Reverend Beat-Man „Blues Trash“

[rating=2] Trash, leicht gereinigt

Es ist eine kuriose Mischung: Reverend Beat-Man ist ausgewiesener Meister des Trash, seine Mitstreiter dagegen höheren künstlerischen Ansprüchen verpflichtet/mit akademischen Weihen ausgestattet: Julian Sartorius spielte als einer der angesagtesten Jungtrommler von Pop bis Jazz mit Sophie Hunger, Co Streiff und Bruno Spoerri. Der hier Gitarre spielende Akkordeonist Mario Batkovic hat schon vor seinem Musikstudium Hörbücher für Kinder vertont, mit Geoff Barrow von Portishead gespielt und auch Filmmusik geschrieben, von eigenen Projekten ganz abgesehen. Auch Resli Burri, knapp zehn Jahre älter als Reverend Beat-Man, hat als ehemaliges Mitglied von Patent Ochsner und Aufträgen für Film und Theater seine Meriten in der anerkannten, anspruchsvollen Pop-Unterhaltung und im Kunstbereich.

Wie passt das zusammen? Schielt Reverend Beat-Man auf einen Scheck aus der Kunstwelt? Wollten die anderen einfach einmal die Sau rauslassen? Oder hatten sie bloß Zeit und haben das auf der Straße liegende Kleingeld mitgenommen?
Um wenigstens die erste Frage zu beantworten: Es passt ausgezeichnet zusammen. Die Kollegen spielen den Bildungsvorsprung nicht wirklich aus, daher bleibt musikalisch letztlich alles beim Alten. Reverend Beat-Man knurrt wie immer zu Liedern mit Schauerroman-Stimmung, etwa bei „Lass uns Liebe machen“, das einem Dead-Brothers-Stück zum Verwechseln ähnlich ist. „Love is Simply A Dream“ und „Then We All Gonna Die“ wiederum würden gut zu einem Western-Noir-Roman im Stil eines Bruce Holbert passen, dessen Sheriff Russel Strawl in „Einsame Tiere“ genauso Outcast ist wie die von ihm Gejagten. Und zwischendurch freut man sich, die angenehme Stimme von Nicole Izobel Garcia zu hören, seiner Partnerin bei Live-Auftritten – eine seltene und daher umso angenehmere Abwechslung von Düsternis und Missbehagen, die Reverend Beat-Man gekonnt verbreitet.

Reverend Beat-Man bleibt also Reverend Beat-Man und liefert wie gewohnt Shabby-Schick. Auch wenn seine Mitstreiter diesen Stil zumindest an den noch nicht ganz verrosteten Stellen etwas blankpoliert haben, ändert das nicht wirklich viel. Wobei das Ergebnis immer noch besser ist als die gleichnamigen Schrottmöbel – mit beidem möchte man sich nicht dauerhaft ausstatten.

Facebook-Seite von Reverend Beat-Man

(Foto: Voodoo Rhythm)

Wolfgang Herrndorf/Sandra Hüller „Bilder deiner großen Liebe“

[rating=5] Ein fulminantes Schauspiel in Tönen

In seinem Coming-of-Age-Roman „Tschick“ hat Wolfgang Herrndorf der 14-jährigen Streunerin Isa, verwahrlost und obdachlos, eine – wenn auch wichtige – Nebenrolle zugedacht. Anders als ursprünglich geplant, hat der früh verstorbene Autor dem so selbstsicheren wie flegelhaften Mädchen später einen eigenen Roman gewidmet. „Bilder deiner großen Liebe“ blieb unvollendet und ist posthum als Fragment erschienen.

Isa nutzt die Gunst des offenen Tores und verschwindet hinter einem Lieferwagen aus der psychiatrischen Anstalt. Sie schläft tagsüber und wandert nachts durch Wiesen und Wälder, sie hungert, durchsucht unter den angewiderten Blicken der Hausbesitzer Mülltonnen nach Essbarem, sie erzählt von Begegnungen und Erinnerungen, sie sinniert über das Leben, tagträumt und erfindet phantastische Geschichten. Und natürlich – es ist die einzige schwache Passage, weil die beiden Musiker als Sprecher mit der Performance von Sandra Hüller nicht im geringsten mithalten können – trifft sie Tschick und Maik.

