Mörder und ihre Opfer, erklärt sie so: “ Ich denke, dass alle Schauerballaden Geschichten über den Kampf zwischen Gut und Böse sind. (…) Und meistens gewinnt das Böse (…) Ich dachte, dieses Genre ist wunderbar geeignet, um über schillernde, verrückte Typen zu erzählen. (…) Als Songwriter muss man sich da gar nicht groß anstrengen. Die Geschichten sind an sich schon interessant.“ Das hat darüberhinaus den Vorteil, dass sie nicht viel von sich selbst preisgeben muss, denn „Bänkelsänger berichten ja nie von sich selbst, sondern aus dem Leben anderer“.
Und klar: Wer solche Songs hört und spielt, darf den schwarzen Humor nicht verachten. Darüber verfügt die 32-jährige Nilles sicherlich, wie ihre Website zeigt. Dort schaut sie uns Betrachter durch einen Strick an, zeigt Charlie Chaplin und bezeichnet sich selbst als böse Fee der amerikanischen Pseudo-Intellektuellen. Optisch sieht sie aus wie eine Kreuzung zwischen Sandy Denny, der allzu früh verstorbenen britischen Folksängerin, und Janis Joplin, der Heroine der 60er-Jahre.

Planeausters „Humboldt Park“

Planeausters_Cover_Believe[rating=3] Erstaunlich Reifes aus der Provinz

Was bedeutet Rockmusik heute? Ein gigantisches Geschäft, Konzertarenen, in denen man für viel zu viel Geld die Band des Abends auf grobkörnigen Videoleinwänden sehen kann. Oder wahlweise Mehrzweckhallen mit mieser Akustik und überhöhten Getränkepreisen. Irgendwo in weiter Ferne stehen alte Männer auf der Bühne und spielen die Songs unserer Jugend. Das ist alles recht traurig, erfüllt aber offenbar seinen Zweck.
Dann kommt wieder eine Platte wie „Humboldt Park“ ins Haus, von einer deutschen Band namens Planeausters. Aus Ravensburg! Hier ist das Ergebnis umgekehrt zum abgeschmackten Rockzirkus: Man erwartet wenig und wird aufs Angenehmste überrascht. Nicht, dass die Planeausters die Zukunft des Rock’n’Roll verkörperten oder mit ungehörten Ideen aufwarteten. Die drei Jungs machen es so wie viele andere junge Bands. Sie erzählen ihre eigenen Geschichten, sie spielen ihre Songs, und beide nehmen eine mit auf eine Reise. Sänger und Gitarrist Michael Moravek hat sich durch den goßen Fundus amerikanischer Singer-Songwriter gehört und kann bei Bedarf auch den jungen Dylan zu neuem Leben erwecken – wie etwa in „Stranger in a Stranger’s Clothes“, das beinahe klingt wie His Bobness 1969. Der Song „Never Forget“ erinnert dagegen an amerikanischen Desert-Rock; er funktioniert prächtig und wirkt weit weniger epigonal als man zunächst denkt.

Moravek und seinen beiden Mitmusikern gelingt mit „Humboldt Park“ das Kunststück, Altes und Bekanntes mit Neuem zu einem eigenständigen Klang zu vermischen. Das liegt unter anderem daran, dass der Mann überzeugend Geschichten erzählen kann. Hinzu kommt, wie in „Wouldn’t say it’s over“ oder „The Golden Days of Missing you are over“, ein gewisser lakonischer Humor. Dazu sind Gesang und Musik angenehme unaufgeregt. Sicher, Moraveks Gesang zeigt ab und an noch zu sehr seine Bewunderung für Mike Scott von den Waterboys. Und mitunter weisen nicht nur Gitarrensound, Bass und Drums, sonder auch Melodien und Songaufbau deutliche Anklänge an große Vorbilder auf. Trotzdem: Für die relativ junge Band aus Ravensburg ist das mehr als respektabel.

Eingespielt wurde „Humboldt Park“ in Chicago, in einem Studio, das sich in der Nähe des Humboldt Parks befindet – einem jener Orte, die man bei Einbruch der Dunkelheit dem Vernehmen nach meiden sollte. Die Themen der Planeausters sind trotzdem weniger urbane Gewalt oder die Hektik der Großstadt. Ihre Musik folgt eher dem Kompass der Sehnsucht nach Freiheit und Weite, also uramerikanischen Mythen. Und ihre Texte thematisieren die ewige junge Erfahrung von Liebe und Enttäuschung, drehen sich also um das große Ganze, das sie mit einer angenehmen Mischung aus Humor und Melancholie präsentieren.
Die Arrangements sind allerdings überwiegend sparsam: Hier spielen überwiegend drei Typen Gitarre, Bass, und Schlagzeug, und einer singt. Und auch wenn man gelegentlich eine Mundharmonika, eine Orgel und auch mal eine Trompete hört, wirkt nichts überfrachtet.

