Schlagwort: Klassik

Fauré Quartett „Pictures at an Exhibition“

[rating=4] Kammermusik – Die „Bilder einer Ausstellung“ und die „Études­Tableaux“ in Bearbeitungen für Klavierquartett.

Der Zyklus „Bilder einer Ausstellung“ von Modest Mussorgsky (1839–1881) gehört heute zu den meistgespielten Werken der Musikliteratur. Außer der populären Originalfassung für Klavier und der noch berühmteren Orchestrierung von Maurice Ravel gibt es, neben zahlreichen anderen „klassischen“ Transkriptionen, auch Bearbeitungen im Jazz (Allyn Ferguson), in der elektronischen Musik (Isao Tomita), im Progressive Rock (Emerson, Lake & Palmer) und sogar im Metal (Mekong Delta). Mussorgskys Werk scheint eine ungebrochene Faszination auf die Hörer auszuüben, ungeachtet der jeweils gewählten Instrumentierung.

Eine neue Bearbeitung kommt von Grigorij Gruzman und Dirk Mommertz, Letzterer ist Pianist des Fauré Quartett. Zusammen mit seinen Mitstreitern legt er nun die Ersteinspielung der gelungenen Fassung für Klavierquartett vor. Sie verbindet die Intensität und Klarheit des Originals mit den psychedelisch-düsteren Effekten der Ravel-Bearbeitung. Die Kammerfassung ist klarer in den Streicherparts, weniger transzendent als Ravels Impressionismus, wenn man es so nennen will. Gleichzeitig behält die Quartett-Fassung die virtuosen, typisch russischen Klangeffekte des Klavier-Originals bei. Das ist im Ergebnis stellenweise geradezu berauschend und lässt das wohlbekannte Werk in einem neuen Licht erscheinen. Genauso gelungen: die Bearbeitung der „Études­Tableaux“ von Sergei Rachmaninoff (1873–1943), die ebenfalls zum ersten Mal in einer Fassung für Klavierquartett erklingen.

Das Album erscheint als Download, als CD und als Vinyl-Ausgabe. Bei letzterer hat man sich etwas Besonderes einfallen lassen: Während die „Bilder einer Ausstellung“ auf der Haupt-LP zu finden sind, wurden die „Études­Tableaux“ auf eine zusätzliche 10-Inch-Schallplatte „ausgelagert“. Nur schade, dass man bei der Vinyl-Ausgabe auf einen Downloadcode verzichtet hat. Das Artwork mit dem Pop-Art-Klavier verspricht ein ungewöhnliches Hörerlebnis, die auch klanglich makellose Aufnahme des Fauré Quartett löst das Versprechen ein.

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auf Youtube

Homepage des Fauré Quartett

Rezension zu Fauré Quartett „W. A. Mozart: Piano Quartets auf schallplattenmann.de

Rezensionen zu verschiedenen „Pictures at an Exhibition“-Aufnahmen auf schallplattenmann.de

(Coverbild: Büro für Künstler; Vinyl-Bilder: Salvatore Pichireddu)

 

Iveta Apkalna „Light & Dark“

[rating=3] Orgelmusik – Die ersten Solo-Orgelaufnahmen aus der Hamburger Elbphiharmonie.

Mit der Marke „Elbphilharmonie“ lässt sich werben. Das architektonisch spektakuläre Gebäude und sein Ruf als fabelhaftes Akustikwunder haben Hamburg binnen kürzester Zeit zu einem Zentrum der deutschen Musikwelt gemacht: Die Elphi ist „the place to be“. Und der Glanz der Philharmonie strahlt selbstredend auch auf die von Philipp Klais erbauten Orgel des Hauses ab.

