Schlagwort: Rock

Susanna Nicchiarelli „Nico, 1988“

Sie müsse mit einer Band aus Amateuren touren, sagt Nico (Tryne Dyrholm) sichtlich frustriert und vermittelt ihrem Gegenüber gleichzeitig, dass sie das keineswegs ungerecht findet. Der längst in den Drogensumpf gefallenen Ikone ist offenbar bewusst, dass es kein Entrinnen gibt aus dem Kreislauf von Sucht, Versagensängsten und Erinnerungen an eine erfolgreiche Vergangenheit.
Das Leben von Nico, geboren als Christa Päffgen, Supermodel, Schauspielerin und Musikerin, lässt sich kaum in einen Film packen. Susanna Nicchiarelli (Regie und Drehbuch) gelingt es trotzdem – indem sie es als Roadmovie erzählt, das in den traurigen letzten Jahren spielt.
Die Gruppe tourt im Kleinbus durch Europa, Nico zerfressen von Sucht und Sehnsucht nach ihrem Sohn, der nicht nur ebenso drogenabhängig, sondern auch suizidgefährdet ist. Ihr Manager Richard (John Gordon Sinclair) ist in sie verliebt. Doch der landet allenfalls bei seiner Assistentin Laura (Karina Fernandez) – beim „Trostpreis“, wie diese selbst sarkastisch feststellt. Nicos Zuneigung gilt durchweg anderen.

Susanna Nicchiarelli zeigt Nico und ihre Entourage überwiegend auf Tour – Paris, Prag, Nürnberg, Krakau – und in kurzen Episoden in ihrem Zuhause Manchester. Neue Bekanntschaften und Gespräche mit Nicos Manager nutzt sie für Rückblenden, mitunter werden auch kurze Originalaufnahmen mit Nico eingeblendet.
Die Regisseurin zeigt eine Protagonistin, die mit unbändiger Stärke schwach ist. Ihre Nico ist egozentrisch und kompromisslos bis zur Tyrannei. Gleichzeitig ist sie sich ihrer Schwächen und Versäumnisse bewusst, unter denen sie zwar leidet, die sie aber unbeeindruckt akzeptiert und mitunter mit bissigem Sarkasmus kommentiert. Nicht nur die Besetzung der Hauptfigur – Tryne Dyrholm stellt Nico sowohl als Person wie auch in ihrem eigenwilligen Gesangsstil differenziert und überzeugend dar – ist ein Glücksgriff. Susanne Nicchiarelli zeigt bis hin zu vergleichsweise unwichtigen Nebenrollen eine sichere Hand bei der Wahl der Schauspieler. Ebenso gelungen sind viele Szenen und Dialoge. So macht sie aus einem schlichten Konzept einen Film, der sich der geschundenen Ikone respektvoll, aber nicht beschönigend nähert und der selbst dann ausgesprochen sehenswert wäre, wenn Susanne Nicchiarelli die ganze Geschichte nur erfunden hätte.

Bisherige Rezensionen zu Nico auf schallplattenmann.de

→ Besprechungen von Filmen über Barbara und Oum Kulthum auf schallplattenmann.de

(Foto: Filmtext)

International Music „Die besten Jahre“

[rating=4] Frohgemut bis düster, eigenständig mit deutlich erkennbaren Referenzen

„Dein Mund ist gerade, deine Lippen sind schief“, singen International Music in „Country Girl“, ganz so als ob sie damit programmatisch ihren konservativ-geschmeidigen Rock beschreiben wollten, den sie von frohgemut bis düster zelebrieren. Die Musik des Essener Trios ist kein ebenmäßig glattes, durchgestyltes Model, sondern von rauer, unkonventioneller Schönheit. International Music fertigen ein Patchwork aus unterschiedlichen Ingredienzen, bei dem man viele Einflüsse heraushören kann: In „Metallmädchen“ klingt Space-Rock an, und bei „Für alles“ standen The Jesus and Mary Chain Pate. Den Bass von „Farbiges Licht“ haben sich International Music bei Joy Division geliehen, und das in einer dumpfen Kakophonie endende „Mama“ erinnert über weite Strecken an Element of Crime. Das ist noch lange nicht so international, wie der Bandname vorgibt, aber doch schon ziemlich welthaltig.

