Schlagwort: Indie-Pop

Dinosaur Jr. „Give a Glimpse of What Yer Not“

dinosaur[rating=3] Solider Indie-Rock aus der Prä-Grunge-Ära

J. Mascis ist ein Kauz, um das Mindeste zu sagen. Maulfaul, verschroben, lebt in seiner eigenen Welt. Irgendwie logisch, dass der Sänger, Gitarrist und Kopf der amerikanischen Indie-Band Dinosaur Jr. von aktuellen Trends völlig unbeeinflusst scheint. Einerseits ist das sympathisch, denn der gegenwärtige Zustand der Rockmusik mag manchem nicht so beneidenswert erscheinen. Andererseits vermitteln bereits die ersten Takte der neuen CD ein äusserst seltsames Gefühl eines Dé­jà-vu.
Hat man nicht genau diese Schrammelgitarre und diesen leicht nöligen Gesang schon in den Achtzigern gehört? Stammen die Aufnahmen wirklich aus dem Jahre 2016 und nicht von 1987? Damals erschien mit „You’re Living All Over Me“ die zweite CD von Dinosaur Jr. Sie entzückte die Kritiker und eine Handvoll Fans. Das Album nahm das vorweg, was unter dem Etikett Grunge etwas später Nirvana zum Erfolg verhalf. J. Mascis, Lou Barlow, der Bassist und Drummer Murph hatten ausser Anerkennung wenig davon abbekommen. Ob dies Mascis störte, ob er es überhaupt zur Kenntnis nahm, bleibt ungewiss. Knapp dreissig Jahre später klingt der Mann, mittlerweile auch schon fünfzig, wie ehedem. Fortschritt in der Musik? Ach, lass mal. Erwachsen werden? Wozu?
Nun hört und sieht man bei Live-Auftritten also drei ältere Herren, die auf ihre Instrumente eindreschen wie Jungspunde, ihre ergrauten Mähnen im Takt schütteln und versuchen, eine gute Zeit zu haben. Ist das heute Relevant? Nein. Ist das unterhaltsam? Durchaus. Braucht die Welt den amerikanischen Indie-Gitarren-Sound der Achtziger heute? Muss jeder individuell entscheiden.
„Give a Glimpse of What Yer Not“ wird daher vermutlich das Small-Time-Business von Mr. Mascis und seinen Kumpels nicht auf das nächste Level heben. Die Band wird damit auch keine Trends setzen und wortgewaltige Kritiker zu Begeisterungsstürmen über die Zukunft des Pop hinreißen. Ebenso werden die permanent aufgeregten Teilnehmer des medialen Rockzirkus die Platte vermutlich ebenso ignorieren wie bereits 1987 den Vorgänger. Gut so, denn wer nichts Neues erwartet, wird hier solide bedient. Mascis singt über irgendetwas, seine Gitarre jault und knarzt verzerrt, bisweilen zeigen sich ansatzweise Melodien, der Bass bleibt solide auf dem Teppich und der Drummer trommelt eben. Ein schnellerer Song, dann ein ruhigerer, mal ein bisschen Dylan oder Neil Young und ganz viel Dinosaur Jr. – von zarten Momenten bis hin zu Feedback-Gewittern. Wie gesagt: nichts Neues – Welcome to J’s World, if you please.

(Cover: Dinosaur Jr. Bandcamp)

Palace Winter „Waiting for the World to turn“

TAMB138DA_rgb_web[rating=3]Gelungener Einstand

Debüt des australisch-dänischen Duos, das bereits mit seiner EP „Medication“ aus dem Jahre 2015 eine gewisse Aufmerksamkeit für seinen verspielten Psychedelik-Sound erzeugte. Carl Coleman und Caspar Hesselager gehen dabei erneut clever vor. „Dune Wind“, der Eingangstitel zieht einen mit seinem Piano, den Synthies, der langsam einsetzenden Gitarre und dem wie verweht wirkenden Gesang geradezu in den Klangkosmos von Palace Winter. Das ist Absicht, wie Hesselager bekennt: Er wolle den Hörer in die weite, luftige Klanglandschaft locken und dann eine Weile darin festhalten. Dieser Dünenwind erinnert an Krautrock, Psychedelia und Pop und fesselt durch das Songwriting. Der Text handelt, soweit verständlich, von Erwartungen oder eben einfach davon, dass man auf etwas wartet. Hatte sich der Hörer gerade in der endlosen Weite des Raumes eingerichtet, überfällt ihn mit „Hearts to Kill“ ein irgendwie klaustrophobisches Klanggewirr aus übereinandergelegten Gitarren- und Synthesizerschichten. Eine Reise lebt halt von Kontrasten und verschiedenen Eindrücken. Deshalb bietet Titel Nummer Drei,“Positron“, diese in hohem Maße. Mit seinem Piano, der treibenden Gitarre mit starken Anklängen an die Sechziger fast überdreht, schlägt etwa in der Mitte die Stimmung um, der federnde Rhythmus wird plötzlich stark verlangsamt und der Sänger setzt aus. „Positron“, so die Musiker, beschreibe als Begriff ein hyperaktives Individuum an der Grenze zur Hysterie, eine Art bipolares Muster zwischen Depression und Überschwang.