Erfolg „“Erfolg““

„Ich nenn‘ mich jetzt Erfolg, dann habe ich in meinem Leben immer Erfolg“ singt Erfolg im Song „Erfolg“ auf seinem Debut-Album „Erfolg“. Ganz schön dick aufgetragen, möchte man meinen, aber keine Angst: der will nur spielen. Er ist Johannes von Weizsäcker, Berliner Musiker, der statt „Rock“ im weiteren Sinne auf seinem Erstling, ja was eigentlich genau macht? Chanson? Kabarett? Pop? Das Erbe von Andreas Dorau und Max Goldt verwalten? Hier können wir nur mit einem entschiedenen „Vielleicht, vielleicht auch nicht“ antworten. Der beste Weg zum Erfolg ist, zunächst unbefangen seine Platte zu hören. Schnell wird klar, dass die angenehme – im weiteren Sinne – Popmusik sich dem Sprechgesang von Weizsäcker unterordnet. Wo dessen stimmliche Qualitäten nicht weiter reichen, hilft „“Der beste Damenchor aller Zeiten““, der natürlich genau das nicht ist, sondern eine muntere Ansammlung sangeskundiger Damen im Berliner Popformat. Das macht aber überhaupt nix, denn die Miniaturen oder Moritaten Weizsäckers, pardon: Erfolg, handeln von Leuten wie dem „Brillenmann“, der im angesagten Hauptstadtchic allerorten bei Konzerten, Lesungen oder Vernissagen Gesichtspflege betreibt. „Mausmann“ erweitert die Betrachtung prekärer Existenzen um einen zeitweiligen Fondsmanager, der gerne kocht, im Fernsehen zu Ruhm kommt und sein Leben fern aller deutschen Kochtöpfe beschließt und der „Gute Mann“ wird mit Verve besungen, jedoch aus ironischer Sichtweise. Das alles ist gut gemacht und beobachtet, aber trotzdem nur Musik für „gewisse Stunden“, die aber in jenen genau richtig ist. So ist das Leben, zumindest jenes von Teilen des Berliner Szenebiotops, das allen Tendenzen der Gentrifizierung zum Trotz – oder gerade deswegen? – wächst und gedeiht. Angenehm daran, daß das gewisse Pathos und – seien wir offen – die bisweilen große Berliner Schnauze hier fehlen, sondern stattdessen hintergründiger Humor, sanfte Ironie, leichte Melancholie und geschärfte Beobachtungsgabe dominieren. Zwar etwas textlastig, das Ganze, aber „mal was anderes“ aus dem kleinen deutschsprachigen Eck im Pop-Universum.[rating=3]

 

 

Bryan Ferry „Avonmore“

ferry cover[rating=3] konsequent vertraut

Die Rock-Musik ist mittlerweile in den Status der musealen Konservierung getreten. Rock-Dinosaurier liefern aufwändige Boxen als Werkschauen, mit dem einen oder anderen Outtake oder alternativen Fassungen bekannter Songs als Zuckerl. Und die mit den Akteuren gealterten Hörer kaufen brav ein ums andere Mal. Bryan Ferrys bereits im November letzten Jahres erschienenes Album „Avonmore“ paßt ganz gut in diese Kategorie, auch wenn der mittlerweile 69-Jährige Sänger keineswegs vorhat, eine ’schöne Leich‘ abzugeben, sondern neue Kompositionen vorlegt.
Wo Ferry draufsteht, ist aber auch Ferry drin, wenngleich das Coverfoto und seine Stimme verdächtig jung aussehen und klingen. Im realen Leben sieht unser Mann für einen Endsechziger proper aus, und was die Tontechniker anstellen, um den samtenen Schmelz der Stimme zu erzeugen, wollen wir so genau gar nicht wissen. Diese klingt nämlich keineswegs nach einem Mann, der im siebten Lebensjahrzehnt steht. Bereits die ersten Takte von „Loop de Li“ erscheinen konsequent vertraut und ganz so, als ob die letzten dreissig Jahre spurlos an Mr. Ferrys Musik vorbeigegangen wären. Macht aber nix, denn der musikalische Kosmos Ferrys seit „Avalon“ ist sattsam bekannt und wird in diesem Opus auch kein bißchen erweitert. Hochkarätige Begleiter wie Nile Rogers oder „Smiths“-Gitarrengott Johnny Marr, Bassist Marcus Miller und andere Edelsöldner sorgen für gediegene Qualität, Ferry ist stimmlich – wie auch immer – auf der Höhe, und die gediegene Mischung aus Ennui, Melancholie und flotteren Momenten wie in „One Night Stand“ machen „Avonmore“ zu einem hörbaren Album. Bei der großartigen Schnulze vom seligen Robert Palmer, „Johnny and Mary“, dem letzten Song des Albums, kommen nostalgische Gefühle auf – ewig nicht mehr gehört, aber das Original gefällt besser.
„Avonmore“ ist eine nette Platte, die zwar keine Überraschungen bietet, aber immerhin einen gut aufgelegten Bryan Ferry, der auch mit 69 noch keine Lust auf Rente hat. Er geht zwar sparsam mit seinem Potential um, hat aber immerhin noch nicht alles Pulver verschossen , auch wenn dieses noch aus den späten Achtzigern bis Neunzigern des letzten Jahrhunderts stammt.ferry cover