Die für die Bühne gemachte Interpretation des Werks (die nebenbei bemerkt, nicht überall gut ankam), ist von derart enormer Wucht und Intensität, dass sie auch ohne visuelle Eindrücke ein Ereignis ist. 71 Minuten lang flüstert, singt und wütet eine fulminante Sandra Hüller Isas Erfahrungen, Gedanken, Selbstzweifel und Einsichten in die Welt.
Die Schauspielerin gibt dabei auch eine veritable Sängerin ab. Ihre Mitstreiter, die Multi-Instrumentalisten Sandro Tajouri und Moritz Bossmann, sorgen für die Filmmusik. Dabei beschränken sie sich nicht darauf, den Text zu untermalen, sondern illustrieren und verstärken ihn von subtil bis ungemein packend.

Wikipedia-Eintrag von Wolfgang Herrndorf
Wikipedia-Eintrag von Sandra Hüller

(Foto: Roofmusic)

Shirin Neshat „Auf der Suche nach Oum Kulthum“

[rating=1] Verrannt: das Drehbuch als Prophezeiung

Den Einstieg kann man noch spannend finden: Die erwachsene Oum Kulthum (Naijia Skalli), auf dem Höhepunkt ihrer Beliebtheit, steigt die Treppe hoch, gefolgt von der iranischen Regisseurin Mitra (Neda Rahmanian), die einen Film über sie drehen möchte. In einem der oberen Räume trifft Oum Kulthum auf sich selbst als Kind (Nour Kamar). Als die Kleine durch das zwischen den Gardinen hindurchstrahlende gleißende Licht steigt, folgt ihr Mitra in die Zeit von Oum Kulthums Kindheit – sinnfällig umgesetzt in romantisierenden Szenen und Schwarzweißaufnahmen, vielleicht als Erinnerung, dass es den Farbfilm zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch nicht gab.

Mitra – die als Alter Ego der iranischstämmigen Shirin Neshat gesehen werden darf – vergaloppiert sich, weil sie ihre eigenen Probleme in ihre Protagonistin projiziert. Die Hinweise ihrer beiden Hauptdarsteller Ghada (Yasmin Raeis, die Oum Kulthum im Film des Films verkörpert) und Ahmad (Kais Nashif), der deswegen den Job hinschmeißt und das Set verlässt, ignoriert Mitra. Als sie endlich merkt, wie sehr sie sich verrannt hat, steuert sie mit Wucht in die Gegenrichtung – die plötzlichen Änderungen erbosen ihren Produzenten und am Ende ist alles noch schlimmer.

Das Drehbuch wirkt wie eine Prophezeiung: Shirin Neshat scheitert genauso wie die Regisseurin in ihrem Film. Außer ein paar spärlich gesäten eindrucksvollen Bildern und Szenen begeistern in „Auf der Suche nach Oum Kulthum“ nur die Passagen, in denen die Kunst der „ägyptischen Callas“ zelebriert wird. Für diese Momente ungeteilter Freude muss man jedoch lange Durststrecken in Kauf nehmen.

Offizielle Homepage des Films

(Foto: Cineworx)

Nigel Kennedy „Kennedy Meets Gershwin“

[rating=4] Gershwins Klassiker – von abgründig bis ungemein swingend

George Gershwin war ein vielseitiger Komponist. Er schrieb Unterhaltungsmusik, klassische Konzerte und mixte afroamerikanische Einflüsse mit zeitgenössischer Klassik. Das Great American Songbook hat er mit unvergesslichen Melodien bereichert, die von Ella Fitzgerald und Frank Sinatra bis zu Janis Joplin und Miles Davis interpretiert wurden. Lieder wie die Arie „Summertime“ aus der Oper „Porgy and Bess“ zählen wohl zu den bekanntesten der Musikgeschichte.