Den Rat, den das Essener Trio in „Für alles“ einem imaginären Gegenüber gibt – „Stell die Weichen, die Richtung ist egal“ –, scheint es selbst zu beherzigen. Die drei nehmen sich, was ihnen gefällt, und stellen sich damit ihren eigenen, coolen Street Style zusammen.
Genauso unverfroren gehen sie mit ihren Texten um, die sich mal um reale Bürden wie äußere Zwänge („Cool bleiben“) und Verpflichtungen („Du Hund“) drehen, natürlich auch um Liebe („Metallmädchen“, „Country Girl“), aber auch zweckfreie Stimmungsbilder sein können („Kneipe“). Die Lieder von International Music sind immer wieder verschroben und rätselhaft, albern oder auch schlichtweg nihilistisch – ganz in der Tradition von Dada oder Palais Schaumburg und Andreas Dorau in den 80er-Jahren.
Das alles macht International Music zu einer Band für Nostalgiker, die sich auch an der Moderne erfreuen. Man hört das Gestern, befindet sich im Heute und ist zuversichtlich für die Musik der Zukunft. International Music hat die Begegnung mit ihrer Musik – wiederum in „Country Girl“ – gleich in eigene Worte gefasst: „Wie gesagt, du bist elektrisch/wie du siehst, bin ich elektrisiert“.

Facebook-Seite von International Music

(Foto: Staatsakt)

Random Willson & Brokof „Brother Equal“

[rating=2] Hart am Rand der Klischees

Random Willson heißt im bürgerlichen Leben Greg Northrop und ist Sänger und Songwriter. Brokof sind Fabian Brokof und seine Band aus Berlin. Beide sind schon länger aktiv, aber diese Platte ist das erste Ergebnis ihrer Zusammenarbeit „East to West“, wie ein Songtitel lautet. Northrop aka Willsom pendelt zwischen New York City und Berlin, wo er seit 2010 lebt. Es geht in den musikalisch angenehm untermalten Texten um den Weg von Manhattan nach Berlin Mitte. Oder darum, daß man sich für wichtige Entscheidungen besser Zeit lassen sollte („Slow Down“). Um die vielen Zufälle, die das Leben bestimmen. Um das Leben insgesamt. Daher auch der Künstlername „Random“, also Zufall oder zufällig. „Willson“ wiederum soll für Herrn Jedermann, also uns alle, stehen.
Brokof haben bereits etliche Alben auf ihrem eigenen Label veröffenlicht, Willson hat eine EP von 2014 auf der Habenseite.

Was gibt’s also zu hören? Eine musikalische Reise, die von Folkrock („Own Time“) bis zu ‚klassischem‘ amerikanischen Rock Marke Ryan Adams reicht („Green Girl“). Mit hymnischem Gesang, Chor, leicht beschleunigtem Shuffletempo und ein kleines bißchen psychedelisch. „First to Know“, die erste Singleauskopplung, ist durchaus radiotauglich – flott, kurz, knapp, direkt und mit einem eingängigen Refrain ausgestattet. „Amen“ könnte fast von Tom Petty eingespielt worden sein.
Eigene Akzente setzen Willson & Brokof in der Mischung der Genres, in den autobiographisch gefärbten Texten und dem naiven Wunsch nach Harmonie in der Welt („All Agree“). ‚Vielfalt‘ statt ‚Einheit‘ heissen die Stichworte, das Andere soll nicht als Bedrohung, sondern als Bereicherung verstanden werden.
Brokof zeigen sich in der Besetzung Fabian Brokof an der Gitarre, Rocco Weise am Bass, Puya Shoary, Schlagzeug, und Arne Bergner, Tasteninstrumente und Gitarre, als spielfreudige Mitakteure mit sichtlichem Spass an der Sache. Die meisten Titel stammen zwar aus Willsons Feder, aber das Ganze ist nicht als Veröffentlichung eines Sängers und seiner Begleitband gedacht, sondern als Gemeinschaftswerk.
Die Musik wirkt angenehm ‚handgemacht‘ und ein bißchen altmodisch, vermeidet aber nicht durchgängig den Verzicht auf leider allzu bekannte Versatzstücke aus dem Rock der Siebziger und Achtziger Jahre. „Guru“ schrammt beispielsweise hart am Rande der bekannten musikalischen und textlichen Klischees des Laid-Back-Westcoast-Sounds vergangener Zeiten entlang. Motto: Ich will kein Guru, aber auch kein Sklave sein, nur ein freier Mann. Das ist lobenswert, aber kein sonderlich origineller Wunsch. Alles in allem ist „Brother Equal“ jedoch ein sympathisches Album.

