Schlagwort: Industrial

Rosetta „Quintessential Ephemera“

rosetta[rating=3]Das volle Brett? Aber nicht doch.

Hier kommt eine kalifornische Band, die zwar einerseits Metal spielt, andererseits aber auch Ambient und Prog-Rock-Elemente in ihre Kompositionen einfliessen lässt. Wie die Weltraumsonde gleichen Namens sind auch die Amis bereits längere Zeit unterwegs. Während die eine jedoch alleine durch das dunkle, kalte All fliegt, reist das Quintett durch Klangwelten, die mit dem Etikett Post-Metal nur unzureichend beschrieben sind. Die Band selbst nannte in frühen Tagen ihren Sound ‚Metal für Astronauten‘, aber auch das ist letztlich nur eine vage, selbstironische Umschreibung.
Schauen wir einfach mal aufs Cover ihrer kürzlich erschienenen CD „Quintessential Ephemera“. Dort sehen wir abstrakte, beinahe graphische Muster, die in grau und grün gehalten sind. Sie stammen – wie die gleichartigen Muster im Inneren des Klappcovers – vom US-Künstler Mark Price. Bilder der Bandmitglieder gibt es nicht.
Nun zur Titelübersicht: Erster Titel „After the Funeral“. Ein interessant klingendes Instrumentalstück. Dezent rockende, klare Gitarren, perlendes Piano, eher ruhig-fliessend als aggressiv und hart. Doch dann knallt einem unvermittelt eine Dachlatte an den Kopf: Titel Nummer zwei, „Untitled I“, lässt gleich eine Lawine aus Gitarren, Bass, Schlagzeug und ‚Growls‘ auf den Hörer los. Durchaus geeignet, den unbefangenen Hörer zu erschrecken. Der tiefe, gutturale Gesang, eben die Growls, wird als Stilmittel durchgängig eingesetzt. Da alle fünf Mitglieder ihren Teil zum Gesang beitragen, reicht das vokale Spektrum vom reinem metaltypischen Gebrüll über rockige Intonation bis hin zu sphärischen Chören. So auch in den folgenden Kompositionen, die „Untitled II“ bis „Untitled VII“ benannt sind und fast wie eine einzige, durchgängige Klanglandschaft daherkommen. Die Bandbreite changiert zwischen den Polen laut/leise und schnell/verhalten oder ambientartig ruhig bis metal-heftig.
Von Songs im klassischen Sinne kann man nur bedingt sprechen. Das ist durchaus eine Herausforderung. Doch es lohnt sich, Rosetta über 50 Minuten zuzuhören. Denn sobald man meint, den Herren ein Etikett ankleben zu können, sind diese schon wieder einen Schritt weiter. Auch nach zwölf aktiven Jahren, zehn Alben und unzähligen Live-Shows ist die Band konzeptionell noch ambitioniert und nicht auf eine Richtung festgelegt. Erst der neunte Song, „Nothing in the Guise of Something“, hat wieder einen richtigen Titel, und und mit ihm endet das Album mit einem eher zurückhaltenden, fast schon romantischen Instrumentalstück.

War das Debüt „The Galilean Satellites“ (2005) noch mit zwei Platten – eine Ambient- und eine Metal-Platte, die parallel abgespielt werden konnten (oder eben auch nicht) – auf die Koexistenz zweier Stilrichtungen ausgelegt, so herrscht nun eine Synthese aus beiden. Diese wird abgeklärt, virtuos und mit einer gewissen Selbtironie dargeboten, wobei auch die Metal-Anhänger durchaus auf ihre Kosten kommen. Doch  Rosetta gehen deutlich über dieses Genre hinaus, was „Quintessential Ephemera“ auch für Hörer mit anderen Vorlieben reizvoll macht.

Einstürzende Neubauten, 27.6.2015, Haus der Kunst, München

Welch ein Unterschied: Im ersten Stock sieht man den schlaksigen, jungen Blixa Bargeld in einer frühen, zügellos-wilden Performance. Wenig später steht der ehemalige Punk als stattlicher Grandseigneur auf der Bühne im Haus der Kunst. In den schwarzen Dreiteiler glitzernde Fäden eingewoben – schon seit Jahren tritt er auf, als ob er Brian Ferry als Beau beerben wolle – deklamiert Blixa Bargeld seine oft phantastischen Gedichte, hinter sich die Maschinerie aus selbstgebauten Instrumenten für den fulminanten Höllenlärm. Die Eruptionen sind längst nicht mehr spontan, doch auch wohlstrukturiert sind sie von mitreißender Wucht.

