Schlagwort: Liedermacher

Hannes Wader „Macht’s gut“

[rating=3] Typisch Wader – als Kompliment gemeint

Er sei die lange Zeit seiner Karriere ein „aufrechter Künstler“ gewesen, der „wichtige, hinreißende, herzöffnende Lieder“ geschrieben habe, lobt sein Bruder im Geiste, der nur wenige Jahre jüngere Konstantin Wecker, Hannes Wader bei seinem Abschied von der Bühne. Die beiden haben – auch gemeinsam mit der dritten deutschen Liedermacherinstanz dieser Generation, Reinhard Mey – oft zusammen auf der Bühne gestanden. Doch bei seiner letzten Tournee präsentierte sich Hannes Wader wie in seinen Anfängen alleine dem Publikum. Und man kann es sich nicht anders vorstellen, als dass jedes Konzert ein Heimspiel gewesen ist.

„Meine Lieder klingen nicht mehr so wie damals, frei und leicht“, singt Wader gleich im zweiten Stück seiner Abschiedstournee („Damals“) und mag damit recht haben. Es ist kein Wunder, dass der 75-Jährige nicht mehr über die strahlende Stimme des Mittzwanzigers verfügt. Aber auch heute noch ist sie unverkennbar, klingt immer noch angenehm weich und – ja, überraschend jung. Und auch die Gitarre zupft er immer noch ansprechend.

So treu sich Wader als Person geblieben sein mag und so einheitlich sein musikalisches Schaffen wirkt: Die Bandbreite seiner Lieder ist beträchtlich – von dezidiert sozialkritischen über schräg-humoristische und poetische bis hin zu Volksliedern. Der Liedermacher bringt erwartungsgemäß von allem etwas und kann damit wohl die meisten Fans glücklich machen. Und gleichzeitig wird den meisten mehr als ein Lied fehlen – er hat schlicht zu viele gute geschrieben oder adaptiert, um sie in einem Konzert unterzubringen.

Bisherige Rezensionen zu Hannes Wader auf schallplattenmann.de und im Blog.

Offizielle Homepage von Hannes Wader

(Foto: Qrious)

Bünger „Nie zu spät für eine glückliche Kindheit“

[rating=2] Ein Album für gewisse Stunden

Die Gemeinde Timmendorfer Strand in der Lübecker Bucht hatte in den Achtzigerjahren durchaus einen gewissen Einfluss auf die Hamburger Musikszene. So kam damals Schorsch Kamerun, seines Zeichens Sänger der Funpunker Die Goldenen Zitronen, zu erster öffentlicher Aufmerksamkeit. Auch Sven Bünger stammt aus jener Gegend und blickt nach eigenem Bekunden auf eine Jugend als Dorfpunk zurück. Das ist viele Jahre her. Kamerun ist heute anerkanntes Mitglied des etablierten Kunstbetriebs und Sven Bünger längst erfolgreicher Produzent in Hamburg, mit Klienten wie Johannes Oerding und Madsen.

Als Solokünstler ist Sven Bünger bislang nicht in Erscheinung getreten, was keineswegs verwundert. Denn Bünger reisst einen weder als Sänger noch als Gitarrist vom Stuhl. Seinen Sprechgesang muss man nicht mögen, seine deutschen Texte mit Titeln wie „Tut mir leid“, „Finde den Fehler“ oder „Ich brauche Nichts“ verströmen jedoch eine bisweilen leicht versoffene wirkende Lakonie, die von der knarzigen bluesrockigen Musik kongenial unterstützt wird.

Der Kern von Büngers Band, die gelegentlich von einem weiblichen Backgroundchor und Bläsern unterstützt wird, besteht aus einer zweiten Gitarre, Bass und Schlagzeug. Das klingt gut, wenn auch die Texte mitunter etwas deutschrockig sind oder wie aus der Zeit der Neuen Deutschen Welle wirken. Doch auch wenn Westernhagen und Co. grüßen lassen: Sven Bünger gibt dem Ganzen ein Update und eine eigene Note – so auch beim behutsam aufpolierten Trio-Cover „DaDaDa“. Freunde des deutschen Chansons wiederum kommen beim Titel „Verschwende“ auf ihre Kosten. Das seltsam unzeitgemäße „Maschinen“ hingegen erinnert an die Technikkritik einer zweitrangigen Neue-Deutsche-Welle-Band.

