Kategorie: Live – Musik spüren

Anja Lechner & Alireza Mortazavi, 20.08.2017, Alpentöne-Festival, Altdorf (CH)

Das Hackbrett ist nicht nur ein typisches Instrument des Alpenraums. Daher ist es nur folgerichtig, Musiker wie den iranischen Santur-Spieler Alireza Mortazavi zum Alpentöne-Festival einzuladen. Besonders exquisit: ihm als Duettpartner nicht etwa Volksmusikanten zur Seite zu stellen, sondern die Münchner Cellistin Anja Lechner. Denn auch Mortazavi pflegt das klassische Repertoire seines Heimatlands. Beide Musiker eint der überaus gefühlvolle Ausdruck und auch die unterschiedlichen Klangfarben der Instrumente harmonieren vorzüglich.
Wie impressionistisch hingetupft wirken die oft sparsamen Melodien von Alireza Mortazavi, der sich nicht zum furiosen Crescendo aufschwingen muss, um trotzdem virtuos zu wirken. Obwohl mitunter etwas zu leise, um gegen den vollen Klang des Cellos anzukommen, ist der Klang harmonisch.
Die beiden Musiker haben gut daran getan, die Musik für sich sprechen zu lassen. Außer dem Hinweis, den Anja Lechner vor einer von Tango-Meister Dino Saluzzi für sie geschriebenen Komposition macht, verzichten sie auf Erklärungen zu den Stücken und ermöglichen so den Zuhörern, sich der Umgebung zu entrücken und voll und ganz der Musik des Duos hinzugeben, das sich umtänzelt und dabei Klänge und Melodien verwebt, sodass man sich schon nach kurzer Zeit nicht mehr fragt, welches Stück gerade gespielt wird und woher es nun eigentlich stammt.

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(Foto: Alpentöne 2017/Raffi Brand)

„sCHpillit“, 20.8.2017, Alpentöne-Festival, Altdorf (CH)

Die Volksmusik diente klassischen Komponisten schon früh als Inspirationsquelle und fand so Einzug in Kompositionen beispielsweise von Béla Bartók und Gustav Mahler. 1991 – im Schweizer Pop war Mundart selbstverständlich und auch der Jazz hatte die traditionelle Musik längst aufgegriffen – vertonte Heinz Holliger mit „Alb-Chehr“ die Walliser Sage um zwei Hirten und einen übellaunigen Senn, die auf musizierende Geister treffen, was mit dem Tod des Sennen endet. Ursprünglich für die Gruppe Oberwalliser Spillit komponiert, stellt deren Nachfolgeensemble Holligers Klassiker dem Auftragswerk „Ronde des Lutins“ (Tanz der Kobolde) der Komponistin und Violinistin Helena Winkelmann gegenüber, das am Vortag beim Lucerne Festival uraufgeführt wurde.

Mit ihrer Komposition steht sie zwangsläufig in der Tradition Holligers, aber das scheint sie nicht beeindruckt zu haben. Wie bei Holliger gibt es bei Winkelmann einen Chor (so hervorragend wie die “sCHpillit“ – der Name der Gruppe, für deutsche Ohren schlicht mit Spielleuten zu übersetzen, ist ein gewaltiges Understatement), dafür keinen Erzähler und keine neuen, kuriosen Instrumente. Der Fremdheit, die neue Musik auslösen kann, begegnet die Komponistin, indem sie spröde Passagen zu atmosphärischen Sequenzen verdichtet und immer wieder die vertrauten Klänge der heimatlichen Musik integriert.

So selbstbewusst Winkelmanns „Ronde des Lutins“ die neue, traditionelle Wurzeln integrierende Musik weiterspinnt, behauptet sich Heinz Holliger „Alb-Chehr“. Schauspieler Dani Mangisch trägt die Geschichte im Stil eines Schauerromans so passend wie hervorragend vor, und die “sCHpillit“ spielen beherzt und akzentuiert, und bringen neben konventionellen klassischen und Volksmusikinstrumenten auch alpine Exoten wie das Fienschger Lädi (Streich-Psalterium), ein Bockhornophon (mit echten Ziegenhörnern), das Teenundi Titschini (abgestimmte Holzblöcke) und ein Gutteruschpil (Flaschenklavier) zum Klingen. Es ist eine düstere Geschichte – aber das Konzert endet wie jeder guter Schauerroman: mit klopfendem Herzen und Euphorie.

