Schlagwort: Country

Dead Brothers „Angst“

Struwwelpeterschauerliche Mischung

Die Lage der Nation ist eine Steilvorlage für die Dead Brothers. Obwohl die Statistiker in vielen Bereichen einen Aufwärtstrend feststellen und die Müllhalden ungebrochen wohlfahrtsstaatsmäßig anwachsen, ist Angst das bestimmende Lebensgefühl weiter Kreise. Das ist nicht nur ein guter Nährboden für Populisten, sondern auch für die Dead Brothers.
Die Genfer Gruppe ist mit ihrem achten Album unterwegs und sammelt diejenigen Moribunden ein, die den Untergang fröhlich zelebrieren möchten. Die Sensen der Schnitter-Brüder hören auf die Namen Tuba, Gitarre, Violine, Trommel, Akkordeon und Dudelsack. Und – natürlich – den Gesang lieben sie auch.

Dass die Dead Brothers musikalische Einflüsse ohne Stand und Ansehen mitnehmen und mit punkiger Attitüde so vermengen, dass man ihre Herkunft nicht mehr sicher heraushören kann, ist ein Grundprinzip. Da klingt der Auftakt eines Songs mal vage kubanisch oder nach Rembetiko, nur um bereits nach wenigen Takten schnöde mit einer anderen Spielart übertüncht zu werden. Mal klingt Balkanmusik an, mal scheinen die Dead Brothers von dem Lied „Wir sind die Moorsoldaten“ inspirieren worden zu sein. Und dass sie sich der heimischen Volksmusiktradition annehmen, ist typisch für die Dead Brothers und wird hier wiederum so vergnüglich wie originell inszeniert: Auf die Idee, beim Appenzeller Naturjodel die Stimmen nur schwer vernehmbar in den Hintergrund zu schieben, muss man erst einmal kommen.
Das klingt wie Theatermusik, und das ist kein Wunder, sind sie doch auf Theaterbühnen gerne gesehene Akteure, wie die Vertonung des Robert-Walser-Gedichts „Angst“ für eine Inszenierung am Stadttheater Hannover zeigt. Anders als Heinz Holliger, der es hoch artifiziell vertont hat (vor 20 Jahren in seinem Projekt „Beiseit“), bringen die Dead Brothers eine standesgemäße Struwwelpeter-Variante.

Die Dead Brothers schwingen die Sense nicht immer treffsicher. Doch selbst wenn sie dann wie eine weniger eloquente, ländliche Kopie des frühen Tom Waits klingen, sind sie immer noch vergnüglich.

Offizielle Homepage der Dead Brothers

(Foto: Voodoo Rhythm)

Tim Vantol „Burning Desires“

[rating=2]Konventionell, aber unterhaltsam

Tim Vantol ist ein Singer/Songwriter und Gitarrist aus Amsterdam, aber seine gut gelaunte Mischung aus Country und Folk könnte ebenso aus Amerika stammen. Seine Musik ist massentauglich und passt problemlos ins nachmittägliche Radioprogramm. Tim Vantol erfindet das Genre also nicht neu, geht aber unbekümmert an die Sache und startet seine dritte CD, „Burning Desires“, direkt mit eingängigen Melodien und ungekünsteltem Gesang. Zwar seien ihm, wie er selbst sagt, mehr als genügend andere Musiker in Sachen Technik und Stimmbeherrschung überlegen. Er mache jedoch einfach die Musik, wie er sie vermöge und weil es ihm Spass mache.
Das erinnert entfernt an die Haltung der Punk-Bewegung. Und tatsächlich hat Vantol kurz bei Antiintellectual gespielt, einer holländischen, von Punk beeinflussten Band. Jenes Erbe ist auf „Burning Desires“ am ehesten im geradlinigen, bisweilen etwas lauten und heiseren Gesang von Tim Vantol und in den einfachen Rhythmen zu entdecken. Aber auch der Song „The Hardway“ mit seinen drei Akkorden und dem ‚Fussballchorus‘ erinnert in mancherlei Hinsicht daran. „Follow your Heart“ lautet dessen Refrain, was auch Vantols musikalischen und sprachlichen Kosmos umreißt. Er hat das Herz auf dem rechten Fleck und singt gerne über das Leben an und für sich, über das Reisen und Nachhausekommen und über die Erlebnisse auf dem Weg dazwischen. Die Freiheit und die Sehnsucht, nie zu altern, besingt er in „We’re not gonna make it“, und „I’m restless, but I’m satisfied“, bekennt er in „Restless“.
Im Abschlusstitel, „’67 in Broken White“, beschränkt sich Tim Vantol auf seinen heiseren Gesang zur akustischen  Gitarre. „I wish, I could take your for a ride on those breezy summer Nights“, singt er dort und formuliert damit seine Version der Singer/Songwriter-Romantik.

