Autor: Klaus Wenzel

Jonathan Jeremiah „Oh Desire“

[rating=3] Ein durchweg gutes Album
Der britische Sänger und Gitarrist Jonathan Jermiah legt mit „Oh Desire“ ein hörenswertes neues Album vor. Stilistisch durchaus uneinheitlich, wie man es von Jeremiahs bisherigen Veröffentlichungen kennt, pendelt auch dieses zwischen Folk-Jazz, Jazz, Pop und Soul. Deutliche Reminiszenzen an Otis Reddings unzerstörbaren Klassiker „Sitting on the Dock of the Bay“ liefert etwa sein „Smiling“, und bei „Walking on Air“ stellte sich die leise Erinnerung an „Solid Air“ von John Martyn ein. Jeremiah steht also auf den Schultern großer Musiker der sechziger und siebziger Jahre, was zusätzlich durch die analogen 16-Spur-Aufnahmen, mit denen die Titel aufgenommen wurden, akzentuiert wird.
Bleibt da Raum für eigenes? Sein Debüt 2011, „A Solitary Man“, wirkte bei aller Qualität seiner angenehmen Bariton-Stimme teils glatt und zerfahren, und mit dem Himmel voller Geigen, der beinahe in jedem Song dräute, auch überproduziert. Die etwas eigenwillige musikalische Mischung aus Big-Band-Jazz, Folk, Soft-Rock und seinem Aussehen, das wie eine Kreuzung aus Cat Stevens und modernem Hipstertum wirkt, schienen ihn nur bedingt zum Posterboy sensibler junger Menschen zu prädestinieren, die am virtuellen Lagerfeuer neben dem CD-Player Wärme suchten. Allein, der Erfolg wirkte bestätigend. Nun, einige Jahre später, sind die Big-Band-Anklänge weitgehend verschwunden, und die Geigen schluchzen ebenfalls dezenter. Nur im kurzen Eröffnungstitel und in „Rosario“ dominieren sie noch.
Geblieben ist die Liebe Jeremiahs zum klassischen Soul, zu Folk-Jazz und Soft-Pop, zur angejazzten Ballade. Hinzugekommen ist zudem eine feste Band, die bei der Umsetzung der vielfältigen musikalischen Ideen den Ton trifft. Und dieses Mal produzierte der Künstler selbst. Herausgekommen sind 13 Songs, die jedoch nicht alle im musikalischen Gedächtnis haften bleiben. Aber „Oh Desire“ ist, etlichen überraschenden Wechseln in der musikalischen Farbe zum Trotz, ein durchweg gutes Album geworden. Dem Thema Verlangen verhaftet, erzählt Jeremiah mit seiner angenehm tiefen Stimme Geschichten vom Tod der Eltern, Mythen der irischen Heimat („The Devils Hillside“), wie er diese Mythen aus den Erzählungen der Mutter als Kind kennen lernte oder vom hektischen, lauten Großstadtleben in London und der Sehnsucht nach dem vermeintlich einfachen Leben in der Natur. In „Rising Up“ räsonniert er darüber, daß – anders als in seiner Jugend – Bildung und Fleiß jungen Leuten keineswegs den Aufstieg ermöglichen oder auch nur erleichtern. Die sozialen Barrieren seien so hoch wie nie.
In der Summe seiner Musik und Texte bleibt sich Jonathan Jeremiah mit „Oh Desire“ treu, wenngleich einige behutsame, gleichwohl hörbare, Änderungen die neue Veröffentlichung prägen.   