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Otto Lechner & Maria Kalaniemi, 19.08.2017, Alpentöne-Festival, Altdorf (CH)

Die Ankündigung, mit diesem Auftritt bei „Schubert, Sibelius und Bob Marley zu Gast“ zu sein, habe nur eine Funktion gehabt, eröffnete Otto Lechner das Konzert: «Sie hierher zu locken». Den Saal zu füllen ist wohl auch deswegen gelungen, weil sich der Wiener Akkordeonist bei vergangenen Auftritten beim Alpentöne-Festival eine Fangemeinde erspielt hat.
Ein Duett mit Maria Kalaniemi ist naheliegend, kennen sich die beiden doch bereits durch die Zusammenarbeit beim Quintett Accordion Tribe. Doch weniger ist in diesem Fall nicht mehr, die Reduktion auf die Duo-Formation zündet nicht. Mit seinem raumgreifenden Spiel lässt Otto Lechner seiner finnischen Kollegin kaum Platz. Kalaniemis Begleitung und ihre zarten Einwürfe gehen neben dem virtuos aufspielende Lechner unter. Selbst bei Stücken, die Kalaniemi ins gemeinsame Programm genommen hat, kommt ihr feinsinniges Spiel meist unter die Räder. Anstatt den Reiz auszuloten, der im Kontrast der unterschiedlichen Temperamente liegt, bewegen sich die beiden nebeneinander fort, ohne wirklich aufeinander einzugehen. Das ist zwar auch vergnüglich zu hören – aber keineswegs das, was man sich von der Zusammenarbeit solcher Kaliber verspricht.

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Alpentöne Blasorchester & Pago Libre mit Gästen, 19.08.2017, Theater Uri, Altdorf (CH)

So manches Musikfestival setzt neue musikalische Energien frei, die sonst nicht möglich wären. Das Alpentöne-Festival in Altdorf bringt dafür internationale Musiker in die Innerschweiz und inspiriert die heimischen Musiker nicht nur mit ungewöhnlichen Kollaborationen, sondern ermöglicht dem Nachwuchs den direkten Austausch.

Der irisch-schweizer Pianist und Komponist John Wolf Brennan hat mit seinem Kompositionsauftrag ein Orchester aus Amateuren mit Kollegen zusammengebracht, die er durch seine bisherige Arbeit bereits kennt – Christian Zehnder, einen der originellsten Sänger nicht nur der Schweiz, den Jazzgitarristen Christy Doran, wie Brennan irisch-schweizerischer Abstammung, die deutschen Florian Mayer (Violine) und Tom Götze (Kontrabass) sowie den russischen Alphorn- und Horn-Virtuosen Arkady Shilkloper und den gewitzten Schlagzeuger Patrice Héral aus Frankreich.

Brennans Kompositionen werden nicht nur den unterschiedlichen Protagonisten gerecht. Seine Stücke bieten wegen der unterschiedlichen Inspirationsquellen – von der Klassik über Jazz, Tango und unterschiedlichen Volksmusiken bis in zum „Tü-da-do“ des Postautos – viel Abwechslung. Dass er sie für jeweils unterschiedliche Besetzungen geschrieben hat und die ganze Bandbreite von lyrischer Beinahe-Stille bis zu beinahe überwältigender Opulenz auslotet, bereichert den Abend zusätzlich.
Und mit seinen ihm durchweg sehr vertrauten Mitstreitern, denen die Kompositionen wie auf den Leib geschrieben scheinen, geht Brennan keinerlei Risiko ein. Sie machen nicht nur schwächere Passagen vergessen, sondern heben auch schlichtere Ideen ein Treppchen höher. Christian Zehnder ist schlichtweg fulminant, und Arkady Shilkloper beherrscht seine Instrumente ohnehin wie kaum ein Zweiter. Überaus witzig ist Patrice Hérals Schlagzeugsolo ohne Schlagzeug, und als das Konzert mit einem überraschenden Kanon endet, zeigt auch der das gesamte Konzert über hinter seinem Flügel versteckte John Wolf Brennan seine witzige Seite. So kommt jeder auf seine Kosten – die nach Höhenflügen Suchenden ebenso wie diejenigen, die vor allem ihre Enkelin aus dem Tutti heraushören möchten.