Das unter dem Label „Greatest Hits“ firmierende Konzert findet im Rahmen der Ausstellung „Geniale Dilletanten“ statt, die an die künstlerische Aufbruchstimmung der Achtzigerjahre erinnert. Doch auch wenn Blixa Bargeld in einer seiner wenigen, kurzen Moderationen an die Anfänge erinnert, ist der Auftritt kein sehnsuchtsvoller Rückblick auf die „guten alten Tage“. Das Set mit Kompositionen wie „Susej“, „Halber Mensch“, „Nagorny Karabach“ und mehr als zwei Dutzend weiteren zeitlosen Stücken ist der kraftvolle Beweis für die Zeitlosigkeit der Texte von Blixa Bargeld und die anhaltende Originalität, mit der die Einstürzenden Neubauten ihr musikalisches Konzept weiterentwickeln und umsetzen.
Dass sie gefühl- und gleichzeitig kraftvoll sein können, beweisen die Einstürzenden Neubauten gleich mit dem Auftakt („The Garden“). Ihre verschmitzt-verspielte Seite, die nicht so oft zum Tragen kommt, zeigen sie bei „Sabrina“, das Blixa Bargeld auch für Marianne Faithful geschrieben haben könnte. In diesem Song lässt er mit dem Akkuschrauber eine Schallplatte rotieren, die er über einen mit einem Stift versehenen Becher, der gleichzeitig Abtaster und Schalltrichter ist, hörbar macht. Solche Einlagen mögen wie ein Gag wirken. Doch egal ob N.U. Unruh eine Rettungsdecke knistern lässt oder auf Plastikrohre aus dem Baumarkt klöppelt –Instrument und Geräuschmaterial werden nicht des Effekts wegen eingesetzt, es geht immer um den Klang.

Die Einstürzenden Neubauten haben sich rasch von chaotischen Lärmerzeugern zu Erbauern von Klangskulpturen gewandelt, die immer wieder die enorme Fallhöhe zwischen den poetisch-melodischen Klängen und infernalischen Lärmkaskaden auskosten. Das gelingt ihnen auch live durchweg eindrücklich.
Zwei Stunden toben sie sich aus: Unruh und Moser dreschen auf Fässer, Rohre und Metallfedern, Hacke berserkert am Bass und Blixa Bargeld kann immer noch kreischen wie eine gewürgte Katze. Früher war das von existenzieller Dringlichkeit, heute ist es „nur“ noch Kunst
– und Blixa Bargeld säuft mit dem Publikum nicht mehr wie früher weiter, sondern schickt es mit einem gönnerhaften Lächeln und Kusshand nach Hause.

Bisherige Rezensionen zu den Einstürzenden Neubauten und zu Blixa Bargeld auf schallplattenmann.de

Offizielle Homepage der Einstürzenden Neubauten

Archive „Restriction“

restriction[rating=2]Streckenweise überzeugend, in anderen Momenten beliebig

Archive gehörten seit ihrer Gründung 1994 durchweg zur Regionalliga der britischen Musikszene. Die Gründe mögen häufige Besetzungswechsel, ein hörbarer Mangel an eigenständigen musikalischen Ideen oder einfach der Umstand gewesen sein, daß es stets bessere andere Bands des gleichen Genres gab. Ihr neues Album „Restriction“ ist keineswegs geeignet, dies nachhaltig zu ändern, was ein wenig schade ist. Immerhin bietet es einige überraschende Momente, so etwa im Eröffnungssong „Feel it“, auf dem New-Wave-Schrammel-Gitarren aufs Angenehmste das Synthie-Gewaber und die klagende Stimme unterbrechen. Aber bereits im Titelsong des Albums, „Restriction“ langweilen die Herrschaften mit Endlos-Klangschleifen und repetetiven Rhythmen. Der dritte und vierte Song, „Kid Corner“ und „End of our Days“, klingen wie aus dem Archiv von Morcheeba – aber die hatten sowohl bessere Synthies als auch mehr Pop-Appeal.

Die Sänger wechseln sich ab, die Klänge und Ideen ebenso. Das wäre nicht schlecht, wenn man nicht ständig das Gefühl hätte, dass sich die Akteure allzu häufig aus dem Fundus bekannter Arrangements, Ideen und Klängen anderer Leute bedienten. Vielleicht heißt die Band deshalb Archive?
Wir wollen jedoch nicht ungerecht sein. Wie die Band auf „Third Quarter Storm“ den schnulzigen Wohlklang durch Lärm-Einschübe stört, ist ganz hübsch. Und wenn auch das Getrommel auf „Ride in Squares“ nicht wirklich neu ist, so gefällt es dennoch. Dagegen langweilen Titel wie „Crushed“, denn eine wirkliche Idee oder auch nur etwas Spannendes konnte ich darin nicht ausmachen. Dafür versöhnt das irgendwie an Bond-Titelsongs (aus der Adele-Phase) erinnernde Ballade „Black and Blue“ ein bißchen. Den Abschluß bilden zwei längere Titel: „Greater Goodbye“ und „Ladders“, die „Restriction“ jedoch nichts mehr Wesentliches hinzufügen, sondern erneut den Bogen von Lärm zu Pop und zurück schlagen – große Momente inklusive. Am Songwriting sollten „Archive“ aber weiter arbeiten und vielleicht beim nächsten Mal versuchen, sich ein wenig stärker zu fokussieren. Aber fürs Durchhalten seit 1994 gibt’s einen Extra-Bonus.