Kennengelernt haben sich die Beiden übrigens 2013 auf einer Tour durch Dänemark, als die Band The Rumour said Fire, bei denen Hesselager als Keyboarder spielt(e) von Coleman begleitet wurden. Daraus erwuchs die Idee zum Projekt Palace Winter.
Beide haben eine Vorliebe für gute Melodien, leicht versponnene Texte, perlende Gitarren und flächige Synthesizer. Ein gutes Beispiel dafür ist „Soft Machine“, ein Song, der alles das aufs trefflichste bietet, obendrein luftig daher kommt und gedankliche und räumliche Weite entstehen lässt. Palace Winter können aber auch einfach Pop, wie sie mit dem radiotauglichen „HW Running“ beweisen. Doch dauerhaft können und wollen Palace Winter nicht dem Uptempo-Fröhlich-Sound frönen. Daher kommt mit „What Happend?“ gleich anschließend ein Midtempo-Song, der vom Selbstmord eines Nachbarn der Beiden handelt. Das ernste Thema offenbart sich nicht sofort, da das Ganze mit dem Klang von 80er-Jahre-Synthies bitter-süß daherkommt. „Proclamation Day“ stellt erneut das Songwriting und das E-Piano heraus, zieht sich jedoch etwas in die Länge. Definitiv lang ist der Doppeltitel, mit dem „Waiting for the World to turn“ schließt. „Dependance“ ist eine Ballade, eine Fahrt durch eine dunklen Tunnel („My Dependance of you frightens me/What if they took you away“), die „Independance“ dynamisch aufnimmt und aus dem dunklen Gefühlstunnel wieder hinausführt.

(Foto: Tambourhinoceros)

Jochen Distelmeyer „Songs from the Bottom Vol. 1“

distelmeyer[rating=3] Teils erstaunlich, teils langweilig

Jochen Distelmeyer, vormals Vordenker von Blumfeld und nummehr Teilzeit arbeitender Schriftsteller, gönnt sich eine kreative Pause. Er veröffentlicht ein Cover-Album mit gut abgelagerten Songs von Joni Mitchell, Al Green und sogar Pete Seegers „Turn, turn, turn“, das die meisten wohl von den Byrds kennen. Das klingt ganz gut, auch wenn die Welt sicher weder auf die folkpopige Version von Lana del Reys „Video Games“ gewartet hat noch auf die x-te Fassung des Seeger-Songs. Zwar gibt es viele Interpretationen fremder Songs, die das Original um Längen schlagen. Wer denkt bei „All along the Watchtower“ an Bob Dylan? Nicht der Songwriter, sondern Jimi Hendrix hat den Song berühmt gemacht. Ganz so kongenial ist Jochen Distelmeyer nicht. Ihm gelingt jedoch ein unaufgeregtes, von intellektuellem Ballast weitgehend befreitetes Album.
Wobei: So ganz ohne intellektuellen Überbau geht es bei einem Protagonisten der Hamburger Popschule natürlich nicht. Im bekannten anspielungsreichen und diskursverliebtem Jargon der Hamburger Schule lässt uns Jochen Distelmeyer einiges wissen: Den Titel des Albums verdankt er einem Kevin Ayers-Song. Die Songs spielte er während der Lesungen seines Romandebuts „Otis“. Die Titelauswahl hängt mit den Themen zusammen, die er darin verarbeitet hat – Hadesfahrten, Löcher, Leaks, Sexual Politics der Antike, Flüchtlinge und Kriegsheimkehrer – kurz: „Gesänge aus Basements, Backyards und tieferen Schichten“, so Jochen Distelmeyer.
Das klingt nach einem großen, wenn nicht gar großspurigen Versprechen. Er kommt ihm nicht immer nach. Distelmeyer hat eine angenehme Stimme, die Begleitung bleibt zurückhaltend. Bei der Songauswahl – darunter auch Britney Spears „Toxic“ und „Bittersweet Symphony“ von Verve – zeigt er eine schöne stilistische Spannweite, die durch den Gesang und die reduzierten Arrangements erstaunlich homogen klingt. Und Jochen Distelmeyer zeigt, dass er auch richtig gut sein kann – zum Beispiel beim Avici-Dancefloor-Knaller „I could be the One“. Perlende Klavierakkorde, Hall, akustische Gitarre, sparsame Synthiarrangements, gepflegte Melancholie – hier passt alles wunderbar. Womit wieder einmal bewiesen wäre, dass vermeintlich seelenlose Musik für den Massenmarkt und intellektuelle Musiker sich im Pop-Universum durchaus bestens vertragen können.
Fazit: nicht die Zukunft des Pop, aber zumindest ein gutes Album.