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The Klezmatics, 12.8.2017, Freudenhaus, Lustenau (A)

„Ich bedanke mich beim großartigen Lustenau Yiddish Choir“, beginnt Trompeter Frank London eine seiner kurzen Ansagen, nachdem das Publikum zum wiederholten Mal der Aufforderung zum Mitsingen nachgekommen war. Bei den meisten Bands ist der Einbezug des Publikums nicht mehr als eine billige Masche, mit der sie Gemeinsamkeit und gute Laune herstellen. In der jüdischen Musikkultur gehört das jedoch ebenso zur Tradition wie das unerschöpflich erscheinende Repertoire an fröhlichen Liedern. Diese – und auch einige melancholische – finden die Klezmatics in Katalonien genauso wie in der Ukraine. Und sie schöpfen nicht nur aus dem Fundus der jüdischen Kultur, sondern steuern auch „Gonna get through this world“ aus dem Album „Wonder Wheel“ bei, für das sie unbekannte Woodie-Guthrie-Texte vertont haben.

Auch wenn die New Yorker Band auf überwiegend leichtfüßiges Liedgut setzt, werden sie nicht belanglos – inhaltlich genauso wenig wie musikalisch. Ihre überwiegend eingängige Kost wird mit jazzigen Intermezzi, mitreißenden Soli (für die vor allem Trompeter London und Saxophonist Matt Darriau verantwortlich zeichnen) und den originellen, aber immer subtil agierenden Schlagzeuger Richie Barshay aufgewertet. Zymbal und die bulgarische Flöte Kaval sorgen dafür, dass innerhalb eines Stücks erst die Sonne über der Puszta aufgeht, dann der nasale Klang der Kaval an den Orient erinnert und das Ganze schließlich als Klagelied endet. Garniert wird das üppig gewürzte Potpourri mit einer guten Portion Freiheitsgeist, der keineswegs indoktrinierend, sondern mit lebensbejahender Fröhlichkeit einhergeht. So kommen alle auf ihre Kosten, die unterhalten werden und mitsingen möchten, während auch die nicht zu kurz kommen, die musikalische Brillanz höher gewichten und sich lieber an Frank Londons Volten an der Trompete oder dem einen oder anderen geschmackvollen Basslick delektieren möchten.

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The Notwist, 21.07.2017, Poolbar-Festival, Feldkirch (A)

Seit Kraftwerk seien sie die einzige weltweit bekannte und relevante deutsche Popband, schreibt der Bayerische Rundfunk, was durchaus stimmen mag. Auch die Weilheimer Band hat einen eigenen Klangkosmos entwickelt. In der bayerischen Variante umarmen sich elektronische Klänge und Gitarren. Daraus bauen The Notwist Stücke von symphonischer Wucht, oft konterkariert von der oft melancholisch wirkenden, leicht brüchigen Stimme von Markus Acher.
Das Auftreten des Sextetts ist unprätentiös, es versprüht trotz harscher Gitarrensequenzen kaum rockige Energie, sondern verbreitet fast durchweg die nüchterne Atmosphäre eines konzentriert arbeitenden Ensembles. Das wirkt einerseits distanziert, groovt aber trotzdem – und lässt einen viel entdecken. Da huscht eine Sequenz vorbei, die erst an Sgt. Peppers erinnert, später meint man das Zitat einer der redundant quirligen Kompositionen von Philipp Glass zu vernehmen. Manche Klänge ordnet man sofort der Zeit der analogen Synthesizer zu, andere wirken wie kaum verfremdete Alltagsgeräusche. Zwischen manchen Strophen gibt es lange, endlos scheinende repetitive Passagen, bei denen Klangschicht um Klangschicht aufgebaut wird, bis ihr kontrolliert-kakophonisches Ende wieder in eine zartpoppige Melodie mündet.
The Notwist verbinden Songs aus allen Schaffensphasen (darunter „Pick Up The Phone“ vom Album „Neon Golden“, „Run Run Run“ von „Close To The Glass“ und „The Devil, You + Me“ vom gleichnamigen Album) zu einem kontinuierlichen Bogen, der nicht nur zeigt, wie treu sie ihrem Konzept geblieben sind, sondern auch, dass dieses heute noch verfängt. Ihren Ansatz weiterzuentwickeln, befriedigt The Notwist wohl mehr als die Aussicht, ihr eigenes Erbe zu verwalten und neben ihren rheinischen Kollegen im Museum archiviert zu werden.

