Schlagwort: Funk

Get The Blessing „Bristopia“

[rating=4] Jazz – Jazz + Funk + Postrock + Trip-Hop + Electronics = Get The Bleesing.

Das Spannende an der aktuellen britischen Jazz-Szene ist, dass sie zu so vielen unterschiedlichen Ergebnissen kommt, die alle einen gemeinsamen Nenner haben: höchste musikalische Qualität. In Bristol, einst von Journalisten zur „Hauptstadt des Trip-Hop“ gekürt, gründete sich bereits 1999 das Quartett Get The Blessing. Ihre Musik fasst Elemente des Jazz, des Postrock und des Trip-Hop zusammen, vermischt akustische und elektronische Sounds und setzt dabei traditionelle Solo-Instrumente des Jazz, Trompete (Pete Judge) und Saxophon (Jake McMurchie) ein. Jim Barr am Bass und Clive Deamer an den Drums bereiten dafür das rhythmische Fundament. Die beiden sind keine Unbekannten: In derselben Funktion stehen sie auch mit Portishead auf der Bühne.

Get The Blessings siebtes Album „Bristopia“ zeigt das Quartett in Hochform. Die elf Tracks pulsieren energiegeladen und rhythmisch strukturiert, gleichzeitig mangelt es nicht an freien, improvisatorischen Sequenzen. Dabei wildern die vier selbstbewusst quer durch die Musikwelt. Es ist schon hauptsächlich Jazz, was sie auf dem Album bieten, aber mit der lässigen Attitüde einer Rockband und mit dem wohlüberlegten Einsatz von Sounds und Rhythmen aus verwandten und fernen Genres. Mitunter ist das Ergebnis sogar tanzbar (Huch!), es gibt aber auch immer wieder ruhige Momente. Für zusätzliche Akzente an der Gitarre sorgen Adrian Utley von Portishead und die Pedal-Steel-Gitarristin Margerethe Björklund.

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Das Album erscheint als CD, als Download und als limitierte LP auf orangefarbenem Vinyl, eine Augenweide und klanglich ebenso erhaben wie die digitalen Formate. Leider hat man bei der Vinyl-Ausgabe auf einen Download-Code verzichtet. Den erhält man allerdings, wenn man das Album auf der Bandcamp-Seite des Quartetts bestellt.

→ Get The Blessing Homepage

Get The Blessing auf bandcamp.com (mit Streaming- und Bestellmöglichkeit)

(Coverbild: Get The Blessing auf bandcamp.com; Vinyl-Bilder: Salvatore Pichireddu)

Aaron Neville „Apache“

Aaron Neville[rating=3] Gutes Album, solide Unterhaltung, reifes Alterswerk

Die Zeiten sind hart, die Welt ist ein grausamer Ort, manchmal. Von persönlichem Leid und auch mancher Freud‘ weiß der Blues zu berichten, doch so richtig warm ums Herz wird es dem Hörer zumeist erst bei klassischem Funk und Soul. Aaron Neville, der auch schon 75 Jahre alt und seit 56 Jahren musikalisch aktiv ist, denkt nicht an die Rente. Stattdessen legt er mit „Apache“ ein solides, ja gutes Album vor. Natürlich erfindet der Mann das Genre nicht neu. Wer das erwartet, wird bereits mit den ersten Takten von „Be your Man“ eines Besseren belehrt: Die Funk-Gitarre setzt trocken ein, das Piano begleitet und die Bläser bilden Akzente, bevor die unverwechselbare, samtweiche Stimme Nevilles anfängt und kurze Zeit darauf von einem Chorus unterstützt wird. So hätte eine Funkplatte auch 1972 beginnen können. Macht aber nichts, denn die alten Platten knistern arg, und so hat man das auch lange nicht mehr gehört. Und es gefällt.
Aaron Neville war seit 1966 und der Veröffentlichung seines Hits „Tell it like it is“ eher auf Balladen abonniert. Mit seinen Brüdern, den, richtig, Neville Brothers, erweiterte er das Spektrum durch Einflüsse von Cajun, Funk, R’n’B und Pop. Geboren in New Orleans, wie er uns im zweiten Titel „Stompin‘ Ground“ wissen lässt, und mit indianischem und kreolischem Blut in den Adern, ist der Mann natürlich mit allen musikalischen Wassern gewaschen. Doo-Wop-Reminszenzen fehlen ebensowenig („Sarah Ann“) wie Anleihen beim Soul der Sechziger in „All of the Above“. Diese Hymne an die Kraft und die Freuden der Liebe könnte auch von Solomon Burke oder ähnlich schwergewichtigen Kalibern stammen.
Das ganze Album ist fast wie ein bunter Katalog der schwarzen amerikanischen Musik der letzten fünfzig Jahre angelegt. Aber Neville ist vital, fit und hörbar gut bei Stimme. Das spielt den Komponisten in die Hände, versierten Profis, die einen guten Sänger mit guten Titeln versorgen. Da darf ruhig mal der Schunkel-Rhythmus ausgepackt werden („Heaven“), bevor es nach Art der Neville Brothers gehörig groovt („Hard to believe“). Die Zeiten sind hart, aber man muss halt weitermachen, so der Tenor dieses ‚Social Topic-Songs‘. Aber selbst Sozialkritik verpackt Aaron Neville mit seiner samtweichen Stimme so, dass die Füsse wippen. Noch besser geht „Ain’t gonna judge you“ in die Beine. Hier geht es darum, erst einmal vor der eigenen Türe zu kehren, bevor man über seinen Nächsten urteilt. Die Texte entstammen Nevilles Tagebuchskizzen, die er seit langem führt. Christliche Botschaften und dazu ein knochentrockener Sound: so amerikanisch wie der Musiker selbst. Dann wieder ein Schnulze Marke „Schatz, ich will dich doch nur lieb haben“ („I wanna love you“). So ist das amerikanische Show-Biz eben. Am Ende richtet der alte Hase, der Einiges gesehen hat, eindringliche Worte an junge Möchtegern-Gangsta, die im Grab landen, bevor sie das Leben richtig verstanden haben („Make your Mama cry“). Abschließend gibt es noch eine Prise Neville-Brothers-Sound mit Sprechgesang vom Meister. Gutes Album, solide Unterhaltung, reifes Alterswerk.