Sufjan Stevens „Carrie & Lowell“

a2231815864_2[rating=3] Betörend, stellenweise berührend und autobiographisch

„This is not my art project, this is my Life“, sagt Sufjan Stevens über „Carrie & Lowell“. Das Cover ziert ein altes, vergilbtes und beschädigtes Polaroid-Foto, das seine 2012 an Magenkrebs verstorbene Mutter und seinen Stiefvater zeigt. Eine musikalische Reise in die eigene Vergangenheit mithin, die mit „Death with Dignity“ den Reigen der elf Songs bedeutungsschwanger eröffnet. Wer nun einzig Düsternis und Schwermut erwartet, liegt richtig und falsch zugleich. Die Texte handeln von Leben und Tod, von Liebe und Verlust, von Kindheit und Pubertät – doch musikalisch erlebt der Hörer die Wiederkehr männlichen Harmoniegesangs aus den sonnigen sechziger Jahren und einen aufs Wesentliche reduzierten ‚Wall of Sound‘ in der Tradition Phil Spectors. Stevens setzt dabei jedoch nicht auf Retrosound, sondern erzeugt  einen ganz heutigen, modernen Klang. Er ist ein versierter Wanderer zwischen den musikalischen Welten und verbindet Folk, Indiepop, Electronica, orchestrale Arrangements und mehrstimmigen Gesang zu einer eigenen Mischung. Diese ist allerdings aufgrund der vielen Zutaten bisweilen schwer verdaulich. Manches Projekt seiner jüngsten Vergangenheit, etwa „Sevens Swans“ mit seinen biblischen Themen, wirkte überambitioniert, mancher Auftritt mit exaltierter Bühnenshow und einer Vielzahl von Mitstreitern abgeschmackt und neben der Spur.

Auf „Carrie & Lowell“ erscheint Sufjan Stevens nunmehr gleichzeitig gereifter und reduzierter. Beinahe intim in seinen Erinnerungen an Kindheitsszenen, in denen die von Drogen und Psychosen gebeutelte, meist abwesende Mutter eine wichtige Rolle spielt. „Death and Dignity“ beginnt mit einfachen Akkorden einer akustischen Gitarre, dann setzt Stevens‘ Falsett-Stimme ein, gerne auch – wie in „All of me wants all of you“ schön hörbar – mit sich selbst im Chor und in reiner Harmonie. Diesen wesentlichen Zutaten wird hier und da ein Klavier hinzugefügt, weibliche Background-Stimmen, und elektronische Instrumente und Effekte beenden die Songs zumeist mit einem leichten Anklang an Ambient-Sounds.
Dadurch ist „Carrie & Lowell“  weder eine reine Rückbesinnung auf Stevens Folk-Anfänge, noch Ambient-Folk, falls es sowas gibt, sondern eine Art Synthese aus seinem bisherigen Schaffen mit interessanten Ausblicken auf eine mögliche Zukunft seiner Musik.

Erfolg „“Erfolg““

„Ich nenn‘ mich jetzt Erfolg, dann habe ich in meinem Leben immer Erfolg“ singt Erfolg im Song „Erfolg“ auf seinem Debut-Album „Erfolg“. Ganz schön dick aufgetragen, möchte man meinen, aber keine Angst: der will nur spielen. Er ist Johannes von Weizsäcker, Berliner Musiker, der statt „Rock“ im weiteren Sinne auf seinem Erstling, ja was eigentlich genau macht? Chanson? Kabarett? Pop? Das Erbe von Andreas Dorau und Max Goldt verwalten? Hier können wir nur mit einem entschiedenen „Vielleicht, vielleicht auch nicht“ antworten. Der beste Weg zum Erfolg ist, zunächst unbefangen seine Platte zu hören. Schnell wird klar, dass die angenehme – im weiteren Sinne – Popmusik sich dem Sprechgesang von Weizsäcker unterordnet. Wo dessen stimmliche Qualitäten nicht weiter reichen, hilft „“Der beste Damenchor aller Zeiten““, der natürlich genau das nicht ist, sondern eine muntere Ansammlung sangeskundiger Damen im Berliner Popformat. Das macht aber überhaupt nix, denn die Miniaturen oder Moritaten Weizsäckers, pardon: Erfolg, handeln von Leuten wie dem „Brillenmann“, der im angesagten Hauptstadtchic allerorten bei Konzerten, Lesungen oder Vernissagen Gesichtspflege betreibt. „Mausmann“ erweitert die Betrachtung prekärer Existenzen um einen zeitweiligen Fondsmanager, der gerne kocht, im Fernsehen zu Ruhm kommt und sein Leben fern aller deutschen Kochtöpfe beschließt und der „Gute Mann“ wird mit Verve besungen, jedoch aus ironischer Sichtweise. Das alles ist gut gemacht und beobachtet, aber trotzdem nur Musik für „gewisse Stunden“, die aber in jenen genau richtig ist. So ist das Leben, zumindest jenes von Teilen des Berliner Szenebiotops, das allen Tendenzen der Gentrifizierung zum Trotz – oder gerade deswegen? – wächst und gedeiht. Angenehm daran, daß das gewisse Pathos und – seien wir offen – die bisweilen große Berliner Schnauze hier fehlen, sondern stattdessen hintergründiger Humor, sanfte Ironie, leichte Melancholie und geschärfte Beobachtungsgabe dominieren. Zwar etwas textlastig, das Ganze, aber „mal was anderes“ aus dem kleinen deutschsprachigen Eck im Pop-Universum.[rating=3]