Die Lettin Iveta Apkalna legt mit „Light & Dark“ die erste Solo-Orgelaufnahme aus der Elbphilharmonie vor. Erklärtes Ziel des Albums ist es, die Extreme des Instruments („Hell und dunkel“, „Kraft und Zärtlichkeit“ usw.) in seinen klanglichen Möglichkeiten bestmöglich abzubilden. Dazu wählte die Titularorganistin der Elbphilharmonie erfreulicherweise nicht die üblichen Orgel-Gassenhauer (sic!) von Bach, sondern modernere Werke von Schostakowitsch, Kalējs, Escaich, Gubaidulina, Janáček, Ligeti und Garūta. Das Programm erweist sich als klug gewählt und zusammengestellt: Es beginnt düster, wird dann introvertiert, dann expressiv, kontrastreich, Pathos-geladen, die Extreme auslotend und zuletzt leise und meditativ. Kein Zweifel: Mit der werbewirksamen Elbphilharmonie wird hier ein anspruchsvolles Programm an eine vermutlich breitere Käuferschicht gebracht. Das Instrument ist dabei der Star. Die gute Klangregie der Aufnahme lässt die Musik nah und gleichzeitig räumlich vernehmen.

So komplex die Musik, so aufwendig ist die Gestaltung der CD-Ausgabe (die Vinyl-Version lag mir leider nicht vor): Das edel gestaltete Digipak kommt mit einem Miniposter mit präzisen Angaben zum Orgelregister und einem 46-seitigen Booklet. Dieses enthält zahlreiche Bilder und ausführliche Informationen zur Musik, zur Künstlerin und zum Instrument.

Fazit: Eine anspruchsvolles und edles Debüt einer beeindruckenden Orgel in exzellenter Akustik mit einer technisch souveränen Solistin.

auf Youtube

Homepage von Iveta Apkalna

Homepage der Elbphilharmonie Hamburg

(Bild: Büro für Künstler)

Pablo Casals „Johann Sebastian Bach – The Cello Suites“ (3-LP-Box)

[rating=5] Barock – Pablo Casals‘ Jahrhundertaufnahme in edler Vinyl-Ausgabe.

Pablo Casals’ Aufnahmen der Cellosuiten Bachs gehören zu den ganz großen musikalischen und diskografischen Meilensteinen der Schallplatte im 20. Jahrhundert. Mehr noch: Erst durch Casals’ bahnbrechende Ersteinspielung rückten die Suiten in den Mittelpunkt des Cello-Repertoires und wurden Prüfstein für alle folgenden Generationen. Als Casals sie zwischen 1936 und 1939 aufnahm, war er bereits in seinen Sechzigern und hatte sich ein Leben lang mit den Kompositionen beschäftigt. Obwohl seine Einspielungen heute als interpretatorisch und spieltechnisch überholt gelten, haben sie nichts von ihrer Faszination verloren. Es bedarf nur einiger Noten und man versteht, warum Casals’ Aufnahmen durch die Jahrzehnte, jenseits aller Diskussionen um historisch authentisches Spiel, eine ungebrochene Faszination auf Hörer und Cellisten ausübten. Die Eindringlichkeit und Intensität mit der Casals musiziert, machen diese Einspielungen zeitlos, losgelöst von einer musikwissenschaftlichen Analyse.

Die Aufnahmen stammen aus der Schellack-Ära und sind naturgemäß klanglich nicht mit modernen Aufnahmen zu vergleichen. Dennoch: Das sorgfältige EMI-Remastering von 2011 holt vermutlich das maximale aus den Rillen heraus. Bei der nun erscheinenden, luxuriös ausgestatteten 3-LP-Box kommt dann das richtige Medium für die historischen Aufnahmen hinzu. Selbst bei einem direkten Vergleich mit der entsprechenden CD-Ausgabe von Warner Classics (dem Nachfolge-Label EMIs) kann die analoge Wiedergabe vollends überzeugen. Der Unterschied ist frappierend: Die Suiten klingen auf Vinyl viel natürlicher und wärmer als jeder Versuch, die 80 Jahre alten Aufnahmen auf CD zu pressen. Dies ist ein unverzichtbarer Meilenstein in jeder klassischen (Vinyl-)Sammlung.