Wer dennoch zum Album „Nie zu spät für eine glückliche Kindheit“ greift, bekommt überwiegend Musik, die man gut live bei einem Bier in einem kleinen Club hören kann. Zu Hause kann man sie natürlich auch beim Bier hören, dann jedoch stellen sich rasch gewisse Abnutzungserscheinungen ein. Büngers stimmliche Möglichkeiten sind eben limitiert und sein nordischer Humor auch nicht jedermanns Sache. Aber eine Platte für gewisse Stunden ist „Nie zu spät für eine glückliche Kindheit“ trotzdem geworden.

(Cover: Chefrecords Ratekau)

Jenn Grant „Paradise“

[rating=2] Unverhohlen auf Radiotauglichkeit getrimmt

Mit „Paradise“ legt die kanadische Sängerin und Musikerin Jenn Grant ihr nunmehr sechstes Album vor. Zumindest in unseren Breiten blieb die Dame bislang eher unbeachtet, wenngleich sie auch in Europa fleißig tourte. Ob sie mit ihrem neuen Album größere Aufmerksamkeit erlangen wird, ist ungewiss. „Paradise“ entstand in intensiver Zusammenarbeit mit ihrem Ehemann und Produzenten in ländlicher kanadischer Abgeschiedenheit. Allerdings hören wir hier keine folkloristische Versponnenheit fernab der Klänge der Metropolen, sondern eine durchaus gefällige Mischung aus verträumten Popsongs, Balladen und im weiteren Sinne Singer/Songwriter-Werken. Grant äußert zwar tapfer, dass sie mit ihrem neuen Opus in bislang unbekannte klangliche ‚galaktische Gefilde‘ vorstoßen möchte, aber das dürfen wir getrost unter Marketing-Geklingel verbuchen. Auch wenn sie, scheinbar selbstkritisch und zufrieden zugleich, bekennt, dass sie nun endlich ihrer eigenen stimmlichen Möglichkeiten gewahr werde, muss das niemand erschrecken. Die elf zumeist im Mid-Tempo gehaltenen Songs schielen unverhohlen auf Radiotauglichkeit – und das klappt auch. Jenn Grant ist gut bei Stimme. Doch diese ist nicht unverwechselbar. So oder ähnlich hat man schon etliche Sängerinnen gehört. Die Musik fällt auch nicht aus dem Rahmen, sondern bedient sich der handelsüblichen Zutaten mit einer Prise Synthies und Geigen hier, elektrischem Klavier dort und zu allem hübsche Melodien. Das ist ganz gut gemacht und dringt in die Gehörgänge, setzt sich dort aber nicht wirklich fest.
Fazit: Für Jenn Grant mag „Paradise“ ein Meilenstein ihrer musikalischen Entwicklung sein. Für den Hörer ist es eine weitere, gut gemachte Pop-Platte, die beim Hören durchaus ihre Wirkung zu entfalten vermag.

Offizielle Homepage von Jenn Grant

(Cover: Star House)

Synje Norland „Who Says I Can’t?“

norland[rating=3] Sparsam instrumentierter Kammerpop

Die Nordfriesin, Wahlkanadierin und Teilzeithamburgerin Synje Norland macht es einem nicht leicht. Abwehrend bis skeptisch, wenngleich nicht ängstlich, hebt sie die linke Hand wie ein Stoppsignal und blickt dem Hörer ihrer neuen CD selbstbewußt entgegen: Wer sagt, dass sie nicht könnte, wenn sie wollte? Das Zeug zur populären Sangeskünstlerin wie Helene-„Atemnot in der Nacht“-Fischer hätte sie allemal, das entsprechende Äußere ebenso. Synje Norland ist aber bislang unter ihrem eigenen Namen andere, anspruchsvollere Wege gegangen. So auch mit ihrem neuen Album. in Eigenregie eingespielt, arrangiert, komponiert und produziert und auf dem eigenen Label Norland Music veröffentlicht.