Swaying Wires „I Left a House Burning“

BATTLE046_72DPI[rating=3] Bekannte Mischung, aber gekonnt angerichtet. Macht Appetit auf mehr und vermag bis zum Frühjahr mit wohligen Klängen zu wärmen.

Es ist kalt. Was hilft da besser als verträumter Folkpop aus Finnland? Das mögen auch die Swaying Wires gedacht haben, als sie die Veröffentlichung ihres zweiten Albums in den Wintermonat Januar legten.
Zwei Jahre sind seit ihrem Debut vergangen, es gab einige Tourneen und Streitigkeiten, aber die Stimme von Sängerin Tina Karkinen klingt immer noch glasklar, hell, verträumt. Stellenweise ergänzt ein Hauch von Melancholie die zunächst sehr sanfte Atmosphäre des Albums. „Dead Bird“ beginnt verhalten, die akustischen Gitarren und die dezente Rhythmusgruppe bilden einen perfekten Klangteppich für Karkinen und ihre Texte. Mag man hier noch von der vermeintlichen Lagerfeuerromantik eingenommen sein, so zeigen sich doch subtil kleine Störungen: »I see the wing of a dead bird … a view for sore eyes«. Unversehends gesellen sich dunkle Schatten zum schönen Abend in der freien Natur. Bereits im nächsten Song, „Nowhere“, zieht das Tempo an und die elektrische Gitarren werden schon mal etwas lauter.
Man mag sich in „Tuesdays Bells“ an die zu Unrecht unbekannt gebliebene englische Band Whistler erinnert fühlen, die ähnliche Songs mit entsprechender Stimmung produzierte, aber das sind vage Reminiszenzen. Gehen wir mal davon aus, dass die Band sich fleissig durch den Katalog des Folkpop, der aktuelleren Psychedelia und anderes gehört hat. Entscheidend ist jedoch immer noch, was man aus all den Einflüssen macht.
Tina Karkinen singt ihre Songs als hätte sie nie etwas anderes gemacht. Sie beherrscht, bei aller Begrenzung ihrer Stimme, souverän die Register der Genres, in denen sich der musikalische Rahmen bewegt. Mehr noch: Die Welt ist – zumindest in musikalischer Hinsicht – klein geworden. „Surrender“ könnte ebenso gut in einem Studio irgendwo in Amerika aufgenommen worden sein, was als Kompliment gemeint ist. Auch die Produktion ist erstaunlich reif für eine noch junge Band. Alles wirkt wie aus einem Guss, alles passt.

Respekt. Die Swaying Wires lassen auf ihrer zweiten CD „I left a House Burning“ einen eigenen Klangkosmosentstehen, der den Hörer für eine Dreiviertelstunde auf eine Reise mitzunehmen vermag – obwohl es auch einige schwache Momente gibt. „Suddenly“ etwa klingt mit seinen Chören und dem Mellotron zu sehr nach Westcoast-US-Pop der schlimmeren Sorte. Zweifellos wäre es auch nicht schlecht gewesen, Karkinens zarter Mädchenstimme hin und wieder irgend etwas Biestiges entgegenzusetzen, eine sägende Gitarre etwa oder eine männliche Reibeisenstimme. Das dachte die Band wohl auch. So kommen in „Fear“ immerhin die E-Gitarren etwas stärker aus der Deckung und Karkinens Stimme wird eher wie ein Instrument eingesetzt. Obwohl der Song mit Glockenspiel-Klängen lieblich endet, läßt er durchaus Anklänge an Psychedelia erkennen. Doch wo Furcht ist, wächst auch die Hoffnung. Daher folgt auf „Fear“ das Stück „Hope“ – vielleicht eine Kostprobe finnischen Humors. Kurz vor Schluss wird es in „Ways to Remember“ mit Piano und dezenter Streicherbegleitung noch einmal balladesk. Und süß, fast zu süß.