Review vom 16.07.2001 zu Pablo Casals „J.S. Bach – Cello Suites No. 1-6“ auf schallplattenmann.de

Pablo (Pau) Casals auf de.wikipedia.org

Bach: Suiten für Violoncello solo auf de.wikipedia.org

(Bild: Warner Classics)

Franui „Ständchen der Dinge“

[rating=3] Schöner Überblick über 25 Jahre Bandgeschichte

Die einen feiern ihren Abschied, die anderen stoßen auf die nächsten 25 Jahre an. Mit ihrem umfangreichen „Ständchen der Dinge“, das die Osttiroler Band auf ein Vierteljahrhundert in nahezu unveränderter Besetzung darbringt, stellt sie gleichzeitig die Frage nach der Zukunft: „Geht es immer so weiter?“, fragen Franui im Untertitel ihrer Rückschau. Man darf ein beherztes Ja vermuten, die Neugierde auf Kommendes zurückstellen und in dieser Sammlung nach Vergessenem und Übersehenen stöbern.

Schon das erste Stück ist symptomatisch für die Herangehensweise von Franui: „Creampuffs from Vienna“ aus dem Jahr 2009 beginnt als Trauermarsch und endet auf dem Tanzboden. Das macht die Gruppe gerne, wie sie wenig später bei Schuberts „Trockne Blumen“ zeigt.
Franui lassen sich von Mahler inspirieren, unterlegen ein Gedicht von Ernst Jandl mit einem Gemisch aus Brahms-Duetten, verquirlen Schubert, Bartok und Ligeti zu einem flatterhaft-huschigen Stück und vertonen Lyrik von Hans Magnus Enzensberger und William Shakespeare, bis einem die Bläser fast zu dominant werden.
Aber so ist es eben mit der Blasmusik. Wenn man das Blech weglässt, ist sie ja auch nichts. Und kaum hat man das gedacht, kommt Franz Schuberts behutsam getragenes „Du bist die Ruh“ mit Hackbrett und Kunstpfeifer. Nicht nur daran merkt man, dass die zehnköpfige Gruppe über genügend Personal und Ideen für ein abwechslungsreiches Programm verfügt.

Das letzte Stück des Albums, der gemäß Franui immer als Zugabe gespielte „schönste Trauermarsch“, ist auch eine indirekte Antwort auf die Frage, wie es weitergeht. Nämlich mit neuen Ideen – wie dem auf diesem Album nicht berücksichtigten Georg-Kreisler-Projekt – und neuer Musik in altbewährter Verballhornungslust. Und das wird wohl so lange andauern, bis sie selbst einen Trauermarsch gespielt bekommen. Lang sollen sie leben – und spielen.

Offizielle Homepage von Franui

(Foto: Col legno)

Sternlumen „Norrebro Nights“

[rating=3] Getragen, ruhig, beschaulich

Sternlumen sind Thomas Kudela und sein Steinway-Flügel. Kudela ist im Ruhrgebiet aufgewachsen und lebt seit einigen Jahren in Kopenhagen. Genauer: im Stadtteil Norrebro. Mit der vorliegenden Hommage an sein Viertel legt Sternlumen sein zweites Album vor. Zu hören gibt es Solopiano und sonst nichts. Wer dabei an Keith Jarrett oder Chick Corea denkt, liegt nicht ganz falsch, obwohl Kudela einen eigenen Ansatz verfolgt.
Ähnlich wie bei den Genannten liegt liegt das Augenmerk auf Klang und Stimmung. Eingespielt wurden die Titel live in einem Kopenhagener Studio – unter hohen Qualitätsansprüchen, um den unvergleichlichen Klang des Flügels entsprechend einzufangen. Das ist gelungen. Damit enden die Vergleiche mit den ‚Göttern‘ des Solopianos aber auch beinahe. Kudela steht sicher in deren Tradition, was in diesem Genre gewissermaßen unausweichlich ist, markiert aber eigene Klangspuren. Die erinnern mal an Saties Pianostücke oder erzeugen eine romantische Stimmung wie bei Schumann. Trotzdem sollte man dem jungen Künstler kein Epigonentum vorwerfen. Seine Stücke sind getragen und, neben einigen dramatischen Momenten, im besten Sinne entschleunigt, aber nie temperamentlos.