Unabhängigkeit scheint ein wichtiges Merkmal der Musik von Synje Norland zu sein. Das birgt Risiken, keine Frage. So vergingen vom letzten bis zum aktuellen Album gut fünf Jahre, in denen sie unter anderem mit Santiano tourte. Von deren Musik ist sie jedoch sehr weit entfernt.
Norland bietet eine recht interessante Mischung aus stimmlichen Varianten, die mitunter an Annie Lenox erinnern und durchaus popkompatibel sind und akustischem Kammerpop. Stimme, sparsame Instrumentierung, die vor allem von Michael Beckers Cello getragen und durch Norlands Spiel an Gitarre, Klavier, Schlagzeug oder Synthesizern ergänzt werden. Eher Moll als Dur, aber keine typische Liedermacher-Innerlichkeit, sondern von verträumt bis selbstbewußt gesungen. Auf jeden Fall weitab vom Mainstream und ein Erlebnis, das in den besten Momenten eine ganz eigene Stimmung schafft, die ein wenig an die dunkle Romantik der Lieder Franz Schuberts erinnert.

Norland hat ihre Ziele ehrgeizig hoch gesteckt, doch insgesamt fehlt noch die stilistische Einheitlichkeit, die aus „Who Says I Can’t“ einen Liederzyklus macht. Sie pendelt – vielleicht aus Unentschlossenheit, vielleicht aber, weil sie einmal das eigene Spektrum demonstrieren möchte – zwischen verschiedenen Welten. „Delirium Dive“ ist ein moderner, verträumter Folksong, und „Into the Blue“ mischt nicht ungeschickt Klassik und Folk. Michael Becker drückt „My Heavy Heart“ und etlichen anderen Titeln mit dem Cello seinen Stempel auf, und hin und wieder haben die zwölf Titel durchaus Popformat.
Ein bisschen viel auf einmal? Ach nein, insgesamt gesehen geht das mehr als in Ordnung. Am besten gelungen scheint, neben den beinahe jazzigen Passagen, der Titelsong „Who says i can’t“. Denn dort schaffen Norland und Becker ein ganz eigene, beinahe verwunsche Athmosphäre, die ihresgleichen sucht.

(Cover: Norland Music)

Jochen Distelmeyer „Songs from the Bottom Vol. 1“

distelmeyer[rating=3] Teils erstaunlich, teils langweilig

Jochen Distelmeyer, vormals Vordenker von Blumfeld und nummehr Teilzeit arbeitender Schriftsteller, gönnt sich eine kreative Pause. Er veröffentlicht ein Cover-Album mit gut abgelagerten Songs von Joni Mitchell, Al Green und sogar Pete Seegers „Turn, turn, turn“, das die meisten wohl von den Byrds kennen. Das klingt ganz gut, auch wenn die Welt sicher weder auf die folkpopige Version von Lana del Reys „Video Games“ gewartet hat noch auf die x-te Fassung des Seeger-Songs. Zwar gibt es viele Interpretationen fremder Songs, die das Original um Längen schlagen. Wer denkt bei „All along the Watchtower“ an Bob Dylan? Nicht der Songwriter, sondern Jimi Hendrix hat den Song berühmt gemacht. Ganz so kongenial ist Jochen Distelmeyer nicht. Ihm gelingt jedoch ein unaufgeregtes, von intellektuellem Ballast weitgehend befreitetes Album.
Wobei: So ganz ohne intellektuellen Überbau geht es bei einem Protagonisten der Hamburger Popschule natürlich nicht. Im bekannten anspielungsreichen und diskursverliebtem Jargon der Hamburger Schule lässt uns Jochen Distelmeyer einiges wissen: Den Titel des Albums verdankt er einem Kevin Ayers-Song. Die Songs spielte er während der Lesungen seines Romandebuts „Otis“. Die Titelauswahl hängt mit den Themen zusammen, die er darin verarbeitet hat – Hadesfahrten, Löcher, Leaks, Sexual Politics der Antike, Flüchtlinge und Kriegsheimkehrer – kurz: „Gesänge aus Basements, Backyards und tieferen Schichten“, so Jochen Distelmeyer.
Das klingt nach einem großen, wenn nicht gar großspurigen Versprechen. Er kommt ihm nicht immer nach. Distelmeyer hat eine angenehme Stimme, die Begleitung bleibt zurückhaltend. Bei der Songauswahl – darunter auch Britney Spears „Toxic“ und „Bittersweet Symphony“ von Verve – zeigt er eine schöne stilistische Spannweite, die durch den Gesang und die reduzierten Arrangements erstaunlich homogen klingt. Und Jochen Distelmeyer zeigt, dass er auch richtig gut sein kann – zum Beispiel beim Avici-Dancefloor-Knaller „I could be the One“. Perlende Klavierakkorde, Hall, akustische Gitarre, sparsame Synthiarrangements, gepflegte Melancholie – hier passt alles wunderbar. Womit wieder einmal bewiesen wäre, dass vermeintlich seelenlose Musik für den Massenmarkt und intellektuelle Musiker sich im Pop-Universum durchaus bestens vertragen können.
Fazit: nicht die Zukunft des Pop, aber zumindest ein gutes Album.