 

 

Martin Stephenson und John Steel, 19. März 2015, Music Star, Norderstedt

Stephenson_Hull-2_PS5Was für ein Abend voller Anekdoten, Erzählungen, launiger Geschichten – und vor allem voller guter Musik! Martin Stephenson und sein Mitstreiter aus alten Tagen, John Steel, zaubern an einem kalten Donnerstagabend im März bereits mit dem ersten Song Rhythmus in die Beine und ein Lächeln ins Gesicht der überschaubaren Anzahl zumeist älterer Zuhörer. Anders als von Jethro Tull in den 70er-Jahren beschrieben, ist heute niemand mehr „Too Old To Rock’n’Roll“; Rockmusik heute ist Musik für ‚Best Ager‘ und noch ältere Zeitgenossen.

Martin Stephenson, seit nummehr auch schon 30 Jahren sowohl mit Band als auch solo unterwegs und zuletzt 2003 in Deutschland, gab jedoch von Beginn an nicht den Revoluzzer. Er war immer ein Storyteller, fast ein Busker, ein Folkie mit Punk und Reggae-Wurzeln. Nicht die große Geste ist sein Metier. Vielmehr skizziert Stephenson liebevoll bis boshaft menschliche Schwächen wie Heuchelei und Eitelkeit, die er in „Crocodile Cryer“, einem Klassiker der Daintees, aufs Korn nimmt, oder beschreibt die Liebe im reiferen Alter. Stephensons kongenialer Begleiter John Steel, Mitglied der ersten Daintees-Besetzung, ist nach langer Zeit wieder dabei. „Ich wurde von Ausserirdischen entführt“, begründet er seine Abwesenheit zwischen Songs wie „Wholly Humble Heart“ oder „Coleen“ und „Little Red Bottle“ vom längst zum Klassiker gewordenen 1986er-Debüt „Boat to Bolivia“. Auch „Tribute to the Late Rev. Gary Davis“ fehlt nicht. Die Setlist, von Stephenson scherzhaft als Gedächtnisstütze bezeichnet, ist ellenlang. Alte und neue Songs wie „Slow Love“ werden mit zahlreichen Anekdoten garniert, etwa jener über Peter, Paul and Mary die den Blueser Gary Davis derart verehrt hätten, dass sie ihm in den späten Sechzigern ein Haus in Queens schenkten.

Im Laufe des langen Abends, bei dem die angejahrten Zuhörer vor den Musikern zu ermatten schienen, erzählt Stephenson auch von durchzechten Nächten mit Allan Hull, der wie Stephenson aus Newcastle stammte und mit „Lindisfarne“ in den 70er-Jahren zu einigem Ruhm gekommen war, von einer Begegnung mit dem knurrigen Doc Watson, von den Arbeitsbedingungen der mexikanischen Arbeiterinnnen, welche die Fender-Gitarren zusammenbauten, vom grantigen Roadie Lone Wolfe aus „Wolvesburg“, von seiner Gitarre aus dem Jahr 1946 und nicht zuletzt auch von Buddah und Gott. Mal erzählt er mit Augenzwinkern, wenn er vom realen Vorbild für seinen „Crocodile Cryer“ erzählt, mal ernsthaft, wenn es um die Suche nach Sinn und Frieden im Leben geht.