George Gershwin war ein Grenzüberschreiter, dessen Werke schon früh andere Künstler (Thelonious Monk, Lester Young) dazu animierten, recht frei mit ihnen umzugehen.
Jetzt hat Nigel Kennedy ein neues Kapitel aufgeschlagen. Ehrfurcht ist von ihm nicht zu erwarten. Das zeigt er schon beim Auftakt „Rhapsody in Blue“, dem er einfach ein kräftiges Weinrot zusetzt und das er in „Rhapsody in Claret & Blue“ umbenennt. Und nicht nur das: Er reduziert die 16-minütige Rhapsodie auf knapp drei spannende Minuten. Aus dem Wiegenlied „Summertime“ wiederum entfernt er alles Liebliche und stellt die harsche Lebenswelt in den Vordergrund, in der es angesiedelt ist.
Das alles ist nicht despektierlich, Kennedys Vorlage ist deutlich erkennbar – er lässt nur so manchen ablenkenden Flitter weg und verpasst Gershwins Kompositionen eine andere Frisur. Diese erinnert immer noch an den Irokesen, den Kennedy früher trug, auch wenn der Geiger inzwischen bereits in seinen Sechzigern ist.

Nigel Kennedy malt nicht nur düstere Bilder, sondern sieht auch die lockeren Seiten des Lebens. Wenn er die Geige gipsy-jazzig swingen lässt, erinnert das auf äußerst angenehme Weise an seinen einstigen Lehrer Stéphane Grapelli. Immer wieder spielt Kennedy so lässig beschwingt auf, als ob er seinen eigenen ‚Relaxed Club de France‘ gegründet hätte.
Auch wenn er wie bei „Fantasy“ und „They Can’t Take That Away From Me“ die Geige weglegt und als Solo-Pianist in die Tasten greift, kehrt er den Jazzer hervor – und macht auch im Sitzen eine recht gute Figur.
Und nicht zuletzt sind die beiden eigenen Stücke „Time“ und „Fantasy“, die er den Klassikern zur Seite stellt, erhabene Referenzen an George Gershwin.

Nigel Kennedy tummelt sich seit vielen Jahren mit wechselndem Erfolg in den unterschiedlichsten Genres. Mit „Kennedy Meets Gershwin“ beweist er wieder einmal, dass er seinen Platz im Musik-Olymp noch immer verdient.

Bisherige Rezensionen zu Nigel Kennedy auf schallplattenmann.de

Offizielle Homepage von Nigel Kennedy

(Foto: Qrious)

Yonatan Gat „Universalists“

[rating=3] Anmutige Destruktion

Man kann den Anspruch haben, dass Musiker ein tiefes Verständnis der indigenen Kultur oder der Musik anderer Kulturen mitbringen müssen, wenn sie diese für ihre eigene Musik fruchtbar machen möchten. Doch gemeinsame Arbeiten von Michael Brook und Nusrat Fateh Ali Khan oder von Christy Doran mit Boris Kalchak oder auch kurzfristig anberaumte gemeinsame Auftritte von Künstlern unterschiedlicher Provenienz zeigen, dass dies keine zwingende Voraussetzung für musikalische Höhenflüge ist.

Yonatan Gat integriert guinesischen Trallalero-Gesang, den Alan Lomax vor Jahrzehnten aufgenommen hat („Cue The Machines“), und balinesische Gamelan-Perkussion („Cockfight“), oder spielt ein Stück gleich direkt mit der indianischen Trommel-Gruppe Eastern Medicine Singers ein. Er gräbt vermutlich nicht tief in der Musik anderer Kulturen. Und das muss er auch nicht, denn es kann bei seinen Ausflügen in unterschiedliche andere Kulturen nicht darum gehen, deren traditionelle Musiken für die Nachwelt erhalten.
Der israelische Gitarrist mit Wahlheimat New York nutzt ihre Energie, um seine eigene, kraftvolle Klangwelt zu kreieren. Seine Methode: konstruktive Destruktion, wie man sie auch von Noise und No Wave kennt. Dabei setzt er jedoch nicht auf das reine Geräusch und verzichtet auch keineswegs auf Melodien. Aber er zerstört gerne die Strukturen – weil das Feuer schön ist, das Zusammenkrachen und das Neue, das aus der Asche entsteht.
Dabei ist seine Gitarre keineswegs lärmig. Nach einer kurzen Einführung reduziert und verfremdet er den Trallalero-Gesang zum rhythmischen Akzent, Schlagzeuger Gal Lazer baut das Stück mit mächtigem Getrommel zu einem wild treibenden Rockstück aus, über das Yonatan Gat seine unverzerrten Gitarrenklänge legt („Cue The Machines“). Natürlich kann Gat auch ordentlich auf die Pauke hauen, wie er beim krachigen „Cockfight“ zeigt. Doch noch öfter zeigt er, dass sich seine Intensität nicht im Lärm erschöpft. Und mit Stücken wie „Post-World“ – einer Improvisation zur Stimme der von Alan Lomax aufgenommenen spanischen Sängerin Catalina Mateu – und „Fading Casino“ zeigt der Gitarrist und Pianist, dass er nicht nur wilde Träume hat.