Erfolg „“Erfolg““

„Ich nenn‘ mich jetzt Erfolg, dann habe ich in meinem Leben immer Erfolg“ singt Erfolg im Song „Erfolg“ auf seinem Debut-Album „Erfolg“. Ganz schön dick aufgetragen, möchte man meinen, aber keine Angst: der will nur spielen. Er ist Johannes von Weizsäcker, Berliner Musiker, der statt „Rock“ im weiteren Sinne auf seinem Erstling, ja was eigentlich genau macht? Chanson? Kabarett? Pop? Das Erbe von Andreas Dorau und Max Goldt verwalten? Hier können wir nur mit einem entschiedenen „Vielleicht, vielleicht auch nicht“ antworten. Der beste Weg zum Erfolg ist, zunächst unbefangen seine Platte zu hören. Schnell wird klar, dass die angenehme – im weiteren Sinne – Popmusik sich dem Sprechgesang von Weizsäcker unterordnet. Wo dessen stimmliche Qualitäten nicht weiter reichen, hilft „“Der beste Damenchor aller Zeiten““, der natürlich genau das nicht ist, sondern eine muntere Ansammlung sangeskundiger Damen im Berliner Popformat. Das macht aber überhaupt nix, denn die Miniaturen oder Moritaten Weizsäckers, pardon: Erfolg, handeln von Leuten wie dem „Brillenmann“, der im angesagten Hauptstadtchic allerorten bei Konzerten, Lesungen oder Vernissagen Gesichtspflege betreibt. „Mausmann“ erweitert die Betrachtung prekärer Existenzen um einen zeitweiligen Fondsmanager, der gerne kocht, im Fernsehen zu Ruhm kommt und sein Leben fern aller deutschen Kochtöpfe beschließt und der „Gute Mann“ wird mit Verve besungen, jedoch aus ironischer Sichtweise. Das alles ist gut gemacht und beobachtet, aber trotzdem nur Musik für „gewisse Stunden“, die aber in jenen genau richtig ist. So ist das Leben, zumindest jenes von Teilen des Berliner Szenebiotops, das allen Tendenzen der Gentrifizierung zum Trotz – oder gerade deswegen? – wächst und gedeiht. Angenehm daran, daß das gewisse Pathos und – seien wir offen – die bisweilen große Berliner Schnauze hier fehlen, sondern stattdessen hintergründiger Humor, sanfte Ironie, leichte Melancholie und geschärfte Beobachtungsgabe dominieren. Zwar etwas textlastig, das Ganze, aber „mal was anderes“ aus dem kleinen deutschsprachigen Eck im Pop-Universum.[rating=3]

 

 

Various „Ayku: Songs of Gastarbeiter Vol. 1“

[amazon_image id=“B00FP45R5O“ link=“true“ target=“_blank“ size=“medium“ class=“alignleft“]Various „Ayku: Songs of Gastarbeiter Vol. 1″[/amazon_image][rating=2] Songs türkischstämmiger Musiker in Deutschland von den frühen 1970ern bis in die 1990er Jahre.

Was erfreut den aufrecht linken Lehrer, die evangelische Gemeinde mit angeschlossenem dritten Welt-Laden und die politisch interessierte Studentin gleichermaßen? Den Soundtrack zur korrekten Gesinnung – und den bietet der unermüdlich engagierte Trikont-Verlag mit „Songs of Gastarbeiter Vol. 1“.

‚Kleine‘ Einschränkung: ‚Gastarbeiter‘ bedeutet hier ausschließlich Türkei. Lediglich türkischstämmige Künstler und ihre in Deutschland entstandene Lieder wurden hier zusammengefasst (mit einer skurrilen Ausnahme, s. unten). Der thematische Kontext der Zusammenstellung bewegt sich vom agitatorisch-kämpferischen „Deutsche Freunde“ von Ozan Ata Canani aus den Siebzigern bis zu zaghaften World-Music-Anklängen aus den Neunzigern.