Erst nach fast drei Stunden gehen die Lichter wieder an, und wer nicht dabei war, hat definitiv etwas verpaßt. Beschwingt treten wir den Heimweg durch die Kälte an, während „Solomon“ und „Salutation Road“ noch in unseren Ohren nachklingen.

Steve Wynn, 5.3.2015, Music Star, Norderstedt

Was könnte einen Hamburger dazu veranlassen, an einem Donnerstagabend in die graue Nachbarstadt Norderstedt zu fahren? Natürlich ein Gastspiel von Steve Wynn, Kopf und Komponist von Dream Syndicate, die in den Achtzigern ein paar superbe Alben ablieferten, ohne jemals den Massenerfolg ihrer Tour-Kollegen von REM zu erreichen. Das Music Star ist ein spärlich eingerichteter kleiner Club mit dem Charme einer Garage, bei dem Musiker und Zuhörer sich nahe kommen – man sitzt etwa einen Meter von dem Akteur auf der Bühne entfernt. Steve Wynn tritt regelmäßig hier auf, weil er  – wie etliche andere amerikanische Kollegen – die Mischung aus Club- und Wohnzimmerkonzert sehr schätzt.
Diesmal kommt er Solo, wenn auch erstmals mit elektrischen Gitarren, darunter Greeny, eine kanadische Eastwood-Gitarre, die gegen Ende des zweiten Sets zum fulminaten Einsatz kommt. Greeny heiße sie, sagt Wynn, weil er Dinge, die er besitze, gerne mit einer ‚Persönlichkeit‘ ausstatte.
Die grüngelb lackierte Greeny sieht kurios aus und klingt fantastisch, fast besser als die halbakustische Gibson, die er überwiegend spielt. Er spielt durchweg laut, was den aufgeräumten Wynn zu der Bemerkung veranlasst, dass er immer noch Folk-Sänger sei, nur eben ein ziemlich lauter. Überhaupt präsentiert sich der Mittfünfziger bestens aufgelegt und in Form. Zwischen die Songs streut er die eine oder andere Anekdote, so etwa eine Antwort darauf, welche Platte sein Leben verändert hätte: „The Days of Wine and Roses“, denn vor der Veröffentlichung dieses Dream Syndicate-Albums vor 33 (!) Jahren sei er Plattenverkäufer gewesen, danach professioneller Musiker. Oder Bemerkungen zu einer Solo-Tournee: Solo könne er jeden Abend seine Setlist nach Belieben ändern, ohne sich mit seinen Kollegen abstimmen zu müssen. So könne er alle seine Songs spielen, an die er sich erinnere – und auch so, wie er sie gerade spielen wolle. Das macht er dann auch fast zwei Stunden lang, darunter Titel wie „“Sweetness and Light““ oder „“Grace““.

Natürlich spielt er Lieder von Dream Syndicate, darunter eine tolle Version von „The Days of Wine and Roses“ und, als Hommage an Lou Reed, „Coney Island Baby“. Wynn bekennt, ein großer Lou-Reed-Fan gewesen zu sein. Er beklagt dessen Tod im letzten Jahr, aber auch, daß Kritiker ihm und seiner Band in den Achtziger-Jahren immer vorgeworfen hätten, wie Reed zu klingen. Das alles scheint aber heute nicht mehr relevant. Und so bekommen die sehr angetanen etwa 100 Zuhörer Coverversionen, Punk, Singer-Songwriter-Skizzen und reduzierte Versionen von Klassikern seiner Band. Als Wermutstropfen ist zu vermerken, dass der Klang nicht optimal ausgesteuert war, sodaß sich sein mit zwei Mikrofonen aufgenommener Gesang („Damit bin ich Ike und Tina in einer Person“) und der Klang seiner Gitarren bisweilen überlagerten.