(Cover: Rough Trade)

 

Eno/Hyde „High Life“

Eno_•_Hyde_-_High_Life_Cover_Image[rating=2] Nervöse Rhythmen, endlose Wiederholung von Akkorden und Samples – nichts für gemütliche Stunden, sondern eher anstrengend. Kein Meisterwerk.

Vor kurzem haben die beiden Herren vorgerückten Alters das erste Ergebnis ihrer Zusammenarbeit veröffentlicht, und schon folgt mit dem neuen Album „High Life“ der zweite Streich. Keine Outtakes aus „Someday World“ erwarten den Hörer, sondern sechs Titel, die allesamt in nur fünf Tagen entstanden.
Während der Vorgänger mit Pop-Songs und beinahe eingängigen Melodien aufwartet, zeigt „High Life“ die eher an Klangwelten orientierte Seite Enos, der erneut dominiert. Mag man sich bei dem neunminütigen Eröffnungssong „Return“ mit seinen von Gittarist Karl Hyde stoisch wiederholten zwei Akkorden, dem Synthesizer und dem luftigen Walla-Walla-Hintergrundgesang von Eno und Marianna Champion noch an Enos Werke aus den Achtziger- und Neunziger-Jahren erinnert fühlen, so vereinen die folgenden Titel „DBF“ und „Time to Waste it“ (ungewollte Ironie?), bei dem Hydes Gitarre den Vortritt hat, nervöse Energie. Diese ist jedoch mit einer Monotonie gepaart, die man nur gelegentlich ertragen kann. Das hat man von Meister Eno auf seinen Großwerken „My Life in the Bush of Ghosts“ oder „Wrong Way Up“ schon abwechslungs- und einfallsreicher gehört. Auch das letztlich belanglose „Lilac“ versucht ein weiteres Mal, sonnigen Wave-Pop mit afrikanischen Rythmen zu vereinen. Das ist alles andere als eine neue Idee. Doch immerhin hat Brian Eno diese Fusion als Interpret und Produzent seit den Achtzigern maßgeblich vorangetrieben.
Es wäre ungerecht, Bria Eno und Karl Hyde nur Selbstzitate zu unterstellen. Im Vergleich zu anderen aktuellen Werken der Pop-Musik, die sich gerne und oft der wenigen bahnbrechenden Ideen früherer Generationen ungeniert bedienen, jammern wir hier auf beachtlichem Niveau. Denn immerhin zitieren Eno und Hyde eigene Geistesblitze, die sie zudem zumindest im Ansatz zeitgemäß überarbeitet haben.
„Moulded Life“, das vorletzte Stück, sollten alle überspringen, die von Reizüberflutung geplagt sind. Denn dort treffen die eher nervenden Elemente des ‚Underworld‘-Sounds auf die etwas anstrengenden Einfälle von Brian Eno. Dann ist – schwupp – der letzte Titel erreicht: „Cells and Bells“, der mir am besten gefällt. Denn dort entert Karl Hyde das Mikro. Dadurch verleiht er dem Titel eine spezielle Athmosphäre. Zudem schwebt der Song irgendwie träge durch den akustischen Raum und läßt einem jene Luft zum Atmen, die einem der überwiegende Teil des Albums zuvor fast genommen hat. Worüber er singt? Keine Ahnung, aber es hört sich gut an + und das ist alles, was zählt. Mir persönlich hätte eine halbe Stunde „High Life“ gereicht, nun sind es beinahe 45 Minuten geworden. Aber es gibt ja die Stopp- und die Skip-Taste …