Bezeichnend, dass zumeist ‚typisch türkische‘, arabeske, Instrumente wie die Saz und entsprechende Klänge den ‚exotischen Sound‘ dominieren, aber auch Synthies und Drumcomputer zum Einsatz kommen, die den Songs etwas konventionelles, pop- oder schlagerhaftes verleihen. Das wirkt dann ein wenig wie eine politisch aufgeladene und bisweilen etwas amateurhaft produzierte Lesart der Popmusik.

Es gibt aber auch musikalische Aufnahmen: Asik Metin Türköz etwa, der zu sehr reduzierten Klängen zweisprachig singt oder Mahmut Erdal, der jenseits der Rhythmen und Klänge der Popmusik agiert. Gülcan Opel singt ihren Titel gleich in ihrer Heimatsprache, ebenso Yüksel Özkasap, den zahlreichen türkischen Fans als überaus erfolgreiche ‚Nachtigall von Köln‘ bekannt, dem deutschen Publikum bis heute eine Unbekannte. Ein Kuriosum der CD kommt von einem Künstler namens Yusuf, der davon singt, dass er als »Türkisch Mann nur türkisch leben kann«. Hört man genauer hin, entlarvt man die Masche: Ein unüberhörbar schlecht imitierter türkischer Akzent ‚mit angeklebtem Schnurrbart‘ von einem mäßig begabten (vermutlich deutschen) Sänger, 1977 von Decca (!) aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen veröffentlicht. Aus heutiger Sicht bestenfalls ein hilfloser Versuch, die Realität der ‚Gastarbeiter‘ in witzige, radiotaugliche Musik zu transportieren. Das Ergebnis ist im höchsten Maße rassistisch, wie man in einem Youtube-Video nachhören kann (das wir aus urheberrechtlichen Gründen an dieser Stelle nicht verlinken dürfen).

Echte Begegnungen sind auf der Zusammenstellung eher die Ausnahme: Gurbetci Riza adaptiert mit „Dir, Dir“ (etwa ‚Bla, Bla‘) ironisch-kritische Muster, die an die Rai-Musik französischer Herkunft erinnern, doch mit zunehmender Dauer des Aufenthaltes ‚in der Fremde‘ verlieren die Titel ihre kämpferischen Intentionen oder melancholischen Obertöne und orientieren sich zusehends professioneller an internationalen Standards der Weltmusik, was sie etwas austauschbar macht.

Fazit: Wer sich darauf einlässt, kann bei dieser durch den Berliner Autor Imran Ayata und den Münchner Schauspieler Bülent Kukkukcu (=Ayku) zusammengestellten Sammlung eine musikalische Reise durch einen Ausschnitt aus der Geschichte der Musik der türkischen ‚Gastarbeiter‘ in Deutschland bis zur türkischen Popmusik ‚Made in Almanya‘ – eine Stück Zeitgeschichte, die der deutschen Mehrheit nahezu unbekannt ist. Sozusagen Geschichtsunterricht mit Augenzwinkern und wippendem Fuß.

(Foto: Trikont)

Thea Hjelmeland „Oh, the Third..“

[amazon_image id=“B00FYBBYEG“ link=“true“ target=“_blank“ size=“medium“ class=“alignleft“]Thea Hjelmeland „Oh, the Third..“[/amazon_image][rating=3] Leicht angeschrägtes Debüt einer jungen Norwegerin.

„Oh, the Third..“ (Ja, mit zwei Pünktchen, nicht drei. Anm. d. Red) ist nicht, wie der Titel der CD vermuten lässt, die dritte Veröffentlichung der 25 Jahre jungen Norwegerin, sondern ihr bereits 2012 aufgenommenes Debüt. Wer jetzt bei Norwegen an die hoffentlich unsinkbare Wencke Myhre denkt, die kurzzeitig als Poster über meinem Bett hing (ich war jung und die Mädchen aus der Nachbarschaft kamen Frauen wie Wencke einfach nicht an), geht nicht völlig fehl, obwohl natürlich Jahrzehnte und Welten zwischen beiden liegen. Beides Norwegerinnen, beides bemerkenswerte Sängerinnen, aber damit enden die Gemeinsamkeiten auch schon. Thea Hjelmeland schreibt ihre Songs selbst und spielt dazu unter anderem Gitarre, Mandoline oder Klavier. Auch die hauptsächlich akustischen Arrangements stammen aus ihrer Feder.