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Fehlfarben, 30.06.2017, Kammerspiele, München

Andere mögen kommerziell erfolgreicher sein und mehr Fans haben: Doch die Fehlfarben haben die prägendere Musik gemacht und mit ihrem 1980 erschienenen Debüt „Monarchie und Alltag“ ein denkwürdiges Album eingespielt. Wenn sie es jetzt auf die Bühne bringen, hat das einen leichten Beigeschmack. Ihre Auftritte könnten zur Pflichtübung werden, weil es in der Bandgeschichte keinen anderen Meilenstein gibt, mit dem man heute noch Geld machen könnte. Neugierig macht das trotzdem.

Die Fehlfarben, das zeigt sich rasch, halten sich an die Dramaturgie des Albums. Der Klang verfängt auch heute noch. Doch Peter Hein ist noch nicht warmgelaufen. Gleich beim zweiten Stück, „Grauschleier“, wirken einst so großartige Passagen muffig. Es gibt im Publikum kaum Söhne, deren spießige Eltern ihre Erfüllung darin finden, den Grauschleier über der Stadt wegzuwaschen. Und die Lebenswirklichkeit der heute Zwanzigjährigen, die sich auch im Publikum finden, ist eine andere als vor 30 Jahren.
Gleichzeitig wird deutlich, dass die Songs nicht regressives Erinnern brauchen, um großartig zu sein. Sie sind großartig, und der anfangs ein wenig verloren wirkende Peter Hein gewinnt auch ohne große Ansprachen an Bühnenpräsenz. Abgesehen von gelegentlichen anderen Phrasierungen, die eher manieristisch wirken und den Songs die brüske Nüchternheit nehmen, singt ein älter gewordener Sänger im gleichen eigenwilligen Auflehnungs-Duktus, der schon das Original geprägt hat.
Überlegungen, ob man heute völlig deplazierte Zeilen wie etwa „Wir sind die Türken von morgen“ nicht umschreiben müsste, tauchen gelegentlich auf. Sie verfliegen jedoch rasch mit der mitreißenden Musik an deren Drive Saskia von Klitzing am Schlagzeug und Gitarrist Thomas Schneider, beide erst seit 2010 und 2014 bei den Fehlfarben, großen Anteil haben.

Den Umfang einer LP nicht als volles Programm anerkennend, bringen die Fehlfarben ein zweites Set und ausgiebige Zugaben mit einer Mischung aus alten („Die Wilde Dreizehn“) und neueren Songs („Das Komitee“, „Platz da“), bei dem das schon bei „Militürk“ aufgesprungene Publikum nicht ohne Grund wieder in die Zuschauersessel zurückfällt. Immerhin zeigt dieser Einsatz, dass es den Fehlfarben doch um die Musik geht und nicht ums abkassieren. Und „Monarchie & Alltag“ klingt auch noch lange nach …

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Gaye Su Akyol, 27.5.2017, Palace, St. Gallen (CH)

Schwarz gekleidet und mit einer Augenmaske entpersönlicht, bereitet das Quartett den Auftritt ihrer Domina mit wuchtigen Tönen vor. Mit bis über die Knie reichenden Stiefel, knappem roten Rock und goldfarbener Bluse, hochgeschlossen und ärmellos, schlendert Gaye Su Akyol zum Mikrophon. Neben den Stiefeln fällt vor allem der Umhang auf: Wie aus den Resten des durchsichtigen Regencapes vom letzten Open-Air-Besuch geschneidert, konterkariert er als Accessoire einer Kindergartenprinzessin das Lasziv-Verruchte, das die türkische Sängerin eigentlich verkörpern möchte.