Es verwundert nicht, daß auf dem Cover der CD steht: „Sternlumen is Thomas Kudela and a Piano“ – denn das Instrument ist ein unverzichtbarer Mitspieler.“Norrebro Nights“ mit seinen nur sechs Titeln wie „Red Wine Melancholia“, „Neon Lakes“ oder „Morgendämmerung“ eignet sich wunderbar dafür, dem alltäglichen Hamsterrad des Großstadtdaseins zu entfliehen. Weniger geeignet ist die Platte zum Nebenbeihören, obwohl man sich manchen Titel in Auszügen auch gut auf einem U-Bahnhof bei Morgenanbruch anhören könnte. Man wäre vermutlich nach wenigen Augenblicken der funktionellen Umgebung entrückt, sofern man der Musik Raum zur Entfaltung lässt.

Die getragenen, ruhigen und eine beschauliche Stimmung verströmende Musik von Thomas Kudela kann cinematographische Eindrücke hervorrufen – und so manches Ostinato transportiert die dunklen Herbststimmungen, der kommenden Tage.Hörenswert.

(Cover: Gateway Music)

Synje Norland „Who Says I Can’t?“

norland[rating=3] Sparsam instrumentierter Kammerpop

Die Nordfriesin, Wahlkanadierin und Teilzeithamburgerin Synje Norland macht es einem nicht leicht. Abwehrend bis skeptisch, wenngleich nicht ängstlich, hebt sie die linke Hand wie ein Stoppsignal und blickt dem Hörer ihrer neuen CD selbstbewußt entgegen: Wer sagt, dass sie nicht könnte, wenn sie wollte? Das Zeug zur populären Sangeskünstlerin wie Helene-„Atemnot in der Nacht“-Fischer hätte sie allemal, das entsprechende Äußere ebenso. Synje Norland ist aber bislang unter ihrem eigenen Namen andere, anspruchsvollere Wege gegangen. So auch mit ihrem neuen Album. in Eigenregie eingespielt, arrangiert, komponiert und produziert und auf dem eigenen Label Norland Music veröffentlicht.

Unabhängigkeit scheint ein wichtiges Merkmal der Musik von Synje Norland zu sein. Das birgt Risiken, keine Frage. So vergingen vom letzten bis zum aktuellen Album gut fünf Jahre, in denen sie unter anderem mit Santiano tourte. Von deren Musik ist sie jedoch sehr weit entfernt.
Norland bietet eine recht interessante Mischung aus stimmlichen Varianten, die mitunter an Annie Lenox erinnern und durchaus popkompatibel sind und akustischem Kammerpop. Stimme, sparsame Instrumentierung, die vor allem von Michael Beckers Cello getragen und durch Norlands Spiel an Gitarre, Klavier, Schlagzeug oder Synthesizern ergänzt werden. Eher Moll als Dur, aber keine typische Liedermacher-Innerlichkeit, sondern von verträumt bis selbstbewußt gesungen. Auf jeden Fall weitab vom Mainstream und ein Erlebnis, das in den besten Momenten eine ganz eigene Stimmung schafft, die ein wenig an die dunkle Romantik der Lieder Franz Schuberts erinnert.

