Schlagwort: Jazz

Get The Blessing „Bristopia“

[rating=4] Jazz – Jazz + Funk + Postrock + Trip-Hop + Electronics = Get The Bleesing.

Das Spannende an der aktuellen britischen Jazz-Szene ist, dass sie zu so vielen unterschiedlichen Ergebnissen kommt, die alle einen gemeinsamen Nenner haben: höchste musikalische Qualität. In Bristol, einst von Journalisten zur „Hauptstadt des Trip-Hop“ gekürt, gründete sich bereits 1999 das Quartett Get The Blessing. Ihre Musik fasst Elemente des Jazz, des Postrock und des Trip-Hop zusammen, vermischt akustische und elektronische Sounds und setzt dabei traditionelle Solo-Instrumente des Jazz, Trompete (Pete Judge) und Saxophon (Jake McMurchie) ein. Jim Barr am Bass und Clive Deamer an den Drums bereiten dafür das rhythmische Fundament. Die beiden sind keine Unbekannten: In derselben Funktion stehen sie auch mit Portishead auf der Bühne.

Get The Blessings siebtes Album „Bristopia“ zeigt das Quartett in Hochform. Die elf Tracks pulsieren energiegeladen und rhythmisch strukturiert, gleichzeitig mangelt es nicht an freien, improvisatorischen Sequenzen. Dabei wildern die vier selbstbewusst quer durch die Musikwelt. Es ist schon hauptsächlich Jazz, was sie auf dem Album bieten, aber mit der lässigen Attitüde einer Rockband und mit dem wohlüberlegten Einsatz von Sounds und Rhythmen aus verwandten und fernen Genres. Mitunter ist das Ergebnis sogar tanzbar (Huch!), es gibt aber auch immer wieder ruhige Momente. Für zusätzliche Akzente an der Gitarre sorgen Adrian Utley von Portishead und die Pedal-Steel-Gitarristin Margerethe Björklund.

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Das Album erscheint als CD, als Download und als limitierte LP auf orangefarbenem Vinyl, eine Augenweide und klanglich ebenso erhaben wie die digitalen Formate. Leider hat man bei der Vinyl-Ausgabe auf einen Download-Code verzichtet. Den erhält man allerdings, wenn man das Album auf der Bandcamp-Seite des Quartetts bestellt.

→ Get The Blessing Homepage

Get The Blessing auf bandcamp.com (mit Streaming- und Bestellmöglichkeit)

(Coverbild: Get The Blessing auf bandcamp.com; Vinyl-Bilder: Salvatore Pichireddu)

C.A.R. „Look Behind You“

[rating=4] Jazz – Jazz is not dead, it just moved to Europe.

Richtig guter Jazz gedeiht manchmal im Verborgenen. So liegen die Zentren des europäischen Jazz heute zwar eher in London, Zürich, Oslo und Stockholm denn in Köln, allerdings verfügt die Domstadt über eine breit gefächerte, junge, neugierige und experimentierfreudige Jazz-Szene, die sich zumindest lokal auf eine treue Gefolgschaft verlassen kann. Das Kölner Quartett C.A.R. ist einer der vielversprechendsten Geheimtipps aus der Rheinmetropole. Gleichzeitig ist die Kategorie „Jazz“ nur eine sehr vage Beschreibung dessen, was die vier Musiker erschaffen: Mit „Kraut-Jazz“, „Psychedelic Jazz“ und „Trip Music“ versuchen sie selbst das Spannungsfeld ihrer Musik zu umschreiben. Und selbst das ist noch lückenhaft.

Ihr zweites Album „Look Behind You“ (nach dem Debütalbum „Beyond The Zero“ (2014) und der „ Interlude EP“ (2017) beginnt mit psychedelisch verfremdeten Arpeggi, die der Minimal Music entliehen scheinen, wandelt dann bald in trippige Gefilden, zitiert den pinkfloydischen Artrock der 1970er, flackert mit modernen, urbanen Grooves (ein ausdrückliches Lob für die exzellente Rhythmus-Sektion Kenn Hartwig am Bass und Johannes Klingebiel an den Drums), verlangsamt zu impressionistischen Ambient-Sequenzen und nimmt danach wieder Tempo auf. Die Stücke sind stringent aufgebaut, ohne unnütze Längen. Analoge Keyboards und ein E-Piano (geschmackvoll bedient von Christian Lorenzen) sowie Saxophon (betörend gespielt von Leonhard Huhn) übernehmen die Melodie-Führung und die meisten Soloparts, wobei der Sound immer angenehm, niemals aber oberflächig ist. C.A.R. stehen nicht für verkopften, hyper-virtuosen Jazz sondern für einen fein ausbalancierten und groovenden Gesamtklang, in dem das Kollektiv mehr ist, als die Summe der einzelnen Solisten. „Look Behind You“ bietet Musik, die man sowohl hoch konzentriert anhören als auch einfach nur im Hintergrund laufen lassen kann. Und das kann man nur von den allerwenigsten Alben sagen.