Konsistenter ist hingegen ihr musikalischer Auftritt: Anders als auf ihrem Album verzichtet sie auf differenzierende Klangkörper wie Streicher und Oud und setzt voll auf die Rockmaschine. Der Schlagzeuger bearbeitet gerne seine Tomtoms und legt so den dunklen Boden, auf dem der Bass mit sattem Ton und die Gitarre, trocken und drängend, nach vorne drängen können.
Die 70er-Jahre und damit der Psychedelic Rock – die Istanbuler Band Baba Zula zelebriert ihn seit zehn Jahren – scheinen in der Türkei derzeit schwer in Mode zu sein. Der Gitarrist von Gaye Su Akyol begeistert sich zudem offenbar für Spaghetti-Western, lässt seine Gitarre twangen und mischt auch mal eine Prise Surf-Sound dazu. Die Lücken, die danach noch übrig sind, spachtelt der vierte Mann wahlweise mit der Rhythmusgitarre oder den Keyboards sorgsam zu.

Vorne bringt die 31-jährige Sängerin neben eigenen Stücken ihre Neuinterpretationen von Songs aus den unterschiedlichen Regionen der Türkei. Selbst ein armenisches Stück, so meine mit dem Kanon vertraute kurdische Begleiterin, sei darunter gewesen. Bei Gaye Su Akyol, die sich als politische Künstlerin versteht und dies auch kundtut, darf man Absicht vermuten. Ein Stück – es stamme aus den 60er-Jahren erklärt die Sängerin, und bis heute habe sich an der Situation, die es beschreibt, nichts geändert – wirkt denn auch wie intellektualisierter Agit-Prop und ähnelt damit den Selbstvergewisserungsliedern bei den Fundraising-Festen kurdischer Exilvereine.

Gaye Su Akyol interpretiert die Stücke anderer auch dann oft in den tieferen Lagen, wenn das Original eine Sopranstimme vorsieht. Das ist nicht nur ihrem interpretatorischen Willen geschuldet, sondern vermutlich auch ihrem Stimmvolumen. Die Möglichkeit, zu zeigen wie stimmgewaltig sie tatsächlich ist, lässt sie ungenutzt verstreichen: Auch beim Acapella-Passus der Zugabe verzichtet sie nicht auf das mit Hall belegte Mikrophon, was die atmosphärische Passage deutlich trübt. Immerhin hatte ihre Band zuvor das Hauptset mit einem furiosen Finale beendet und – nach gelegentlichen Dellen im Programm – den Kreis zum Auftakt lückenlos geschlossen.

Samba Touré, 19.5.2017, Spielboden, Dornbirn (A)

Samba Touré ist ein typischer Vertreter des Mali-Blues. Die Stücke sind von einer einnehmenden gleichförmigen Trägheit, sodass ich mir nichts anderes vorstellen kann, als in der Mittagshitze von einem schattigen Straßencafé aus dem Niger dabei zuzusehen, wie er sich im Schneckentempo vorbeischiebt. Gleichzeitig setzen aber der helle Klang von Samba Tourés Gitarre und seine lebhaften Verzierungen – beides typisch für die malische Spielart des Blues –frische, farbige Akzente.

Das Quartett auf der Bühne, in sich und in der Musik versunken, entspricht diesem Bild. Möglicherweise lächelt der meist mit geschlossenen Augen spielende Samba Touré still in sich hinein, wenn er von der romantischen Liebe singt, und behält seine Trauer für sich, wenn er in einem Lied den Zustand des Landes kommentiert. Außer einem gelegentlichen Dankeschön ist von Samba Touré zwischen den Stücken nichts zu hören – er spielt sich ohne Erklärungen durch alte und neue Songs, er erzählt keine Geschichten.