Planeausters „Humboldt Park“

Planeausters_Cover_Believe[rating=3] Erstaunlich Reifes aus der Provinz

Was bedeutet Rockmusik heute? Ein gigantisches Geschäft, Konzertarenen, in denen man für viel zu viel Geld die Band des Abends auf grobkörnigen Videoleinwänden sehen kann. Oder wahlweise Mehrzweckhallen mit mieser Akustik und überhöhten Getränkepreisen. Irgendwo in weiter Ferne stehen alte Männer auf der Bühne und spielen die Songs unserer Jugend. Das ist alles recht traurig, erfüllt aber offenbar seinen Zweck.
Dann kommt wieder eine Platte wie „Humboldt Park“ ins Haus, von einer deutschen Band namens Planeausters. Aus Ravensburg! Hier ist das Ergebnis umgekehrt zum abgeschmackten Rockzirkus: Man erwartet wenig und wird aufs Angenehmste überrascht. Nicht, dass die Planeausters die Zukunft des Rock’n’Roll verkörperten oder mit ungehörten Ideen aufwarteten. Die drei Jungs machen es so wie viele andere junge Bands. Sie erzählen ihre eigenen Geschichten, sie spielen ihre Songs, und beide nehmen eine mit auf eine Reise. Sänger und Gitarrist Michael Moravek hat sich durch den goßen Fundus amerikanischer Singer-Songwriter gehört und kann bei Bedarf auch den jungen Dylan zu neuem Leben erwecken – wie etwa in „Stranger in a Stranger’s Clothes“, das beinahe klingt wie His Bobness 1969. Der Song „Never Forget“ erinnert dagegen an amerikanischen Desert-Rock; er funktioniert prächtig und wirkt weit weniger epigonal als man zunächst denkt.

Moravek und seinen beiden Mitmusikern gelingt mit „Humboldt Park“ das Kunststück, Altes und Bekanntes mit Neuem zu einem eigenständigen Klang zu vermischen. Das liegt unter anderem daran, dass der Mann überzeugend Geschichten erzählen kann. Hinzu kommt, wie in „Wouldn’t say it’s over“ oder „The Golden Days of Missing you are over“, ein gewisser lakonischer Humor. Dazu sind Gesang und Musik angenehme unaufgeregt. Sicher, Moraveks Gesang zeigt ab und an noch zu sehr seine Bewunderung für Mike Scott von den Waterboys. Und mitunter weisen nicht nur Gitarrensound, Bass und Drums, sonder auch Melodien und Songaufbau deutliche Anklänge an große Vorbilder auf. Trotzdem: Für die relativ junge Band aus Ravensburg ist das mehr als respektabel.

Eingespielt wurde „Humboldt Park“ in Chicago, in einem Studio, das sich in der Nähe des Humboldt Parks befindet – einem jener Orte, die man bei Einbruch der Dunkelheit dem Vernehmen nach meiden sollte. Die Themen der Planeausters sind trotzdem weniger urbane Gewalt oder die Hektik der Großstadt. Ihre Musik folgt eher dem Kompass der Sehnsucht nach Freiheit und Weite, also uramerikanischen Mythen. Und ihre Texte thematisieren die ewige junge Erfahrung von Liebe und Enttäuschung, drehen sich also um das große Ganze, das sie mit einer angenehmen Mischung aus Humor und Melancholie präsentieren.
Die Arrangements sind allerdings überwiegend sparsam: Hier spielen überwiegend drei Typen Gitarre, Bass, und Schlagzeug, und einer singt. Und auch wenn man gelegentlich eine Mundharmonika, eine Orgel und auch mal eine Trompete hört, wirkt nichts überfrachtet.

