Hannes Wader „Macht’s gut“

[rating=3] Typisch Wader – als Kompliment gemeint

Er sei die lange Zeit seiner Karriere ein „aufrechter Künstler“ gewesen, der „wichtige, hinreißende, herzöffnende Lieder“ geschrieben habe, lobt sein Bruder im Geiste, der nur wenige Jahre jüngere Konstantin Wecker, Hannes Wader bei seinem Abschied von der Bühne. Die beiden haben – auch gemeinsam mit der dritten deutschen Liedermacherinstanz dieser Generation, Reinhard Mey – oft zusammen auf der Bühne gestanden. Doch bei seiner letzten Tournee präsentierte sich Hannes Wader wie in seinen Anfängen alleine dem Publikum. Und man kann es sich nicht anders vorstellen, als dass jedes Konzert ein Heimspiel gewesen ist.

„Meine Lieder klingen nicht mehr so wie damals, frei und leicht“, singt Wader gleich im zweiten Stück seiner Abschiedstournee („Damals“) und mag damit recht haben. Es ist kein Wunder, dass der 75-Jährige nicht mehr über die strahlende Stimme des Mittzwanzigers verfügt. Aber auch heute noch ist sie unverkennbar, klingt immer noch angenehm weich und – ja, überraschend jung. Und auch die Gitarre zupft er immer noch ansprechend.

So treu sich Wader als Person geblieben sein mag und so einheitlich sein musikalisches Schaffen wirkt: Die Bandbreite seiner Lieder ist beträchtlich – von dezidiert sozialkritischen über schräg-humoristische und poetische bis hin zu Volksliedern. Der Liedermacher bringt erwartungsgemäß von allem etwas und kann damit wohl die meisten Fans glücklich machen. Und gleichzeitig wird den meisten mehr als ein Lied fehlen – er hat schlicht zu viele gute geschrieben oder adaptiert, um sie in einem Konzert unterzubringen.

Bisherige Rezensionen zu Hannes Wader auf schallplattenmann.de und im Blog.

Offizielle Homepage von Hannes Wader

(Foto: Qrious)

Jütz „Hin & Über“

[rating=3] Neue Klangästhetik für alte Lieder – unpolitisch und mit reduziertem Kunstverständnis, was dem Hörvergnügen jedoch nicht schadet.

Sie tummeln sich im abgegrasten Genre der neuen Volksmusik und wollen zudem in die übergroßen Fußstapfen des unkonventionellen „Zappa von Tirol“ und „ordentlichen Anarchisten“ Werner Pirchner treten. Dieser fiel nicht nur als unerhörter Musiker auf, sondern hielt auch mit seiner von der Mehrheit abweichenden Einstellung nicht hinter dem Berg.
Jütz dagegen machen es sich leichter. Sie beginnen mit dem ins Tirolerische übersetzten „Luegid vo Bärg und Tal“, einem Schweizer Kinderlied-Gassenhauer aus dem 19. Jahrhundert. Das kann man als etwas eigenartigen Hinweis auf die Herkunft des Trios aus zwei Tirolern und einem Berner verstehen. Der Autor des Liedes, Josef Anton Henne, versuchte nämlich im berndeutschen Dialekt zu schreiben, obwohl er aus dem Kanton St. Gallen stammte. Vielleicht sind Jütz nur der einfachen Melodie erlegen, vielleicht wollen sie mit dem lauwarmen Aufwärmprogramm auch bloss die lange Tradition der bis heute ungebrochenen Begeisterung für den berndeutschen Dialekt zeigen.
Jütz vertonen gerne überlieferte Texte, die sie bunt durcheinandermischen und basteln daraus auch schon mal leichten Volksmusikpop mit angejazztem Akkordeon („Das kennst du wohl“). Doch sie können auch anders: Der „Postfeldwalzer“ und die „Bergaufpolka“ sind humorige Instrumentalstücke (das zweite mit Spracheinspielungen von Werner Pirchner), „Schleuniger Tempo Dampfl“ ist ein originelles Spoken-Word-Stück und mit dem entschleunigten Jodler „Der Schweinsbeuschler“ nähern sie sich sehr vergnüglich der Tradition.

Das Trio beschäftige sich nicht mit der politischen Dimension von Kunst, zitieren etwa die Wiener Stadtzeitung Falter und die Salzburger Nachrichten die Multiinstrumentalistin und Sängerin Isa Kurz. Das Trio wolle mit seiner Klangästhetik dem Publikum den unvoreingenommenen Zugang zur traditionellen Musik ermöglichen. Wenn Jütz dann aber in „Mantua“ das Andreas-Hofer-Lied aufgreifen, das einen regionalen Widerstandskämpfer zum gesamtdeutschen Helden stilisiert, wirkt diese Einstellung mehr als naiv – vor allem nach dem ausdrücklichen Bezug zum eher anarchistisch eingestellten Werner Pirchner. Und dies ausgerechnet in einer Zeit enormer, auch mit kriegerischen Mitteln herbeigerufenen Umwälzungen, die auch unsere politische Landschaft enorm verändert hat.