C.A.R. brechen bald für das Goethe-Institut zu einer China-Tournee auf. Vorher sind sie noch bei zwei Terminen in Deutschland zu sehen.

02.10.2018, Köln, Theater Urania

22.11.2018, Hildesheim, Klangstärke°18 Festival

 

→ C.A.R. Homepage

C.A.R. auf bandcamp.com (mit Streaming- und Bestellmöglichkeit)

(Coverbild: C.A.R. auf bandcamp.com)

Jimi Tenor „Order Of Nothingness“

[rating=4] Afrobeat und Bee Gees auf Beta-Blocker – sonnig und ernsthaft verspielt

Der Auftakt heißt nicht ohne Grund „Mysterya“. Denn man fragt sich, warum Jimi Tenor seine Hörer mit einer Disco-Nummer im Stil deutscher Bierzelt-Bee-Gees-Imitatoren vergraulen will. Verglichen mit dem weiteren Programm wirkt das Stück wie ein Irrtum. Groove und Sprechgesang sind wie entschleunigter Afrobeat, und wenn Jimi Tenor die Flöte ansetzt, erinnert er an Yusuf Lateef auf der Spurensuche nach seinen verschütteten afrikanischen Wurzeln.
Dass dies so zwanglos und selbstverständlich klingt, liegt sicherlich nicht nur an seiner eigenen Erfahrung. Jimi Tenor hat vor zehn Jahren ein Album mit Tony Allen eingespielt, dem Erfinder des Afrobeat. Mit Ekow Alabi Savage steht ihm ein Schlagzeuger und Perkussionist aus Ghana zur Seite, und mit dem Schlagzeuger Max Weissenfeldt ein Partner, der mit Embryo ethnische Musikkonzepte erkundet und in Ghana Polyrhythmik gelernt hat. Mit der Gruppe Polyversal Souls fusioniert er afrikanische, karibische und europäische Musiken.
Die drei hatten offenbar Vergnügen und verbreiten großen, aber durchweg gediegenen Spaß. Obwohl ihrer wilden Mischung aus unterschiedlichsten Stilen und Einflüssen überaus kindliche Spielfreude zugrunde zu liegen scheint: In die Niederungen der Schenkelklopfer begeben sie sich nicht. Auch wenn beispielsweise in „Chupa Chups“ wieder der an Bierzelt-Bee-Gees erinnernde Falsettgesang kommt und ein Refrain, den auch Frank Farian für Milli Vanilli hätte schreiben können: Mit Jimi Tenors Beiwerk – dem Saxophon, den mit analoger Elektronik aufgenommenen Einsprengseln – wird auch das eine coole Nummer, die sich gut einfügt. Vielleicht hätte Jimi Tenor einfach „Mysterya“ nicht an den Anfang stellen sollen. Das jedoch ist – wenn überhaupt – nicht mehr als ein lässliches Vergehen.

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(Foto: Philophon)

Nigel Kennedy „Kennedy Meets Gershwin“

[rating=4] Gershwins Klassiker – von abgründig bis ungemein swingend

George Gershwin war ein vielseitiger Komponist. Er schrieb Unterhaltungsmusik, klassische Konzerte und mixte afroamerikanische Einflüsse mit zeitgenössischer Klassik. Das Great American Songbook hat er mit unvergesslichen Melodien bereichert, die von Ella Fitzgerald und Frank Sinatra bis zu Janis Joplin und Miles Davis interpretiert wurden. Lieder wie die Arie „Summertime“ aus der Oper „Porgy and Bess“ zählen wohl zu den bekanntesten der Musikgeschichte.