(Foto: Goldrausch Records)

Fehlfarben, 30.06.2017, Kammerspiele, München

Andere mögen kommerziell erfolgreicher sein und mehr Fans haben: Doch die Fehlfarben haben die prägendere Musik gemacht und mit ihrem 1980 erschienenen Debüt „Monarchie und Alltag“ ein denkwürdiges Album eingespielt. Wenn sie es jetzt auf die Bühne bringen, hat das einen leichten Beigeschmack. Ihre Auftritte könnten zur Pflichtübung werden, weil es in der Bandgeschichte keinen anderen Meilenstein gibt, mit dem man heute noch Geld machen könnte. Neugierig macht das trotzdem.

Die Fehlfarben, das zeigt sich rasch, halten sich an die Dramaturgie des Albums. Der Klang verfängt auch heute noch. Doch Peter Hein ist noch nicht warmgelaufen. Gleich beim zweiten Stück, „Grauschleier“, wirken einst so großartige Passagen muffig. Es gibt im Publikum kaum Söhne, deren spießige Eltern ihre Erfüllung darin finden, den Grauschleier über der Stadt wegzuwaschen. Und die Lebenswirklichkeit der heute Zwanzigjährigen, die sich auch im Publikum finden, ist eine andere als vor 30 Jahren.
Gleichzeitig wird deutlich, dass die Songs nicht regressives Erinnern brauchen, um großartig zu sein. Sie sind großartig, und der anfangs ein wenig verloren wirkende Peter Hein gewinnt auch ohne große Ansprachen an Bühnenpräsenz. Abgesehen von gelegentlichen anderen Phrasierungen, die eher manieristisch wirken und den Songs die brüske Nüchternheit nehmen, singt ein älter gewordener Sänger im gleichen eigenwilligen Auflehnungs-Duktus, der schon das Original geprägt hat.
Überlegungen, ob man heute völlig deplazierte Zeilen wie etwa „Wir sind die Türken von morgen“ nicht umschreiben müsste, tauchen gelegentlich auf. Sie verfliegen jedoch rasch mit der mitreißenden Musik an deren Drive Saskia von Klitzing am Schlagzeug und Gitarrist Thomas Schneider, beide erst seit 2010 und 2014 bei den Fehlfarben, großen Anteil haben.

Den Umfang einer LP nicht als volles Programm anerkennend, bringen die Fehlfarben ein zweites Set und ausgiebige Zugaben mit einer Mischung aus alten („Die Wilde Dreizehn“) und neueren Songs („Das Komitee“, „Platz da“), bei dem das schon bei „Militürk“ aufgesprungene Publikum nicht ohne Grund wieder in die Zuschauersessel zurückfällt. Immerhin zeigt dieser Einsatz, dass es den Fehlfarben doch um die Musik geht und nicht ums abkassieren. Und „Monarchie & Alltag“ klingt auch noch lange nach …

Bisherige Rezensionen zu den Fehlfarben auf schallplattenmann.de

Offizielle Homepage der Fehlfarben

(Foto: TheNoise)