Norland hat ihre Ziele ehrgeizig hoch gesteckt, doch insgesamt fehlt noch die stilistische Einheitlichkeit, die aus „Who Says I Can’t“ einen Liederzyklus macht. Sie pendelt – vielleicht aus Unentschlossenheit, vielleicht aber, weil sie einmal das eigene Spektrum demonstrieren möchte – zwischen verschiedenen Welten. „Delirium Dive“ ist ein moderner, verträumter Folksong, und „Into the Blue“ mischt nicht ungeschickt Klassik und Folk. Michael Becker drückt „My Heavy Heart“ und etlichen anderen Titeln mit dem Cello seinen Stempel auf, und hin und wieder haben die zwölf Titel durchaus Popformat.
Ein bisschen viel auf einmal? Ach nein, insgesamt gesehen geht das mehr als in Ordnung. Am besten gelungen scheint, neben den beinahe jazzigen Passagen, der Titelsong „Who says i can’t“. Denn dort schaffen Norland und Becker ein ganz eigene, beinahe verwunsche Athmosphäre, die ihresgleichen sucht.

(Cover: Norland Music)

CTM „Suite For A Young Girl“

[rating=3]ctm[rating=?] Anklänge an Progressive-, Jazz- oder Postrock wirken wie Wegweiser im unbekannten Terrain.

CTM ist die Abkürzung von Caecilie Trier Music. Die Dänin ist Cellistin, Sängerin und Komponistin, „Suite for a young Girl“ ist ihr zweites Mini-Album. Acht kurze Titel, knappe zwanzig Minuten Musik. Zu hören gibt es Klänge, die zwischen Ambient, Avantgarde, Electronic, Jazz und Klassik changieren. Ein guten Eindruck vermittelt der erste Titel, „Return of the Hunters“. Cello-Klänge werden von orchestralen Synthesizer-Sounds abgelöst, Wasser plätschert, eine Gitarre wird beiläufig gezupft. Kein Anfang, kein wirkliches Ende, keine Melodie, keine offensichtliche Struktur. Es muss eine ziemlich seltsame, versponnene junge Dame sein, für die Ms. Trier aufspielt. Angeblich dachte die Künstlerin bei dem Titel an Breughels Gemälde „Heimkehr der Jäger“ aus dem Jahr 1565, auch bekannt unter dem Titel „Die Jäger im Schnee“. Dort sehen wir Männer und ihre Hunde, die kurz vor Einbruch der Dunkelheit von einer ziemlich erfolglosen Jagd zurückkehren, in einer karg winterlichen Landschaft. Mensch und Tier sind gleichermaßen erschöpft. In den kahlen Bäumen sitzen Raben, während unten im Dorf die anderen Bewohner auf dem vereisten Dorfteich dem Wintersport frönen.
„The Way a Mouth is a Mouth“ überrascht mit Gesang, wie auch „Cezanne“, der den Pop-Hörgewohnten schon eher schmeichelt. Das klingt jedoch weniger anstrengend, als man vermuten könnte. Um an „Suite For A Young Girl“ Gefallen zu finden, sollte man eine gewisse Neugierde auf Dinge mitbringen, die nicht gerade naheliegen. „La Mer“ wiederum könnte durchaus als eine Art reduzierter Kunst-Pop durchgehen, wie man ihn von den späten Talk Talk kennt. Diese hatten jedoch ihr eigenes Universum.

Caecilie Trier verfügt über eine angenehm dunkle Stimme, aber bisweilen beschlich mich der banausische Gedanke, sie möge doch einfach einmal still sein und nur die Musik sprechen lassen. Wollte und muss sie natürlich nicht. Beeindruckend sind der Stilwille und der Hang zum Gesamtkunstwerk allemal. Spontanität sollte man daher nicht erwarten, Humor ist auch nicht gerade die Stärke der jungen Dame. Ihre Musik wirkt getragen und ernst. „Rhythm of Rally“ geht in der ersten Minute beinahe als ambitionierter Pop durch, verklingt dann jedoch in Lautmalerreien. Ähnliches, wenngleich ausufernder, kennen wir noch aus der hohen Zeit progressiver Musik.
Auf „Suite For A Young Girl“ fehlt alles, was Popmusik in der Regel ausmacht – Melodie, Rhythmus, ein eingängiges Thema sowie Texte, die sich zwischen Liebe und Schmerz bewegen. In diesem Sinne liefert CTM ein karges,radikales Werk, das immer wieder konventionelle Anklänge aufnimmt, wie im abschliessenden Song „Escorted/The Road“, der – wenngleich in einer anderen Stimmlage – zart an Joni Mitchells große Jazzrock-Zeit erinnert.