George Gershwin war ein Grenzüberschreiter, dessen Werke schon früh andere Künstler (Thelonious Monk, Lester Young) dazu animierten, recht frei mit ihnen umzugehen.
Jetzt hat Nigel Kennedy ein neues Kapitel aufgeschlagen. Ehrfurcht ist von ihm nicht zu erwarten. Das zeigt er schon beim Auftakt „Rhapsody in Blue“, dem er einfach ein kräftiges Weinrot zusetzt und das er in „Rhapsody in Claret & Blue“ umbenennt. Und nicht nur das: Er reduziert die 16-minütige Rhapsodie auf knapp drei spannende Minuten. Aus dem Wiegenlied „Summertime“ wiederum entfernt er alles Liebliche und stellt die harsche Lebenswelt in den Vordergrund, in der es angesiedelt ist.
Das alles ist nicht despektierlich, Kennedys Vorlage ist deutlich erkennbar – er lässt nur so manchen ablenkenden Flitter weg und verpasst Gershwins Kompositionen eine andere Frisur. Diese erinnert immer noch an den Irokesen, den Kennedy früher trug, auch wenn der Geiger inzwischen bereits in seinen Sechzigern ist.

Nigel Kennedy malt nicht nur düstere Bilder, sondern sieht auch die lockeren Seiten des Lebens. Wenn er die Geige gipsy-jazzig swingen lässt, erinnert das auf äußerst angenehme Weise an seinen einstigen Lehrer Stéphane Grapelli. Immer wieder spielt Kennedy so lässig beschwingt auf, als ob er seinen eigenen ‚Relaxed Club de France‘ gegründet hätte.
Auch wenn er wie bei „Fantasy“ und „They Can’t Take That Away From Me“ die Geige weglegt und als Solo-Pianist in die Tasten greift, kehrt er den Jazzer hervor – und macht auch im Sitzen eine recht gute Figur.
Und nicht zuletzt sind die beiden eigenen Stücke „Time“ und „Fantasy“, die er den Klassikern zur Seite stellt, erhabene Referenzen an George Gershwin.

Nigel Kennedy tummelt sich seit vielen Jahren mit wechselndem Erfolg in den unterschiedlichsten Genres. Mit „Kennedy Meets Gershwin“ beweist er wieder einmal, dass er seinen Platz im Musik-Olymp noch immer verdient.

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(Foto: Qrious)

Mehmet Polat Trio „Ask your heart“

[rating=4] Kontemplativ

Die Kompositionen von Mehmet Pollat sind wie eine unauffällige Landschaft, deren mannigfaltige Reize man erst entdeckt, wenn man in ihr aufgeht und sich den Details widmet. Vordergründig sind es kontemplative Stücke, aus denen Polats Oud-Soli und der klagende Ton der Ney hervorstechen. Während die Melodien des ebenfalls türkischstämmigen Ney-Spielers Sinan Arat durchweg getragen bleiben, schwingt sich der Bandleader auch zu quirligen Improvisationen auf, die – etwa bei „Everything is in you“ – auch mal in die Tiefe führen: Polat hat seine Oud um zwei Bass-Saiten erweitert.
Mehmet Polat setzt diesen Effekt wohldosiert ein und zwingt so den Hörer auch dann zur Ruhe, wenn er ihn mit neuen Höranreizen anregt. Und selbst wenn das Trio während einer kurzen Passage in „Simorgh“ anklingen lässt, dass es sogar rocken könnte, stört das die Ruhe nicht.

Die bedächtigen Kompositionen von Mehmet Polat begünstigen die melancholische Stimmung. Maßgeblich forciert wird diese durch die traurige Wehmut, die meistens im Ton der Nay mitschwingt. Selbst wenn sie ihre Freude hinausspielen, machen es die drei Musiker nicht himmelhoch jauchzend, sondern mit angenehm verhaltener Fröhlichkeit.

Offizielle Homepage von Mehmet Polat

(Foto: Qrious)

Malia „Ripples“

[rating=4] Poetisch, gefühlvoll, ergreifend

Die Grenze zwischen Jazz und Pop ist schon lange brüchig, und wer erfolgreich sein will, spielt raffiniert mit beidem. Malia hat sich mit ihrem Debüt „Yellow Daffodils“ (2003) geschickt als Jazzpop-Chanteuse eingeführt und später immer wieder die populäre Seite stärker betont. Noch ziemlich unbefriedigend mit ihrem Zweitling „Echoes Of Dreams“ (2004), aber mehr als zehn Jahre später veröffentlichte sie gemeinsam mit Boris Blank (Yello) ihr zumindest an Charterfolgen gemessen erfolgreichstes Album „Convergence“.