Dreamcar „Dreamcar“

[rating=2] Unterhaltsam

Erinnert sich noch jemand an No Doubt, die Combo um die sehr blonde Sängerin Gwen Stefani? Hier sind drei ihrer Mitstreiter mit neuem Sänger: Tom Dumont an der Gitarre, Tony Kanal an Keyboards und Bass, Adrian Young am Schlagzeug – also drei Viertel von No Doubt  – und als Sänger Davey Havok, der als Punker bei den hierzulande eher unbekannten Bands AFI und Blakq Audio gesungen hat. Jetzt sieht er ein wenig aus wie Russel Mael von den Sparks. Schnurrbärte sind schon länger wieder salonfähig, jetzt  anscheinend auch die Achtzigerjahre. Soviel 80er-Sound in einer brandneuen Produktion war selten. Wer „Kill for Candy“ hört, meint sofort, dass wir wieder 1981 haben. Handelt es sich hierbei um Ironie oder um eine Art historisch-kritischer Aneignung des britischen New Wave mit Bands wie ABC, Culture Club, Duran Duran oder A Flock of Seagulls? Eher nicht.
Dreamcar meinen das anscheinend ernst. So bekennt Tony Kanal sich in einem Interview mit dem Rolling Stone zwar einerseits zu den deutlich hörbaren musikalischen Einflüssen, behauptet jedoch gleichzeitig tapfer, man habe etwas Neues geschaffen. Davon kann über weite Strecken des Debütalbums zwar keine Rede sein, aber weil die vier Musiker und ihre Helfer Profis sind, legen sie eine sorgfältig eingespielte und produzierte Platte vor. Diese ist durchaus eingängig und unterhaltsam, wobei für ältere Hörer noch ein gewisser Déjà-vu-Effekt hinzukommt. Man kennt die verschatteten, durch Echo-Effekte gejagten Gitarren, die Power-Drums, den Slapping-Bass und die üppigen Keyboards noch von den oben genannten Bands. Deren oft vorwärts treibenden Rhythmus hat man passenderweise gleich mit übernommen. Sänger Davey Havok hat seine Punk-Vergangenheit nicht nur optisch hinter sich gelassen, sondern beherrscht auch den Gesangsstil eines Martin Fry von ABC. Er setzt aber wenig eigenständige Akzente und fügt sich somit nahtlos ins Sound-Konzept von Dreamcar.
Wer aber braucht so etwas? Ältere mögen sich nostalgisch an ihre musikalische Früherziehung erinnern, für jüngere mögen Dreamcar gar neuartig wirken. Amerikanische Musikmagazine wie Billboard und  Rolling Stone raunen von einer Supergroup, aber das kann man getrost unter Marketing-Geklingel verbuchen. Für ein New Wave-Revival wird es vermutlich nicht reichen, aber ganz unterhaltsam ist das Debut von Dreamcar schon geworden.

(Cover: Sony Music)

Tim Vantol „Burning Desires“

[rating=2]Konventionell, aber unterhaltsam

Tim Vantol ist ein Singer/Songwriter und Gitarrist aus Amsterdam, aber seine gut gelaunte Mischung aus Country und Folk könnte ebenso aus Amerika stammen. Seine Musik ist massentauglich und passt problemlos ins nachmittägliche Radioprogramm. Tim Vantol erfindet das Genre also nicht neu, geht aber unbekümmert an die Sache und startet seine dritte CD, „Burning Desires“, direkt mit eingängigen Melodien und ungekünsteltem Gesang. Zwar seien ihm, wie er selbst sagt, mehr als genügend andere Musiker in Sachen Technik und Stimmbeherrschung überlegen. Er mache jedoch einfach die Musik, wie er sie vermöge und weil es ihm Spass mache.
Das erinnert entfernt an die Haltung der Punk-Bewegung. Und tatsächlich hat Vantol kurz bei Antiintellectual gespielt, einer holländischen, von Punk beeinflussten Band. Jenes Erbe ist auf „Burning Desires“ am ehesten im geradlinigen, bisweilen etwas lauten und heiseren Gesang von Tim Vantol und in den einfachen Rhythmen zu entdecken. Aber auch der Song „The Hardway“ mit seinen drei Akkorden und dem ‚Fussballchorus‘ erinnert in mancherlei Hinsicht daran. „Follow your Heart“ lautet dessen Refrain, was auch Vantols musikalischen und sprachlichen Kosmos umreißt. Er hat das Herz auf dem rechten Fleck und singt gerne über das Leben an und für sich, über das Reisen und Nachhausekommen und über die Erlebnisse auf dem Weg dazwischen. Die Freiheit und die Sehnsucht, nie zu altern, besingt er in „We’re not gonna make it“, und „I’m restless, but I’m satisfied“, bekennt er in „Restless“.
Im Abschlusstitel, „’67 in Broken White“, beschränkt sich Tim Vantol auf seinen heiseren Gesang zur akustischen  Gitarre. „I wish, I could take your for a ride on those breezy summer Nights“, singt er dort und formuliert damit seine Version der Singer/Songwriter-Romantik.