Small Time Giants „Stethoscope“

index[rating=3]

Erinnert an Gitarrenbands der leiseren Sorte, setzt aber auch eigene Akzente.

Die Small Time Giants kommen aus Grönland und sind eine der Lieblings-Rockbands dieser Insel. Was das im internationalen Pop-Zirkus bedeutet, kann sich jeder ausmalen. Wer „Big in Greenland“ ist, könnte genau so gut Popstar auf Pluto sein. Einerseits.
Andererseits eröffnet eine solche Nischenexistenz ungeahnte Möglichkeiten. Auch Zwerge haben einmal klein angefangen. Und: Größe allein besagt gar nichts. Immerhin hat es die vier Jungs unterdessen nach Kopenhagen verschlagen, was verglichen mit Grönland schon hautnah am Puls des Pop ist. Und so dauerte es auch ’nur‘ ein Jahr, bis ihre Debut-CD auch ausserhalb Grönlands und Dänemarks erhältlich ist.

Genug der Vorreden. Entscheidend ist immer noch, was hinten, also aus den Lautsprechern raus kommt. Grönland muss eine grundentspannte Insel sein, mit einem gehörigen Schuss Melancholie im Gemüt der Insulaner. Die Musik der Small Time Giants auf „Stehthoscope“ erinnert sicher nicht von ungefähr an
britische Indie-Gitarren-Bands der leiserern Sorte.
Die Vorbilder sind noch recht präsent. Aber die Jungs haben ein feines Gespür für Melodien und für dramatischen Song-Aufbau. Lead-Sänger Miki Jensen gelingt es gut, Emotionen und Stimmungen zu transportieren, wie in „Undiscovered Potential“, wo es hoffnungsvoll heisst: „We know every Flower will grow through Concrete“. Beinahe Hit-Potential – auch ausserhalb von Grönland – hat der Song „A Basement with a View“, der wie die meisten Titel auf beinahe naive Weise verhaltenen Optimismus verkörpert.

Musikalisch pendelt die Band irgendwo im Pop-Kosmos zwischen hallenden Gitarren, stellenweise opulenten orchestralen Keyboard-Melodien, Computer-gestützten Drums und einer angenehmen Stimme des Sängers. Jener mangelt es zwar an Tiefe und Variationsbreite, aber welcher Pop-Sänger kann das schon für sich in Anspruch nehmen? Wie bei vielen Platten-Debüts üblich, fehlt noch Routine. Die eingeschlagene Richtung ist noch nicht völlig ausdefiniert, und Änderungen im Sound sind vorstellbar. Wer jedoch eine nette Indie-Pop-Platte hören möchte, die zwischen einer Art post-adoleszenten Melancholie mit optimistischem Ausblick changiert, ist hier richtig. Die Small Time Giants treten mit ihrem Debüt sympathisch und bescheiden auf, ohne große Geste und ohne Anspruch, den Pop neu zu erfinden. Beim nächsten Mal darf es aber ruhig auch mal ein wenig dynamischer zur Sache gehen. Jetzt, im nebligen November, bieten sie die richtige Mischung.

Sufjan Stevens „Carrie & Lowell“

a2231815864_2[rating=3] Betörend, stellenweise berührend und autobiographisch

„This is not my art project, this is my Life“, sagt Sufjan Stevens über „Carrie & Lowell“. Das Cover ziert ein altes, vergilbtes und beschädigtes Polaroid-Foto, das seine 2012 an Magenkrebs verstorbene Mutter und seinen Stiefvater zeigt. Eine musikalische Reise in die eigene Vergangenheit mithin, die mit „Death with Dignity“ den Reigen der elf Songs bedeutungsschwanger eröffnet. Wer nun einzig Düsternis und Schwermut erwartet, liegt richtig und falsch zugleich. Die Texte handeln von Leben und Tod, von Liebe und Verlust, von Kindheit und Pubertät – doch musikalisch erlebt der Hörer die Wiederkehr männlichen Harmoniegesangs aus den sonnigen sechziger Jahren und einen aufs Wesentliche reduzierten ‚Wall of Sound‘ in der Tradition Phil Spectors. Stevens setzt dabei jedoch nicht auf Retrosound, sondern erzeugt  einen ganz heutigen, modernen Klang. Er ist ein versierter Wanderer zwischen den musikalischen Welten und verbindet Folk, Indiepop, Electronica, orchestrale Arrangements und mehrstimmigen Gesang zu einer eigenen Mischung. Diese ist allerdings aufgrund der vielen Zutaten bisweilen schwer verdaulich. Manches Projekt seiner jüngsten Vergangenheit, etwa „Sevens Swans“ mit seinen biblischen Themen, wirkte überambitioniert, mancher Auftritt mit exaltierter Bühnenshow und einer Vielzahl von Mitstreitern abgeschmackt und neben der Spur.