Antonija Pacek „Soul Colours“

[amazon_image id=“B00I2MP71U“ link=“true“ target=“_blank“ size=“medium“ class=“alignleft“ ]Antonija Pacek „Soul Colours“[/amazon_image][rating=3]Solo-Klavier-Musik mit Anklängen an Einaudi, Jarrett oder Satie.

Zugegeben: Beim ersten Hören fand ich die Sammlung unbegleiteter Klavierstücke auf Antonija Paceks Debüt „“Soul Colours““ vor allem entspannend und stellenweise einfach ‚schön‘. Beim zweiten Mal gefielen mir die insgesamt 15 Aufnahmen mit Titeln wie „Once in a Wintertime“, „Made in Agony“ oder „Hope“ immer noch, wenngleich stellenweise einfach einmal ein wilder, kurzer Ausbruch, forciertes Tempo oder was auch immer zu fehlen schien. Antonija Pacek spielt ihr Klavier nämlich nach ‚altmodischer‘ Façon, irgendwo zwischen Keith Jarretts „Köln-Concert“, Saties „Gymnopedies“ oder den populären Zyklen Ludovico Einaudis.

Dahinter steckt durchaus ein Programm, nämlich vermutlich die Intention der spätberufenen Künstlerin – sie gibt mit Ende Dreißig ihr musikalisches Debüt – der globalen Zappeligkeit, dem schrillen Bling-Bling der Event-Kultur in Pop, Jazz und Klassik den überwiegend ruhigen Fluss eines Solo-Klaviers entgegenzusetzen, quasi den melodischen Ausdruck einer empfindsamen Seele. Weil sich dieser jedoch über die Länge einer ganzen CD erstreckt, führt die durchaus boshafte Annahme (die mich zeitweise beschlichen hat, ich gestehe), hier wolle jemand vor allem seine eigene Interpretation der »schönsten Momente klassischer Musik« im Sinne weichgespülter Radioprogramme oder ‚romantischer‘ Konzerte darbieten, durchaus ins Leere. Und das nicht alleine deswegen, weil es sich um Eigenkompositionen handelt und sanfte Geigen völlig fehlen, sondern auch, weil hinter der Ausführung ein Konzept und Stil-Willen erkennbar sind: Es geht, der Titel verdeutlicht es bereits, um Gefühle und Seelenlagen, um deren musikalischen Ausdruck und um die Imagination, welche die Klänge beim Hörer hervorrufen sollen.

Pacek trägt dabei nicht zu dick auf, denn lakonische Songtitel wie „Too Late“, „Imagination“ oder „Life goes on“ lassen dem Hörer genügend Raum für eigene Bilder zur musikalischen ‚Begleitung‘. Wenn uns ‚kritischen Kritikern‘ dennoch der Stachel der Polemik juckt, dann vor allem deshalb, weil diese Musik so völlig aus der Zeit gefallen zu sein scheint, was durchaus Antonija Paceks Absicht gewesen sein dürfte. Erfreuen wir uns also einfach an diesen Klängen, denn hinter jedem Idyll lauert im Zweifel bereits der nächste Schrecken.

Otto Klemperer „20th Century Music: Hindemith · Klemperer · Stravinsky · Weill“

Otto Klemperer "20th Century Music: Hindemith · Klemperer · Stravinsky · Weill"

Otto Klemperer [rating=5] Moderne Klassik – Otto Klemperers Vermächtnis des 20. Jahrhunderts.