Trombone Shorty „Say That To Say This“

Trombone Shorty "Say That To Say This"

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Enttäuschende Fortsetzung

Der Erstling (zumindest mit internationalem Vertrieb) „[amazon_link id=“B003WKOLRI“ target=“_blank“ ]Backatown[/amazon_link]“ (2010) ließ aufhorchen. Das zweite Werk „For True“ (2011) war gleichermaßen interessant und energiegeladen – noch wichtiger: Es hielt das Niveau! Jetzt erschien – nach der Logik von Plattenfirmen wohl mit Verspätung – der dritte Longplayer „Say That To Say This“ und… klingt nach Eintopf.

Das Album mit 10 Songs (36 Minuten) lässt mich ratlos zurück. Ist es die ‚Schuld‘ von Produzent Raphael Saadiq, dass sich einfach kein roter Faden finden lässt? Das instrumentale Titelstück bringt zunächst dichte Hornsätze (mit etwas mehr als den drei Hörnern der Band) und Pete Muranos rockige Gitarre. Im zweiten Song „You And I (Outta This Place)“ geht es los mit gedoppelten Vocals und bei den Bläser-Licks beschleicht mich der Gedanke, dass hier wohl Radiokompatibilität im Vordergrund stand. Als ich dann (nicht zum letzten Mal) auch noch Synthesizer-Flächen vernehmen muss, skippe ich zum nächsten Song „Get The Picture“ (2:44). Aber auch hier wieder Studio-Spielereien, die immer wieder so klingen, als wären hier ein paar vorhandene Ideen zusammenkopiert worden, dazu ein wenig an den Effektknöpfen gedreht, fertig ist der Song?

„Vieux Carré“ (das nächste Instrumental) klingt mit seinem aus den frühen 1980ern bekannten 16tel-Groove trotz des Titels nicht ein bisschen nach New Orleans. Gefolgt wird das Stück von „Be My Lady“, einem Cover von The Meters, die hier auch die Band stellen. Allerdings ist die ‚Vocal Production‘ dermaßen schmalzig… kein weiterer Kommentar.

Es geht weiter mit Erinnerungen an Disko-Zeiten a la Nile Rodgers („Long Weekend“), aber was haben wir davon zu wissen, dass Troy Andrews auch zu solchen Songs singen und spielen kann? Auch das nächste Midtempo-Stück bietet keine Erlösung, sondern wieder unnötige Studio-Experimente mit dem Gesang. #8 „Sunrise“ und #10 „Shortyville“ sind noch zwei hörenswerte Instrumentals. Das letzte Stück bietet vielleicht noch am meisten New-Orleans-Flair und ich will es als Hoffnung auf die nächste Veröffentlichung verstehen. Ein Live-Album wäre doch nur konsequent, oder?

Review im Magazin OffBeat
http://de.wikipedia.org/wiki/Trombone_Shorty
http://en.wikipedia.org/wiki/The_Meters

Socalled „Sleepover“

Socalled - Sleepover

Socalled [rating=3] Pralinenschachtel der Sorte ‚Wild-feiner Stilmix‘

»Das Leben ist wie eine Pralinenschachtel: Man weiß nie, was als Nächstes kommt«, so eine Lebensweisheit von Forrest Gumps Mutter. Hört man „Sleepover“, den neuesten Streich des Kanadiers Josh Dolgin aka Socalled, kommt einem die Maxime von Mama Gump automatisch in den Sinn. ‚Kindergeburtstag‘ wäre eine andere passende Assoziation. Bunt und kurzweilig wirken die Songs auf „Sleepover“, die Mr. Socalled teilweise schon länger im Repertoire führt.