Bisherige Rezensionen zu Werner Pirchner auf schallplattenmann.de

Offizielle Homepage von Jütz

(Foto: Bauer Studios)

Mathieu Almaric „Barbara“

Was ist wichtig, wenn man ein Leben erzählt? Was müssen wir wissen, über Herkunft oder Bildungsweg, welche Lebensdaten kennen, um eine Person zu erfassen, ihre Gedanken, Einstellungen und Sehnsüchte? Mathieu Amalric stellt das alles nicht in den Vordergrund. Er nähert sich „der schönsten Stimme Frankreichs“ atmosphärisch und skizziert die Lebensgeschichte von Barbara indirekt. Er erzählt, wie seine Protagonisten, der Regisseur Yves und die Schauspielerin Brigitte, der Ikone bei der Suche nach ihrem Wesen immer mehr verfallen.

Yves Zand, gespielt von Almaric selbst, dreht als obsessiver Verehrer einen Film über die französische Sängerin Barbara. Seine Darstellerin folgt ihm in die Obsession und findet aus ihrer Rolle nicht mehr heraus. Die Ebenen überlagern sich. Wann Barbara für den Dreh gespielt wird und wann Brigitte im Leben zu Barbara wird, ist oft nur schwer auseinanderzuhalten. Und das, obwohl der Regisseur durch Einstellungen und unterschiedliches Filmmaterial – die Szenen mit Barbara wirken historisch, alle anderen sind zeitgemäß brillant – durchaus Hilfestellungen gibt. Zudem werden auch Originalaufnahmen mit der ausdrucksstarken Sängerin geschickt eingebaut.

Almarics Herangehen kann man als verkopft abtun oder als besondere Referenz an die ausdrucksstarken poetischen Texte Barbaras interpretieren. Und die Obsession von Yves und Brigitte entspricht der Besessenheit Barbaras für ihre Lyrik und Musik.
Barbara war – glaubt man dem Film – eine Diva, schwierig und eigensinnig. Welche Lebenserfahrungen dem zugrunde liegt, eröffnet der Film nicht. Führt man sich die im Film rezitierten Texte von Barbara vor Augen, ist es jedoch gut und richtig, dass Mathieu Almaric ganz auf Poesie und Charisma setzt. Denn die unmittelbare psychologische Deutung ist in einer konventionellen Biographie besser aufgehoben. Das passende Schlusswort sagt Jeanne Balibar als Brigitte als Barbara: „Das ist fantastisch! Wie violetter Regen auf finsteren Bergen.“

„Barbara“ in der IMDB
Wikipedia-Eintrag der Chansonsängerin Barbara

(Foto: Diagonal)

Ferd „Music Without Borders“

[rating=5] Origineller Mix aus Traditionen und Nationen

Die vier norwegischen Musiker, die singen, Maultrommel und die der Violine ähnliche Hardangerfiedel spielen, sind Spezialisten für die Musik der Region Setesdal. Die Melodien aus dem Tal im Süden Norwegens haben sie in die Welt geschickt – in das Nachbarland Schweden, in europäische Länder wie Irland, Armenien und Rumänien, und in entfernte wie Syrien, Indien und Indonesien, China und Iran. 52 Musiker aus 18 Ländern waren an diesem Projekt ohne Grenzen beteiligt, haben sich mit der Musik fremder Kulturen und den musizierenden Menschen ausgetauscht und neue, vertraut-fremde Stücke geschaffen. In diesen treffen die Gesangsstile der Ureinwohner Lapplands, aus Tibet und der Mongolei zusammen, oder es spielen Hardangerfiedel, indische Sarangi, die persische Zither Kanun und andere Instrumente gemeinsam für norwegischen und thailändischen Gesang auf.

Auf dem Album gibt es nur wenige so naheliegende Kombinationen wie in „Havar Heddi“, für das die vier Musiker ein Stelldichein von Maultrommel und Hardangerfiedel mit Bass, Harmonium, Gitarre und Tin-Whistle geben, oder in „Gamlestev“, bei dem die Stimmen von Kirsten Bråten Berg und Masha Vahdat (Iran) nur vom Flötisten Jonas Simonson begleitet wird. Meist werden die Gesangsstile mehrerer Länder mit unterschiedlichen Perkussionsarten und Instrumenten aus vieler Herren Länder gemischt. Das Ergebnis ist immer wieder überraschend – und wirkt trotz der eigenwilligen Paarungen wie natürlich gewachsen. Und das nicht nur deshalb, weil in einem Stück verwandte Instrumente wie das persische Hackbrett Santur und die von ihm abstammende thailändische Khim versammelt sind.