 

Lymland „Rymdar“

lymland_rymdar_artwork[rating=3]Filmmusik ohne Film, oder: Klänge, welche die Imagination des Hörers beflügeln sollen.

Es ist durchaus ambitioniert, was das junge schwedische
Duo Lymland hier auf seinem zweiten Album „Rymdar“ zum Besten gibt. Sonja Perander und Jerker Kaj verzichten dabei auf
Gesang und allzu plakative Elemente, sondern setzen mit Synthies, Piano, Gitarren und unterstützenden weiteren Instrumenten wie Glockenspiel, Trompete und Cello auf ruhige, fließende Klänge. Beinahe könnte man an Minimal-Sound denken oder Brian Enos „Music for Airports“. Die neun Titel strahlen Harmonie und Ruhe aus und bilden in ihrer Gesamtheit einen reizvollen, ruhigen Klangfluss.

Das kommt einfach und ohne großes Programm daher und weckt, die an lange filmische Einstellungen von Naturmotiven denken lassen. Tatsächlich bezieht sich das Duo auf die Filme des schwedischen Regisseurs Roy Anderson, deren Kenntnis für den Hörgenuss jedoch nicht unerlässlich ist.
Obwohl in den einzelnen Stücken nichts wirklich Spektakuläres passiert, dringen die eher sanften Klänge aufs Angenehmste ins Ohr, um sich durch die Gehörgänge ins Gehirn fließend und warm zu verbreiten. Daher sind die einzelnen Titel eher als Teil eines größeren Ganzen gedacht, das Momente der Entspannung und Ruhe im großstädtischen Gewusel erzeugt.

Programm-Musik also? Vielleicht – aber nicht, um Wohlfühlatmosphäre für Konsumenten in Shopping-Centern zu erzeugen, sondern vielmehr um dem unablässigen Strom an hektischen Sinnesreizen für die Dauer eines Albums zu unterbrechen. Das gelingt gut. Und obwohl sie nicht auf Dramatik setzt, propagiert die Band auch nicht die reine Idylle. Mit bewusst einfach gehaltenen Stücken bietet das Dzo mit gelegentlichen Störgeräuschen durchsetzte Harmonie. In seiner Konsequenz über die gesamte Länge eines Albums kann man diesen Ansatz beinahe schon radikal nennen.

Trotzdem das bestimmende Element der Kompositionen Wiederholungen mit langsamen Veränderungen sind, zeigen Sonja Perander und Jerker Kaj auch, dass sie ein Händchen für Melodien haben. Die beiden Musiker sehen aus wie Hipster, kleiden sich wie Hipster und machen demnach also Musik für Hipster? Nicht ganz: Der Spaß, der sich einstellt, wenn man sich auf Konzept und Klang einläßt, erfordert weder Coolness noch Stilbewußtsein – und schon gar keine Abgrenzung von allem möglichen. Neugierde und Offenheit reichen. Nicht jeder Moment auf „Rymdar“ überzeugt; aber alles in allem verdient diese sympathische junge Band viele Zuhörer. Und wir Hörer wiederum haben bei all dem hektischen Gedudel, das aus vielen Lautsprechern klingt, auch mal eine angenehme Unterbrechung verdient.

Archive „Restriction“

restriction[rating=2]Streckenweise überzeugend, in anderen Momenten beliebig

Archive gehörten seit ihrer Gründung 1994 durchweg zur Regionalliga der britischen Musikszene. Die Gründe mögen häufige Besetzungswechsel, ein hörbarer Mangel an eigenständigen musikalischen Ideen oder einfach der Umstand gewesen sein, daß es stets bessere andere Bands des gleichen Genres gab. Ihr neues Album „Restriction“ ist keineswegs geeignet, dies nachhaltig zu ändern, was ein wenig schade ist. Immerhin bietet es einige überraschende Momente, so etwa im Eröffnungssong „Feel it“, auf dem New-Wave-Schrammel-Gitarren aufs Angenehmste das Synthie-Gewaber und die klagende Stimme unterbrechen. Aber bereits im Titelsong des Albums, „Restriction“ langweilen die Herrschaften mit Endlos-Klangschleifen und repetetiven Rhythmen. Der dritte und vierte Song, „Kid Corner“ und „End of our Days“, klingen wie aus dem Archiv von Morcheeba – aber die hatten sowohl bessere Synthies als auch mehr Pop-Appeal.