Was erwartet den Hörer? Neun eher kurze Titel, die ein breites stilistisches Spektrum abschreiten, das von ruhigen, verträumten Nummern („Boredom“) über jazzige Songs („I Need“, „Candyman“) bis zu gemäßigtem Artpop („Perfume“) mit Kate-Bush-Referenzen reicht. Thea Hjelmeland beeindruckt vor allem mit stimmlicher Flexibilität. Scheinbar mühelos wechselt sie von klarer Kopfstimme bis in ein tiefes, geradezu lasziv gefärbtes Timbre.

Ihr variabler Gesang bildet die Klammer, die das Spektrum der hier verarbeiteten musikalischen Einflüsse verbindet. Wer nun jedoch Vokalakrobatik erwartet, wird gleichzeitig bedient und enttäuscht, denn Thea Hjelmeland betreibt keine Leistungsschau, vielmehr ist sie um die jeweils passende Atmosphäre für den Song bemüht. Musikalisch geht es der Norwegerin auf ihrem Debüt nicht um eine klare stilistische Einordnung oder gar um einen unverwechselbaren ‚Sound‘, sie zelebriert die Abwechslung.

Auf ihrer Website definiert sie ihre Musik als ›akustischen Pop mit melancholischem Einschlag, bei dem das Zentrum der Musik die Stimme bildet‹. Und dieses Konzept lässt einige Deutungen zu, wie im Verlauf von „Oh, the Third..“ klar wird. Konsequenterweise mag der eine oder andere Hörer einen musikalischen ‚roten Faden‘ vermissen. Das muss allerdings kein Nachteil sein, wenn man bereit ist, sich auf Überraschungen einzulassen.

Es ist mit diesem Album ein bisschen wie mit den Wundertüten aus jenen Zeiten, als Wencke Myrhe ihre großen Erfolge feierte: Wenn man sein Taschengeld in eine solch eine Überraschung investierte, wusste man auch nie, was man bekommt. Hier erwartet den Hörer das Album einer vielversprechenden Musikerin, die ihre eigene, unverwechselbare musikalische Signatur noch finden wird – oder darauf zugunsten einer stilistischen Bandbreite dauerhaft verzichtet.

„Oh, the Third..“ ist kein vollendetes Pop-Universum, sondern eher eines, das in der Entstehung ist: Mal schrill, mal schön, aber immer in Bewegung und damit lebendig. „Welcome to my World“ wäre auch ein passender Titel gewesen: Mehrfaches Anhören lohnt sich.

Tipp der Red.: Das gesamte Album kann man derzeit auf ihrer Soundcloud-Page streamen.

Homepage von Thea Hjelmeland

Soundcloud-Page von Thea Hjelmeland

(Bild: theahjelmeland.com)

Georg Ringsgwandl „Mehr Glanz!“

Georg Ringsgwandl [rating=2] Die Kurve bleibt flach, wenige Ausreißer nach oben

»Rauchen ohne Nikotin, Pommes ohne Kalorien/Kaffee ohne Coffein, Fixer ohne Heroin/Arbeit ohne Plackerei/Zahnweh ohne Schmerz/Streiten ohne Schlägerei, Liebe ohne Herz«: Unser Leben mag immer angenehmer, bequemer und gesünder werden – die Lebenslust bleibt auf der Strecke, mahnt Georg Ringsgwandl. Und wie immer, wenn der bayerische Liedermacher Alltägliches kommentiert, ist das auch auf „Mehr Glanz!“ überwiegend amüsant.

Ringsgwandl singt über die Kehrseite des Showbusiness, macht sich über den Liebhaber einer Freundin lustig aber er hält auch sentimentale Rückschau. Doch es sind eher kleine Feuerwerke, die er auf seinem neuen Album abbrennt. Einzig „Schmeiß den Typen raus“ bietet die volle Packung Wortwitz und Bösartigkeit, die Ringsgwandl so unnachahmlich beherrscht.

Musikalisch bleibt Georg Ringsgwandl im vertrauten R&B-Terrain, das er mit Kumpanen beackert auf die er sich verlassen kann. Daniel Stelter prägt die Stücke mit einer überwiegend treibenden Gitarre. Er spielt durchweg akzentuiert, mitunter atmosphärisch und gelegentlich funky. Dann steht er auch mal schützend vor dem Herrn und bügelt dessen Schwächen aus.