Kaum ein anderer Dirigent des 20. Jahrhunderts erweist sich rückblickend als so zeitlos wie Otto Klemperer (1885-1973). Das mag daran liegen, dass Klemperers Art der Interpretation von Musik immer etwas Eigenes hatte: Klemperer dirigierte nicht alles, aber das was er dirigierte, dirigierte er mit Seele, er verinnerlichte die Musik geradezu, machte sie zu ’seiner‘ Musik. Und er schaffte es auf geradezu magische Weise, das Orchester zu seinen sehr persönlichen Deutungen zu führen: Jede Klemperer-Aufnahme klingt erst einmal nach ihm selbst und nicht nach dem Orchester, dem er vorstand. Das Faszinierende dabei ist: Klemperer verdrehte die Komponisten nicht, er beugte sie nicht, dennoch sind seine Interpretationen unverwechselbar. Seine kraftvoll-schnörkelosen Bach-, Mozart- und Beethoven-Interpretationen mögen im Lichte der heute üblichen historischen Aufführungspraxis nicht bestehen können, sie sind dennoch kohärent, authentisch und verfehlen ihre Wirkung auch heute nicht. Seine Mahler-Einspielungen gelten auch heute noch vielen als unübertroffene diskografische Highlights des letzten Jahrhunderts.

Klemperer hatte nicht nur eine besondere Affinität zum klassisch-romantischen Repertoire, er war auch einer der ersten Anwälte der Moderne, vielleicht weil er selbst (wenn auch recht glücklos) komponierte, vielleicht weil er als junger Dirigent viele Komponisten noch persönlich kennenlernen konnte. Die vorliegende 4-CD-Box fasst Klemperers wichtigsten Aufnahmen mit Repertoire des 20. Jahrhunderts zusammen: Stravinskys „Sinfonie in 3 Sätzen“ und die „Pulcinella-Suite“, Hindemiths „Nobilissima-visione-Suite“, Weills „Kleine Dreigroschenmusik“ sowie die instrumentalen Passagen aus Humperdincks „Hänsel und Gretel“ (Ouvertüre & Traumpantomine). Darüber hinaus findet man auf der Box eine ganze CD mit seinen eigenen Werken (unter anderem seine 2. Sinfonie und sein 7. Streichquartett) und eine Bonus-CD mit einer englischsprachigen Audiodokumentation über Klemperers Leben und Wirken.

Allein schon wegen der Audiodokumentation lohnt sich die äußerst preisgünstige Box für jeden Klemperer-Fan; musikalisch überzeugen vor allem sein scharf konturierter Weill und der kraftvolle Stravinsky. Darüber hinaus war er mit Sicherheit der kompetenteste Interpret seiner eigenen Werke: Diese „Klemperer-dirigiert-Klemperer“-Aufnahmen waren lange Zeit nicht mehr erhältlich und sollten nun das eine oder andere Sammlerherz (wieder) erfreuen können.

Bisherige Rezensionen zu Otto Klemperer auf schallplattenmann.de

otto-klemperer.de Offizielle Website zur „Klemperer Edition“ bei EMI-Classics

Otto Klemperer auf de.wikipedia.org

(Bild: EMI Classics)

Ausstellung: „ECM – eine kulturelle Archäologie“

ECM – Eine kulturelle Archäologie

Die ECM New Series seien »die andere Bibliothek der Musik«, schreibt Wolfgang Sandner im Katalog zur Ausstellung „ECM – Eine kulturelle Archäologie“. Der Verweis des ehemaligen Musikredakteurs und Dozenten am Musikwissenschaftlichen Institut der Philipps-Universität Marburg verdeutlicht die Herangehensweise von Labelchef Manfred Eicher. Wie ein Buchverleger alten Schlags – den heute seltene Ausnahmen wie Gerhard Steidl verkörpern – macht er seine Produkte zum stimmigen Gesamtkunstwerk. Mit mehr als tausend Veröffentlichungen, von denen im Sinn der Werkpflege auch weniger gut verkäufliche weiterhin lieferbar sind, zählt ECM zweifellos zu den wichtigsten Labels für Jazz und Klassik. Die Ehrfurcht gebietende Wand mit den Mastertapes der Aufnahmen von Keith Jarrett, Chick Corea Jan Garbarek, Pat Metheny oder dem Art Ensemble of Chicago, im ersten Raum der Ausstellung aufgebaut, ist dafür ein eindrückliches Zeugnis.