Die Songs und ihre Interpretation gefallen, auch wenn man alles schon einmal gehört hat. Zum Nachteil gereicht Tim Vantol am ehesten, dass die Rolle des rauen, aber liebenswerten Barden, der uns von seinem Wanderleben musikalisch erzählt, schon recht häufig prominent besetzt war. Dass er auch mit seinem dritten Album nicht versucht, die doch recht breit ausgetretenen Wege des umherschweifenden Troubadours mit Klampfe zu verlassen, kann durchaus enttäuschen. Aber hey: Er bietet immerhin unterhaltsame 40 Minuten Musik, nicht überproduziert und handgemacht.

→ [Offizielle Homepage](http://www.timvantol.com) von Tim Vantol

(Cover: Odyssey Music)

Dinosaur Jr. „Give a Glimpse of What Yer Not“

dinosaur[rating=3] Solider Indie-Rock aus der Prä-Grunge-Ära

J. Mascis ist ein Kauz, um das Mindeste zu sagen. Maulfaul, verschroben, lebt in seiner eigenen Welt. Irgendwie logisch, dass der Sänger, Gitarrist und Kopf der amerikanischen Indie-Band Dinosaur Jr. von aktuellen Trends völlig unbeeinflusst scheint. Einerseits ist das sympathisch, denn der gegenwärtige Zustand der Rockmusik mag manchem nicht so beneidenswert erscheinen. Andererseits vermitteln bereits die ersten Takte der neuen CD ein äusserst seltsames Gefühl eines Dé­jà-vu.
Hat man nicht genau diese Schrammelgitarre und diesen leicht nöligen Gesang schon in den Achtzigern gehört? Stammen die Aufnahmen wirklich aus dem Jahre 2016 und nicht von 1987? Damals erschien mit „You’re Living All Over Me“ die zweite CD von Dinosaur Jr. Sie entzückte die Kritiker und eine Handvoll Fans. Das Album nahm das vorweg, was unter dem Etikett Grunge etwas später Nirvana zum Erfolg verhalf. J. Mascis, Lou Barlow, der Bassist und Drummer Murph hatten ausser Anerkennung wenig davon abbekommen. Ob dies Mascis störte, ob er es überhaupt zur Kenntnis nahm, bleibt ungewiss. Knapp dreissig Jahre später klingt der Mann, mittlerweile auch schon fünfzig, wie ehedem. Fortschritt in der Musik? Ach, lass mal. Erwachsen werden? Wozu?
Nun hört und sieht man bei Live-Auftritten also drei ältere Herren, die auf ihre Instrumente eindreschen wie Jungspunde, ihre ergrauten Mähnen im Takt schütteln und versuchen, eine gute Zeit zu haben. Ist das heute Relevant? Nein. Ist das unterhaltsam? Durchaus. Braucht die Welt den amerikanischen Indie-Gitarren-Sound der Achtziger heute? Muss jeder individuell entscheiden.
„Give a Glimpse of What Yer Not“ wird daher vermutlich das Small-Time-Business von Mr. Mascis und seinen Kumpels nicht auf das nächste Level heben. Die Band wird damit auch keine Trends setzen und wortgewaltige Kritiker zu Begeisterungsstürmen über die Zukunft des Pop hinreißen. Ebenso werden die permanent aufgeregten Teilnehmer des medialen Rockzirkus die Platte vermutlich ebenso ignorieren wie bereits 1987 den Vorgänger. Gut so, denn wer nichts Neues erwartet, wird hier solide bedient. Mascis singt über irgendetwas, seine Gitarre jault und knarzt verzerrt, bisweilen zeigen sich ansatzweise Melodien, der Bass bleibt solide auf dem Teppich und der Drummer trommelt eben. Ein schnellerer Song, dann ein ruhigerer, mal ein bisschen Dylan oder Neil Young und ganz viel Dinosaur Jr. – von zarten Momenten bis hin zu Feedback-Gewittern. Wie gesagt: nichts Neues – Welcome to J’s World, if you please.

