Autor: TheNoise

Ahura, 21.08.2016, Walserherbst, Blons (A)

Eghbal-7762Er hat das verwegene Gesicht eines gealterten Haudegens und wirkt gleichzeitig wie die personifizierte Güte: Mohammad Eghbal ist das Zentrum von Ahura. Mit der Gruppe – sie tritt in wechselnden Besetzungen auf – hat er sich dem Werk von Dschelaluddin Rumi verschrieben, dessen Gedichte er gefühlvoll vertont.

Mohammed Eghbal braucht nur wenige Töne, um die nüchterne Umgebung der Mehrzweckhalle vergessen zu lassen. Wie improvisiert beginnt er mit einer sanften, auf der Ney gespielten Melodie aus wenigen, eher rauchigen Tönen, dazu rezitiert seine Frau Christa Eghbal das Rumi-Gedicht in Deutsch, bevor sie mit der Harfe einsteigt. Gelegentlich greift sie auch zur Rahmentrommel Daf, für die normalerweise der feinfühlige iranische Perkussionist Hossein Amini zuständig ist. Mohammad Eghbal wechselt zwischen Ney und Oud und singt mit warmer Stimme, sanft und fest. Friedvoll sind seine Interpretationen und andächtig. Und das, obwohl Ahura nicht nur getragene und erhabene Stücke bringen: Mohammad Eghbal setzt mit der Oud auch jazzige Akzente und flicht genauso selbstverständlich fröhliche Melodien ein. Dabei bleiben die drei Verkünder von Rumis bedingungsloser Liebe ein Trio im Dienste des Wohlklangs und bietet die musikalische Entsprechung zu Rumis Dichtkunst. Es ist Musik, die selbstvergessen macht – und lange nachhallt.

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Bohatsch & Skrepek, 21.08.2016, Brandalpe, Damüls (A)

Bohatsch_Skrepek-7698Schon beim Aufstieg habe ich mich gefragt, warum denn zwei Wiener auf eine Alm hochlaufen und dort musizieren sollen, wenn der Spaziergang auf die Vorarlberger Alm als bewahrenswertes historisches Kleinod aufmerksam machen soll. Der Regen macht die Wege durch Gras und Heidelbeerflecken schlüpfrig, er durchnässt die Kleider, aber er verwässert nicht die Lieder von Helmut Bohatsch und Paul Skrepek. Obgleich nur am Rande dem Wienerlied zuzuordnen, sind diese die Wurzeln der ironischen und hintergründig-verschmitzten Lieder, die Helmut Bohatsch mit komödiantischem Talent interpretiert. Das Duo braucht nicht viel – Kontragitarre und Stimme sind die Basis, zu denen sich in den Intermezzi mal Mundharmonika, mal Melodica gesellt, oder auch nur ein Plastikbecher, mit dem Bohatsch eine Trompete mit Schalldämpfer simuliert.
Auch wenn die Vorstellung, die beiden Wiener auf der Alm musizieren zu lassen, wirkt, als ob sie einem Kottan-Krimi entstammt: Bohatsch & Skrepek zeigen schon mit wenigen Takten, dass auch Widerborstiges auf die Alm passt und der heutige Senn den Blues nicht mit Zäuerlis bekämpft. Und so wird rasch klar, so ganz ohne Arbeit und mit einem Schnaps zur zünftigen Jause könnte man den beiden einen ganzen sonnigen Nachmittag lang zuhören.

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Kala Jula – Samba Diabaté & Vincent Zanetti, Museum Rietberg, Zürich (CH)

diabate_zanetti-5481Sie seien schon eine kuriose Gruppe, witzelt Vincent Zanetti, ein Westafrikaner, der jeden Tag Django Reinhardt spielt, und ein Weißer an afrikanischen Instrumenten. Das kommt nicht von ungefähr. Samba Diabaté ist nicht nur in eine malische Griot-Familie geboren und daher mit Musik aufgewachsen. Er findet in seiner Heimat, in der sich eine eigene Spielart zwischen Tradition und Moderne entwickelt hat, ein inspirierendes Umfeld. Der Walliser Vincent Zanetti wiederum, von einem malischen Clan schon vor dreißig Jahren ‚adoptiert‘, ist tief in die Kultur und Musik des Landes eingetaucht.