„Music Without Borders“ ist ein herausragendes Weltmusikalbum: weil das weltumspannende Konzept verfängt und zu einem neuen Hörerlebnis führt, weil es traditionelle Lieder in eine neue Zeit bringt und weil es über das Genre hinaus weist. Und das ganz ohne Ausflüge in Klassik, Jazz oder elektronische Musik. Man kann sich auch so gut vorstellen, dass Sequenzen wie der vokale Schlusspunkt des Tanzlieds „Nils, Jens und Geidaug“ die Beine in heute angesagten Tanzschuppen in Bewegung bringen könnte.

Dead Brothers „Angst“

Struwwelpeterschauerliche Mischung

Die Lage der Nation ist eine Steilvorlage für die Dead Brothers. Obwohl die Statistiker in vielen Bereichen einen Aufwärtstrend feststellen und die Müllhalden ungebrochen wohlfahrtsstaatsmäßig anwachsen, ist Angst das bestimmende Lebensgefühl weiter Kreise. Das ist nicht nur ein guter Nährboden für Populisten, sondern auch für die Dead Brothers.
Die Genfer Gruppe ist mit ihrem achten Album unterwegs und sammelt diejenigen Moribunden ein, die den Untergang fröhlich zelebrieren möchten. Die Sensen der Schnitter-Brüder hören auf die Namen Tuba, Gitarre, Violine, Trommel, Akkordeon und Dudelsack. Und – natürlich – den Gesang lieben sie auch.

Dass die Dead Brothers musikalische Einflüsse ohne Stand und Ansehen mitnehmen und mit punkiger Attitüde so vermengen, dass man ihre Herkunft nicht mehr sicher heraushören kann, ist ein Grundprinzip. Da klingt der Auftakt eines Songs mal vage kubanisch oder nach Rembetiko, nur um bereits nach wenigen Takten schnöde mit einer anderen Spielart übertüncht zu werden. Mal klingt Balkanmusik an, mal scheinen die Dead Brothers von dem Lied „Wir sind die Moorsoldaten“ inspirieren worden zu sein. Und dass sie sich der heimischen Volksmusiktradition annehmen, ist typisch für die Dead Brothers und wird hier wiederum so vergnüglich wie originell inszeniert: Auf die Idee, beim Appenzeller Naturjodel die Stimmen nur schwer vernehmbar in den Hintergrund zu schieben, muss man erst einmal kommen.
Das klingt wie Theatermusik, und das ist kein Wunder, sind sie doch auf Theaterbühnen gerne gesehene Akteure, wie die Vertonung des Robert-Walser-Gedichts „Angst“ für eine Inszenierung am Stadttheater Hannover zeigt. Anders als Heinz Holliger, der es hoch artifiziell vertont hat (vor 20 Jahren in seinem Projekt „Beiseit“), bringen die Dead Brothers eine standesgemäße Struwwelpeter-Variante.

Die Dead Brothers schwingen die Sense nicht immer treffsicher. Doch selbst wenn sie dann wie eine weniger eloquente, ländliche Kopie des frühen Tom Waits klingen, sind sie immer noch vergnüglich.

Offizielle Homepage der Dead Brothers

(Foto: Voodoo Rhythm)

Ted Gioia „Jazz hören – Jazz verstehen“

[rating=3] Interessante Einstiegshilfe – kann Anfänger überfordern, dafür auch Versiertere erfreuen

Mit seinem neuen Buch „Jazz hören – Jazz verstehen“ möchte der Jazzpianist, Musikwissenschaftler und Buchautor Ted Gioia Normal-Sterblichen dabei helfen, Jazz kennen und lieben zu lernen. Dafür brauche es nicht viel, meint er durchaus einleuchtend, bloß Neugier und offene Ohren – und dann heißt es hören, hören, hören. Das, so seine Empfehlung, macht man sinnvoller in Konzerten als am Plattenteller. Denn Jazz lebt von Kreativität und Spontaneität. Die Improvisation, so Gioia, ist der magischste Teil der Sprache des Jazz. Und diese Magie erlebt man nicht auf Reproduktionen. Wer im „Reich der perfekten Reproduktion“ leben wolle, meint er, sei im Konzert einer Rock- oder Pop-Coverband gut aufgehoben. Jazz jedoch ist „für diejenigen, die dabei sein wollen, wenn ein Wunder passiert.“

Könnte man aber das Wesen des Jazz tatsächlich verstehen, wenn man sich einfach in den Club setzt und hört, müsste Ted Gioia keine Betriebsanleitung schreiben. Auch er kann nicht auf sezierende Analyse und theoretische Grundlagen verzichten. Diese bettet er vergleichsweise leicht verdaulich ein, indem er unterschiedliche Facetten aufgreift und anhand wegweisender Kompositionen erklärt. Dass er sich dabei auch selbst widerspricht und auch sein beständiges Credo untergräbt, dass immer die Emotionalität im Vordergrund steht, trüben das Lesevergnügen und seine Glaubwürdigkeit. Doch viele Erläuterungen und Anregungen kann man als durchaus faire Entschädigung dafür betrachten.

Offizielle Homepage von Ted Gioia

(Foto: Henschel-Verlag)