(Cover: Dinosaur Jr. Bandcamp)

Mick Harvey Delirium Tremens

MickHarvey_DeliriumTremens_Packshot[rating=3]Dicht am Original: Serge Gainsbourgh-Cover-Album, dritter Akt.

Mick Harvey, der australische Gitarrist und Weggefährte von Düstermann Nick Cave, legt sein seit 1985 drittes Album mit Kompositionen des französischen Sängers Serge Gainsbourgh vor. Was reizt einen wie Harvey an diesen Titeln? Zunächst vermutlich der Gegensatz zum Rockgenre. Harvey merkt an, dass in seiner australischen Heimat seinerzeit selbst amerikanische Musik schwer zu bekommen war; französische Neo-Chansons von Serge Gainsbourgh vermutlich noch viel mehr. Bekannt waren dort nur, ähnlich wie in Deutschland, der Song „Je t’aime“, das Duett mit seiner damaligen Lebensgefährtin Jane Birkin. Jenes Opus fehlte seinerzeit bei keiner Pubertierenden-Party, wenn sich nach Mitternacht die Paare fanden und verschmolzen. Bekanntlich hat Serge Gainsbourgh viel mehr Musik gemacht. Diese fand jedoch außerhalb der französischen Landesgrenzen nur wenig Interesse.

Bei „Delirium Tremens“ handelt es sich um ein Liebhaberwerk, was bei Harvey nicht kritiklose Hingabe, sondern kongeniale Neuinterpretation bedeutet. „SS C’est Bon“, von Gainsbourgh ursprünglich als Provakation gegen jene Landsleute gedacht, die dem Vichy-Regime von Hitlers Gnaden und der späteren deutschen Besatzung durchaus positive Züge abgewinnen konnten, kommt hier als Mischung aus Bad-Seeds-Krach und schwarzem, zynischen jüdischen Humor daher, garniert mit Elementen der deutschen Nationalhymne. Harvey hat sich die Mühe gemacht und die französischen Texte allesamt ins Englische übersetzt, wobei er an den Übersetzungen teils schon seit den Achtziger-Jahren feilte.
Wie bei seinen ersten Alben mit Gainsbourghs Songs, „Intoxicated Man“ und „Pink Elephants“ wurden bereits 2014 als Doppelpack wiederveröffentlicht, interpretiert Mick Harvey Titel aus den verschiedenen Schaffensperioden des Chansonniers. Das erwähnte „SS C’est Bon“ entstammt dem skandalträchtigen Album „Rock around the Bunker“ von 1975, „Coffee Colour“, dagegen, eine Hommage an Mädchen mit dunklem Teint, aus den frühen Sechzigern. Gainsbourgh zog als Musiker und Sänger alle Register, während Mr. Harvey die Songs in beinahe stoischem Ton herunterbrummt. Das macht er aber so, dass es schon wieder Spass macht. Musikalisch erlaubt der Mann sich ebenfalls kaum Extravaganzen, sondern bleibt dicht beim Original. Hin und wieder bearbeitet Mick Harvey die Songs und lässt auch mal teutonische Rhythmik á la Rammstein einfliessen. Die Duette jedoch – unter anderem mit Gattin Katy Beale („The Decadance“) – wirken fast, als ob die Ehrfurcht die Oberhand behält. Dies führt dazu, daß an den Neuinterpretationen nur der wirklich Spass hat, dem Gainsbourgh und seine Musik gefallen. Noch mehr Spass hat vermutlich der, welcher die Originale kennt und vergleichen kann.
Das Album ist dennoch keine elitäre Sache für Eingeweihte, sondern bietet die Gelegenheit, das Werk des kontroversen französischen Dandys und Musikers zu entdecken. Harvey und seine Band machen ihre Sache dabei überwiegend recht gut. Anders als der übermäßige Genuß von zuviel Alkohol hat „Delirium Tremens“ praktisch keine schädlichen Nebenwirkungen – ausser einigen Momenten gepflegter Langeweile.