Obwohl die ruhigen Töne dominieren, wird es ein lebendiger Abend. Im Vordergrund stehen die Gitarren des Duos. Vincent Zanetti legt mit charmantem Fingerpicking die Grundlage, über der Samba Diabaté mit flinken Fingern seine Melodien zelebriert. Anfangs etwas angespannt (und von der Kälte des unfreundlichen Sommerabends gepiesackt) wechselt er bald behende zwischen für die malische Gitarrenmusik typischen gelassen fließenden Passagen und eloquenten, jazzigen Läufen, die er mit vielen Trillern verziert.
Mit der Zena – einer Anverwandten der Kora, von der es weltweit keine Handvoll Exemplare gibt – und der Langhalslaute Ngoni bringt das Duo weitere Klangfarben in das durchweg ruhige und auf Dauer auch etwas gleichförmige Spiel.

Für Dynamik sorgen weniger die Variationen von Lautstärke und Geschwindigkeit, sondern die Erklärungen und Erzählungen von Vincent Zanetti, der nicht nur den Hintergrund der Stücke erläutert, sondern damit auch charmant und humorvoll ein wenig malische Gesellschaftskunde vermittelt. Erst gegen Ende des Konzerts greift er zur Djembé und zeigt mit seiner furiosen Begleitung, was ihm vor 30 Jahren die Achtung ’seiner‘ afrikanischen Familie eingebracht hat. Mit dem aufpeitschenden Abschied, für den es zu Recht frenetisch bejubelt wird, verweist das Duo aber auch auf die insgesamt fehlende Dynamik des ganzen Sets – ein kleiner Wermutstropfen, den Samba Diabaté und Vincent Zanetti mit ihrem energiegeladenen Finale aber fast vergessen machen konnten.

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Danças Ocultas & Dom La Nena, 16.06.2016, Freudenhaus, Lustenau (A)

Dancas-5422Es muss Liebe sein. Anders ist nicht zu erklären, dass eine hochgradig originelle Gruppe wie Danças Ocultas die Bühne mit einer Musikerin teilt, die ihre Musik schwächt. Dom La Nena, wie sich die Mittzwanzigerin Dominique Pinto nennt, ist nicht mehr als ein billiger Abklatsch ihrer polnisch-amerikanischen Kollegin Ashia Grzesik aka Ashia Bison Rouge.
Wie diese – wenn auch weit weniger originell – schichtet Pinto geloopte Cello-Sequenzen übereinander. Diese sind das Gerüst für ihre simplen Lieder. Doch während Ashia über eine ausdrucksstarke Stimme und Songwriting-Talent verfügt, bleibt bei Dominique Pinto hauptsächlich die Lichterkette in Erinnerung, mit der sie ihre Ukelele illuminiert, zu der sie für einige Solo-Stücke wechselt. Dass ihr damit sogar eine berührende Interpretation eines von einem Landsmann geschriebenen Liebeslieds gelingt, tröstet nicht über den Rest ihres Auftritts hinweg. Sie agiert auf dem Niveau eines Bierzeltunterhalters – was eine hochkarätige Kammermusik-Soiree alles andere als aufwertet.