Jetzt erfolgt eine Rückbesinnung. Mit „Ripples“ bringt Malia die Songs, die sie für das Album „Echoes Of Dreams“ verschenkt hat, in ansprechender, reduzierter Form. Die einfühlsame Begleitung von Jazzpianist Alexandre Saada und einem Streicher-Trio ist für die Songs eine würdig-schlichte Gewandung und bringt Malias Stimme angemessen zur Geltung. Mal romantisch schön („My Love“), mitunter schmerzlich („Mary Mary“) oder auch mal leicht beschwingt („Men In Your Eyes“) – vor allem aber das ganze Album hindurch empfindsam und seelenvoll.

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(Foto: MPS)

Jütz „Hin & Über“

[rating=3] Neue Klangästhetik für alte Lieder – unpolitisch und mit reduziertem Kunstverständnis, was dem Hörvergnügen jedoch nicht schadet.

Sie tummeln sich im abgegrasten Genre der neuen Volksmusik und wollen zudem in die übergroßen Fußstapfen des unkonventionellen „Zappa von Tirol“ und „ordentlichen Anarchisten“ Werner Pirchner treten. Dieser fiel nicht nur als unerhörter Musiker auf, sondern hielt auch mit seiner von der Mehrheit abweichenden Einstellung nicht hinter dem Berg.
Jütz dagegen machen es sich leichter. Sie beginnen mit dem ins Tirolerische übersetzten „Luegid vo Bärg und Tal“, einem Schweizer Kinderlied-Gassenhauer aus dem 19. Jahrhundert. Das kann man als etwas eigenartigen Hinweis auf die Herkunft des Trios aus zwei Tirolern und einem Berner verstehen. Der Autor des Liedes, Josef Anton Henne, versuchte nämlich im berndeutschen Dialekt zu schreiben, obwohl er aus dem Kanton St. Gallen stammte. Vielleicht sind Jütz nur der einfachen Melodie erlegen, vielleicht wollen sie mit dem lauwarmen Aufwärmprogramm auch bloss die lange Tradition der bis heute ungebrochenen Begeisterung für den berndeutschen Dialekt zeigen.
Jütz vertonen gerne überlieferte Texte, die sie bunt durcheinandermischen und basteln daraus auch schon mal leichten Volksmusikpop mit angejazztem Akkordeon („Das kennst du wohl“). Doch sie können auch anders: Der „Postfeldwalzer“ und die „Bergaufpolka“ sind humorige Instrumentalstücke (das zweite mit Spracheinspielungen von Werner Pirchner), „Schleuniger Tempo Dampfl“ ist ein originelles Spoken-Word-Stück und mit dem entschleunigten Jodler „Der Schweinsbeuschler“ nähern sie sich sehr vergnüglich der Tradition.

Das Trio beschäftige sich nicht mit der politischen Dimension von Kunst, zitieren etwa die Wiener Stadtzeitung Falter und die Salzburger Nachrichten die Multiinstrumentalistin und Sängerin Isa Kurz. Das Trio wolle mit seiner Klangästhetik dem Publikum den unvoreingenommenen Zugang zur traditionellen Musik ermöglichen. Wenn Jütz dann aber in „Mantua“ das Andreas-Hofer-Lied aufgreifen, das einen regionalen Widerstandskämpfer zum gesamtdeutschen Helden stilisiert, wirkt diese Einstellung mehr als naiv – vor allem nach dem ausdrücklichen Bezug zum eher anarchistisch eingestellten Werner Pirchner. Und dies ausgerechnet in einer Zeit enormer, auch mit kriegerischen Mitteln herbeigerufenen Umwälzungen, die auch unsere politische Landschaft enorm verändert hat.