Das Album ist bereits zwei Jahre alt, wurde aber erst jetzt hierzulande veröffentlicht. Da rappelt die Beatbox, Funk-Bläser fallen ein und Socalled und seine Freunde erzählen seltsame Geschichten. Der Titelsong handelt davon, dass ein Durchschnittstyp mit Hornbrille und Flanellpyjama nachts unsanft von einer Horde feierwütiger Puppen aus dem Schlaf gerissen wird. Die Folge: eine Hausparty der anderen Art.

„Unlvd“ klingt dagegen wie eine Art Hybrid-Version des 1970er- und 1980er Jahre Funk – Prince lässt grüßen. Kein Wunder, denn Fred Wesley, Boban Markovic, The Mighty Sparrow oder Roxanne Shanté spielen auch alle mit und bieten mit dieser Mischung den einen oder anderen Aha- und gleichzeitigen Verfremdungseffekt. Eine  Vorgehensweise, mit der auch Bands wie Animal Collective, das LCD Soundsystem oder Popstars wie Kanye West und Madonna stilistische Anleihen aus jeder Richtung beziehen.

Damit soll nicht Beliebigkeit oder Schielen nach dem Angesagten unterstellt werden, wohl aber programmatische Absicht. Eklektizistisch ist die passende Bezeichnung für diesen Mix aus schwarzer Tanzmusik, Balkan-Bläsern, französischen Rap-Einlagen, Soul, Elektro-Funk und als ‚Topping‘ schräger Humor: eine interessante Mischung bekannter Zutaten.

Josh Dolgin hat ein Händchen für Melodien, allerdings taugen seine Songs wegen des wilden Stilgemischs eher nicht zum Ohrwurm. Trotzdem setzen sich Melodiefragmente, Textzeilen, hier ein Klarinettensolo, dort eine Fiddle oder ein Funk-Bass beim wiederholten Hören immer fester in den Gehörgängen fest, bis man sich irgendwann erstaunt dabei ertappt, dass man eine seiner Melodien vergnügt vor sich hinbrummt, über „Gummi Bears“ sinniert oder den fröhlichen Rhythmus von „Sleepover“, der ein wenig an Bläser-Bands vom Balkan erinnert, in den zwei linken Beinen spürt. Hat man gerade verstanden, dass „Work with what you got“ eine Einladung zum fröhlichen Anders- oder Man-Selbst-Sein ist, folgt mit „Springhill Mine Desaster“ ein Coversong der Dubliners und damit der Sprung zu folkloristisch angehauchten Canadiana-Klängen, die allerdings mit zurückhaltender Elektronik und Piano-Sounds angereichert sind.

„Sleepover“ ist nichts für die Liebhaber von musikalischem ‚Schniposa‘ (Schnitzel, Pommes, Salat), sondern für entdeckungslustige Hörer, die beim wiederholten Hören immer neue Details entdecken wollen. So entsteht eine Art musikalisches Gesamtkunstwerk aus einer Vielzahl von Zutaten unter reger Beteiligung guter Musiker. Josh Dolgin als Mastermind drängt sich dabei nicht in den Vordergrund, sondern fügt sich in sein Ensemble ein. Das Ergebnis ist moderne Weltmusik. Kurioserweise liefert das Album mit den Titeln 11 bis 17 selbst Remixe der ersten 10 Songs, davon gleich drei teils recht bizarre Versionen des Titelstücks und eine rasant beschleunigte Version von „Unlvd“, die einen atemlos zurücklässt.

Auf den ersten 10 Titeln von „Sleepover“ lädt er zur Pyjama-Party mit Chips, Gummibärchen und Soda, dann schmeißt er kurz die gut geölte Tanzmaschine an. „Sleepover“ ist also tatsächlich eine Art Pralinenschachtel, wobei die Mischung  nicht die ‚Feine Auslese‘ ist, sondern eine  Entdeckungsreise in Neuland. Wer sich darauf einlässt, wird mit Überraschungen musikalischer Art gut bedient.

Offizielle Homepage von Socalled

Donald Fagen „Sunken Condos“

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The Nightfly is back (again).

Niemand würde von Donald Fagen ein sich dem Zeitgeist angepasstes Album erwarten, weder als Sänger und Keyboarder von Steely Dan, noch als Solist. Seine bisherigen Solo-Alben „The Nightfly“ (1982), „Kamakiriad“ (1993) und „Morph The Cat“ (2006) waren zeitlose Produktionen, die sich stilistisch in etwa am supercoolen Blues-Funk-Jazz-Pop-Rock-Mix Steely Dans orientierten und sich einen Teufel um die gerade aktuellen Tendenzen in der Pop- und Rockmusik scherten.