Das Cello mag eine nette Klangfarbe sein, doch so unoriginell, wie es Dom La Nena spielt, bleibt es effektlos. Und ihren Gesang braucht die Musik der Danças Ocultas zumindest solange nicht, solange dieser an Eigenständigkeit und Originalität meilenweit hinterherhinkt.
Wenn Dom La Nena gemeinsam mit den Danças Ocultas spielt, scheint das die ganze Gruppe zu hemmen. Die vier Akkordeonisten spielen dann wie mit angezogener Handbremse. Dagegen legen sie wie gewohnt los – mal verschmitzt, oft verspielt und immer wieder opulent und mit einem wuchtigen Bass unterlegt –, wenn der Hemmschuh weg ist. Wenn Dom La Nena die Bühne verlässt, wirkt das wie ein Wetterwechsel. Dann bricht zwischen trüben Wolken die Sonne durch und lässt die Landschaft leuchten. Doch diese nicht nur gefühlt viel zu kurze Zeit reicht nicht aus, um die dunklen Wolken der Erinnerung zu vertreiben. Dabei spielen Danças Ocultas durchweg makellos, und ihre nach wie vor eigenständige und eigenwillige Mischung mit Zitaten aus Tango und Volksmusik hat auch nach mehr als 25 Jahren nichts von ihrem Reiz eingebüßt. Ihre Eigenkompositionen sind originell, die Interpretationen von Stücken anderer Komponisten eigenständig. Sie faszinieren mit lyrischen Passagen, setzen gekonnt auch mal nur den mit dem Balg erzeugten Luftstrom in Szene und brausen immer wieder orchestral auf. Hätten die vier doch nur Carminho mitgebracht, mit der sie demnächst Live-Aufnahmen veröffentlichen. Mit ihr hätten sie wahrscheinlich sogar den Regen vertrieben, der während des Konzerts den halben Vorplatz unter Wasser gesetzt hat.

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Imarhan, 27.5.2016, Palace, St. Gallen (CH)

Imarhan-4905Die Bekleidung der Tuareg – das weite, knöchellange Gewand und der in der Art eines Turbans gewickelten Gesichtsschleier – ist zweifellos prächtig und weckt bei vielen das Gefühl von 1000 und einer Nacht, von der Freiheit des nomadischen Lebens und vielleicht auch von Abenteuer. Auf der Bühne ist das vermeintliche Zeichen von Authentizität eigentlich nicht mehr als ein stimmungsvolles und daher keineswegs zwingend notwendiges Accessoire. Trotzdem präsentieren sich (nord)afrikanische Gruppen ebenso gerne folkloristisch wie bayerische Volksmusikgruppen. Daher ist es überaus angenehm, dass Imarhan mit dieser Regel – von einer kleinen Ausnahme abgesehen – brechen. Sie gehen im Outfit des Durchschnittsmenschen auf die Bühne, um ihre Musik sprechen zu lassen.
Bei den forcierten, etwas schnelleren Stücken geht das wenigstens halbwegs gut. Doch sobald das Quintett die Zügel anzieht, zerstört die zu hoch ausgesteuerte Rhythmus-Sektion jeglichen Versuch des gefühlvollen Spiels. Dann stört es noch viel mehr, dass der Bass übersteuert ist und dass jeder Schlag auf die Kalebasse wirkt, als ob man in Plastiktonne sitzt, die mit dem Schlegel bearbeitet wird.
Die Rechnung von Imarhan, die Musik für den Tanzboden einfach ein wenig knalliger zu machen, geht nicht auf. Denn dabei bleiben nicht nur die verhaltenen Stücke auf der Strecke. Auch den anderen wird der eigene Charakter abgeschliffen, übrig bleibt bloß noch eine durchschnittliche Tuareg-Band. Dafür hätten die Algerier nicht auf Folklore verzichten müssen – und wären immerhin prächtig anzusehen gewesen.

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Savina Yannatou, 13.5.2016, Freudenhaus, Lustenau (A)

Yannatou-4300Die Lage war auch vor hundert Jahren nicht besser, nur kamen die Flüchtlinge aus anderen Ländern: Damals suchten Türken, Bulgaren und Mazedonier, Serben, Armenier und andere Schutz in Griechenland, machten Thessaloniki zum Schmelztiegel und ergänzten den heimischen Musikfundus.
Savina Yannatou und Primavera en Salonico präsentieren Stücke der Migranten, die während des Ersten Weltkriegs über das Schwarze Meer gekommen waren, und eines der irischen Soldaten, die im Zweiten in der griechischen Stadt stationiert waren. Diese ergänzt sie um einige Lieder der sephardischen Minderheit (Thessaloniki sei um 1940 als ‚Jerusalem des Balkans’ bezeichnet worden, erzählt Savina Yannatou) und um weitere aus dem Mittelmeerraum.
Die überwiegend getragenen Lieder wurden mit traditionellem Stilbewusstsein und einem großen Sinn für die Moderne arrangiert. Die Gruppe von Savina Yannatou bringt die Volksmusik nicht nur auf konzertantem Niveau, sondern spielt auch verschmitzt mit dem Material. Dann lässt Michalis Siganidis die Finger auf die Basssaiten prasseln wie Regentropfen, da unterlegt Kyriakos Gouventas die avantgardistische Lautmalerei von Savina Yannatou mit einer Caféhausgeige, und gelegentlich stacheln sich Geige und Akkordeon zu verspielten kleinen Duellen an.