Bisherige Rezensionen zu Georg Ringsgwandl auf schallplattenmann.de

Offizielle Homepage von Georg Ringsgwandl

(Foto: Blanko Musik)

Various „Franz Josef Degenhardt – Freunde feiern sein Werk“

[amazon_image id=“B008VI09TU“ link=“true“ target=“_blank“ size=“medium“ class=“alignleft“]Franz Josef Degenhardt „Freunde feiern sein Werk“[/amazon_image]

Hommage an den großen Liedermacher

Vor zwanzig Jahren absolvierte ich einen Workshop in einem alternativen Selbstversorger-Zentrum. Während wir an Hörspielen puzzelten, erholten sich die anderen Gäste, durchweg eingefleischte Antikapitalisten, vom Klassenkampf. Eine sympathische Atmosphäre, deren Würze ein paar Eigenheiten waren, derentwegen wir unsere Eltern als spießig gescholten haben. Der Vorzeige-Kommunist studierte jeden Morgen die Aktienkurse in der NZZ. Seine Welt teilte er trotzdem in unten und oben ein, in Ausbeuter und Ausgebeutete. Welche Musik er hörte, weiß ich nicht. Für Kultur war neben Aktien und Klassenkampf kein Platz.

Dabei war er selbst ein Paradebeispiel dafür, dass die Fronten längst aufgeweicht sind, im Unten immer auch ein bisschen Oben mitschimmert. Dass Franz-Josef Degenhardt in seinen frühen Liedern eine klare Trennlinie zog und vielleicht später nicht mehr ganz aus seiner Haut konnte, ist verständlich. Aber selbst er, der gerne vom ‚Klassenfeind‘ sprach, erhob nicht nur plump den Zeigefinger gegen die Ungerechtigkeit. Er umschrieb sie poetisch und zeigte sich in seinen besten Liedern als einfühlsamer Beobachter, der die Geschichten für sich sprechen ließ. Viele seiner Lieder sind – auch wenn sie angesichts der aktuellen Wirtschaftslage etlichen aus der Seele sprechen mögen – durchaus nicht zeitlos. Man muss sie im historischen Kontext betrachten, um die altbackene Begrifflichkeit akzeptieren zu können.

Franz Josef Degenhardt hat tolle Lieder geschrieben: „Väterchen Franz“, „P.T. aus Arizona“, „Spiel nicht mit den Schmuddelkindern“ und viele mehr. Ihn zu feiern und ihm ein Tribute-Album zu widmen, ist gerechtfertigt. Zu sehen, was denn seine Nachfolger wohl mit den Liedern anstellen, ist ein interessanter Ansatz. Neben einiger altgedienter Musiker wie Konstantin Wecker machen bei diesem Album Goetz Steeger (der Degenhardts letzten Alben produziert hat), Degenhardts Söhne Kai und Jan, die „Kleingeldprinzessin“ Dota und Daniel Kahn mit. Doch egal wie jung die Interpreten sind: Sie präsentieren keine neue Lesart der Lieder, und sie bringen sie nicht frischer und lebendiger als der Degenhardt selbst. Und was noch schlimmer ist: Die meisten der eigenen Stücke – jeder Interpret liefert neben einem Degenhardt-Cover auch einen eigenen – klingen ebenso wie von gestern. Allenfalls Dota und Daniel Kahn heben sich davon ein wenig ab, und auch das kraftvolle Spiel Konstantin Weckers kann wieder begeistern.

Der klassische Protestsong hat ausgedient. Niemand wartet mehr auf ein neues Album von Wolf Biermann. Und auch Musiker wie der auf diesem Album nicht vertretene Heinz Ratz (Brot & Wasser), der seine Überzeugung wie kaum ein anderer Protestsänger mit tatsächlichem Engagement verbindet, hört man nicht nur wegen der Haltung: Seine Umsetzung in witzige Texte, sein drängender Gesang und die oft forsche Musik sind ebenso essenziell.

So gerne ich kritische Lieder höre und so sehr ich das Engagement für Veränderung schätze: Meist bleibt ein unangenehmer Beigeschmack, weil oft Poesie und Originalität auf der Strecke bleiben und weil die meist undifferenzierte, plakative Beschreibung der Verhältnisse nichts anderes als populistisch ist.

Es ist eben alles nicht mehr so einfach wie früher – obwohl es, objektiv betrachtet, auch damals schon ganz schön kompliziert war.

Bisherige Rezensionen zu Franz Josef Degenhardt
Bisherige Rezensionen zu Kai Degenhardt
Bisherige Rezensionen zu Konstantin Wecker
Bisherige Rezensionen zu Daniel Kahn
Bisherige Rezensionen zu Dota Kehr