Oberflächlich betrachtet, wirkt Samba Touré wie ein exzellenter Handwerker, der mit gediegenen Stücken das Erbe seines Mentors Ali Farka Touré weiterträgt. Doch er hat längst seine eigene Spielart gefunden, die sich auch in der Qualität der so unauffällig auftretenden Viererbesetzung zeigt. Hinter der Musik des Quartetts steckt mehr Feinsinn, als auf den ersten Blick zu erkennen ist. Etwa wenn der Bassist subtil die Melodielinien mitspielt, während die Ngoni in einer eigenen, aber wesensverwandten Welt zu spielen scheint. Zwei, drei Mal sorgt die Talking Drum für ein wenig Temperament, und auch der Ngoni-Klang wird bei einem Stück durchs Wah-Wah gejagt. Das war es dann jedoch mit der ‚Effekthascherei‘. Bei „Farikoyo“ spielt Samba Touré die Gitarre angezerrt und ein wenig dunkler, aber noch lange nicht so düster wie John Lee Hooker, und bei einem Solo-Stück zeigt er, dass er sein Publikum auch alleine mit seiner Gitarre glücklich machen kann. Wenn er sich gleich danach einen kleinen Schlagabtausch mit der Ngoni liefert, wirkt das wie eine kleine Neckerei unter Freunden, die ein bisschen Abwechslung in den heiß-schwülen Nachmittag bringt und über die man – vom folgenden Stück schon wieder eingelullt – leise in sich hineinlachen kann.

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Garish, 18.03.2017, Spielboden, Dornbirn (A)

„Vergesst das Morgen“, fordert Falco in seinem hedonistischen „Junge Römer“, auch wenn er darauf anspielt, dass am nächsten Tag die Rechnung folgen wird. Der schillernde Musiker hat den Song mit großem Orchester eingespielt. Garish bringen als Zugabe ihres frenetisch umjubelten Konzerts die Lagerfeuer-Version. Ihre zehn Jahre alte, nachdenkliche Interpretation des Liedes, das die diesem innewohnende Katerstimmung nach dem Fest betont, ist bezeichnend. So selbstbewusst Falco aufgetreten ist, so zurückhaltend geben sich Garish. Falcos exaltierter Virilität steht die gefühlvolle Inbrunst gegenüber, die zumindest Sänger Thomas Jarmer gelegentlich zelebriert. Der Rest der Truppe gibt den stillen Handwerker.

In den letzten Jahren hat sich das Quartett ein stimmiges Œuvre geschaffen, in das sich die Lieder des neuen Albums „Komm schwarzer Kater“ nahtlos einfügen. Indem viele ihrer Melodien mit extrem langgezogenen Silben und Vokalen angereichert sind, haben Garish trotzdem ihr eigenes Klangbild entwickelt. Der Ohrwurmcharakter ihrer Songs liegt ebenso jenseits des Mainstreams wie ihre Texte. Dass sie virtuose Anstrengungen durchweg vermeiden, hilft ihnen auf der Bühne. Und dass sie mit ihrem ausgiebig eingesetzten Chorgesang den Beachboys nicht das Wasser reichen können, sähe man ihnen noch lieber nach, wenn das redliche Bemühen nach Abwechslung etwas fruchtbringender wäre.
Doch auf der Bühne gehen oft die Zwischentöne verloren. Dann bleiben melancholische Songs immer wieder blass, während die forschen Stücke rasch stampfig werden. Da ist es von Vorteil, dass Garish neben den Liedern des vor kurzem erschienenen Albums (etwa „Pandoras Box & ein Getränk“, „Matador“, „Apollo“, „Menschenfresserwalzer“) auch auf bereits bewährte wie „Eisenherz“ und „Auf den Dächern“ setzten. Und, oh lala, mit der Wucht und dem Pathos von „Paris“, das auch zwei Tage danach noch in den Ohren saust, heizen sie die Stimmung noch einmal auf, bevor sie das ihnen ergebene Publikum mit ihrer introvertierten Version von „Junge Römer“ an das drohende Ende der euphorischen Nacht erinnern.

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