Offizielle Homepage von Yonatan Gat

(Foto: Glitterbeat)

Barcelona Gipsy Balkan Orchestra „Avo Kanto“

[rating=4] Quicklebendige Melancholie, anheimelnde Fröhlichkeit

Das Interesse an der Musik des Balkans ist kein neues Phänomen. Der rumänische Panflötist Gheorghe Zamfir und der eindrückliche bulgarische Chorgesang wurde schon in den 70er-Jahren vom Schweizer Volksmusikforscher Marcel Cellier für das westliche Publikum entdeckt. Cellier selbst spielte damals als Organist ein Album mit dem rumänischen Taragot-Spieler Dumitru Farcas ein. In den 90er-Jahren traten vor allem Party-Bands wie Taraf de Haïdouks und schrille Blasmusik-Gruppen wie Fanfare Ciocărlia aus Rumänien oder das Boban Marković Orchestra aus Serbien in den Vordergrund. Und wer auf sich hielt, pilgerte schon eine ganze Weile bevor Shantel mit seinem Bukovina Club den Balkan-Pop hoffähig machte, zum Guča Trumpet Festival gut 150 Kilometer südlich von Belgrad.

Wenn nun ein siebenköpfige Band aus Spanien die Musik des Ostens entdeckt, lässt das Schlimmes befürchten – die Verbindung von balkanischem Lärm mit dem exaltierten Rasseln der Flamenco-Kastagnetten.
Doch weit gefehlt: Die Musiker aus Spanien, Italien, Frankreich, Serbien, Griechenland und der Ukraine haben sich der ruhigeren Tradition der Musik des Balkans verschrieben, leben gewissermaßen die multiethnische Herkunft der Musik dieser Region. Ihre Interpretationen sind trotz der mitunter schwermütigen Melodien quickfidel – aber ohne die oft übertrieben schrille Fröhlichkeit des Balkan-Pop. Durch die Arrangements und den oft schmelzenden Klang der Klarinette sind Klezmer-Einflüsse tonangebend, „Csi Lav Tu“ und „Galla rojo, galla negro“ bieten eine flotte Gipsy-Swing-Gitarre, und wer möchte, erkennt die spanische Herkunft und Anklänge an den Mittelmeerraum.

Das Barcelona Gipsy Balkan Orchestra übertreibt es nicht mit aufgesetzt wirkender Fröhlichkeit, sondern bringt beseelt interpretierte Lieder für die gepflegte Unterhaltung – und wenn neben den von der Wochenendstimmung aufgekratzten Besuchern einer melancholisch in sein Glas schaut, finden sie auch für ihn das richtige Lied.
Schade nur, dass man gleich mehrere osteuropäische Sprachen sprechen muss, um zu verstehen, mit welchen Worten man vom Barcelona Gipsy Balkan Orchestra getröstet wird – denn im Booklet sind die Texte ausschließlich in Originalsprache abgedruckt.

Bisherige Rezensionen zum bulgarischen Chorgesang, den
Taraf de Haïdouks und Fanfare Ciocărlia auf schallplattenmann.de

Offizielle Homepage des Barcelona Gipsy Balkan Orchestra

(Foto: Galileo)