Die Songs und ihre Interpretation gefallen, auch wenn man alles schon einmal gehört hat. Zum Nachteil gereicht Tim Vantol am ehesten, dass die Rolle des rauen, aber liebenswerten Barden, der uns von seinem Wanderleben musikalisch erzählt, schon recht häufig prominent besetzt war. Dass er auch mit seinem dritten Album nicht versucht, die doch recht breit ausgetretenen Wege des umherschweifenden Troubadours mit Klampfe zu verlassen, kann durchaus enttäuschen. Aber hey: Er bietet immerhin unterhaltsame 40 Minuten Musik, nicht überproduziert und handgemacht.

→ [Offizielle Homepage](http://www.timvantol.com) von Tim Vantol

(Cover: Odyssey Music)

Jonathan Jeremiah „Oh Desire“

[rating=3] Ein durchweg gutes Album
Der britische Sänger und Gitarrist Jonathan Jermiah legt mit „Oh Desire“ ein hörenswertes neues Album vor. Stilistisch durchaus uneinheitlich, wie man es von Jeremiahs bisherigen Veröffentlichungen kennt, pendelt auch dieses zwischen Folk-Jazz, Jazz, Pop und Soul. Deutliche Reminiszenzen an Otis Reddings unzerstörbaren Klassiker „Sitting on the Dock of the Bay“ liefert etwa sein „Smiling“, und bei „Walking on Air“ stellte sich die leise Erinnerung an „Solid Air“ von John Martyn ein. Jeremiah steht also auf den Schultern großer Musiker der sechziger und siebziger Jahre, was zusätzlich durch die analogen 16-Spur-Aufnahmen, mit denen die Titel aufgenommen wurden, akzentuiert wird.
Bleibt da Raum für eigenes? Sein Debüt 2011, „A Solitary Man“, wirkte bei aller Qualität seiner angenehmen Bariton-Stimme teils glatt und zerfahren, und mit dem Himmel voller Geigen, der beinahe in jedem Song dräute, auch überproduziert. Die etwas eigenwillige musikalische Mischung aus Big-Band-Jazz, Folk, Soft-Rock und seinem Aussehen, das wie eine Kreuzung aus Cat Stevens und modernem Hipstertum wirkt, schienen ihn nur bedingt zum Posterboy sensibler junger Menschen zu prädestinieren, die am virtuellen Lagerfeuer neben dem CD-Player Wärme suchten. Allein, der Erfolg wirkte bestätigend. Nun, einige Jahre später, sind die Big-Band-Anklänge weitgehend verschwunden, und die Geigen schluchzen ebenfalls dezenter. Nur im kurzen Eröffnungstitel und in „Rosario“ dominieren sie noch.
Geblieben ist die Liebe Jeremiahs zum klassischen Soul, zu Folk-Jazz und Soft-Pop, zur angejazzten Ballade. Hinzugekommen ist zudem eine feste Band, die bei der Umsetzung der vielfältigen musikalischen Ideen den Ton trifft. Und dieses Mal produzierte der Künstler selbst. Herausgekommen sind 13 Songs, die jedoch nicht alle im musikalischen Gedächtnis haften bleiben. Aber „Oh Desire“ ist, etlichen überraschenden Wechseln in der musikalischen Farbe zum Trotz, ein durchweg gutes Album geworden. Dem Thema Verlangen verhaftet, erzählt Jeremiah mit seiner angenehm tiefen Stimme Geschichten vom Tod der Eltern, Mythen der irischen Heimat („The Devils Hillside“), wie er diese Mythen aus den Erzählungen der Mutter als Kind kennen lernte oder vom hektischen, lauten Großstadtleben in London und der Sehnsucht nach dem vermeintlich einfachen Leben in der Natur. In „Rising Up“ räsonniert er darüber, daß – anders als in seiner Jugend – Bildung und Fleiß jungen Leuten keineswegs den Aufstieg ermöglichen oder auch nur erleichtern. Die sozialen Barrieren seien so hoch wie nie.
In der Summe seiner Musik und Texte bleibt sich Jonathan Jeremiah mit „Oh Desire“ treu, wenngleich einige behutsame, gleichwohl hörbare, Änderungen die neue Veröffentlichung prägen.   

Yellow Teeth „Night Birds“

yellow_teeth_night_birds_cover_jpeg[rating=3] Einfach und gut oder einfach gut. Anhören und ins Träumen kommen.