Auf „Carrie & Lowell“ erscheint Sufjan Stevens nunmehr gleichzeitig gereifter und reduzierter. Beinahe intim in seinen Erinnerungen an Kindheitsszenen, in denen die von Drogen und Psychosen gebeutelte, meist abwesende Mutter eine wichtige Rolle spielt. „Death and Dignity“ beginnt mit einfachen Akkorden einer akustischen Gitarre, dann setzt Stevens‘ Falsett-Stimme ein, gerne auch – wie in „All of me wants all of you“ schön hörbar – mit sich selbst im Chor und in reiner Harmonie. Diesen wesentlichen Zutaten wird hier und da ein Klavier hinzugefügt, weibliche Background-Stimmen, und elektronische Instrumente und Effekte beenden die Songs zumeist mit einem leichten Anklang an Ambient-Sounds.
Dadurch ist „Carrie & Lowell“  weder eine reine Rückbesinnung auf Stevens Folk-Anfänge, noch Ambient-Folk, falls es sowas gibt, sondern eine Art Synthese aus seinem bisherigen Schaffen mit interessanten Ausblicken auf eine mögliche Zukunft seiner Musik.

Fink (UK) „Hard Believer“

[amazon_image id=“B00J5LHKHG“ link=“true“ target=“_blank“ size=“medium“ class=“alignleft“]Fink „Hard Believer“[/amazon_image][rating=2]Reizvoll, aber auch beliebig

Fink, das Trio aus England um Sänger, Songwriter und Hauptakteur Finian Greenall, setzen mit „Hard Believer“, ihrem fünften Studioalbum, den eingeschlagenen Weg fort. Dieser besteht im Wesentlichen aus einem stellenweise recht reizvollen, wenn auch mittlerweile den Fink-Hörern hinlänglich bekannten Mix aus Countryblues mit Akustikgitarre und Greenalls rauer, dunkler Stimme, sowie Elementen aus Dancehall, Electronica, den verschleppten Rythmen des Triphop und Folkelementen, die versiert mit Hilfe moderner Studiotechnik verschmolzen werden. Das funktioniert dann gut, wenn das Gerüst, also das Songwriting, Substanz hat. Und es wird dann schnell beliebig, wenn die Songidee eher dürftig bleibt. Der Titelsong „Hard Believer“ eröffnet das Album ganz verheißungsvoll, aber schon „White Flag“ mit den bekannten, verhallten Dub-Effekten aus Dancehall und den schleppenden Drums des guten, alten Trip-Hop der Neunziger, schwächelt ein wenig. Das hat man alles schon einmal gehört – selbst von „Fink“ stellenweise erheblich besser.
„Pilgrim“ dagegen baut wieder gehörig Dramatik und Spannung auf. „Two Days Later“ oder „Too Late“ könnten hingegen in beinahe jedem beliebigen Formatradio geschmeidig durchgehen. Hier wird es mit dem stark zuckeraustauschhaltigen Radiopop – sehr süß, macht aber nicht dick und satt – etwas übertrieben. Immerhin ist Greenalls Stimme auch in diesen Liedchen noch ein Anker. „Shakespeare“ wiederum liebäugelt mit seinem gefälligem Text über den englischen Dichterfürsten und den Streicherarrangements aus dem Synthesizer eher mit Adult Orientated Pop, gefällt aber dennoch. „Looking Too Closely“ und die abschließende Liveaufnahme „Keep Falling“ sind solide Kost – nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Fazit: „Hard Believer“ ist ein Album, das man nicht unbedingt braucht von einer Band, die nicht so recht zu wissen scheint, wohin die weitere Reise gehen soll.

 

R.E.M. „Unplugged 1991/2001 – The Complete Sessions“

[amazon_image id=“B00JFBCDD2″ link=“true“ target=“_blank“ size=“medium“ class=“alignleft“]R.E.M. „Unplugged 1991/2001 – The Complete Sessions“[/amazon_image][rating=4] Gut gelaunt und inspiriert: Zwei vollständige semi-akustische Konzerte der Vorzeige-Band des Alternative Rock.