(Cover: Mute Records)

 

The Jon Spencer Blues Explosion, 4.3.2016, Rote Fabrik, Zürich (CH)

DSC_3242„Ladies and gentlemen, the Blues Explosion“, verkündet Jon Spencer wiederholt zwischen
den Stücken. Obwohl er sicher sein kann, dass jeder im Saal weiß, wer hier den Bulldozer mit veredeltem Trash durch die Menge schiebt, gibt er den altmodischen Entertainer. Das ist durchaus passend zu einer Musik, die bereits aus der Zeit gefallen scheint. Doch vielleicht zeigt gerade das, wie zeitlos The Jon Spencer Blues Explosion ist. Und auch wenn die Besetzung – zwei Gitarren und Schlagzeug – längst nicht mehr neu ist, fragt man sich einmal mehr, wofür andere Trios einen Bassisten brauchen.

The Jon Spencer Blues Explosion stehen kompakt auf der Bühne und lassen einen guten Teil
der Fläche ungenutzt – fast so, als ob sie sich spüren müssten. Tatsächlich scheinen sie
sich praktisch blind zu verstehen. Doch der gedrängte Aufbau versinnbildlicht, dass bei JSBE
nichts ausfranzt, dass die Songs ungemein dicht sind und straight ins Publikum gerotzt
werden. JSBE prügeln unerbittlich mit dem Rockbrett, knurren den Blues, zitieren
Sprechgesang und zeigen in einer ganz kurzen Anspielung, dass sie auch schon atonaler unterwegs waren als jetzt.
Das alles kommt wie eh und je direkt aus der Gosse – ramschige Fundstücke, die Jon Spencer, Judah Bauer und Russell Simins neu sortieren, zu Edeltrash aufhübschen und wuchtig in die Welt hinausdonnern. Im Hintergrund flimmern Filmausschnitte mit Aliens, Zombies und Dracula, tanzen Gogo-Girls und schüttelt ein Skelett rhythmisch seine Knochen. Auch das ist von gestern
– und verfehlt seine Wirkung trotzdem nicht. Es fügt sich stimmig in die ‚anything goes‘-Haltung, die JSBE mit ihrer Musik zelebrieren.

Bisherige Rezensionen zu The Jon Spencer Blues Explosion auf schallplattenmann.de

Offizielle Homepage von The Jon Spencer Blues Explosion

(Foto: TheNoise)

Die Nerven, 26.02.2016, Palace, St. Gallen (CH)

DSC_2988Die Bassdrum knochentrocken, hart und düster die Gitarre, einzig der Bass sorgt immer wieder für einen schummrig warmen Lichtstrahl in der Finsternis. Die Nerven präsentieren sich wie ein Schwarzweißbild, das Anton Corbijn in einem heruntergekommenen Londoner Vorort geschossen hat – grobkörnig, verwischt und trotzdem eigenartig deutlich.
Das Trio reiht seine Stücke fast nahtlos aneinander und entwickelt so einen mitreißenden Sog. Der bleibt jedoch auch dann gut akzentuiert, wenn Die Nerven ihre brachialen Klänge zu einem fürchterlichen Grollen ausbauen, das wie ein Soundtrack zu einem Endzeitfilm wirkt.

Es ist zwar weder neu, die Songs Live wesentlich härter zu bringen als auf dem Album, noch sind die Nerven die Ersten, die einen Auftritt mit Rückkoppelungs-Gewitter beenden. Das bleibt, obwohl sie es etwas überdehnen, trotzdem gewaltig. Dass das Gegenstück – die Musik zum ‚piano pianissimo‘ auf das leise Surren aus den Lautsprechern zu reduzieren – nicht funktioniert, ist hingegen nicht der Band anzulasten. Denn obwohl Sänger und Gitarrist Max Rieger mit eindeutigen Gesten um Stille bittet – zerredet das Publikum die Sequenz, die ein magischer Moment hätte werden können.

Bisherige Rezensionen zu Die Nerven

Offizielle Homepage von Die Nerven und die nächsten Auftritte

(Foto: TheNoise)