Savina Yannatou und ihre Mitstreiter bieten so weit mehr als konzertante Volksmusik. Sie bringen die innere Kraft der Lieder zum Leuchten und verweben den Klang der traditionellen Instrumente – auch Ney, Kanun, Oud und hervorragend unaufdringlich akzentuierte (Rahmen-)Trommeln und Becken erklingen – mit modernen Stilmitteln. Das ist traditionell und modern, intim und welthaltig.

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Marc Ribot, 7.5.2016, Spielboden, Dornbirn (A)

Marc Ribot-4028Marc Ribot wirkt wie ein Keith Jarrett an der Gitarre. Den Kopf auf den Korpus gepresst, scheint er völlig entrückt. Sein Instrument umklammert er wie einer, der die Karikatur eines Gitarristen abgeben will. Als ob er in seiner eigenen Welt lebte, spult er lange seine verschroben-dissonanten Läufe ab, schabt in kindlicher Ernsthaftigkeit mit dem Luftballon über die Saiten und lässt den angeleckten Daumen über den Korpus quietschen, bevor er sich das erste Mal mit einem kurzen Kommentar ans Publikum wendet. Die sparsame Kommunikation ist kein Zeichen einer Verweigerungshaltung, sondern eines seiner Konzentration.
Längst sind wir gewöhnt, dass die Gitarre mit Bogen gespielt und mit Dingen traktiert wird, die nicht zum Musikmachen gedacht sind. Marc Ribot setzt einen zweiten Steg hinter das Schallloch oder klemmt eine Nagelfeile zwischen die Saiten. Das ist manchmal effektvoll, zum Staunen bringt jedoch eher die Frage, ob tatsächlich Anklänge an „As Time Goes Bye“ oder „Somewhere Over The Rainbow“ herauszuhören waren, oder ob das nicht vielmehr am haluzinogenen Spiel Ribots liegt.
Die Stücke, die Ribot gewählt hat, sind keineswegs so simpel, wie sie mitunter wirken. Er zeigt sich immer wieder raffiniert, wenn er beispielsweise gleichzeitig mit dem Plektron anschlägt und mit den freien Fingern zupft, lässt aber oft die Saiten achtloser schnarren als notwendig. Stil ist alles und Perfektion überbewertet, teilt er mit dem rustikalen Fingertapping mit, und wenn der Luftballon vor der Zeit platzt, so ist das auch nicht weiter tragisch. Der Abend ist ein besonderes Wechselbad, aber nicht zwischen gut und schlecht, sondern zwischen anheimelnd melodiös und zwanglos avantgardistisch.
Marc Ribot wandert wie gewohnt zwischen Jazz, Neuer und populärer Musik, bringt Stücke von John Zorn und seinem einstigen Lehrer Frantz Casséus, dessen Kompositionen prototypisch Sperrigkeit und Melodiosität vereinen, die auch Ribots Werk ausmacht.