1991 war für R.E.M .das Jahr des kommerziellen Durchbruchs. Hatten sie bis dahin eine gewisse Reputation als ‚Alternative Rockband‘ erworben, so gingen sie nach Veröffentlichung des Albums „Out of Time“ im März des Jahres beim Major-Label Warner in Richtung Superstars durch die Decke. Der Song „Losing my Religion“ war ein großer Erfolg für das Quartett und das Album markierte den Weg vom Alternative-Rock zu einem breiteren musikalischen Spektrum, das Country-Einflüsse ebenso umfasste wie Rap und vor allem Pop-kompatibel war.

Der Sender MTV hatte seit 1989 die „Unplugged“-Reihe im Programm, in der prominente Künstler ihre bekannten Songs live (fast) ohne elektrische Verstärkung zum Besten gaben. Die Idee war keineswegs neu, schlug aber beim Publikum sofort ein. MTV erzielte mit der (scheinbar) intimen Atmosphäre eines Akustik-Konzertes regelmäßig riesige Reichweiten und befand sich auf dem Höhepunkt seiner Popularität: „MTV Unplugged“ wurde zum verkaufsfördernden Label für Live-Alben.

Als R.E.M. 1991 bzw. 2001 im Rahmen der Unplugged-Reihe in den MTV-Strudios auftraten, brachten sie alles mit, was für ein Gelingen eines solchen Konzerts vonnöten war: gute Songs, einen guten Sänger, eine spielfreudige Band, die technisch versiert war, an den akustischen Instrumenten (ebenso) zu glänzen. Freilich, ganz verzichtete R.E.M. nicht auf die Elektrifizierung: So hört man eine Hammond-Orgel und einen E-Bass, andererseits hielt sich aber bei den Arrangements weitgehend an die Akustik-Vorgabe.

R.E.M. waren sich 1991 natürlich bewusst, dass sie kurz vor dem Eintritt in die Champions-League des Rock standen, ließen aber dieses Renommee bescheiden im Standby-Modus. Und so präsentierten sie ihren in vielerlei Hinsicht typisch amerikanischen Rock nicht im Stadion-Format, der bald schon für sie Normalität werden sollte. Michael Stipe und seine Mitstreiter hatten sich vor dem Auftritt offensichtlich Gedanken über die Interpretation ihrer Songs gemacht und überwiegend auf mittleres Tempo und ausgefeilte Vokal-Arrangements gesetzt. Es ist durchaus reizvoll zu hören, wie R.E.M. auf „Fall on me“ oder „Belong“ zuckersüße, mehrstimmige Beach-Boys-Harmonien intonieren. Dazu erklingt ganz beschaulich die Mandoline und für einen Moment mag man daran glauben (aller möglicherweise gewollten Ironie bei diesen Interpretationen zum Trotz), dass zwischen ‚Alternative-Rock‘ und ‚Pop-Mainstream‘ eine feine, aber natürliche Verbindung besteht.

Während der Auftritt von 1991 noch manchmal gewisse Unsicherheiten in der Intonation oder im Zusammenspiel sympathisch erkennen lässt, präsentiert die 2001er-Session eine Band, die mit Hilfe von zusätzlichen Kollegen (nach dem Ausscheiden des Drummers Bill Berry) routiniert, aber nach wie vor sehr spielfreudig zur Sache geht. Selbst eine ‚Breitwand-Ballade‘ wie „The One I Love“ funktioniert da hervorragend im reduzierten Arrangement. Man vermisst eigentlich nichts bei R.E.M.s unverstärkten Auftritten, die Songs erhalten einfach eine neue Qualität. Statt Rock’n’Roll mit großen Gesten (vielleicht sowieso nie ganz die Sache von R.E.M., Anm. der Red.) erhält man tolle Country- und Folk-getränkte Songs, einen gut gelaunten Michael Stipe und bei einigen Titeln eine Art Doo-Woop-Ausgabe der Band.

Fazit: Nicht nur für Sammler und Fans, sondern auch für alle, die von R.E.M. bislang nur wenig kennen und neben der ‚Alternative‘-Combo und der ‚Mainstream‘-Band eine weitere Facette der Formation entdecken möchten.

Bisherige Rezensionen zu R.E.M. auf schallplattenmann.de

(Bild: Networking Media)