Die Sänger wechseln sich ab, die Klänge und Ideen ebenso. Das wäre nicht schlecht, wenn man nicht ständig das Gefühl hätte, dass sich die Akteure allzu häufig aus dem Fundus bekannter Arrangements, Ideen und Klängen anderer Leute bedienten. Vielleicht heißt die Band deshalb Archive?
Wir wollen jedoch nicht ungerecht sein. Wie die Band auf „Third Quarter Storm“ den schnulzigen Wohlklang durch Lärm-Einschübe stört, ist ganz hübsch. Und wenn auch das Getrommel auf „Ride in Squares“ nicht wirklich neu ist, so gefällt es dennoch. Dagegen langweilen Titel wie „Crushed“, denn eine wirkliche Idee oder auch nur etwas Spannendes konnte ich darin nicht ausmachen. Dafür versöhnt das irgendwie an Bond-Titelsongs (aus der Adele-Phase) erinnernde Ballade „Black and Blue“ ein bißchen. Den Abschluß bilden zwei längere Titel: „Greater Goodbye“ und „Ladders“, die „Restriction“ jedoch nichts mehr Wesentliches hinzufügen, sondern erneut den Bogen von Lärm zu Pop und zurück schlagen – große Momente inklusive. Am Songwriting sollten „Archive“ aber weiter arbeiten und vielleicht beim nächsten Mal versuchen, sich ein wenig stärker zu fokussieren. Aber fürs Durchhalten seit 1994 gibt’s einen Extra-Bonus.

Bryan Ferry „Avonmore“

ferry cover[rating=3] konsequent vertraut

Die Rock-Musik ist mittlerweile in den Status der musealen Konservierung getreten. Rock-Dinosaurier liefern aufwändige Boxen als Werkschauen, mit dem einen oder anderen Outtake oder alternativen Fassungen bekannter Songs als Zuckerl. Und die mit den Akteuren gealterten Hörer kaufen brav ein ums andere Mal. Bryan Ferrys bereits im November letzten Jahres erschienenes Album „Avonmore“ paßt ganz gut in diese Kategorie, auch wenn der mittlerweile 69-Jährige Sänger keineswegs vorhat, eine ’schöne Leich‘ abzugeben, sondern neue Kompositionen vorlegt.
Wo Ferry draufsteht, ist aber auch Ferry drin, wenngleich das Coverfoto und seine Stimme verdächtig jung aussehen und klingen. Im realen Leben sieht unser Mann für einen Endsechziger proper aus, und was die Tontechniker anstellen, um den samtenen Schmelz der Stimme zu erzeugen, wollen wir so genau gar nicht wissen. Diese klingt nämlich keineswegs nach einem Mann, der im siebten Lebensjahrzehnt steht. Bereits die ersten Takte von „Loop de Li“ erscheinen konsequent vertraut und ganz so, als ob die letzten dreissig Jahre spurlos an Mr. Ferrys Musik vorbeigegangen wären. Macht aber nix, denn der musikalische Kosmos Ferrys seit „Avalon“ ist sattsam bekannt und wird in diesem Opus auch kein bißchen erweitert. Hochkarätige Begleiter wie Nile Rogers oder „Smiths“-Gitarrengott Johnny Marr, Bassist Marcus Miller und andere Edelsöldner sorgen für gediegene Qualität, Ferry ist stimmlich – wie auch immer – auf der Höhe, und die gediegene Mischung aus Ennui, Melancholie und flotteren Momenten wie in „One Night Stand“ machen „Avonmore“ zu einem hörbaren Album. Bei der großartigen Schnulze vom seligen Robert Palmer, „Johnny and Mary“, dem letzten Song des Albums, kommen nostalgische Gefühle auf – ewig nicht mehr gehört, aber das Original gefällt besser.
„Avonmore“ ist eine nette Platte, die zwar keine Überraschungen bietet, aber immerhin einen gut aufgelegten Bryan Ferry, der auch mit 69 noch keine Lust auf Rente hat. Er geht zwar sparsam mit seinem Potential um, hat aber immerhin noch nicht alles Pulver verschossen , auch wenn dieses noch aus den späten Achtzigern bis Neunzigern des letzten Jahrhunderts stammt.ferry cover