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(Foto: Bauer Studios)

Erika Stucky „Papito“

[rating=5] Von sanft bis verstörend – immer besonders

Erika Stucky kommt vom Jazz und verpasst auch Popsongs außergewöhnliche Charakterzüge. Für ihre originellen Interpretationen findet sie immer auch ungewöhnliche Konstellationen – etwa Akkordeon, Posaune und Tuba. Sie spielte mit den Young Gods Songs aus dem Dokumentarfilm über das Woodstock-Festival nach, gestaltete mit der Schweizer Popsängerin Sina einen schrägen Abend mit Walliser Sagen und mit Christy Doran ein Jimi-Hendrix-Programm.
Mit „Papito“ öffnet sie eine neue Tür – zur Klassik. Und natürlich beschränkt sie sich nicht darauf, ihre Kompositionen mit ein paar Streicher-Arrangements aufhübschen zu lassen. Sie lockt das zu den renommierten Interpreten Alter Musik zählende La Cetra Barockorchester Basel und den Countertenor Andreas Scholl zu neuen Abenteuern und lässt FM Einheit, früher bei den Einstürzenden Neubauten und heute unter anderem auch für seine Hörspiel-Arbeiten ausgezeichnet, die neue Klangwelt elektronisch unterfüttern.

Neben eigenen Kompositionen bietet Erika Stucky gefühlvolle Interpretationen etwa von Cole Porters „Ev’ry Time We Say Goodbye“ und Randy Newmans „Marie“. Bei „Tea For Two“ kommt erstmals der Countertenor Andreas Scholl ins Spiel, zu dessen Stimme die von Erika Stucky in einem reizvollen Kontrast steht. In das/Unter das romantisch interpretierte Stück mischen sich erstmals Klangbilder, die gleichermaßen sanft und verstörend sind. Bei Stephen Sondheims „Not While I’m Around“ tauchen dann die Dämonen auf und das Medley aus „Caruso“ von Lucio Dalla und „I Want You“ von den Beatles kulminiert zum Untergangsszenario.

Erika Stucky liebt schräge Inszenierungen, daher ist es schade, dass man auf dem Album die Filme nicht mitgeliefert bekommt, mit denen sie die Bühnenshow des beim Alpentöne-Festival uraufgeführten Programms garnierte. Immerhin bedient sie ihre Hörer mit einer anderen Stärke: ihrem bislang untrüglichen Gespür für musikalische Konstellationen. Stuckys Zwiesprache mit dem Countertenor Andreas Scholl und ihr immer wieder experimenteller Stimmeinsatz sind jedoch auch ohne audiovisuelles Beiwerk ein großer Genuss. Nicht minder reizvoll sind die Klangwelt des La Cetra Barockorchesters Basel, dessen historische Instrumente hier zeitgenössisch inszeniert werden, und die zurückhaltenden elektronischen Einwürfe von FM Einheit.

Bisherige Rezensionen zu Erika Stucky auf CD und auf der Bühne auf schallplattenmann.de und im Blog.

Offizielle Homepage von Erika Stucky

(Foto: Traumton)

Sternlumen „Norrebro Nights“

[rating=3] Getragen, ruhig, beschaulich

Sternlumen sind Thomas Kudela und sein Steinway-Flügel. Kudela ist im Ruhrgebiet aufgewachsen und lebt seit einigen Jahren in Kopenhagen. Genauer: im Stadtteil Norrebro. Mit der vorliegenden Hommage an sein Viertel legt Sternlumen sein zweites Album vor. Zu hören gibt es Solopiano und sonst nichts. Wer dabei an Keith Jarrett oder Chick Corea denkt, liegt nicht ganz falsch, obwohl Kudela einen eigenen Ansatz verfolgt.
Ähnlich wie bei den Genannten liegt liegt das Augenmerk auf Klang und Stimmung. Eingespielt wurden die Titel live in einem Kopenhagener Studio – unter hohen Qualitätsansprüchen, um den unvergleichlichen Klang des Flügels entsprechend einzufangen. Das ist gelungen. Damit enden die Vergleiche mit den ‚Göttern‘ des Solopianos aber auch beinahe. Kudela steht sicher in deren Tradition, was in diesem Genre gewissermaßen unausweichlich ist, markiert aber eigene Klangspuren. Die erinnern mal an Saties Pianostücke oder erzeugen eine romantische Stimmung wie bei Schumann. Trotzdem sollte man dem jungen Künstler kein Epigonentum vorwerfen. Seine Stücke sind getragen und, neben einigen dramatischen Momenten, im besten Sinne entschleunigt, aber nie temperamentlos.