»Folk Songs and Hard Working Blues« versprechen Yellow Teeth auf ihrem soeben erschienenen Erstling, und genau das trifft es. Man meint zunächst, einen von schier endlosen Highways, von zuviel Whiskey and Women gegerbten amerikanischen Singer-Songwriter mit ganz viel Lebenserfahrung zu hören. Aber, Überraschung: Es ist ein junger Typ, der aussieht wie John Fogerty um1970, und der uns dieses wunderbare Album voller skurriler Geschichten und staubtrockener Klänge  präsentiert. Eine erstaunlich reife Stimme, gerne auch im Duett mit einer Sängerin, eine gezupfte akustische Gitarre, eine Mundharmonika, die klingt, als ob wir uns im Jahre 1962 befänden und einem jungen Großmaul aus Dulluth, Minnesota im Greenwich Village lauschten. Dazu gute Songs und Stories. Mehr braucht es nicht und daher ist es auch für uns Hörer letztlich immer noch ’so was von egal‘, ob Tiziano Zandonella und seine Mitstreiter aus dem Kanton Wallis, aus Minnesota, Memphis oder Maschen, wie Truck Stop sangen, kommen. Klar, manche Textzeile wie die hinlänglich bekannte »All the Troubles I’ve seen« nehmen wir mal als nicht ganz so originelles Zitat, denn soviele ‚Troubles‘ werden es schon nicht gewesen sein, die sie im Wallis erlebt haben. Und sicher: Wer will, hört sogleich die übergroßen Vorbilder wie Neil Young, Bonnie ‚Prince‘ Billy, Townes van Zandt, His Bobness und so fort heraus (die allesamt auch Vorbilder hatten). Aber „Night Birds“ zieht einen praktisch vom ersten Takt an in seinen Bann. Denn die künstlerische Darbietung wirkt in sich stimmig und die Musik ist gut gespielt.
Das ganze Album ist durchdacht und verbreitet eine ganz eigene Atmosphäre, die sich nicht im Beschwören bekannter Bilder amerikanischer Weite erschöpft, sondern auch die eigene Innenwelt des Sängers gekonnt auslotet. Also: anhören und geniessen.

Yellow Teeth haben mit „Night Birds“ eine tolle Platte geschaffen, der man ganz viele Hörer wünscht.

Neko Case, Mojo Club, Hamburg, 29.11.2013

Neko Case & Kelly Hogan im Mojo Club, Hamburg (Foto: Helge Buttkereit)[caption id="attachment_2079" align="alignleft" width="219"]Neko Case & Kelly Hogan im Mojo Club, Hamburg (Foto: Helge Buttkereit) Neko Case & Kelly Hogan im Mojo Club, Hamburg (Foto: Helge Buttkereit)[/caption]

Sie wirkt zerbrechlich und etwas deplatziert, wenn sie auf der Bühne steht und singt. Denn Neko Case Haare sind zerzaust, sie trägt eine eher nach Freizeit aussehende Leggins und einen schlabbrigen Pullover. Neko Case steht nicht als abgeklärte Sängerin auf der Bühne des Hamburger Mojo Clubs an der Reeperbahn, als die sie nach 15 Jahren eigentlich zu erwarten wäre. Die mittlerweile 43-Jährige scheint an einem Scheitelpunkt ihrer Karriere angekommen zu sein, immerhin scheint sie die Depressionen überwunden zu haben, von denen sie in einem Interview mit dem Guardian erzählt hat. Case singt noch immer grandios, ihre Stimme schafft es weiterhin, die (zu wenigen) Zuschauer in ihren Bann zu ziehen und dabei dem Text einen ganz besonderen Ausdruck zu verleihen. Aber ist dies wirklich das Richtige für Neko Case? Hat ihr das jahrelange Leben auf der Bühne und auf der Tour nicht vielleicht doch so viel zugesetzt, wie man es in ihrem Gesicht zu erkennen glaubt, das eher nach Erschöpfung denn nach Freude aussieht? Viele Gedanken, die das immer zerbrechlich scheinende Äußere aufdrängt.