Röyksopp „The Inevitable End“

Röyksopp "The Inevitable End"

Röyksopp [rating=2] Abschied vom Albumformat leicht gemacht: zunehmend einschläfernd und langweilig.

Röyksopp, die norwegischen Synthiepopper, haben mit „The Inevitible End“ nach eigenem Bekunden ihr fünftes und letztes Album veröffentlicht. Aha, Trennung, mag der Hörer denken, doch weit gefehlt: »Wir haben das Gefühl, das wir uns hiermit vom traditionellen Albumformat verabschieden«, so einer der beiden, und: »Wir werden jetzt nicht aufhören, Musik zu machen, aber das Format des Albums als solches hat für uns jetzt ausgedient und dies ist die letzte Art dieser Veröffentlichung von uns.«

›Was zum…‹ denkt der da der geneigte Musikfreund, der bislang brav LPs, Cassetten und CDs in seiner Wohnhöhle gestapelt hat. Aber klar: In Zeiten permanenter digitaler Verfügbarkeit und Speicherung von Äußerungen, Bildern und Tönen jedweder Art ist das ‚Album‘ ein liebenswerter Anachronismus, dem bald vielleicht nur noch ergraute Rockfans hinterher trauern werden. Nicht ganz so fortschrittlich ist jedoch das, was auf dem digitalen Speichermedium erklingt. Solide elektronische Hausmannskost mit teilweise ganz netten Melodien und Sängern, die uns Worte ins Ohr wispern, die gleich wieder verfliegen auch wenn das Duo uns weismachen will, dass dies ihr »persönlichstes Album« sei, mit einem besonderen Schwerpunkt auf den Texten. Gemach! Röyksopp werden dadurch nicht zu ‚Liedermachern‘, sondern bleiben bei ihren Leisten. ‚Pop‘ war ja stets auch eine polierte Projektionsfläche, die einlud, das Gesehene – den ‚Star‘ – und das Gehörte – die Musik – mit Bedeutung beliebiger Art aufzuladen. Eine Art Zauberspiegel eben, der mit seinen universellen Botschaften dazu angetan ist, nahezu alles zu spiegeln, was man (als Konsument) gern sehen und hören möchte. Allerdings klingt die mitwirkende schwedische Sängerin Robyn mitsamt den Vokalarrangements gelegentlich verdächtig nach ABBA und Textzeilen wie »I never thought I would change until I met you« oder »What the Fuck is wrong with you« sind nun wirklich nicht der Gipfel intimer Bekenntnisse.

Die eigene Handschrift vermisst man folgerichtig auch in der Musik, die wie eine Synthese elektronischer Dance- und Popklänge der letzten Jahre klingt. Die Songs sind weitgehend austauschbar, plätschern dahin und machen – zumindest mich – schläfrig. Vielleicht ist Röyksopps – angekündigter Abschied vom Albumformat daher nur eine Art Pfeifen im Wald. Immerhin hätte ein Download aus dem Internet den Vorteil, dass der Hörer sich nur die seltenen spannenden Momente aus „The Inevitable End“ hätte herauspicken können. Wer weiß: Vielleicht wollten Röyksopp mit ihrem ‚letzten‘ Album den Hörern neue Formate schmackhaft machen?