Es verwundert nicht, daß auf dem Cover der CD steht: „Sternlumen is Thomas Kudela and a Piano“ – denn das Instrument ist ein unverzichtbarer Mitspieler.“Norrebro Nights“ mit seinen nur sechs Titeln wie „Red Wine Melancholia“, „Neon Lakes“ oder „Morgendämmerung“ eignet sich wunderbar dafür, dem alltäglichen Hamsterrad des Großstadtdaseins zu entfliehen. Weniger geeignet ist die Platte zum Nebenbeihören, obwohl man sich manchen Titel in Auszügen auch gut auf einem U-Bahnhof bei Morgenanbruch anhören könnte. Man wäre vermutlich nach wenigen Augenblicken der funktionellen Umgebung entrückt, sofern man der Musik Raum zur Entfaltung lässt.

Die getragenen, ruhigen und eine beschauliche Stimmung verströmende Musik von Thomas Kudela kann cinematographische Eindrücke hervorrufen – und so manches Ostinato transportiert die dunklen Herbststimmungen, der kommenden Tage.Hörenswert.

(Cover: Gateway Music)

Parov Stelar „The Burning Spider“

[rating=2] Geschmackvolle Song-Auswahl, jedoch nicht dauerhaft reizvoll

Marcus Füreder alias Parov Stelar ist ein umtriebiger Mann. Seit Anfang der 2000er-Jahre  gelingt es ihm, seine Version des Samplings als DJ, Musiker und Produzent unter die Leute zu bringen. Geholfen hat dabei sicherlich die Auswahl der Sounds und Songs, die Füreder be- oder verarbeitet. So auch im aktuellen Album „The Burning Spider“.
Das gleichnamige Auftaktstück lebt wesentlich von der ‚mojo hand‘ des Bluesers Lightnin‘ Hopkins, der hier mit allerlei elektronischen Arrangements, Bläsern und anderen Zutaten aus der Trickkiste des modernen Produzenten zeitgemäß aufgearbeitet wird. Puristen kann so etwas zwar nicht gefallen, aber die greifen ohnehin nicht zu den CDs von Parov Stelar.
Zwischenfazit: Man kann einen guten Song kaum kaputt machen, und als Basis eines Samples ist dieser nicht zu ersetzen. Schlimmstenfalls erscheinen – wie hier – die neuen Zutaten überflüssig, aber Parov Stelar beweist immerhin Geschmack.
Irritierend erscheint dagegen der Stimmungswechsel im zweiten Titel, „Step Too“. Auch hier mischt, wie bei fast allen Stücken, Parov Stellar den Gesang von Interpreten wie Anduze, Muddy Waters, Stuff Smith und Mildred Bailey mit neuen Sounds ab. „Step Too“ – mit Lilja Bloom – wird so zu einer Art tanzbarer Eurodisco.

Betrachten wir das Vorgehen Füreders als Arbeit eines DJ, der eine bestimmte Klanglandschaft erzeugen möchte, macht die Sache dennoch Sinn. Insofern wirkt „The Burning Spider“ wie der Mitschnitt eines DJ-Sets aus einem angesagten Club im urbanen Irgendwo, den der Käufer nach Hause nehmen kann. Zwischen einem Häppchen Blues hier, Disco dort, einem bisschen Jazz, Karibik-Feeling, Gypsy-Swing und Soul-Stimmen soll sich eine Art globaler, tanzbarer Sound entfalten.
Ich erinnere mich an einen Besuch in einem Prager Café in der Altstadt am frühen Abend, wo uns ein freundlicher Hipster eine gute Tasse des schwarzen Goldes servierte. Draussen tummelten sich wie in Euro-Disney-Land zahllose gut gelaunte junge Leute von Überallher, drinnen sassen wir und trübten das Bild ein bisschen. Auf dem Monitor lief ein Video. Es war von Parov Stellar und zeigte alte Schwarz-weiß-Aufnahmen tanzender Paare, zu hören gab es Electro-Swing.
Das umschreibt den Klangkosmos und den sozialen Background dieser Musik ganz gut. Authentizität ist hier völlig deplaziert, alles mischt sich potentiell mit allem, 50er-Jahre-Electric-Blues aus Chicago mit Gypsy-Klängen und elektronischen Soundeffekten. Hört man „The Burning Spider“ wie ein etwas kurioses Radioprogramm ohne klares Format, kann die Platte – wenn auch nicht allzu oft – durchaus ihre Reize entfalten. Und die Auswahl der Songs und Interpreten spricht durchaus für guten Geschmack.

Bisherige Rezensionen zu Parov Stelar auf schallplattenmann.de

Offizielle Homepage von Parov Stelar

 

(Cover: Warner Music)