Thea Hjelmeland „Oh, the Third..“

[amazon_image id=“B00FYBBYEG“ link=“true“ target=“_blank“ size=“medium“ class=“alignleft“]Thea Hjelmeland „Oh, the Third..“[/amazon_image][rating=3] Leicht angeschrägtes Debüt einer jungen Norwegerin.

„Oh, the Third..“ (Ja, mit zwei Pünktchen, nicht drei. Anm. d. Red) ist nicht, wie der Titel der CD vermuten lässt, die dritte Veröffentlichung der 25 Jahre jungen Norwegerin, sondern ihr bereits 2012 aufgenommenes Debüt. Wer jetzt bei Norwegen an die hoffentlich unsinkbare Wencke Myhre denkt, die kurzzeitig als Poster über meinem Bett hing (ich war jung und die Mädchen aus der Nachbarschaft kamen Frauen wie Wencke einfach nicht an), geht nicht völlig fehl, obwohl natürlich Jahrzehnte und Welten zwischen beiden liegen. Beides Norwegerinnen, beides bemerkenswerte Sängerinnen, aber damit enden die Gemeinsamkeiten auch schon. Thea Hjelmeland schreibt ihre Songs selbst und spielt dazu unter anderem Gitarre, Mandoline oder Klavier. Auch die hauptsächlich akustischen Arrangements stammen aus ihrer Feder.

Was erwartet den Hörer? Neun eher kurze Titel, die ein breites stilistisches Spektrum abschreiten, das von ruhigen, verträumten Nummern („Boredom“) über jazzige Songs („I Need“, „Candyman“) bis zu gemäßigtem Artpop („Perfume“) mit Kate-Bush-Referenzen reicht. Thea Hjelmeland beeindruckt vor allem mit stimmlicher Flexibilität. Scheinbar mühelos wechselt sie von klarer Kopfstimme bis in ein tiefes, geradezu lasziv gefärbtes Timbre.

Ihr variabler Gesang bildet die Klammer, die das Spektrum der hier verarbeiteten musikalischen Einflüsse verbindet. Wer nun jedoch Vokalakrobatik erwartet, wird gleichzeitig bedient und enttäuscht, denn Thea Hjelmeland betreibt keine Leistungsschau, vielmehr ist sie um die jeweils passende Atmosphäre für den Song bemüht. Musikalisch geht es der Norwegerin auf ihrem Debüt nicht um eine klare stilistische Einordnung oder gar um einen unverwechselbaren ‚Sound‘, sie zelebriert die Abwechslung.

Auf ihrer Website definiert sie ihre Musik als ›akustischen Pop mit melancholischem Einschlag, bei dem das Zentrum der Musik die Stimme bildet‹. Und dieses Konzept lässt einige Deutungen zu, wie im Verlauf von „Oh, the Third..“ klar wird. Konsequenterweise mag der eine oder andere Hörer einen musikalischen ‚roten Faden‘ vermissen. Das muss allerdings kein Nachteil sein, wenn man bereit ist, sich auf Überraschungen einzulassen.

Es ist mit diesem Album ein bisschen wie mit den Wundertüten aus jenen Zeiten, als Wencke Myrhe ihre großen Erfolge feierte: Wenn man sein Taschengeld in eine solch eine Überraschung investierte, wusste man auch nie, was man bekommt. Hier erwartet den Hörer das Album einer vielversprechenden Musikerin, die ihre eigene, unverwechselbare musikalische Signatur noch finden wird – oder darauf zugunsten einer stilistischen Bandbreite dauerhaft verzichtet.

„Oh, the Third..“ ist kein vollendetes Pop-Universum, sondern eher eines, das in der Entstehung ist: Mal schrill, mal schön, aber immer in Bewegung und damit lebendig. „Welcome to my World“ wäre auch ein passender Titel gewesen: Mehrfaches Anhören lohnt sich.

Tipp der Red.: Das gesamte Album kann man derzeit auf ihrer Soundcloud-Page streamen.

Homepage von Thea Hjelmeland

Soundcloud-Page von Thea Hjelmeland

(Bild: theahjelmeland.com)