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Trio Da Kali, 9.4.2016, Spielboden, Dornbirn (A)

Trio_Da_Kali-3821Bereits nach wenigen Takten fühle ich mich nach Ségou in Mali versetzt – einer der entspanntesten Orte, an denen ich jemals gewesen bin. Draußen flirrt die Hitze, im schattigen Innenhof legt sich die zwischen träge und gemütlich plätschernde Musik wie ein kühlender Kokon um die matt plaudernde Gesellschaft. Es ist keine aufgeregte Feststimmung, die das Trio Da Kali verbreitet, nichts erinnert an eine ausgelassene Hochzeitsgesellschaft oder an die aufgekratzten Besucher eines Dorffestes, zu denen der angesehenste Griot der Region in oft suggestiv-monotonem Singsang die Genealogie der Gemeinschaft repetiert und die hohen Würdenträger preist.

Auch das Trio Da Kali beruft sich auf die Herkunft seiner Mitglieder – allesamt entstammen sie Griot-Familien. Und Sängerin Hawa Kasse Mady Diabaté, Tochter des mit der Gruppe Afrocubism Grammy-nominierten Sängers Kasse Mady Diabaté, soll ihr Geld nach wie vor überwiegend mit Auftritten auf Hochzeiten verdienen. Für den Balafon-Spieler Lassana Diabaté ist das nicht mehr denkbar. Er spielte neben Afrocubism in Toumani Diabatés Symmetric Orchestra und tourt mit verschiedenen Formationen durch die Welt.

Als Abkömmlinge von Griots möchte das Trio Da Kali die Tradition erhalten und weitergeben. Ihr Verhältnis dazu erklären sie nicht, aber es wird in ihrer Musik deutlich. Das Trio Da Kali strebt ganz offensichtlich nicht danach, die Asche zu hüten. Sie wollen das Feuer weitergeben und verschließen sich keineswegs modernen Einflüssen. Das erstaunt nicht. Denn Lassana Diabaté und Mamadou Kouyaté spielen seit Jahren in innovativen, modernen Gruppen.

Der gleichermaßen gefühlvolle wie virtuose Lassana Diabaté begeistert immer wieder mit jazzigen Einwürfen. Und der Hinweis, dass die von Mamadou Kouyaté gespielte Kurzhalslaute Ngoni seit fast zweitausend Jahren gespielt wird, verdeckt die zeitgenössische Komponente. Die Bass-Ngoni, die er spielt, ist eine noch recht junge Weiterentwicklung seines Vaters Basseko Kouyaté. Demnach hat sie in konservativ-traditioneller Musik gar keinen Platz. Mamadou Kouyaté gelingt es jedoch nicht, sich prägend einzubringen. Oft spielt er die Melodielinie eine Oktave tiefer, gelegentlich lässt er in Rock-Manier die Saiten gegen das Griffbrett schnalzen, und in seinen Soli variiert er meist nur seine Begleitung.

Die meisten Stücke des Trios haben den Charakter von Wiegenliedern. Sie sind jedoch oft rhythmisch reizvoll und daher alles andere als einschläfernd. Daher wäre es gar nicht notwendig, den Auftritt mit einem Mitsing-Spiel zu beenden – das noch dazu das Publikum mit einer einfältigen Ohrwurm-Melodie nach Hause schickt, die die anheimelnde Stimmung völlig übertüncht.

(Foto: TheNoise)

Ashia Bison Rouge „Oder“

Ashia_Bison_Rouge_Oder[rating=4] Vielstimmig und intensiv

Erst sorgte es in der populären Musik bei einzelnen Stücken für die bestimmende Klangfarbe, später wurde es bei Gruppen wie Rasputina und Apocalyptica zum zentralen Instrument: Das Cello hat in der Popmusik seit Jahrzehnten seinen festen Platz. Auch beim neuen Album von Ashia Grzesik steht es im Mittelpunkt. Die Cellistin und Sängerin hat sich ihrer Begleitmusiker entledigt, sich deren Namen Bison Rouge einverleibt und spielt – bis auf wenige Ausnahmen – solo und trotzdem vielstimmig. Sie loopt einzelne Sequenzen, schichtet die Spuren übereinander. Zum Teil schickt die in den USA aufgewachsene Polin die Töne auch durch Effektgeräte. Das Prinzip ist bekannt – der Schweizer Bassist Mich Gerber setzt es schon seit den 90er-Jahren ein –, doch Ashia Bison Rouge fügt eine weitere, tolle Facette hinzu.