Die Ausstellung im Münchner Haus der Kunst ist eine Huldigung. Die fotografischen Zeugnisse des Auf- und Ausbruchs von Musikern wie Mal Waldron, Derek Bailey, Dave Holland und dem Art Ensemble of Chicago werden im gediegenen Passe-partout staatstragend präsentiert. Auszüge aus Partituren von wegweisenden Aufnahmen fehlen ebensowenig wie der Dokumentarfilm „See the Music“ mit Manfred Eicher als Bassist, Interviews mit dem jungen Keith Jarrett und zahlreiche Stationen mit Hörproben aus dem reichhaltigen Programm. Auch die Zusammenarbeit mit dem Nouvelle-Vague-Regisseur Jean-Luc Godard und die filmische Arbeit der Sängerin Meredith Monk werden präsentiert. Die Erkundungstour, zu der die Ausstellung einlädt, ist abwechslungsreich und bietet vielfältige Zugangsmöglichkeiten – eine Offenheit, die ECM vorlebt und dem Label entspricht. So ist Eicher, der ursprünglich improvisierten Jazz in der Qualität von Klassikaufnahmen bieten wollte, längst zu einem gewichtigen Anbieter im Klassik-Markt geworden, mit Vertretern wie Arvo Pärt für die zeitgenössische Musik und Bach-Interpretationen von András Schiff.

„ECM – Eine kulturelle Archäologie“ ist eine gelungene Rückschau, die – etwa mit der Präsentation der Filme und Konzertmitschnitte von Meredith Monk – auch sonst nur schwer zugängliche Arbeiten bietet. Die Ausstellung arbeitet vorwiegend mit Artefakten, bietet aber auch einen neuen, extra für die Ausstellung in Auftrag gegebenen Videoessay des Künstlerkollektivs Otolith Group. Diese hat sich dazu von drei Alben inspirieren lassen, die das Trio Codona (Don Cherry, Collin Walcott und Naná Vasconselos) zwischen 1978 und 1982 aufnahm. Das bringt die damalige Stimmung der Erneuerung mit einer aktuellen Sichtweise zusammen. Gleichzeitig verbindet diese Arbeit Film und Musik – und greift so eine Verbindung auf, die auch Manfred Eicher in der Zusammenarbeit mit Jean-Luc Godard vorgemacht hat.

Der informative Katalog mit vielen Bildern beleuchtet die Geschichte des Labels in Essays und einem Roundtable-Gespräch mit ECM-Gründer Manfred Eicher, Okwui Enwezor (Leiter Haus der Kunst und Kurator der Ausstellung), Steve Lake (Produzent für ECM), dem Journalisten Karl Lippegaus und dem Kommunikationsberater und ehemaligem Musikpublizisten Markus Müller. Er bietet auch eine umfassende Chronologie und Diskografie des Labels ECM.

Die Ausstellung „ECM — Eine kulturelle Archäologie“ läuft noch bis zum 10. Februar 2013 im Münchener Haus der Kunst.

Konzertreihe zur Ausstellung „ECM — Eine kulturelle Archäologie“

Dokumentarfilm über ECM auf schallplattenmann.de

Buch über ECM-Plattencover auf schallplattenmann.de

Bisherige Rezensionen zu Keith Jarret auf schallplattenmann.de

Bisherige Rezensionen zu Jan Garbarek auf schallplattenmann.de

Bisherige Rezensionen zu Anouar Brahem auf schallplattenmann.de

Bisherige Rezensionen zu Meredith Monk auf schallplattenmann.de

Bisherige Rezensionen zu Jean-Luc Godard auf schallplattenmann.de

Bisherige Rezensionen zu Chick Corea auf schallplattenmann.de

Bisherige Rezensionen zu Arvo Pärt auf schallplattenmann.de

Bisherige Rezensionen zu Pat Metheny auf schallplattenmann.de

(Foto: Haus der Kunst)