[caption id="attachment_2082" align="aligncenter" width="300"]Neko Case (Foto: Helge Buttkereit) Neko Case (Foto: Helge Buttkereit)[/caption]

Auf der anderen Seite wird sie von einer Band begleitet, die mit Case an der Gitarre sowohl ein grandioses Rock-Feuerwerk wie bei „Man“, dem Abschluss des regulären Sets, abliefern kann und die gleichzeitig die leisen Töne beherrscht. Dabei wird dann die Stimme von Neko Case besonderes in den Vordergrund gerückt. Ob „Maybe Sparrow“, „Set Out Running“ oder „The Tigers Have Spoken“ – die meist sanfteren Titel der vergangenen Alben spielen die Musiker um die langjährigen Weggefährten Jon Rauhouse (Gitarre, Steel Gutar und ein paar Töne Posaune) und Tom V. Ray (Bass) ebenso gekonnt wie die vielen Stücke des aktuellen Albums „The Worse Things Get, The Harder I Fight, The Harder I Fight, The More I Love You“. Ansagen und Scherze überlässt Case dabei Background-Sängerin Kelly Hogan, die ein wenig wie die Mutter der Kompanie wirkt und sicher auch eine gute Stütze für Neko Case ist. Sie lässt den Zuhörer und Zuschauer dann auch etwas beruhigter zurück, wenn das Konzert nach zu kurzer Zeit bereits zu Ende ist und auch die letzten nachhallenden Töne des Gesangs der Hauptdarstellerin verklungen sind. Für Neko Case scheint gesorgt und sie kündigt auch schon wieder weitere Konzerte an. Im Sommer komme sie zurück, sagt sie. Ein größeres Publikum sollte dann aber schon kommen, denn selbst wenn ein Neko-Case-Konzert nicht lange dauert. Es ist jede Minute wert.

Van Morrison „Moondance“ (Expanded Edition)

Van Morrison "Moondance" (Deluxe)

[amazon_image id=“B00DZJ82TY“ link=“true“ target=“_blank“ size=“medium“ class=“alignleft“]Van Morrison „Moondance (Expanded Edition)“[/amazon_image][rating=5] Ein echter Klassiker, neu poliert und  umfangreich ergänzt.

Mit den Begriffen ‚Rocklegende‘ und ‚Klassiker‘ ist man heute schnell zur Hand, gerade wenn man (wie ich) zu einer Generation gehört, die mit einiger Berechtigung glaubt, dass sie die besten Zeiten der Rockmusik miterlebt hat. Van Morrisons „Moondance“ ist allerdings tatsächlich eines jener Alben, das ohne jeden Zweifel die Bezeichnung Klassiker verdient, denn was die nordirische Rocklegende (jawohl, auch hier ist’s keine journalistische Übertreibung) Van Morrison im Februar 1970 mit einem guten Dutzend Musiker einspielte, war eine wahre Sternstunde der Rockmusik: Country, Rock, Rhythm & Blues und (hie und da) Jazz verschmelzten zu einer energiegeladenen und gleichzeitig entspannten Mischung, wie man sie zuvor noch nie gehört hatte.

Nun liegt das Album (endlich!) in sorgfältig remasterter Soundqualität vor – und mehr noch: Die „Expanded Edition“ bietet auf einer Bonus-CD elf weitere bisher unveröffentlichte Tracks, die während der Moondance-Sessions aufgenommen wurden: Diese Alternative Takes, Mono-Mixe und Outtakes zeichnen, gemeinsam mit den Originaltracks, ein präziseres Bild jener denkwürdigen Sessions nach und machen die außergewöhnliche Kreativität jener Tage greifbar. „Moondance“ hätte auch aus einer Fülle von Alternativen ganz anders klingen können – und dennoch wäre die Genialität dabei nicht verloren gegangen. Das Songmaterial, der ‚Sound‘ der Band, die Stimmung, die seinerzeit im Studio eingefangen wurden: All das führte offenbar geradezu zwangsläufig zu außergewöhnlich gutem Material, ein Highlight der Rockmusik aus Zeiten, bei denen Genre-Grenzen fließend und nicht trennend waren.

„Moondance“ ist in der Originalfassung ein immergrüner Glücksfall der Rockmusik. Durch das Bonusmaterial auf der „Expanded Edition“ wird das Album noch einmal aufgewertet und in einen größeren Kontext gesetzt oder, um es griffiger zu formulieren: Der Mond über „Moondance“ strahlt heller denn je.

Das Album erscheint nicht nur in der „Expanded Edition“, sondern auch in einer noch umfangreicheren „Deluxe Edition“ (4 CD/1 BluRay) und – für die Puristen – in der „Standard Edition“ als einfache CD mit dem remasterten Originalmaterial, ohne Bonustracks.

Promo-Video zur „Moondance: Deluxe Edition“ auf Youtube

Bisherige Rezensionen zu Van Morrison auf schallplattenmann.de

Offizielle Homepage von Van Morrison

Wikipedia-Artikel zu „Moondance“

(Bild: Networking Media)