Das Cello scheint ein für dieses Prinzip ideales Instrument zu sein. Es deckt den Bereich der männlichen Stimme ab. Ashia Bison Rouge, kann ihre kräftige Stimme mit einem ordentlichen Bass unterlegen oder ihren Stücke mit einer Art Streichquartett einen klassischen Touch geben. Und gezupft wird das Cello auch zu einer kleinen Rhythmusmaschine. Wenn Ashia Grzesik höhere Töne braucht, holt sie sich eine Geige dazu, mitunter ist auch eine Ukulele zu hören.

Der Albumtitel „Oder“ verweist auf den Strom, der Polen und Deutschland trennt. Beide Länder spielen in der Biographie der Künstlerin, die derzeit in Berlin, lebt eine Rolle. Die Stücke sind auch eine Auseinandersetzung mit ihrer Herkunft, der Song „Dig In Our Roots“ kündigt das schon im Titel an. Ihre – mit Ausnahme des auf Polnisch gesungenen Titelstücks „Oder“ –überwiegend stimmungsvollen und gelegentlich melancholischen Stücke singt Ashia Bsion Rouge in Englisch. Die Melodie des romantischen „Hold and Fall“ erinnert an Gershwins „Summertime“. Die durch repetitive Loops zwangsläufig redundanten Passagen mancher Stücke bringen sie in die Nähe der Minimal-Music, auch wenn sie keineswegs die suggestive Kraft der Kompositionen eines Philip Glass ausstrahlen. Dafür hat Ashia Bison Rouge ihre kraftvolle Stimme, die sie nicht nur akzentuiert und energisch, sondern durchaus auch subtil einsetzt.

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(Foto: Jaro)

The Jon Spencer Blues Explosion, 4.3.2016, Rote Fabrik, Zürich (CH)

DSC_3242„Ladies and gentlemen, the Blues Explosion“, verkündet Jon Spencer wiederholt zwischen
den Stücken. Obwohl er sicher sein kann, dass jeder im Saal weiß, wer hier den Bulldozer mit veredeltem Trash durch die Menge schiebt, gibt er den altmodischen Entertainer. Das ist durchaus passend zu einer Musik, die bereits aus der Zeit gefallen scheint. Doch vielleicht zeigt gerade das, wie zeitlos The Jon Spencer Blues Explosion ist. Und auch wenn die Besetzung – zwei Gitarren und Schlagzeug – längst nicht mehr neu ist, fragt man sich einmal mehr, wofür andere Trios einen Bassisten brauchen.

The Jon Spencer Blues Explosion stehen kompakt auf der Bühne und lassen einen guten Teil
der Fläche ungenutzt – fast so, als ob sie sich spüren müssten. Tatsächlich scheinen sie
sich praktisch blind zu verstehen. Doch der gedrängte Aufbau versinnbildlicht, dass bei JSBE
nichts ausfranzt, dass die Songs ungemein dicht sind und straight ins Publikum gerotzt
werden. JSBE prügeln unerbittlich mit dem Rockbrett, knurren den Blues, zitieren
Sprechgesang und zeigen in einer ganz kurzen Anspielung, dass sie auch schon atonaler unterwegs waren als jetzt.
Das alles kommt wie eh und je direkt aus der Gosse – ramschige Fundstücke, die Jon Spencer, Judah Bauer und Russell Simins neu sortieren, zu Edeltrash aufhübschen und wuchtig in die Welt hinausdonnern. Im Hintergrund flimmern Filmausschnitte mit Aliens, Zombies und Dracula, tanzen Gogo-Girls und schüttelt ein Skelett rhythmisch seine Knochen. Auch das ist von gestern
– und verfehlt seine Wirkung trotzdem nicht. Es fügt sich stimmig in die ‚anything goes‘-Haltung, die JSBE mit ihrer Musik zelebrieren.

Bisherige Rezensionen zu The Jon Spencer Blues Explosion auf schallplattenmann.de

Offizielle Homepage von The Jon Spencer Blues Explosion

(Foto: TheNoise)